Rede von
Hans
Ewers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich meine kurzen Ausführungen vor den mittlerweile stark gelichteten Reihen dieses Hohen Hauses mit einer ganz und gar ketzerischen Bemerkung beginne. Darüber, daß mit einer mehr als dreistündigen Debatte zu einer Regierungserklärung, ohne daß dem Hause ein Antrag zur Beschlußfassung vorliegt, den Flüchtlingen in keiner Weise geholfen ist, kann kein Zweifel bestehen.
Ob der Demokratie damit geholfen ist, das ist die
sehr ernste Frage, die man sich weiter stellen muß.
Ich möchte mich auf ganz wenige Bemerkungen beschränken. Der Herr Wohnungsbauminister hat gemeint, daß vom Anlauf der gesetzlichen Bestimmungen zur Umsiedlung etwa ein Jahr ablaufe, bis alles gelungen sei. Das erste Programm wurde in diesem Hause fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, nämlich am 29. November 1949, beschlossen. Aus Schleswig-Holstein sollten nach diesem Programm 150 000 Heimatvertriebene umgesiedelt werden. Bis jetzt, d. h. Anfang November, also fast auf den Tag zwei Jahre, sind es genau 148 640. Also ist heute noch ein Rückstand aus diesem Programm von immerhin 1 360 vorhanden. Ich bitte doch, in Prophezeiungen nach diesem Beispiel sehr vorsichtig zu sein. Offenbar dauert es etwas mehr als zwei Jahre, ehe ein solches Programm in der Praxis durchgeführt werden kann.
Was nun aber unser Gesetz — ich bitte Sie zu beachten: ein Bundesgesetz vom 22. Mai 1951 — anlangt, das wir doch nach den Erfahrungen des Anlaufens der ersten Verordnung erlassen haben, so ist darin vorgesehen, daß aus Schleswig-Holstein bis Ende Oktober 100 000 und bis zum 31. Dezember 1951 weitere 50 000 umgesiedelt sein sollten. In Wirklichkeit sind auf Grund dieses zweiten Programms bis zum 1. November 1951 aus Schleswig-Holstein sage und schreibe 7 610 Menschen umgesiedelt! Das sind so eben 5 % des Solls. Das mag an Umständen liegen, die der oder jener zu verantworten hat — meines Erachtens am meisten doch wohl die Herren Minister oder die Herren Sachbearbeiter in den Aufnahmeländern —; das sei dahingestellt.
Aber ich möchte doch vor einem warnen: mit solchen Gesetzen, die wir hier als Demokratie beschließen, werden Hoffnungen erweckt, die man unter allen Umständen erfüllen muß. Ich möchte für alle zukünftigen Gesetze und Verordnungen dringend empfehlen, das Programm zeitlich so abzusehen, daß nicht wiederum Hoffnungen wachgerufen und enttäuscht werden.
Was nun das ganze Umsiedlungsverfahren anlangt, so gestatten Sie mir hierzu noch eine Schlußbemerkung. Es handelt sich um typische Zwangswirtschaft mit Menschen, um eine von oben gesteuerte Durchführung, der wir nach unserem politischen Glauben nur unsere äußerste Skepsis entgegensetzen können. Ob es nicht andere Methoden gibt, bei denen der Betreffende sein Schicksal in eigene Hand nehmen kann und muß, die bedeutend wirkungsvoller sein könnten, das ist die Frage, die wir sehr ernstlich zu prüfen bitten. Denn lediglich mit der Unterbringung in Wohnungen ist es noch nicht geschehen. Das Wesentliche ist die neue Lebensbasis, die die Menschen in der neuen Heimat finden. Ob darauf bei einer solchen gesteuerten Umsiedlung die unentbehrliche Rücksicht genommen werden kann, das ist das weitere ernste Bedenken, das ich nur kurz anmelden möchte.