Der Ältestenrat hat angenommen, daß auch bei diesem Punkt der Tagesordnung von einer Aussprache abgesehen werden kann. — Ich stelle die Zustimmung des Hauses dazu fest.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag des Ausschusses zustimmen, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Wir kommen nun zu der eigentlichen Tagesordnung des heutigen Tages, und zwar zu Punkt 2: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Überwachung des Post-und Fernsprechverkehrs .
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Mommer.
Dr. Mommer , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Besatzungsmächte haben als Besatzungsziele bei uns verkündet, daß Deutschland demokratisiert werden soll, daß bei uns rechtsstaatliche Verhältnisse geschaffen werden sollen und daß alle Spuren des nationalsozialistischen Systems und seiner Methoden verschwinden sollen. Wenn das vernünftig gehandhabt wird, können die Besatzungsmächte sicher sein, daß sie dabei breiteste Unterstützung im deutschen Volke finden. Wenn sie dabei pharisäisch und schulmeisterlich werden, dann werden wir leicht nervös. Wenn aber Theorie und Praxis auseinanderfallen, dann werden wir böse.
Wir haben in der letzten Zeit einen solchen Fall gehabt, bei dem uns Theorie und Praxis auseinanderzufallen schienen. Ich denke an den Fall Kemritz. Wir werden in Zukunft auch noch andere Fälle hier zu besprechen haben. Wir werden von den Schwarzen Listen und vielleicht von anderen Dingen mehr sprechen müssen.
Bei dem Gegenstand der heutigen Interpellation der SPD betreffend Kontrolle der Telefongespräche und des Briefverkehrs handelt es sich auch um
einen solchen Fall, in dem die rechtsstaatlichen Theorien und die demokratisierenden Absichten der Besatzungsmächte mit ihrem Verhalten hier in Deutschland nicht übereinstimmen.
Ich muß einige Tatsachen anführen. In Lörrach hat kürzlich, im Juli, eine Stadtverordnetenversammlung stattgefunden, in der gegen die Telefonüberwachung von Organisationen und Privatpersonen in Lörrach öffentlich protestiert wurde. Es ist interessant festzustellen, wer dort überwacht wurde. Es wurden sämtliche politischen Parteien überwacht. Es wurden weiter die Gewerkschaften überwacht. Es wurde das Rathaus und es wurde Dr. Ernst Ludwig Heuss, der Sohn unseres Bundespräsidenten, überwacht.
Ich bitte Sie, diese Serie von Überwachten im Gedächtnis zu behalten. Das wird wichtig, wenn wir nachher davon sprechen, welches die Gründe der Überwachung sind. Es wird behauptet, daß die Überwachung im Interesse der militärischen Sicherheit der Besatzungstruppen erfolge.
Ich frage: Was haben die Gewerkschaften, die politischen Parteien, das Rathaus und der Sohn des Bundespräsidenten mit der Gefährdung der Sicherheit der französischen Besatzungstruppen zu tun?
Ein anderer Fall: Ein Abgeordneter dieses Hauses, der auf der Linken sitzt, bekommt einen vertraulichen persönlichen Brief mit internen Parteimitteilungen. Der Brief ist ihm persönlich vom Postboten ausgehändigt worden. Schon am anderen Tage lag der Brief in Übersetzung bei einer französischen Dienststelle.
Ein Abgeordneter auf der Rechten des Hauses, dessen Namen ich auch nicht nennen will, stellte fest, daß seine Gespräche nach Hamburg überwacht wurden.
Ich selbst habe die Erfahrung gemacht — vor sehr kurzer Zeit —, daß Beamte im Auswärtigen Amt mir rieten, doch nicht anzurufen und keine längeren Ausführungen zu machen; es sei besser, sich zu treffen,
denn dann sei man sicher, daß der „dritte Mann" nicht dabei sei. Wenn man sich gerade diese letzte Reaktion ansieht, merkt man doch, daß alle, die sich überwacht fühlen, gleich in die mündliche Besprechung fliehen.
Das Ergebnis dieser Spitzelei — anders kann man es doch nicht bezeichnen — muß äußerst mager sein. Die Besatzungsbehörden bewegen sich mit dem, was sie tun, doch nur in den Kleinigkeiten und in den Niederungen der Politik. Entscheidende politische Dinge in Deutschland geschehen nicht, ohne daß die Besatzungsmächte sie erfahren, auch ohne daß sie zu solchen Methoden greifen, die uns an das Dritte Reich erinnern. Gerade wegen dieser Erinnerung an das Dritte Reich sind diese Dinge so bedauerlich. Man schädigt damit das Ansehen dieser unserer deutschen Demokratie, und man schädigt das Ansehen der Demokratie, die die anderen bei uns zu repräsentieren haben. Man bringt uns damit auch in unangenehme Nähe mit den Zuständen auf der anderen Seite der Zonengrenze. Dort ist der Spitzel allgegenwärtig, und dort ist es vielleicht dann auch normal, daß er im Telefon hängt und daß er den Brief durchliest. Aber hier sollte das nicht selbstverständlich sein, hier sollte so etwas nicht möglich sein. Wenn es doch getan wird, dann stellt das einen Verstoß gegen Artikel 10 des Grundgesetzes dar. Das Grundgesetz garantiert in Artikel 10 ausdrücklich das Postgeheimnis.
Damit komme ich auf den wichtigsten Aspekt des ganzen Problems, auf die rechtliche Grundlage für das Vorgehen einiger Besatzungsmächte auf diesem Gebiet. Ich darf vielleicht hier einschalten, daß mir persönlich keine konkreten Fälle bekanntgeworden sind, die von der amerikanischen Besatzungsmacht ausgingen; aber vielleicht kann uns der Herr Bundespostminister darüber näheres sagen. Er muß es wissen; denn eine systematische Überwachung des Postverkehrs ist nicht ohne Wissen — ich sage: ohne Wissen, nicht: ohne Mitwirkung! — der deutschen Postbehörde möglich.
Die Alliierten haben, als sie Deutschland besetzten, schon im Januar 1945 ein Zensurgesetz gemacht, und zu Beginn — daran erinnern wir uns — haben sie davon ausgiebigen Gebrauch gemacht. Nach und nach haben sie den Umfang der Zensur zurückgeschraubt, und schließlich kam dann das Grundgesetz mit dem Art. 10 — das Grundgesetz, das ja von den Besatzungsmächten gebilligt wurde. Das Besatzungsstatut hätte den Alliierten die Möglichkeit geben können, einschränkende Bestimmungen gegen den Art. 10 des Grundgesetzes zu erlassen. Davon haben die Alliierten aber keinen Gebrauch gemacht. Ganz im Gegenteil, sie haben am 15. Februar 1951 das Gesetz A 14 der Hohen Kommission veröffentlicht, durch das die Zensurgesetze Nr. 76 der amerikanischen und der britischen Militärregierung — in der französischen Zone gab es keines, weil diese zu Beginn, als das Gesetz gemacht wurde, nicht bestand — ausdrücklich außer Kraft gesetzt wurden, womit sich die Alliierten die Rechtsgrundlage für eine etwaige Weiterführung der Zensur selbst entzogen.
Nun wird aber trotzdem die Zensur weitergeführt. Sie wird mit Art. 2 e des Besatzungsstatuts begründet. Welches juristische Kunststück das ist, möchte ich Ihnen vorführen, indem ich Ihnen den Art. 2 des Besatzungsstatuts im Text ins Gedächtnis zurückrufe. In diesem Artikel heißt es:
Um die Verwirklichung der grundlegenden Besatzungszwecke sicherzustellen, bleiben Sonderbefugnisse, einschließlich des Rechts, die von den Besatzungsbehörden benötigten Auskünfte und statistischen Angaben anzufordern und zu prüfen, auf folgenden Gebieten vorbehalten:
Und dann kommt der Punkt e. Da ist die Rede von Schutz, Ansehen und Sicherheit der alliierten Streitkräfte und einigem anderem mehr. Auf diesen Absatz beziehen sich die Dienststellen einiger Besatzungsmächte, die heute noch die Zensur ausüben.
Dazu muß man fragen: Was hat die Überwachung von Parteien, von Gewerkschaften, von Abgeordneten und deutschen Dienststellen mit der Sicherheit der Besatzungsmächte und ihrer Truppen zu tun? Es ist doch ein Akrobatenstück extensiver juristischer Phantasie, wenn man die Überwachung etwa des Sohnes des Herrn Bundespräsidenten mit der Notwendigkeit rechtfertigt, die militärische Sicherheit der Besatzungstruppen zu garantieren. Die Zensur, die hier geübt wird, hat zu dem Art. 2 e des Besatzungsstatuts eine ebenso unendlich entfernte Beziehung, wie etwa die politische Praxis der Regierung von Pankow mit der im Wortlaut demokratischer Verfassung der DDR etwas zu tun hat. Wenn man aber schon eine
Zensur an Art. 2 e des Besatzungsstatuts aufhängen wollte, dann müßte man das nach rechtsstaatlichen Grundsätzen mit einem Gesetz machen. Man müßte also ein neues Gesetz erlassen. Wenn unsere Minister mit den Herren von der Hohen Kommission reden, können sie ihnen vielleicht auch einmal eine Lektion in Demokratie geben. Sie können den Art. 10 des Grundgesetzes zur Hand nehmen und daraus zitieren. Da heißt es:
Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden.
Nur auf Grund eines Gesetzes! — Genau so ist in der Konvention für Menschenrechte, die jüngst im Europarat aufgestellt und die von zweien der Besatzungsmächte — und das sind gerade die, die wir hier meinen — paraphiert und im Grundsatz schon angenommen worden ist. Auch von der Unverletzlichkeit der Korrespondenz ist dort die Rede, und es heißt dann, daß, soweit Eingriffe notwendig sind, diese gesetzlich vorgesehen sein müssen. Die Besatzungsmächte haben auch der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 zugestimmt und sich dadurch gebunden, dieses Bürgerrecht anzuerkennen. Sie sollten das auch hier tun.
Ich bin also der Meinung, daß für die weitere Ausübung der Zensur keinerlei Rechtsgrundlage gegeben ist. Von der Möglichkeit einer Sondergesetzgebung hat die Hohe Kommission nicht Gebrauch gemacht, sie hat im Gegenteil die bestehende aufgehoben. Deshalb handelt es sich bei der Fortführung der Zensur um einen Akt reiner polizeistaatlicher, totalitärer Willkür. Es ist notwendig, daß diesem Zustand schnell ein Ende gesetzt wird; und es sollte nicht Sache des Fachministers, des Herrn Postministers sein, diese Verhandlungen zu führen, denn diese Frage fällt nur rein technisch in sein Gebiet. Es handelt sich hier um eine Verletzung des Besatzungsstatuts. Der Herr Bundeskanzler und Außenminister sollte in Verhandlungen diesen Unfug möglichst schnell abstellen.
Im Namen meiner Fraktion darf ich folgenden Antrag verlesen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Herr Bundesminister für das Auswärtige wird beauftragt, die Hohe Kommission auf die Unvereinbarkeit der immer noch geübten Telefon- und Postüberwachung durch alliierte Dienststellen mit dem Besatzungsstatut hinzuweisen und die sofortige Einstellung der Überwachung zu verlangen.