Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich muß den Herrn Bundesarbeitsminister etwas entschuldigen. Er konnte nicht ohne weiteres wissen, daß Punkt 1 abgesetzt werden würde. Ich lasse ihn in diesem Augenblick unterrichten und nehme an, daß er in Kürze erscheint. Vielleicht haben wir die Möglichkeit, den Punkt etwas zurückzustellen, um dem Herrn Bundesarbeitsminister Gelegenheit zu geben, anwesend zu sein.
Ich rufe also zunächst auf den Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung ; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (20. Ausschuß) (Nr. 2632 der Drucksachen).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Kneipp.
— Darf ich Sie bitten, den Herrn Abgeordneten Dr. Kneipp unterrichten zu lassen, daß seine Anwesenheit erwünscht ist.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor — in der Hoffnung, daß einer der Herren inzwischen eintrifft —, Punkt 6 der Tagesordnung, den Gesetzentwurf über den Handelsvertrag mit Chile, vorwegzunehmen. Darf ich fragen, ob Herr Abgeordneter Freudenberg im Saal ist? — Ich bitte, auch Herrn Abgeordneten Freudenberg unterrichten zu lassen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir jetzt die Begründung des Gesetzentwurfs zu Punkt 3 der Tagesordnung hören:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1274 ff. der Reichsversicherungsordnung .
Ich hoffe, daß der Herr Bundesminister für Arbeit, wenn er diesmal kein Fahrrad, sondern ein Auto benutzt, schnell eintreffen kann. Darf ich bitten, Herr Abgeordneter Meyer.
Meyer (SPD), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat den Antrag auf Drucksache Nr. 2693 eingebracht, um das Problem der Ruhensbestimmungen, also der §§ 1274, 1275, 1278 und 1279 der Reichsversicherungsordnung, einmal konkret anzupacken und die Dinge endlich in Fluß zu bringen. Das Hohe Haus hat über diese Frage schon verschiedentlich, beispielsweise beim Bundesversorgungsgesetz, gesprochen und hat diese Paragraphen dort nicht berücksichtigt. Wir haben die Frage schon bei der Verabschiedung des Rentenzulagengesetzes angesprochen. Seit über einem Jahr hatte sich die SPD-Fraktion um die Erhöhung dieser viel zu niedrigen Renten bemüht. Wir waren damals der Auffassung, daß die Frage der Erhöhung der Renten aus den Rentenversicherungen, die Frage der Erhöhung der Unfallrenten und das Problem der Ruhensbestimmungen als ein Ganzes behandelt werden müssen. Die tropfenweise Erledigung der Dinge führt zu Unerträglichkeiten und Komplikationen. Seinerzeit wurde z. B. gesagt, daß die Nichtbeachtung der Ruhensbestimmungen beim Rentenzulagegesetz nicht zu sehr großen Schwierigkeiten führe. Der Herr Bundesarbeitsminister trat damals selber in die Schranken und sagte, es sei nicht so, wie wir es dargestellt hätten. Heute ist die Situation im Zusammenhang mit dem Rentenzulagengesetz so, daß die Menschen, bei denen ein Doppelbezug von Unfallrente und Rente aus den Rentenversicherungen vorliegt, benachteiligt sind. Ich könnte Ihnen eine Reihe von Zahlenbeispielen*) dazu anführen. Diese Menschen würden lieber auf ihre Unfallrente ganz verzichten, weil sie dann in den Genuß einer viel höheren Rente kommen würden.
*) Ergänzung siehe Anlage Seite 7107
Es ist sehr interessant, daß bei den Beratungen des Rentenzulagengesetzes, nachdem die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion bezüglich der Ruhensbestimmungen abgelehnt worden waren, ein Vermittlungsantrag der Regierung vorgelegt wurde, der folgenden Wortlaut hat:
Der § 2 Abs. 4 des Rentenzulagengesetzes erhält folgende Fassung:
Beim Zusammentreffen von Renten der Rentenversicherungen mit Renten der Unfallversicherung muß dem Berechtigten von der Rente einschließlich der Zulage aus der Rentenversicherung mindestens so viel verbleiben, daß er aus der Rentenversicherung und der Unfallversicherung zusammen ebensoviel erhält, wie er ohne Anwendung der §§ 1274 oder 1275 der Reichsversicherungsordnung allein aus der Rentenversicherung an Rente und Zulage erhalten hätte.
Ich stelle hier fest, daß dieser Antrag, der eine Milderung der Ruhensbestimmungen bedeutet hätte, seinerzeit im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages mit 10 zu 8 Stimmen abgelehnt wurde. Die Mehrheit dieses Hauses war also nicht bereit, selbst einem solchen Vermittlungsvorschlag der Regierung eine Chance zu geben, obwohl sie selbst im Februar einem noch weitergehenden Antrag zur Annahme verholfen hat. So haben wir heute eine un- geheure Verbitterung. Ich darf sagen, daß unter diese Ruhensbestimmungen weit über eine Million Menschen mit den Familienangehörigen fallen, die an der heutigen Aussprache in diesem Hause lebhaft interessiert sind.
Auch in bezug auf die Erhöhung der Unfallrenten hat der Herr Bundesarbeitsminister damals sehr starke Worte gebraucht. Er hat die Parlamentsferien mit herangezogen, die eine schnelle Verabschiedung verhinderten. Die sozialdemokratische Fraktion hat seine damaligen Ausführungen — ich möchte keinen starken Ausdruck gebrauchen — als sehr ungehörig empfunden; denn bis heute liegt dem Hause das Gesetz zur Erhöhung der Unfallrenten noch nicht vor. Es liegt zwar, soweit ich unterrichtet bin, im Bundesrat. Dabei ist es wiederum sehr interessant, daß beispielsweise der § 6 des von der Regierung vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung der Unfallrenten bestimmt, daß die Erhöhung aus diesem Gesetz nicht unter die Ruhensbestimmungen fällt und daß der Betreffende mindestens so viel an Rente beziehen muß, wie seine Rente aus einer der Rentenversicherungen ausmacht.
Im März dieses Jahres hat die Regierung im Zusammenhang mit der Auflage der allgemeinen Rentenerhöhung gewissermaßen den Auftrag bekommen, die Ruhensbestimmungen — ich glaube, es handelt sich hier um einen Antrag der CDU-Fraktion — wieder auf die Grundlagen des Jahres 1911 zurückzuführen. Diese Frage hat sowohl beim Rentenzulagegesetz wie auch überhaupt durch eine besondere Vorlage bis heute noch nicht ihre Erledigung gefunden. Nach wie vor gehen aus dem Bundesarbeitsministerium eine Reihe von Schreiben, die auch in meinen Besitz gelangt sind, heraus, die sich nicht auf den Status dieser Auflage stellen, sondern die stur weiter an den untragbaren Ruhensbestimmungen festhalten. Diese Frage muß endlich einmal aus der Gesamtheit der Dinge gelöst werden. In den Rentenfragen ist eine große Kompliziertheit vorhanden. Selbst ein so Kundiger der Rentenversorgung wie der Professor Muthesius hat auf dem letzten Fürsorgetag in
Recklinghausen festgestellt, daß es in Deutschland kaum noch ein Dutzend Menschen gibt, die über alle diese Dinge noch so im Bilde sind, daß man sich durchfindet. Also nicht nur diese Frage der Ruhensbestimmungen muß nun endlich gelöst werden, sondern eine Vereinfachung des ganzen Rentenverfahrens tut not.
Wir schlagen vor, § 1274 wie folgt zu ändern: Invalidenrente und Unfallrente dürfen zusammen keinen höheren Betrag erreichen als die jeweilige tarifliche Vergütung der Berufsgruppe, der der Rentner im Hauptberuf angehört hat. Um den übersteigenden Betrag mindert sich die Invalidenrente.
Die jeweilige tarifliche Vergütung der Berufsgruppe ist in den Rentenversicherungen ja nichts Neues. Die Unfallversicherung arbeitet schon jahrzehntelang erfolgreich mit diesem Begriff, und große Berufsgenossenschaften wie die des Bergbaues haben in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft für die verschiedenen Berufsgruppen in diesem Arbeitsgebiet solche Höchstskalen des Einkommens aufgestellt. In der Hauptsache handelt es sich bei § 1274 um das Zusammentreffen von Renten aus den Rentenversicherungen mit einer Rente aus der Unfallversicherung. Für die Angestelltenversicherung gilt dabei § 40 und für die Knappschaftsversicherung § 50 entsprechend. Heute ist es so, daß die Hälfte der Rente aus einer der Renten der Rentenversicherungen beim Zusammentreffen mit einer Rente aus der Unfallversicherung ruht. Hierbei gelten Kinderzulagen nach § 559 a Abs. 2 und § 559 b als Teil der Verletztenrente und Kinderzuschüsse aus der Invalidenversicherung nach § 1268 RVO als Teil der Invalidenrente. Wird also ein Unfallverletzter, der eine Rente in Höhe von 60 DM bezieht, nach einiger Zeit invalide, und erhält er nach Aufrechnung seiner geklebten Marken eine Invalidenrente von 70 DM, so erfolgt durch Zusammenziehung in Anwendung von § 1274 eine Neuberechnung, die so aussieht, daß die Hälfte der Invalidenrente — das sind 35 DM — zum Ruhen gebracht wird. Die Unterstützung erreicht also nicht durch Zusammenziehen 130 DM, sondern beträgt nur 95 DM. Die Sätze, die auf diese Weise zustande kommen, liegen auf der ganzen Linie weit unter dem Existenzminimum, zu einem großen Teil, insbesondere bei den kleineren Renten, unter den Fürsorgerichtsätzen. Sie müssen deshalb durch die Fürsorgeunterstützung der Gemeinden wieder erhöht werden. Mein Fraktionskollege Professor Dr. Preller hat vollkommen recht gehabt, als er auf dem Fürsorgetag in Recklinghausen von einer Vereinfachung des Rentensystems, aber auch davon gesprochen hat, daß eine Rente so hoch sein muß, daß auf alle Nebenrenten verzichtet werden kann. Ich will die Beispiele, die ich noch durchgerechnet habe, nicht anführen; das würde zu weit führen und auch ermüden.
Die Ruhensbestimmungen sind im Laufe der Entwicklung wiederholt geändert worden. Sie gingen zunächst in § 34 des Invaliden- und Altersversicherungsgesetzes vom Jahre 1889 von der Festsetzung eines Jahreshöchstbetrages aus. Auf dieser Linie bewegt sich unser Vorschlag, einen solchen Höchstbetrag beim Zusammenfallen dieser beiden Rentenarten festzulegen, um alle schweren Härten zu vermeiden. Auf dieser Linie liegt auch unser Eintreten für eine Mindestrente. Wir haben diese Frage beim Rentenzulagengesetz angesprochen. Die Mehrheit des Hauses ist unseren Gedanken leider
nicht gefolgt, sondern hat die im Sozialversicherungsanpassungsgesetz erreichte Mindestrente wieder revidiert. Ich bedauere, sagen zu müssen, daß dieses Sozialversicherungsanpassungsgesetz auch in bezug auf die hier festgelegte Mindestrente keine Sicherungen bezüglich der Ruhensbestimmungen eingebaut hat. Damit fällt die Mindestrente des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes praktisch ebenfalls unter die Ruhensbestimmungen.
In diesem Zusammenhang wird die Formulierung, die bei der Einführung der Reichsversicherungsordnung im Jahre 1911 in den §§ 1311 bis 1318 geschaffen wurde, interessieren; denn das sind ja auch die Vorstellungen der Antragsteller, von denen ich jedoch den Eindruck habe, daß sie ihre Forderung fallen gelassen haben. Es wäre sehr interessant, in der Aussprache von ihnen zu hören, warum sie gerade die Ruhensbestimmungen des Jahres 1911 gewählt haben. In dem entscheidenden § 1311 heißt es:
Die Rente ruht neben einer reichsgesetzlichen Unfallrente, soweit beide zusammen übersteigen würden
1. bei Invaliden- und Altersrenten den siebeneinhalbfachen Grundbetrag der Invalidenrente,
2. bei Witwen- und Witwerrenten den dreieinhalbfachen, bei Waisenrenten den dreifachen Grundbetrag der Invalidenrente, die der Ernährer zur Zeit seines Todes bezog oder bei Invalidität bezogen hätte.
Nehmen wir den 7 1/2fachen Grundbetrag nach § 1311. Auf die heutige Lage angewandt, würde bei einem Grundbetrag der Invalidenversicherung von 156 DM ein Jahreshöchstbetrag von 1170 DM, also monatlich ungefähr 98 DM, herauskommen, während bei den Witwen ein Höchstbetrag von 39 DM herauskommen würde. Das kann aber den heutigen Anforderungen in keiner Weise mehr gerecht werden. Ich weiß nicht, was die Antragsteller in bezug auf die Grundrente bei der Angestelltenversicherung vorhaben, die ja damals, als die Invalidenversicherung eingeführt wurde, noch nicht bestand; sie wurde bekanntlich erst im Dezember 1911 geschaffen. Hier beläuft sich der Grundbetrag auf 444 DM. Wollen die Antragsteller also diesen großen Unterschied hier zum Ausdruck bringen und verewigen?
— Jawohl? Das ist sehr interessant, und es wird
draußen sicher interessieren, daß Sie der einen
Gruppe den 7 1/2fachen Grundbetrag von 444 DM
und der anderen
bedeutend weniger zubilligen, immer ausgehend von Ihrer Forderung: Ruhensbestimmungen nach RVO 1911. Was würde beispielsweise bei der Knappschaftsversicherung der Fall sein, wo man praktisch keinen Grundbetrag kennt, sondern dieser Grundbetrag in den Steigerungsbeträgen liegt und bei der Knappschaftsvollrente 2,4 % beträgt? Daß die Präambel dieses Gesetzes von 1911 noch eingeleitet wird: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen" usw., dürfte nur am Rande interessieren.
Nach 1919 wurden die Ruhensbestimmungen, nachdem sie vorübergehend vollkommen ausgeschaltet waren, in den Jahren 1923, 1924 und 1926
neu formuliert und dann durch die 4. Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931 die jetzt von so vielen abgelehnte Fassung geschaffen. Man strebte seinerzeit durch diese Notverordnung — also durch „verordnete Not" — eine Sanierung auf Kosten der Betroffenen an. Ich glaube, es handelte sich damals um einen Betrag von ungefähr 20 Millionen Mark in der Invalidenversicherung, der aber bei weitem nicht ausreichte. Der damalige Bürgerblock — so darf ich wohl sagen — ging also einen ähnlichen Weg, möglichst alle Lasten auf die sozial Schwachen abzuwälzen. Es ist an der Zeit, mit den Notverordnungen, von denen die über die 6%ige Kürzung der Beamtengehälter usw. bereits aufgehoben worden ist, insbesondere auch mit dieser Notverordnung des Jahres 1931, endgültig Schluß zu machen.
Sie wissen, daß wir auch damals — seit 1930 — gegen diese Vorstellungen der Wirtschafts-, Sozial-und Steuerpolitik gekämpft haben. Besonders war es ein bedeutender Führer der Gewerkschaften, dessen Rat uns heute leider nicht mehr zur Verfügung steht, Fritz Tarnow, der mit einem sehr gut durchdachten Programm gegen diese Notverordnungspolitik unter der Losung „Warum arm sein?" aufgetreten ist und Wege zur Erhöhung des Sozialproduktes aufzeigte. Aber Sie sind stur den Weg der Notverordnungspolitik, der Verarmung großer Massen unseres Volkes gegangen und haben dann dafür alle die Dinge erleben müssen, die später über unser Volk gekommen sind und Trümmerdeutschland geschaffen haben.
Ich darf noch einige Beispiele aus der Praxis anführen, um Ihnen zu zeigen, wie ungeheuer die Auswirkungen dieser überholten Ruhensbestimmungen der Notverordnung vom Jahre 1931 sind. Ein Bergmann geriet beim Abhängen von Kohlenwagen zwischen die Puffer und brach sich an drei Stellen den Arm, der bis zum Schultergelenk steif blieb. Da er vor dem Unfall noch keine Knappschaftsrente bezog, erhielt er jahrelang bis heute nur die Hälfte dieser Rente in Höhe von 49,70 DM. Dieser Unfallverletzte galt nach seinem Unfall als zu 60 % erwerbsbeschränkt und wurde über Tage als Wächter beschäftigt, hatte dadurch also ein geringeres Einkommen und deshalb eine niedrigere Rente. Im März 1950 wurde er seiner kargen Rente wegen entlassen, und bis heute ist er arbeitslos.
Ich Werde mir gestatten, einige andere Beispiele noch zu Protokoll zu geben.*) Sie werden es mir nicht verargen, wenn ich, außerhalb des Rahmens der Gesamtbetrachtung, aus der Lage meines Wahlbezirkes, zweier Kohlenstädte im Ruhrgebiet, etwas anführe, was die Verschärfung dieser Ruhensbestimmungen kennzeichnet, die im Bergbau eingetreten ist. Diese Ruhensbestimmungen wurden auch nach 1945 praktisch noch verschärft, und zwar durch die britische Militärregierung durch die Sozialversicherungsdirektive Nr. 1 vom 28. August 1945, wonach die Sozialversicherungsrenten nur insoweit bezahlt werden durften, als sie die Unfallrente überstiegen. Erst die Sozialversicherungsdirektive Nr. 17 gestattet seit dem 1. 9. 1947 wieder die Anwendung des § 1274 der Reichsversicherungsordnung, der die Zahlung jetzt wenigstens bis zur Hälfte der Invalidenrente oder des Ruhegelds neben der Unfallrente zuläßt.
Wie sehr das Vertrauen der Versicherten in Gesetzgebung und Verwaltung bei der Anwendung
*) Ergänzung siehe Anlage Seite 7107
der Gesetzgebung getäuscht werden kann, sei an einem Beispiel aufgezeigt. Trotz gleichbleibender Rechtslage konnte durch eine verständnisvolle Auslegung der Ruhensbestimmungen ihre Auswirkung auf einem Teilgebiet der Sozialversicherung, gemildert werden. Nach dem 8. 5. 1945 ist dann, wie gesagt, eine erneute Verschlechterung erfolgt. Es handelt sich um die Anwendung der Ruhensbestimmungen bei den in der knappschaftlichen Rentenversicherung versicherten Bergleuten. Bei einem Teil der knappschaftlichen Renten wurde vor dem 8. 5. 1945 in wohlwollender Weise angenommen, daß der Beginn der Staublungenerkrankung, der Silikose, immer nach dem Eintritt der knappschaftlichen Berufsunfähigkeit lag und demzufolge der § 1274 nicht anzuwenden war. In diesen vielen Fällen konnten also die knappschaftlichen Leistungen wegen Berufsunfähigkeit oder Invalidität neben den Leistungen aus der Unfallversicherung ohne jede Kürzung in voller Höhe gewährt werden. Darüber sind seinerzeit auch rechtsmittelfähige Bescheide erteilt worden.*) Ich weiß — ohne diese Materie vertiefen zu wollen —, daß im Bundesarbeitsministerium wohlwollende Bestrebungen vorhanden sind, diese Bestimmungen wieder zu lockern. Die Hindernisse liegen auf einer anderen Ebene.
Ich will mir ersparen, konkrete Auswirkungen des Weiterbestehens der Ruhensbestimmungen in bezug auf das Rentenzulagengesetz hier noch anzuführen. Die Aufhebung des § 1274 der Reichsversicherungsordnung würde also für die Bergleute nur das alte Recht wiederherstellen, im allgemeinen die Notverordnung des Jahres 1931 beseitigen und auch dem in diesem Hause so oft an falscher Stelle angeführten Versicherungsprinzip wieder Geltung verschaffen.
Bei § 1275 ergibt sich die Lösung aus meinen Darlegungen von selbst.
Auch der § 1279 muß gestrichen werden. Es ist eine Ungerechtigkeit, die endlich beseitigt werden muß, daß man den Ehefrauen, die nach dem Aufhören ihrer Beschäftigung und ihrer Versicherungspflicht oft auf Zureden und unter Opfern Beiträge weitergezahlt haben, auf Grund dieser Bestimmung der Sozialversicherung dann keinerlei Bezüge gibt, wenn sie eine Teilrente aus der Hinterbliebenenrente ihres verstorbenen Ehemannes bekommen.
Die Frage muß nun im Sozialpolitischen Ausschuß eingehend durchgearbeitet, die Härtebeispiele müssen durchgerechnet werden. Das ganze Haus wie auch fast alle großen Organisationen — ich denke jetzt an den Beschluß der Kriegsopferorganisation - haben sich schon des öfteren für die Streichung dieser Ruhensbestimmungen eingesetzt. Wir und sie alle wünschen, daß diese Bestimmungen nun endlich verbessert werden, damit die Widerwärtigkeiten und die sehr großen Ungerechtigkeiten in dieser Frage endlich einmal beseitigt werden. Es handelt sich hierbei um einige Hunderttausend Menschen, die darauf warten, daß die seinerzeit durch die Notverordnung im Jahre 1931 verordnete Not, die sich ja inzwischen durch die gewaltigen Preissteigerungen ungeheuer verschärft hat, endlich beseitigt wird.