Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße die Interpellation, die uns heute Gelegenheit gibt, den gegenwärtigen Stand der Umsiedlung zu untersuchen. Ich sehe darin keineswegs ein Ballspiel zwischen einer Regierungspartei und dem zuständigen Vertriebenenministerium, sondern ich denke daran, daß wir das Gesetz vom 22. Mai dieses Jahres seinerzeit in größter Einmütigkeit verabschiedet haben. Wir sollten es also alle begrüßen, daß wir zu einem noch nicht zu späten Zeitpunkt einen Querschnitt machen, eine Art Peilung vornehmen und die Frage aufwerfen: wo stehen wir mit der Umsiedlung?
Ich bedaure nur, daß die Bank der Länderregierungen so schwach besetzt ist,
vor allem, daß die Aufnahmeländer hier anscheinend nur durch zwei Herren vertreten sind.
— Ach so! Aber der Bundesrat müßte meiner Ansicht nach doch das größte Interesse daran haben, an der Debatte über diese Frage, die doch die Kardinalfrage der gegenwärtigen Zeit darstellt, teilzunehmen, zumindest durch einen Herrn je Land vertreten zu sein.
Weiter habe ich nach den Ausführungen meiner Herren Vorredner den Eindruck — und vielleicht wird das, was ich jetzt sage, auch noch auf einige Nachredner zutreffen —, daß wir in die Thematik jener Grundsatzdebatte hineingeschliddert sind, in der wir uns schon seit dem 8. März dieses Jahres befinden, d. h. wir sprechen heute mit stark agitatorischen Akzenten. Wenn aber ein Gesetz im Laufen ist, müßten wir meines Erachtens eher bemüht sein, zu prüfen, wo Mängel sind und wie diese Mängel an Hand konkreter Vorschläge behoben werden können.
In diesem Zusammenhang bedaure ich, daß mein von mir verehrter Kollege und Landsmann Tichi hier so weit gegangen ist, sogar ein Mißtrauensvotum gegen den Vertriebenenminister für angebracht zu halten. Ich nehme Herrn Minister Lukaschek keineswegs in Schutz; er weiß selbst, worin meine Stellung gegen das Vertriebenenministerium beruht. Aber ich glaube, in diesem Fall — und damit möchte ich auch meinem Freunde Stech antworten — sind beide Kollegen auf der Suche nach den letzten und tiefsten Gründen der bisherigen Schwierigkeiten nicht weit genug gegangen, d. h. sie sind bei dem Nächstliegenden, nämlich beim Vertriebenenministerium, verblieben, ohne die Länderregierungen ins Auge zu fassen.
Der Vorwurf, den ich Herrn Minister Lukaschek in Verbindung mit der bisherigen Durchführung des Umsiedlungsgesetzes mache, ist der, daß er leider statt zu fordern immer nur bittet. Er glaubt — und das ist auf Grund seiner etwas musischen Veranlagung verständlich —,
daß er mit dem Bitten mehr erreicht. Er geht immer von der Annahme aus, daß der andere, bei dem er bittet, ein genau so vornehmer und höflicher Mensch ist, der die Leute ebenso mit Glacéhandschuhen anfaßt wie er selbst. So schwerwiegende Probleme wie das Umsiedlungsproblem kann man nicht mit emotionalem Verhalten lösen,
sondern nur mit sehr realpolitischen Argumenten und gelegentlich auch einmal dadurch, daß man mit der Faust auf den Tisch schlägt. Ich habe gehört, daß die Tische im Kabinett sehr fest und stabil gebaut sein sollen.
Schließlich zu der Frage des sogenannten Zusammenbruchs dieses Gesetzes. Ich glaube nicht, daß man hier von einem Zusammenbruch sprechen kann. In einem Punkte allerdings schließe ich mich der Feststellung des Herrn Ministerpräsidenten Lübke von Schleswig-Holstein an. Er hat in seiner Entschließung an die Bundesregierung erklärt: Das Gesetz bzw. die Durchführung des Gesetzes ist „an der Selbstsucht der Aufnahmeländer gescheitert". Darin gebe ich ihm recht. Aber von einem absoluten Zusammenbruch kann nicht gesprochen werden. Die Schuld daran, daß wir bis jetzt nicht den erhofften zahlenmäßigen Erfolg aufzuweisen haben, trägt etwas anderes, und in diesem Zusammenhang möchte ich auf das Thema als solches eingehen.
Das Umsiedlungsproblem — und es ist ein Problem im wahrsten Sinne des Wortes — muß von zwei Gesichtspunkten her gesehen werden: erstens von der gesetzlichen Seite, d. h. von dem Wortlaut des Gesetzes her und zweitens von der praktischen Durchführung her. Das Gesetz hat folgende Mängel: Zunächst einmal ist es viel zu spät in Kraft getreten, fast mitten im Jahr; und von Mai bis zum 30. September bzw. bis zum 31. Dezember dieses Jahres sollten einerseits 200 000, andererseits 300 000 Heimatvertriebene umgesiedelt werden, wofür aber bei Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht einmal die Gelder vorhanden waren; die Gelder sind erst bedeutend später flüssig gemacht worden und konnten nur in Teilbeträgen den Ländern zur Durchführung des Wohnungsbaus überwiesen werden. Wir müssen also wohl oder übel der Tatsache Rechnung tragen, daß vom Zeitpunkt der Geldüberweisung bis zur Verwirklichung des Wohnungsbaus jeweils 10 bis 12 Monate vergehen. Das ist also ein Mangel des Gesetzes, und wir haben als Gesetzgeber bei der damaligen Abfassung des Gesetzes alle miteinander ein Stück Schuld auf uns geladen.
Es kommt mir allerdings eigenartig vor, wenn ich von dem Herrn Vertreter von Nordrhein-Westfalen plötzlich Umsiedlungszahlen höre, die in die Hunderttausende gehen, ich aber auf der anderen Seite klar vor mir liegen habe, daß im Umsiedlungsprogramm 1951 bisher nur 866 Personen nach Nordrhein-Westfalen umgesiedelt worden sind, und zwar insgesamt in gelenkter und ungelenkter Umsiedlung. Das sind Zahlen, die nicht wegzuleugnen sind.
Ich muß dasselbe sagen, was ich am 8. März gesagt habe: Wohnraumnot ist ein sehr relativer Begriff. Das, was man in Nordrhein-Westfalen unter Wohnraumnot versteht, ist etwas ganz anderes als das, was wir z. B. in Bayern oder unsere heimatvertriebenen Schicksalsgefährten in Schleswig-Holstein und Niedersachsen erleben. Dort beginnt Wohnraumnot erst da, wo sechs bis acht Personen, Erwachsene mit Kindern, in einem Raum zusammen vegetieren müssen. In Nordrhein-Westfalen aber glaubt man, daß Wohnraumnot schon dann vorhanden ist, wenn vier und fünf Personen in drei und vier Räumen wohnen. Ich glaube, daß die Aufnahmeländer die Möglichkeit gehabt hätten, neben dem Neubauprogramm auch durch Revision ihrer Altwohnungsgesetzgebung etwas zu schaffen.
Ich muß dabei noch darauf hinweisen, daß die Umsiedlung dieses Jahres — also für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. September — im ganzen statt 200 000 nur 20 689 Personen erfaßt hat, also nur 10,3 %. Das ist eine sehr ärmliche Zahl; sie enthebt gewisse Aufnahmeländer nicht des Vorwurfs, nicht alles getan zu haben, was sie hätten tun müssen. Auf der anderen Seite weiß ich, daß sich z. B. Rheinland-Pfalz außerordentlich bemüht hat. Das zeigt die Tatsache, daß dort immerhin ein Satz von 47 % erreicht worden ist. Ich weiß auch, daß in Teilen Badens und in Württemberg einheimische Kreise in äußerster Aufgeschlossenheit der Umsiedlung gegenübergestanden sind, so daß ich glaube, die Bewohner der Aufnahmeländer haben eher Verständnis für die Umsiedlung als die Regierungen der Aufnahmeländer.
Eine der größten Schwierigkeiten bei der Durchführung dieses Gesetzes sehe ich in der Tatsache unseres in dieser Beziehung mangelhaften Grundgesetzes. Föderalismus ist eine außerordentlich schöne Sache. Ich habe mich gefreut, als ich vor einiger Zeit im Bayerischen Rundfunk den Ausführungen des Vorsitzenden der Bayernpartei Dr. Baumgartner, der einen Abriß der geschichtlichen Entwicklung des föderativen Gedankens gab, die Feststellung entnehmen konnte, daß es immer dann einen blühenden Föderalismus gegeben hat, wenn gleichzeitig besonders gute Zeiten waren. Ich glaube — im Rückschluß daraus—, daß Föderalismus in härtesten Notzeiten des Volkes niemals die Probleme meistern kann. Denn zentrale Probleme können nur durch zentrale Maßnahmen gelöst werden! Und wenn dazu noch, wie heute, Föderalismus in separatistischen Partikularismus ausartet, dann muß man diese Art von Föderalismus im staatspolitischen Leben mit außerordentlicher Vorsicht zur Anwendung bringen.