Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erklärung, die der Herr Bundeskanzler soeben im Anschluß an die Ausführungen des Kollegen Ollenhauer abgab, kann weder die SPD, wie ich aus deren Ablehnung gemerkt habe, noch auch andere Teile des Hauses, die sich in der Opposition befinden, zufriedenstellen.
Es ist doch merkwürdig, daß der Herr Bundeskanzler sich darauf beruft, der Amerikaner McCloy habe ja die Opposition unterrichtet, und daß er meint, das sei der richtige Weg, den Deutschen Bundestag, die Repräsentanz unseres Volkes, zu unterrichten;
das sei der Weg, die Opposition im Bundestag zu unterrichten! Ich hoffe, daß er wenigstens seine Regierungsparteien unterrichtet hat!
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, über eines habe ich mich bei dem Vorwort des Herrn Bundeskanzlers heute doch gefreut, bei der Erklärung nämlich, die, wie für viele Mitglieder des Hauses, so auch für uns etwas unerwartet kam, nachdem wir sie heute morgen auch von anderer Seite in der Zeitung hatten lesen können. Da freut es einen immerhin, wenigstens bei einem Thema feststellen zu können, daß der Bundeskanzler doch die Resonanz des Hauses nötig hat. Es ist nur die Frage aufzuwerfen, warum er die Resonanz des Hauses gerade bei diesem einen Thema braucht. Es ist aber immerhin erfreulich, daß er sie dort nötig hat, nämlich bei der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands. Wenn es im Grundgesetz heißt, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, so scheint es fast notwendig zu sein, hier daran zu erinnern, daß das nur für das Kabinett, nur für die Politik des Kabinetts und nicht für die deutsche Politik, für die Politik des Bundestages gilt. Die Politik, die das Kabinett zu betreiben hat, wird nicht vom Kanzler in den Grundlinien gegenüber dem deutschen Volk festgelegt, sondern dafür ist zuständig und verantwortlich das Parlament, die Vertretung des deutschen Volkes, und wir können weder auf das Recht verzichten noch uns der Pflicht entschlagen, uns das Heft hier nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Ich kann dem Herrn Vorredner, Herrn Kollegen Ollenhauer nur zustimmen, wenn er soeben gesagt hat, daß es daran fehlt, daß der Herr Bundeskanzler über die grundlegenden Fragen, über die Grundfragen und die das ganze Volk bewegenden Fragen mit dem Parlament laufend Verbindung hält. Es ist doch nicht damit getan, daß er sich mit seiner Fraktion oder mit dem einen oder andern Herrn von der Opposition ins Benehmen setzt, daß er einen Sechsmännerausschuß berufen läßt, — unter Protest dagegen, daß er größer sein
könnte, oder dagegen, daß er mit Ausschüssen überhaupt über die Grundfragen spricht.
Ich spreche nicht über die Einzelheiten von Beratungen, und das Geheimnis von Einzelberatungen will ich hier gar nicht in Frage stellen. Es ließe sich darüber etwas sagen, ob es richtig ist, das in der Allgemeinheit so zu verkünden, wie es der Herr Bundeskanzler soeben für richtig gehalten hat; aber das will ich gar nicht in Frage stellen. Jedenfalls: die das ganze Volk bewegenden Grundfragen der deutschen Politik müssen, bevor der Herr Bundeskanzler darüber verhandelt oder verhandeln läßt, hier im Bundestag zur Debatte gestellt werden, und dabei sollte man davon ausgehen, daß nicht nur die Mitglieder der Regierungsparteien, sondern auch die der Oppositionsparteien sehr wohl in der Lage sind, mit dem Takt, den bei anderen Gelegenheiten die maßgeblichen Vertreter des deutschen Volkes nicht immer an den Tag legen, und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl diese Fragen auch hier im Bundestag zu behandeln. Es ist nur ein halbes Bekenntnis zur Demokratie, wenn man glaubt, daß die wesentlichsten, die Außenpolitik wie auch die Innenpolitik entscheidend berührenden Fragen nicht vor dem Bundestag behandelt werden könnten oder dürften. Die Demokratie bedeutet nun einmal, den Mut zur Öffentlichkeit und zur Offenbarung der Politik, namentlich der poliischen Grundlinien, zu haben, und wenn der Herr Bundeskanzler so davon überzeugt ist, daß er in Übereinstimmung mit dem deutschen Volke handelt, so hat er in der Diskussion hier im Bundestage ja auch die Öffentlichkeit nicht zu scheuen.
Langsam erheben sich erhebliche Bedenken gegen die bisherige Methode gerade der Verhandlungen in außenpolitischen Dingen, und die Außenpolitik ist ja eines der wesentlichsten politischen Fakten, mit denen sich der Herr Bundeskanzler zu befassen hat. Die formale Behandlung von Fragen, wie sie beim Schumanplan, beim Plevenplan und bei den sonst angeschnittenen Diskussionen bisher geschehen ist, kann nach unserem Dafürhalten so nicht weitergehen. Diese Art der Behandlung läuft schließlich darauf hinaus, daß das deutsche Volk einschließlich des Bundestages vor mehr oder minder abgeschlossene Verhandlungen gestellt wird und daß wir dann nur noch, nachdem an Einzelheiten überhaupt nichts mehr zu ändern ist, zu einem bereits fertig abgeschlossenen Vertrage ja oder nein sagen können, ja oder nein sagen müssen, nachdem uns die Regierung in eine Richtung, auf ein Gleis geschoben hat, daß man ohne Schaden und auch ohne die Möglichkeit, irgend etwas bessern zu können, kaum aus dieser Zwangslage herauskommen kann. Diese Art, das Parlament zu behandeln, die schon öfter von dieser Tribüne aus kritisiert wurde, wächst sich, je länger sie angewendet wird, zu einem um so größeren Schaden für die Demokratie aus. Das bedeutet, daß das deutsche Volk, das ohnehin nach der langen Entwöhnung von der Demokratie eine neue, bessere Methode vor Augen geführt zu sehen verdiente, weiterhin zum Führerstaat erzogen wird.
Dabei wiederhole ich: es handelt sich um die Grundfrage und nicht um die Einzelheiten. Es handelt sich z. B. um die Frage der Rüstung. Wir lesen jetzt, z. B. heute, in der Zeitung: Blank meldet gute Fortschritte. Es erhebt sich die Frage: Worüber wird eigentlich verhandelt? Das dürfen wir nicht wissen!
— Ja, das deutsche Volk hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, worüber verhandelt wird.
Es wird ja auch darüber verhandelt, was das deutsche Volk leisten soll! Im übrigen handelt es sich um eine Angelegenheit, bei der man letzten Endes die Zustimmung oder Ablehnung des einzelnen Bürgers gar nicht entbehren kann, oder aber man muß auf das demokratische Prinzip verzichten. Es handelt sich bei den Verhandlungen, die zur Zeit schweben, um die schwersten Verpflichtungen, die dem deutschen Volke auferlegt werden sollen, ob das nun Verhandlungen über den Plevenplan, den Schumanplan, den Atlantikplan, oder was sonst immer zur Debatte steht, sein mögen. Es sind die schwersten Verpflichtungen, die überhaupt in Frage kommen, und über die Grundlinien zu verhandeln, ist das Wesentliche dabei. Man hat den Eindruck, daß die Regierung hier übersieht, daß sie nur Exekutive ist. Die Regierung entschlägt sich inzwischen fast ganz der Richtung für ihre Politik, die sie aus dem Bundestag zu erhalten hat. Aber so läuft eine Demokratie nicht an, sondern höchstens tot.
Statt dessen kommt man auf eine merkwürdige Art von Ersatzdebatten, auf eine Ausweichform der politischen Debatte. Man liest plötzlich morgens in der Zeitung, daß der Herr Bundeskanzler irgendwo, sagen wir: in Bad Reichenhall, eine Rede gehalten hat. Dort hat er dann dem deutschen Volke in einer Parteiversammlung oder in einer öffentlichen Versammlung tropfenweise etwas auch von dem zu verstehen gegeben, was er ihm für ein Schicksal in der Zukunft vorbereitet hat. Und dann sprechen andere Parteiredner, sei es von den Regierungsparteien oder von der Opposition, in Hamburg, Hannover, Berlin, Köln oder sonst irgendwo. Statt dessen verlangen wir, daß diese Fragen in Rede und Gegenrede hier an dieser Stelle bei solchen Gelegenheiten wie jetzt zur Debatte gestellt und besprochen werden und daß sie nicht erst auf Anfragen von seiten der Opposition mühsam ans Tageslicht gezogen werden müssen.
Auch die Informierung des Bundestags und seiner Mitglieder in der von der Regierung bisher beliebten Art und Weise können wir nicht als ausreichend anerkennen. Man hat neulich von Vorgängen wie dem Aktendiebstahl usw. viel Aufhebens gemacht und in den Zeitungen mehr darüber gelesen, als die Sache wert ist. Es ist an sich verwunderlich, wenn man glaubt, Kabinettsprotokolle im Auszug — Auszuges-Auszug — eines Diebstahls wert halten zu müssen. Es sollte doch eigentlich ganz selbstverständlich sein, daß die Fraktionsführer über die wesentlichen Vorgänge bei den Kabinettsberatungen von der Regierung unterrichtet werden,
und wenn die Regierung das nicht tut, so verstößt sie nach meiner Meinung gegen eine an sich selbstverständliche Publizitätspflicht.
— Ich glaube, daß ich eher als irgendein anderer über diese Dinge sprechen kann, Herr Kollege Hasemann, da ja doch nie — bislang wenigstens nicht — der Verdacht aufgekommen ist, wir hätten mit diesen Dingen etwas zu tun. Außerdem ist ja die Indiskretion innerhalb der Regierungsbehörden, abgesehen hiervon, hinreichend groß genug, so daß man durch die Zeitungen und auf andere Art und Weise das Wesentliche daraus erfährt. Es erhebt
sich nur die Frage: Ist das der richtige Weg für eine Demokratie? Die Informierung des Bundestags und der Führer der Fraktionen ist ebenso unzulänglich wie die Verbindung, die die Regierung bisher zum Bundestag gezeigt hat.
Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich behalte mir vor, Ergänzendes hierzu, insbesondere zu der Erörterung des Etats des Auswärtigen Amts, noch weiter auszuführen.