Rede von
Oskar
Kalbfell
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ersten Wohnungsbaugesetz, das der Bundestag beschlossen hat, wurde festgelegt, daß in sechs Jahren 1,8 Millionen Wohnungen für den sozialen Wohnungsbau fertiggestellt werden sollen. Leider ist in diesem Wohnungsbaugesetz nicht verankert, daß der Bundestag gleichzeitig auch beschließt, die Bundesmittel im Haushaltsplan festzusetzen und damit die Finanzierung sicherzustellen.
Die Finanzierung des Wohnungsbaues ist a) vom Bund und b) von den Ländern, den Gemeinden und den öffentlichen Kreditinstituten durchzuführen. Der Einsatz der Gelder der öffentlichen Sparkassen, der Pfandbriefanstalten und aller Kreditinstitute sollte es ermöglichen, daß 350 000 Wohnungen im Jahr gebaut werden. Im Baujahr 1950 ist es gelungen. Im Baujahr 1951 hofft man, die Ziffern zu erreichen. Die Entwicklung auf dem Kapitalmarkt erfüllt uns aber mit allergrößter Sorge. Die ersten Hypotheken sind so gut wie nicht zu beschaffen. Die Krediteinschränkungen haben durch die Maßnahmen der Bank deutscher Länder zwangsläufig Krediteinschränkungen auch in der Industrie und im Gewerbe herbeigeführt, was andererseits die Kredithergabe für den sozialen Wohnungsbau belastet. Wohl ist die Zunahme der Spareinlagen erfreulich; aber wenn auch in den Monaten Juni und Juli bei 194 Millionen DM Einzahlungen nur 161 Millionen DM ausgezahlt wurden, so ist dieser Überschuß doch nicht ausreichend, um den Kreditbedarf allgemein zu decken.
Ebenfalls ist erfreulicherweise eine Zunahme der Einlagen bei den Bausparkassen festzustellen. Es besteht aber ein großer Bedarf an Krediten der öffentlichen Hand, z. B. für die Baugeländeerschließung, für die Wasserversorgung der Länder und Gemeinden, den Bau von Schulhäusern, Kindergärten, Spiel- und Sportanlagen und vieles andere.
Wie stark die Auswirkungen auf den sozialen Wohnungsbau sind, ergibt sich aus einem Bericht des Landes Württemberg-Baden, der besagt, daß im Jahre 1950 Wohnungsbaukreditmittel in Höhe von 92 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden konnten, in den ersten sieben Monaten des Jahres 1951 dagegen nur 14,55 Millionen DM. Das Bild ist im ganzen Bundesgebiet dasselbe. Die Finanzierungsschwierigkeiten und die Materialnot erschweren den sozialen Wohnungsbau. Wir haben im Frühjahr 1951 schon darauf hingewiesen, daß die allgemeine Finanznot, die Materialnot bei Holz, Eisen, Kohle, Zement, Dachziegeln usw. Erschwernisse sind.
Deshalb ist eine Steuerung erforderlich. Alle möglichen Versuche wurden gemacht, ein ausreichender Erfolg war uns jedoch nicht beschieden. Wir haben deshalb beantragt, daß im Bundeshaushaltsplan in Kap. XIV Tit. 33 und 34 der Sperrvermerk wegfallen soll und daß die 100 Millionen DM für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Der Herr Bundesfinanzminister erklärt sich dazu angesichts der allgemeinen Finanznot zur Zeit außerstande. Der Bundestag hat wiederholt die Forderung erhoben, daß das Bauprogramm gesichert werden müsse. Der Bund sollte 500 Millionen DM zur Verfügung stellen. 270 Millionen sind bis jetzt bewilligt, 220 Millionen an die Länder und 50 Millionen für die Umsiedlung, und 30 Millionen wurden zurückgestellt für den Beamtenwohnungsbau, d. h. für die Beamtenwohnungsfürsorge.
Nach § 12 des Münzgesetzes ist der Bundesfinanzminister verpflichtet, den Gewinn aus den Münzprägungen für den Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Im Jahre 1950 wurden über 400 Millionen dafür frei, und nach einem mir zugegangenen Bericht sollen die Münzgewinne in diesem Jahr rund 400 Millionen DM einbringen. Es sollte also möglich sein, daß von diesem Betrag des Münzgewinnes die genannten 100 Millionen DM freigemacht werden.
Außerdem hat sich auch das Kabinett damit beschäftigt. Es glaubte weitere 100 Millionen DM im außerordentlichen Haushalt von vornherein als Priorität festlegen zu müssen. Darf nun der Bundesfinanzminister sagen, er könne nicht? Angesichts der Notlage muß etwas geschehen, die Mittel müssen zur Verfügung gestellt werden!
Der soziale Wohnungsbau ist ein Erfordernis der ) Zeit, und die soziale Sicherung des deutschen Volkes ist der beste Verteidigungsbeitrag, so sagte der Herr Bundeskanzler am 22. September dieses Jahres in diesem Hohen Hause. So sagen wir schon immer, und die Regierungserklärung des Herrn Kanzlers vom Jahre 1949 bezeichnet das Wohnungsbauproblem als das Problem Nummer eins. Und jetzt sagt der Kanzler dazu: An diesem Standpunkt werden wir immer festhalten, wenn es im Wohnungsbau infolge der Verteidigungsmaßnahmen auch vorübergehend gewisse Hemmungen geben sollte. Ich meine, dazu müssen wir ein klares Nein sagen. Trotz der Maßnahmen für die Rüstung der Besatzung, trotz des Baues von Besatzungswohnungen — die wir übrigens als viel zu aufwendig bezeichnen —, trotz industrieller Baunotwendigkeiten muß der soziale Wohnungsbau weitergehen.
Wie sollen wir das Problem sonst lösen?
Wo bleibt die familiengerechte Wohnung? Der Kanzler sagte, das Einfamilienhaus sei erstrebenswert und nicht teurer als Wohnungen in Mietblocks. Das ist ein großer Irrtum. Längst ist erwiesen, daß das Einzelhaus zwar idealer, aber doch teurer und sein Bau angesichts der finanziellen Lage und der Schwierigkeiten in der Baulandbeschaffung sowie der Erschließungskosten nicht allgemein durchführbar ist, jedenfalls nicht in größeren Gemeinden und Städten.
Weiter aber ist die Auffassung des Herrn Bundeskanzlers irrig, 10 000 Eigenheime seien als Einzelsiedlungshäuser auf die Dauer viel wertvoller als 20 000 Mietwohnungen in großen Wohnblocks einer kollektiven Baugenossenschaft, zu der der Wohnungsinhaber nur wenig innere Beziehung habe. Ich glaube, die Baugenossenschaften des
ganzen Bundesgebietes haben in den letzten Jahrzehnten und gerade in den letzten Jahren bewiesen, welch unerhört große soziale Aufgabe sie erfüllen. Es wäre unrecht, ihre Leistungen herabzusetzen oder von einer kollektiven Wirtschaft zu reden, die dem menschlichen Bedürfnis nicht entspreche. Es wird Aufgabe der Bauforschung sein, festzustellen, wie überhaupt Mittel und Wege gefunden werden können, um die richtige Wohnung zu schaffen, die für den Bewohner auch finanziell tragbar ist.
Die im Haushalt des Bundeswohnungsministeriums ausgewiesenen 500 Millionen Mark sind deshalb angesichts der Baupreisentwicklung gar nicht ausreichend.
In dankenswerter Weise haben die amerikanischen Stellen über ECA in 15 deutschen Städten einen Wettbewerb ausgeschrieben. Bei diesem Wettbewerb zeigt sich, daß die Preisträger vorwiegend auf das Reiheneinfamilienhaus kommen, weil dieses im Augenblick der einzige Bautyp ist, der unseren Wünschen entspricht. Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, daß keine Einzelhäuser gebaut werden können. Dort, wo Umstände und Lage es erfordern, wird das geschehen. Dabei müssen wir uns die Erfahrungen des Auslandes nutzbar machen. Der Wettbewerb soll nun zeigen, daß freischaffende Architekten und Unternehmer zusammen in der Lage sind, eine neue Bauform zu finden. Wir wollen keine Baubürokratie der Behörden, aber auch nicht des Bundeswohnungsministeriums. Bauherren und Architekten sollen als Schöpfer ein Werk zustande bringen, das der gestellten Aufgabe gerecht wird. Durch die hohe Verantwortung des Bauherrn und des schöpferischen Architekten soll die richtige Bauform gefunden werden mit dem Ziel einer Verbilligung und Beschleunigung des Bauens. Junge und alte, erfahrene Architekten haben eine große Aufgabe im Zusammenwirken mit den Unternehmern, und sie haben eine einmalige Chance. Versagen diese Stellen, dann soll die Kritik an den öffentlichen Bauverwaltungen verstummen. Die Regierung hat für die Landesplanung Mittel bereitzustellen und der Raumordnung größte Beachtung zu schenken, denn die Wiederherstellung richtiger Beziehungen zwischen Arbeitsplatz und Wohnstelle ist von Bedeutung für die gesamte Wirtschaft. Aber auch die Koordinierung der gesamten Bauwirtschaft ist nötig.
Die Einschränkungen in der Baustoffindustrie machen uns allergrößte Sorge. Kurzarbeit, Entlassungen, Mangel an Ware, erhöhte Baupreise verlängern die Bauzeit. Die Baukostenanschläge können nicht eingehalten werden. Es müssen in verstärktem Maße Landesdarlehen gegeben werden, damit die unrentierlichen Kosten abgedeckt werden können. Die Richtsatzmitte kann nicht gehalten werden. Folge: Verringerung des Bauvolumens, also keine Erfüllung des ganzen Bauprogramms. Und das alles im September/Oktober 1951! Wie soll es dann im Januar und Februar des nächsten Jahres aussehen?
Es gibt ja Kohle, um die Baustoffproduktion zu steigern. Die Baustoffindustrie braucht ein Monatskontingent von 500 000 t. Der Herr Bundeswirtschaftsminister kann nur 225 000 t zusagen. Im Juli hat die Baustoffindustrie 425 000 t Kohle verbraucht, also aus „sonstigen Quellen" bezogen. So der Bericht der Baustoffindustrie Steine und Erden.
Meine Damen und Herren, ein solcher Zustand kann nicht gesund sein. Ich verweise auf die Ent-
wicklung am Holzmarkt: bisher feste Preise zum Index von 130, jetzt von 160 bis 180. Holz unter 240 Mark je cbm ist nicht zu haben. Moniereisen fehlt. Und die Preiskontrolle ist nicht da.
Meine Redezeit läuft ab. Ich fasse zusammen: Der Wohnungsbau bleibt Problem Nr. 1. Wir fordern rechtzeitige Finanzierung. Wir fordern weiter Beschaffung von Baustoffen und ausreichende Versorgung der gesamten Baustoffindustrie mit Kohle. Die Verteilung der Baustoffe ist ohne bürokratische Maßnahmen zu fördern. Die Preiskontrolle ist überall dort durchzuführen, wo öffentliche Mittel zur Förderung des Wohnungsbaus eingesetzt werden. Es muß alles getan werden, um die wirtschaftliche Bauweise zu unterstützen. Eine baldige Revision des gesamten Bau- und Bodenrechts ist nötig ebenso wie eine rasche Verabschiedung des Gesetzes über Baulandbeschaffung. Das alles wollen wir unterstützen und fördern. Wir haben das bisher schon getan, weil das Wohnungsproblem das bedeutungsvollste ist, wenn wir die 200 000 Flüchtlinge, deren Umsiedlung der Bundestag beschlossen hat, in familiengerechte Wohnungen bringen wollen.
Ich bitte deshalb namens meiner Fraktion den Herrn Bundesfinanzminister, zu erklären, ob er den Sperrvermerk aufheben oder uns die Mittel auf andere Weise zur Verfügung stellen kann.