Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um den deutschen Standpunkt von der Zuständigkeit der Deutschen Bundesregierung für ganz Deutschland erneut und in aller Form den Alliierten zur Kenntnis zu bringen, und welche Schritte hat sie unternommen, um den Widerspruch in den beiden alliierten Noten in dieser Kardinalfrage deutscher Politik zu klären? Meine Damen und Herren, hier ist eine klare Antwort des Herrn Bundeskanzlers notwendig.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang und nur in diesem Zusammenhang, ohne auf Einzelheiten einzugehen, ein Wort über die Washingtoner Verhandlungen sagen. Zur Sache selbst werden wir später zu sprechen haben, und ich glaube, es wird eine sehr ernste und schwerwiegende Diskussion werden. Aber ich will hier ebenfalls in aller Klarheit und Offenheit erklären: Die Sozialdemokratische Partei hat das stärkste Mißtrauen gegenüber Form und Inhalt der Verhandlungen, die Sie, Herr Bundeskanzler, gegenwärtig führen, und wir müssen protestieren gegen die Art, in der die deutsche Öffentlichkeit informiert oder irregeführt wird. Wir erkennen ausdrücklich den Grundsatz an, man soll öffentliche Diskussionen über internationale Verhandlungen solange nicht führen, solange die Verhandlungen selbst im Gange sind. Aber die Anerkennung dieses Grundsatzes muß für alle gelten, und ich will Ihnen hier sagen: Das Interview, das der Herr Staatssekretär Hallstein am 14. Oktober abends, ich glaube, im Südfunk gegeben hat, ist einfach eine unverantwortliche Beeinflussung der öffentlichen Meinung.
Wir haben schon einmal, zu einem früheren Zeitpunkt, in aller Sachlichkeit darauf aufmerksam gemacht: Es scheint uns nicht mit den Prinzipien einer demokratischen Regierungspolitik in Übereinstimmung zu sein, daß die Herren Staatssekretäre die Mundstücke der Regierung sind und nicht nur das, sondern durch ihre Reden selber Politik machen.
Die Staatssekretäre sind keine Redesekretäre, wer immer es ist. Und. wenn Herr Staatssekretär Hallstein einen solchen unbezwingbaren Drang zum Reden hat, dann soll der Herr Bundeskanzler ihn zum Leiter der Pressestelle machen; da ist sowieso nichts mehr zu retten.
In der Sache ist das Verhalten des Sprechers der Regierung absolut unmöglich.
Meine Damen und Herren, Sie sind alle Zeugen. der dramatischen Verhandlungen der letzten drei Wochen gewesen. Sie wissen so gut wie wir, mit welcher inneren Spannung und Anteilnahme das ganze deutsche Volk an diesen Verhandlungen teilnimmt. Sie wissen, mit welcher Sorge und mit welchem Ernst die Mitteilungen in der Öffentlichkeit aufgenommen wurden, die erkennen ließen, daß es in der Verhandlung über die Durchführung der Washingtoner Beschlüsse schwerwiegende Gegensätze zu geben scheint. Das war der Stand der öffentlichen Information und Diskussion bis Sonntag abend. Am Sonntagabend spricht einer der Verhandlungspartner der deutschen Regierung ohne jede nähere Begründung und Beweisführung davon: Wir sind uns grundsätzlich einig.
Meine Damen und Herren, was geht denn hier vor? Was soll denn das deutsche Volk von einer solchen Erklärung denken, wenn noch im Bewußtsein des Volkes all die anderen Argumente und all die anderen Hinweise auf die Schwierigkeiten lebendig sind?
Und so entsteht, jedenfalls bei uns, mehr und mehr die Überzeugung, daß vielleicht die grundsätzliche Einigung, von der Herr Staatssekretär Hallstein spricht, dadurch erfolgt ist, daß die deutschen Unterhändler den alliierten Standpunkt in den Grundsatzfragen akzeptiert haben und daß vielleicht die heutige-- deutsche Verhandlungsposition so ist, daß man auf der Seite der Regierung unter allen Umständen in die westeuropäische Gemeinschaft auch unter den Bedingungen der Washingtoner Beschlüsse kommen will. Und dann steht die Frage: Sind denn das, was jetzt an Besprechungen geschieht, tatsächlich noch Verhandlungen im eigentlichen Sinne des Wortes? Ich will hier nicht über Einzelheiten sprechen. Es wären eine ganze Reihe von hochinteressanten Fragen der Regierung zu stellen. Ich will nur eines sagen: Wir haben den Verdacht, daß Herr Hallstein durch seine Rede am Sonntag das deutsche Volk auf ein neues Kapitel der verhängnisvollen Politik der Vorleistungen und der einseitigen Bindungen vorbereiten wollte.
Und wir wollten in diesem Augenblick ausdrücklich zum Ausdruck bringen, daß die Sozialdemokratische Partei sich von einer solchen Politik in aller Schärfe und aller Eindeutigkeit abgrenzt.
Lassen Sie mich noch mit einem Wort auf die erwähnten beiden alliierten Noten zum Schluß zurückkommen. An diesem Punkt, an dem Punkt der Washingtoner Verhandlungen wird die ganze Bedeutung dieser Unterschiede in der alliierten Auffassung und ihre Auswirkung für die deutsche Politik klar. Wie kann eine deutsche Bundesregierung Verhandlungen über die Washingtoner Beschlüsse führen, ohne vorher verbindlich zu wissen, mit welcher Zuständigkeit die Bundesregierung in die geplante Vertragsgemeinschaft nach Meinung der Alliierten eintritt? Sie wissen doch, daß die Frage der Einigung Deutschlands eine der Kardinalfragen der Unterhandlungen ist. Wenn der Standpunkt der Alliierten, der in der Saarnote vertreten wird, weiterhin gültig ist, dann ist die Frage der Zuständigkeit der deutschen Bundesregierung für ganz Deutschland vom Standpunkt der Alliierten sehr einfach geklärt. Ich meine, es wäre die Pflicht der Bundesregierung, des Herrn Bundeskanzlers gewesen, sofort nach dem Empfang der Note vom 3. August einen Schritt bei den Alliierten zu unternehmen. Man kann in Fragen dieser Größenordnung nicht auf die Entwicklung vertrauen. Man kommt zu keiner dauerhaften, tragfähigen europäischen und internationalen Zusammenarbeit, wenn man alle Probleme von Bedeutung im Dunkeln läßt.
Schweigen heißt in der internationalen Politik Zustimmen oder Sich-abfinden, und in der nächsten
Runde erscheinen Deklarationen als stillschweigend anerkannte Tatbestände.
Ich möchte Sie nur an die bittere Erfahrung erinnern, die die Mehrheit des Bundestages und die Bundesregierung gemacht haben, als es um die gleichzeitige Mitgliedschaft des Saargebietes und der Bundesrepublik in der Beratenden Versammlung ging. Im Februar dieses Jahres hat der französische Außenminister Schuman die Tatsache, daß wir den Beitritt auf dieser Basis akzeptiert haben, als einen Beweis dafür angeführt, daß die Bundesrepublik sich mit dem status quo im Saargebiet abgefunden habe.
Meine Hoffnung ist, Herr Bundeskanzler, daß Sie uns auf die konkrete Frage, was Sie in der Aufklärung dieser Differenz und in der Vertretung des deutschen Standpunktes getan haben, eine befriedigende Antwort geben können. Sollte das nicht der Fall sein, dann betrachten Sie die Ablehnung Ihres Haushaltes nicht nur als den Ausdruck unserer allgemeinen Ablehnung Ihrer Politik, sondern auch als ausdrückliche Mißbilligung Ihrer Passivität oder Ihrer Unterlassung in einer Frage, die nach unserer Auffassung vitalste Lebensinteressen der deutschen Nation berührt!