Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
— Zehn Minuten hat er! Es langt für ein Bier! — Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Renner schloß mit einem Zitat von Stalin. Ich darf ein Zitat von Stalin anknüpfen, nämlich folgendes:
Wir ändern unsere Taktik Dutzende von Malen, aber unsere strategischen Pläne sind unverändert dieselben geblieben. Wenn ein Gegner stark ist, dann muß man manövrieren können. Das Ziel einer solchen Strategie ist, Zeit zu gewinnen, den Gegner zu zersetzen und Kräfte für den Übergang zum Angriff zu sammeln.
Das ist gesprochen auf dem 14. Parteitag der KPdSU 1925, nachzulesen im SED-amtlichen Schrifttum.
Das ist die andere Seite von Herrn Stalin, Herr Renner. Dieses vorweg.
Die Sozialdemokratie hat vorhin gegen die Personalpolitik des Auswärtigen Amts einige Angriffe vorgebracht. Wir haben bedauert,
daß der Herr Bundeskanzler sich in seiner Eigenschaft als Außenminister,
nachdem dieser unqualifizierte Angriff der „Frankfurter Rundschau" erfolgt war, nicht gleich so eindeutig vor die Beamten seines Amtes gestellt hat, wie er es heute abend getan hat. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist gerechtfertigt, wenn in einer Zeitung der Vorwurf erhoben wird, jemand habe silberne Löffel geklaut oder seine Schwiegermutter bestohlen oder sonst etwas Ähnliches getan.
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist aber nicht gerechtfertigt, wenn nichts anderes geschieht, als daß alte Kamellen der Vergangenheit in einer journalistisch freundlichen Weise aufgewärmt werden.
Herr Bundeskanzler, es ist bedauerlich, daß Sie Ihre Ausführungen hinsichtlich des „Schlußstriches" unter die Vergangenheit, die von mir voll unterstützt werden, nicht vor einem Jahr gemacht haben, als es an Ihrer CDU hier lag, einen Abschluß der Entnazifizierung durchzubringen, der von der rechten Linie der CDU bis ganz nach drüben verlangt wurde und der bei Eingliederung der CDU gegenüber der Sozialdemokratie erreicht worden wäre. Daß die Sozialdemokratie solche Dinge noch aufwärmt, ist nach den letzten Stellungnahmen der sozialdemokratischen Führung merkwürdig. Erfreulich ist, daß man feststellen kann: tempora mutantur, und daß hier gefragt wird, wer mehr Pgs hat, die Linke oder die Rechte.
Wer steht aber hinter den Angriffen, die in der „Frankfurter Rundschau" gebracht wurden?
Dahinter steht zweifelsfrei der Nürnberger Großkopfjäger Kempner. Ich habe durch einen Zufall hier vor mir Originalprotokolle der Nürnberger Vernehmungen, und zwar in diesem Fall die Vernehmung des Herrn Staatssekretärs Gaus im Militärprozeß 11, Weizsäcker und andere. Dort fragt der Herr Kempner z. B. den Herrn Gaus:
Wollen Sie lieber vor einem hiesigen Gericht oder vor einem russischen Gericht stehen? Sie wissen doch hoffentlich, daß sich die Russen für Sie als gewerbsmäßigen Verletzer internationaler Verträge interessieren. Und denken Sie nach: das einzige, wie Sie Ihren Kopf retten, ist, daß Sie hier die Wahrheit sagen. Oder wollen Sie als rechte Hand zum Galgen gehen? Sie kennen das alte deutsche Recht doch wohl: „Mitgefangen, mitgefangen!"
Das ist so eine kleine Blütenlese. Aus den Protokolllen, deren Originale hier vor mir liegen, ist viel in derselben Richtung herauszuziehen, in der Richtung der — ja, vielleicht: Wildwest-Methoden der Vernehmung, die Herr Kempner hier angewendet hat. Dieser Mann praktiziert heute in Frankfurt am Main als Anwalt. Ich glaube, der Justizminister sollte sich einmal die Frage vorlegen, ob und wie lange es den deutschen Rechtsanwälten zumutbar ist, diesen Mann als Kollegen unter sich zu haben. Der Herr Bundeskanzler sollte vielleicht einmal dem Herrn amerikanischen Hochkommissar sagen, daß die Anwesenheit solcher Leute in der Bundesrepublik für die deutsch-alliierten Beziehungen zweifellos nicht förderlich ist.
Etwas anderes, das in derselben Richtung liegt, ist in zwei Sätzen zu erledigen. Ich sah neulich einen deutschen Reisepaß. Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah, daß auf der Seite 1 die Unterschrift „Mr. Thon" stand. Mr. Thon ist ein Mann, der zu der Vernehmungs-Equipe der Dachauer Prozesse gehörte. Das ist die Equipe, die damals 17jährigen deutschen Soldaten brennende Streichhölzer unter die Fingernägel schob, Scheinhinrichtungen unter Harmoniummusik machte und die Leute in einem schwarz verhangenen Zimmer hochhängte und dann wieder herunterließ. Dabei wurde gesagt: „Wollen Sie jetzt die Wahrheit aussagen, oder wollen Sie noch einmal hochgezogen werden?" Zu dieser Equipe gehörte der Mr. Thon. Auch er sollte zwecks Verbesserung der deutschalliierten Beziehungen beschleunigt aus Deutschland entfernt werden und nicht deutsche Pässe und Visa unterschreiben.
Ich komme zu etwas anderem, was Herr Dr. Pfleiderer vorhin schon anzog. Es fiel ihm auf, daß im Auswärtigen Amt zuwenig hinsichtlich des Aufbaus einer Ost-Abteilung geschieht. Meine Damen
und Herren, die Protokolle der Kabinettssitzungen sind ja demnächst im Buchhandel erhältlich.
Ich weiß, daß in einer der Kabinettssitzungen einmal darüber gesprochen worden ist, ob es nicht zweckmäßig sei, für die Länder des Ostens hier Botschafter zu ernennen. Diese Botschafter könnten nicht dort hingehen. Zweifelsfrei wäre dies aber ein Weg, um hier eine Gruppe von Leuten zu schaffen, die nichts anderes zu tun hätten, als sich von morgens bis abends ausschließlich — es sind dafür nur wenige Hilfskräfte erforderlich — mit Ostfragen zu befassen. Denn es ist klar, daß ein Auswärtiges Amt Ihnen, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Eigenschaft als Außenminister über diese Ostfragen nur dann kompetente und sachkundige Unterlagen liefern kann, wenn eine entsprechende Gruppe von Sachbearbeitern dafür vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, als nächstes folgendes: Alles kreist laut Presseberichten um die Wiederherstellung der deutschen Souveränität, und als Kernstück wird ein Truppenvertrag bezeichnet. Herr Bundeskanzler, in der „Frankfurter Allgemeinen" lese ich heute folgende Sätze:
Vielmehr hat die deutsche Seite von Anfang an anerkannt, daß die Gleichberechtigung Deutschlands mit gewissen aus der internationalen Lage Deutschlands sich ergebenden Vorbehalten verbunden sein werde, die sich auf die Lage und Sicherheit der im Bundesgebiet stationierten alliierten Streitkräfte, auf Berlin und die gesamtdeutsche Frage beziehen.
Ich bin völlig Ihrer Auffassung, daß es sehr dringlich ist, die Alliierten in der Verantwortung für Gesamtdeutschland zu belassen. Ohne jeden Zweifel! Aber Einschränkungen in einer deutschen Souveränität, die sich durch die Anwesenheit alliierter Truppen ergeben sollten, leuchten mir nicht ein. Denn z. B. in England sind amerikanische Truppen stationiert, seit langer Zeit, ohne daß da irgendwelche Einschränkungen der englischen Souveränität erfolgt sind. Dasselbe ist in Frankreich der Fall. Dasselbe ist in anderen Ländern der Fall. Frage: Warum sollte das nicht hier auch bei uns möglich sein?
Meine Damen und Herren, zum Schluß folgendes: Die Sozialdemokratie hat vorhin Herrn Luetkens hier sprechen lassen. Ich muß sagen, man hatte zunächst den Eindruck, daß Herr Luetkens das fortsetzte, was ich vorhin, als wir vom Bundeskanzleretat sprachen, angefangen hatte. Er hatte mehr Redezeit als ich. Wegen eines Nebensatzes wurde er von seiner Fraktion desavouiert.
Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, daß manches hier von uns aus in gesamtdeutscher Richtung bisher nicht geschehen ist.
Und zum Schluß jetzt einen massiven Angriff. Ich habe neulich schon gesagt, — —Vizepräsident Dr. Schmid: Ihre Redezeit ist abgelaufen.