Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde hier mehrfach die Art der Regierung durch den Herrn Bundeskanzler kritisiert. Ich stelle zu meiner Freude fest, daß der Herr Bundeskanzler in seiner ganzen Art, wie er die Dinge macht, absolut konservativ geblieben ist. Als Oberbürgermeister von Köln
hatte der Herr Bundeskanzler einen Magistrat, der immer das machte, was er wollte, und er hatte außerdem eine absolut sichere Zentrumsmehrheit; in diesem Falle hat er die Regierungskoalition, die letzten Endes trotz gewisser Scheingefechte doch immer noch das macht, was er angibt.
Die Art, wie der Herr Bundeskanzler diese Regierungsform „betreibt", nötigt mir schlechthin Hochachtung und Bewunderung ab.
Dies ändert aber nichts daran, daß manches, was er macht, nun weder meine Hochachtung noch meine Bewunderung finden kann.
Meine Damen und Herren! Durch den Herrn Bundeskanzler ist auf die Zeitung als Orientierungsmittel hingewiesen worden. Die Sozialdemokratie wird wenigstens gelegentlich noch durch Herrn McCloy orientiert; ich kann mich nur auf Zeitungen, Kommuniques und ähnliches stützen, wenn ich die Politik des Herrn Bundeskanzlers irgendwie, sei es kritisch oder zustimmend, betrachen will.
Das Ziel, das der Bundeskanzler zu verfolgen scheint und das zu erreichen er offenbar gewillt ist, sämtliche Rückschläge, die auf ihn zukommen, in Kauf zu nehmen, ist die Eingliederung der Bundesrepublik in die westlichen Gemeinschaften. Mit anderen Worten: Eingliederung der Bundesrepublik in die amerikanische Konzeption der globalen Aufrüstung und Strategie gegenüber Sowjetrußland. Das ist wohl der entscheidende Faktor. Frankreich und England sind da von untergeordneterer Bedeutung.
Nun, meine Damen und Herren, wenn die Bundesrepublik in diese klare Konzeption Amerikas eingebaut werden soll, dann hat der andere Teil außerdem das Bestreben, uns seinen Zielen nutzbar zu machen. Die Ziele, für die man uns einsetzen möchte, scheinen mir allerdings nicht das unbedingt Richtige für uns zu sein. Der Herr Bundeskanzler hat meines Erachtens im vorigen Jahre, und zwar in den ersten Septembertagen, recht falsch gehandelt, als er — das hatte eine recht erhebliche Kabinettskrise im Gefolge; Herr Kunze, auch wenn Sie sich vor die Brust schlagen, ich muß es sagen! — unseren größten Trumpf, nämlich unser Menschenpotential, vorzeitig ausgespielt hat. Die anderen haben es ihm meines Erachtens auch sehr schlecht gedankt.
Der Herr Bundeskanzler möchte die deutsche Souveränität haben. Schön; ich habe volles Verständnis auch dafür, daß er aus der Rolle, die er als Bundeskanzler gegenüber den Hohen Kommissaren spielen muß, herauskommen will. Trotzdem aber scheint es mir im Augenblick so zu sein, — —
— gewiß, es ist etwas anderes, aber es sind nur graduelle Unterschiede! —, daß die Souveränität uns nicht gegeben wird; vielleicht eine Scheinsouveränität, bei der wir, anstatt Diktate entgegenzunehmen diktatähnliche Verträge unterschreiben dürfen. Die augenblickliche Linie des Westens scheint zu sein, daß man uns einerseits benutzen, sich aber andererseits auch gegen uns sichern möchte. Beides ist nicht vereinbar.
Ich habe hier drei Meldungen ernsthafter, ernst zu nehmender Zeitungen von einem Tage vor mir. Hier wird geschrieben, Herr Bundeskanzler,
daß Briten und Amerikaner sagen, die Forderungen in der Frage der deutschen Souveränität hätten die Grenze möglicher alliierter Zugeständnisse überschritten. Weiter wird gesagt, es gebe eben in diesem Handeln um die Souveränität gegenüber den Forderungen der Bundesrepublik gewisse Grenzen, wo nach Auffassung der britischen, französischen und amerikanischen Regierung das Handeln aufhöre.
— Ich nehme ja nur zu den Dingen Stellung, wie sie sich hier von amerikanischer Seite zeigen, und meine Auffassung dazu ist die, daß es in der Frage der Souveränität kein Handeln geben kann.
— Hören Sie mir doch bitte zu!
— Was ist eine Zumutung? Es ist absolut lächerlich, hier mit Zurufen zu operieren, wenn man dem Redner nicht zuhört. Ich höre Ihnen ja auch zu!
Ich glaube, daß die augenblickliche Linie des Herrn Bundeskanzlers nur einen Effekt, den aber ganz sicher, haben wird: daß nämlich die Reste Deutschlands, die westlich der Oder-Neiße-Linie liegen, in der nächsten Zeit ad infinitum geteilt werden, und zwar auf der Linie des Eisernen Vorhanges. Ich bin der Überzeugung, daß, wenn wir den Kurs, den der Herr Bundeskanzler fahren möchte, mitfahren, wir uns mitschuldig daran machen,
daß eine Wiederherstellung einer deutschen Einheit in Freiheit, wie es immer so schön heißt, auf absehbare Zeit, nein auf unabsehbare Zeit absolut unmöglich gemacht wird, indem wir nämlich dem westlichen Block unter der Regie Washingtons eingegliedert werden und das, was östlich von Helmstedt liegt, der Regie des Kreml ad infinitum untergeordnet wird.
— Wie. ich es machen will?
— Eine Minute habe ich noch!
Ich will Ihnen nur noch folgendes sagen, und ich bin der Auffassung, daß wir uns über diesen Punkt morgen zu unterhalten haben werden. Die Bundesregierung hat sich bisher zu sehr von den Westmächten ziehen lassen, anstatt den Westmächten plausibel zu machen, daß die Chancen des Westens in seiner Gesamtheit
— ich möchte nur den Nebensatz zu Ende bringen —
absolut gekoppelt sind mit der Frage, ob wir es hier erreichen, die Gegensätze nicht mehr zu verschärfen, sondern in unserem und im Weltinteresse auszugleichen. Morgen werden wir das näher begründen und erläutern.