Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich jetzt zu dem Etat des Herrn Bundeskanzlers spreche, so ergibt sich aus der Sache und aus der Person eine gewisse Schwierigkeit. Nach dem Grundgesetz bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik. Selbstverständlich werden auch die Richtlinien der Außenpolitik durch den Herrn Bundeskanzler bestimmt. Die Dinge werden noch weiter dadurch kompliziert, daß wir in der Bundesrepublik eine Personalunion zwischen dem Bundeskanzler und dem Außenminister haben. Ich werde deshalb in meinen Ausführungen in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit sowohl auf einige innen- als auch auf einige außenpolitische Fragen eingehen müssen, ohne dabei im wesentlichen der Rede meines Freundes Luetkens zum Etat des Auswärtigen Amtes vorzugreifen,
Wir haben bereits bei der Behandlung des letzten ordentlichen Etats durch die Ausführungen meines Kollegen Mellies unsere kritische Einstellung zum Bundeskanzleramt in sehr konkreter Form zum Ausdruck gebracht. Wir haben damals kritisiert die Organisation des Amtes, wir haben damals kritisiert die mangelnde Koordinierung im Kabinett, und wir haben damals sehr kritisch Stellung genommen zu dem Wesen oder besser Unwesen der Kommissare, das sich unter der Leitung des Herrn Bundeskanzlers im Bundeskanzleramt entwickelt hat.
Ich möchte heute dieses Thema nicht im einzelnen wieder behandeln; aber das heißt nicht, daß wir durch die inzwischen eingetretene Entwicklung in irgendeiner Weise befriedigt oder beruhigt sind. Im Gegenteil, ich glaube, wir haben gerade heute einige Illustrationen für die Richtigkeit unserer Kritik auf den verschiedensten Gebieten erlebt.
Ich kann mir denken, daß sich der Herr Bundeskanzler für die Behandlung seines Etats wohl kaum einen schwärzeren Tag als den heutigen vorstellen könnte.
Ich nehme an, daß der Herr Bundeskanzler heute morgen z. B. auch den Bericht über eine Versammlung gelesen hat, die sein Minister Seebohm am 15. September in der Nähe von Stuttgart abgehalten hat. Es ist ein Bericht, der sehr interessant ist als ein Beispiel für die so außerordentlich starke demokratische und republikanische Gesinnung, die heute anscheinend bei einem Teil der Kollegen des Herrn Bundeskanzlers vorhanden ist.
Es ist eine erstaunliche Tatsache, daß es der Herr Bundeskanzler und das Bundeskabinett nicht für nötig gehalten haben, sich in aller Öffentlichkeit von einem Kollegen abzusetzen, der sich in rein nationalsozialistischer Weise geäußert hat und sich in rein nationalsozialistischer Weise hat feiern lassen.
Und schließlich — der Abend war noch nicht gekommen — hat der Herr Bundeskanzler die wohl nicht ganz einfache Frage zu lösen gehabt, wie er den Herrn Justizminister Dr. Dehler davon abhalten könne, heute abend durch eine Rundfunkrede noch mehr Porzellan zu zerschlagen, als er dies ohnehin schon getan hat.
Ich hatte mir vorgenommen, im Zusammenhang mit diesen Ausführungen auch noch einiges über das leidige Kapitel der Kooperation zwischen Regierung und Parlament zu sagen und an Hand von Beispielen noch einmal darzustellen, daß die autoritäre Form des Herrn Bundeskanzlers gegenüber dem Parlament mit einer effektiven Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung nicht zu vereinbaren ist.
Ich will jetzt nach dem, was wir hier heute nachmittag erlebt haben, auf einen Kommentar zu diesem Punkt verzichten, weil es zu billig wäre, diese neue unmittelbare Erfahrung durch irgendeine Bemerkung noch zu unterstreichen.
Meine Damen und Herren! Was wir hier an dieser Stelle ganz unabhängig von den politischen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen der
gegenwärtigen Regierung und der sozialdemokratischen Opposition bestehen, jedenfalls in erster Linie als Kritik zum Ausdruck bringen wollen, das ist die Kritik an der schlechten, falschen und unmöglichen Praxis, die die erste Regierung der Bundesrepublik unter Führung des Herrn Bundeskanzlers entwickelt hat.
Wir bedauern das sehr, weil wir gewünscht hätten, daß die Bundesrepublik, die unter so außerordentlich schwierigen Umständen an ihre Arbeit gegangen ist, wenigstens auf dem Gebiet, auf dem wir in der Gestaltung unserer Lebensformen frei sind, Formen gefunden hätte, die von allen demokratischen Kräften innerlich als loyal, sauber und anständig hätten akzeptiert werden können.
Ich will mich nicht auf Einzelheiten einlassen. Ich möchte nur noch eine Bemerkung machen. Wir möchten noch einmal dem Herrn Bundeskanzler den dringenden Rat geben, den Unfug der Bundespressestelle endlich einzustellen.
Das, was wir von dieser Stelle erleben — und ich meine mit „wir" die deutsche Öffentlichkeit —, ist nicht die Erfüllung der Aufgabe, durch Information und die Bekanntgabe von Fakten der politischen Auseinandersetzung eine wirkliche sachliche Grundlage zu geben, sondern immer wieder erleben wir, daß eine Stelle der Bundesregierung benutzt wird, um rein parteipolitische Argumentationen unter offiziöser Flagge an die Öffentlichkeit zu bringen. Ich möchte nur an das letzte Beispiel erinnern, damit Sie wissen, was ich meine.
Ich glaube, es gehört nicht zu den Aufgaben einer amtlichen Stelle, z. B. das Bremer Wahlresultat so zu kommentieren, wie es auf der Pressekonferenz der Bundesregierung geschehen ist. Ich sage gar nichts über den Inhalt; denn die Sozialdemokratie hat von derartiger Auslegung von Wahlresultaten nichts zu fürchten. Im Gegenteil, ich glaube, wenn die Regierungsparteien sich weiter über Wahlniederlagen mit vagen Hoffnungen auf eine mögliche Zersplitterung der Sozialdemokratie hinweghelfen, dann werden sie selber die Rechnung bezahlen.
Die wirkliche Ursache für diese immer wieder zutage tretende völlige Unfähigkeit, die Sozialdemokratie zu verstehen, liegt doch einfach darin, daß sie es hier mit einem politischen Körper zu tun haben, der in der Freiheit der Meinungsbildung politische Entscheidungen vorbereitet und in diesem Stadium sehr viele verschiedenen Meinungen auch öffentlich diskutiert. Aber ich sage ihnen eines: Immer wieder, wenn diese Partei in Aktion geht, dann werden sie eine geschlossene und einige Sozialdemokratie finden!
Und nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einer Angelegenheit sprechen, die nach meiner Meinung grundsätzliche Bedeutung hat und die ich deshalb in Verbindung mit der Beratung dieses Etats hier vorbringen möchte. Ich komme auf eine Diskussion zurück, die wir in der vorigen Woche, am 10. Oktober, bei der Beratung des Etats des Herrn Innenministers gehabt haben. Wir sind da mit einemmal in eine Diskussion über Wert oder Unwert der Monarchie gekommen; es gab in diesem Hause sehr handfeste Bekenntnisse zur Monarchie, und es gibt solche Bekenntnisse zur Monarchie ja auch von einer maßgebenden Regierungspartei. Es war immerhin bemerkenswert, daß der Beifall, den diese Bekenntnisse hier auslösten, uns zeigte, daß einer ganzen Reihe von Mitgliedern dieses Hohen Hauses mit einem Male die schwarz-weiß-roten Herzen wesentlich höher schlugen.
Man hat dann gesagt, wir sollten keine Gespenster wieder ins Leben zurückrufen, wir sollten nicht über so fernliegende Dinge diskutieren. Es tut mir leid: ich kann diesen Gesichtspunkt vom Standpunkt der Staatsführung unserer Bundesrepublik nicht akzeptieren. Denn im Laufe dieser Diskussion ist eine sehr bemerkenswerte Feststellung getroffen worden, ich glaube, von unserem Herrn Kollegen von Merkatz. Er hat nämlich im Laufe der Dikussion Demokratie und Monarchie gegenübergestellt und die These vertreten, die Erfahrung anderer Völker beweise, daß die monarchistische Staatsform und die Demokratie sehr wohl vereinbar seien; das erlebe man in Großbritannien und Skandinavien.
Meine Damen und Herren, gerade an diesem Punkte möchte ich sagen, daß diese Fragestellung für die deutsche Politik nicht zutrifft.
Denn hier geht es nicht um die Frage „Monarchie oder Demokratie?", in Deutschland ist die Frage „Monarchie oder Republik?".
Das Grundgesetz spricht ausdrücklich von der Bundesrepublik Deutschland,
und bei uns ist die demokratische Lebensform verfassungsrechtlich verbunden mit der republikanischen Staatsform.
Diese Feststellung ist wichtig für die Gegenwart und vielleicht auch für die Zukunft; denn sie bedeutet — das hier auszusprechen, halten wir für eine Notwendigkeit! —, daß das Bekenntnis zur Monarchie in Deutschland genau so im Gegensatz zum Grundgesetz steht wie das Bekenntnis zu einer neofaschistischen Diktatur oder zu einer kommunistischen Diktatur.
Ich nehme dabei an, daß das monarchistische Bekenntnis des Herrn von Merkatz nicht ganz frei ist von opportunistischen Überlegungen;
denn wenn man Opposition im Regierungslager spielen will, dann muß man möglichst viele Fähnchen schwingen.
Aber wir möchten über den Standpunkt der Sozialdemokratie von vornherein keine Klarheit aufkommen lassen.
— Keine Unklarheit aufkommen lassen! Sie wissen j a, was ich meine. Ich gönne Ihnen die Freude! In der Bundesrepublik — das ist unsere Meinung
— ist die monarchistische Propaganda ein Schlag
Deutscher Bundestag — 16e. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Oktober 1051 6903
gegen das Grundgesetz; sie ist ein Element der
Zersetzung und der Schädigung der Demokratie.
Ich sage das, damit sich niemand später beklagt, wenn er die Konsequenzen seines Tuns zu tragen hat.
Es gibt in diesem Zusammenhang noch einen speziellen Fall des Herrn von Merkatz. Wir haben in der vorigen Woche die Herbeirufung des Herrn Bundeskanzlers beantragt, als dieser Fall aufkam. Glücklicherweise haben wir ihn heute in unserer Mitte, und ich möchte deshalb unser Anliegen wiederholen: Der Herr Minister Hellwege hat dem Bundestag mitgeteilt, daß Herr von Merkatz die Geschäfte eines Staatssekretärs in seinem Ministerium führt und daß er in dieser Eigenschaft zeitweise auch an Kabinettssitzungen teilgenommen hat. Das heißt nach den eigenen Erklärungen des Herrn Kollegen von Merkatz, daß ein überzeugter Monarchist einer der höchsten politischen Vertrauensleute der Bundesregierung und der Bundesrepublik ist.
Herr Bundeskanzler, ich glaube, das geht Sie an. Ich glaube, daß hier die Notwendigkeit einer Prüfung dieses Falles gegeben ist. Wir wissen, daß Sie sonst in der Prüfung der Gesinnung und Überzeugung Ihrer Mitarbeiter und Ihrer Beamten sehr genau sind. Es würde uns interessieren, ob es in der Schematik für den Aufbau Ihrer Verwaltung auch einen Prozentsatz von monarchistischen Beamten oder Vertrauensleuten gibt.
Es ist für uns wichtig, zu wissen, ob Sie die monarchistische Überzeugung des Herrn von Merkatz früher kannten und, wenn Sie sie gekannt haben, welche Schlußfolgerungen Sie gezogen haben oder jetzt zu ziehen gedenken, nachdem dieser Sachverhalt in die Öffentlichkeit gekommen ist. Wir jedenfalls glauben, daß Monarchisten als Repräsentanten oder Beamte der Bundesrepublik Deutschland untragbar sind.
Wir hoffen, daß Sie, Herr Bundeskanzler, durch Ihre Entscheidung beweisen, daß Sie in diesem Punkt mit uns übereinstimmen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine andere Frage aufwerfen die uns allerdings als die bedeutsamste, jedenfalls in diesem Augenblick, erscheint. Wir glauben, daß sie von einer zentralen Bedeutung für die Politik der Bundesrepublik ist. Ich bringe sie deshalb hier vor, weil sie zweifellos in die Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers als des Mannes fällt, der die Richtlinien der Politik der Bundesrepublik nach innen und außen bestimmt. Sie wissen, wir haben hier am 6. Juli eine Saardebatte gehabt. Ich will diese Debatte in diesem Augenblick nicht aufnehmen, sondern nur eine Bemerkung machen. In dieser Saardebatte hat uns der Herr Bundeskanzler erklärt, daß die ganze Saarfrage in gar nicht zu langer Zeit so gelöst werden wird, wie wir es uns wünschen. Ich stelle heute nur fest, das war vor mehr als einem Vierteljahr. Damals erfuhren wir nicht, worauf sich dieser Optimismus stützt, und in der Zwischenzeit haben wir nichts erlebt, was den Optimismus des Herrn Bundeskanzlers rechtfertigt.
Der Herr Bundeskanzler hat in derselben Diskussion auch davon gesprochen, daß er die Saarfrage
im Ministerrat in Straßburg zur Sprache bringen werde. Ich frage mich, ob das inzwischen geschehen ist, in welcher Weise und mit welchem Erfolg.
Aber das ist in diesem Fall für mich nicht der wesentliche Punkt; das Wesentliche ist folgendes. Die Alliierten haben die Saarnote der Bundesregierung vom 29. Mai am 3. August beantwortet. Sie kennen den Text dieser Note. Abgesehen von der Beantwortung der Fragen hinsichtlich des Saargebietes enthält die Note eine außerordentlich erstaunliche Feststellung. Ich möchte sie mit Genehmigung des Herrn Präsidenten im Wortlaut vorlesen. In dieser Note wird nämlich gesagt:
Der gegenwärtige Status der Saar steht nicht
im Widerspruch zu der alliierten Erklärung
vom 5. Juni 1945, in welcher die Bemerkung
„Deutschland innerhalb seiner Grenzen, wie
sie am 31.Dezember 1937 waren" ausschließlich
als Feststellung des Gebietes zur Verteilung
der Besatzungszonen gemeint war.
Schon sehr bemerkenswert! Aber dann geht es weiter:
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß die Zuständigkeit der Bundesregierung nicht über ihre territorialen Grenzen .hinausgeht.
Das ist eine absolut neuartige und merkwürdige Auslegung der alliierten Erklärung vom 5. Juni 1945. Die Beschränkung der Zuständigkeit der Bundesregierung auf das jetzige Territorium der Bundesrepublik schafft nach meiner Auffassung eine außerordentlich ernste Situation vor allem in bezug auf alle Besprechungen, die die Bundesregierung auf außenpolitischem Gebiet zu führen hat. Denn sie steht in direktem Widerspruch zu bisherigen Handlungen und Erklärungen der Alliierten. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß in der Präambel des Grundgesetzes gesagt wird: Das deutsche Volk „hat auch für jene Deutschen gehandelt" — nämlich in der Schaffung des Grundgesetzes —, „denen mitzuwirken versagt war".
Diese Präambel ist von den drei Westalliierten genehmigt worden.
Darüber hinaus gibt es noch etwas anderes, nämlich die Note der Alliierten vom 23. Oktober 1950, in der die deutsche Bundesregierung über die Beschlüsse der Außenministerkonferenz in New York hinsichtlich der deutschen Auslandsschulden informiert wird. In dieser Note heißt es wiederum wörtlich:
Die drei Regierungen sehen in der Bundesregierung die einzige deutsche Regierung, die für Deutschland sprechen und das deutsche Volk bis zur Wiedervereinigung Deutschlands in internationalen Angelegenheiten vertreten kann.
Sie sind daher der Ansicht, daß die Bundesregierung bis zu der endgültigen Friedensregelung und ohne deren Bedingungen vorzugreifen, die einzige Regierung ist, die berechtigt ist, die Rechte des früheren Deutschen Reiches zu übernehmen und dessen Verpflichtungen zu erfüllen.
Meine Damen und Herren, der eklatante Widerspruch zwischen diesen beiden Standpunkten liegt
auf der Hand. Die Konsequenzen dieses Wider-
spruchs für alle internationalen Verhandlungen sind unabsehbar.