Rede von
Dr.
Gerhard
Kreyssig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Kollegen Etzel zunächst eines sagen: daß er mir erst nachweisen muß, wann ich jemals behauptet hätte, daß es nach der Währungsreform 4 oder 5 Millionen Arbeitslose geben werde.
— Ich persönlich habe es nämlich nie gesagt.
Ich habe es jetzt etwas leichter, nachdem, wie zu erwarten war, Kollege Bertram eine lange Kritik vorgetragen hat, die man in der kurzen Zeit nicht üben kann. Mir scheint nach dem, was Herr Preusker und der letzte Sprecher gesagt haben, die Behauptung von Herrn Etzel, die Opposition habe einfach um der Kritik willen Kritik geübt, doch in ein etwas anderes Licht gerückt worden zu sein. Wenn der Herrgott angerufen werden muß um einen milden Winter, weil der Bundeswirtschaftsminister die Kohlen verspricht und nicht herbeischaffen kann, dann scheint mir die Situation sehr prekär zu sein und die Wirtschaftspolitik doch einige Löcher zu haben.
Herr Professor Erhard hat, solange ich ihn kenne
— und wir kennen uns ja seit den ersten parlamentarischen Arbeiten, die im Wirtschaftsrat in Frankfurt begonnen wurden —, immer dieselbe Technik angewandt, die sehr verblüffend wirkt und großen Effekt herbeiführt, im Grunde genommen aber niemals eine der Fragen, die man ihm stellt, exakt oder überzeugend beantwortet.
Herr Professor Erhard, ich will Ihnen nur noch eins sagen: Sie sollten sich eigentlich auch darüber im klaren sein, daß der „Exporterfolg", den Sie hier feiern, von der deutschen Wirtschaft damit bezahlt wird, daß wir in unserem eigenen Lande das Material nicht mehr haben, das wir dringend brauchen.
— Wir haben in der Bauwirtschaft kein Eisen und keinen Stahl.
Wir haben auf der Konjunkturwelle — der Herr Kollege hat es vorhin gesagt —, auf der Professor Erhard die Bundesrepublik ins Ausland geritten hat, Exporte aus der deutschen Wirtschaft zu verzeichnen, die wir mit der Verkürzung der eigenen Verbrauchsgüter und des zivilen Sektors in Deutschland bezahlen müssen. Es ist eine sehr wichtige Frage, ob heute die ziffernmäßig hohe Exportmenge noch der entscheidende Erfolg ist, oder ob nicht ein vorsichtig dosierter Export, der unserem Lande die eigene Produktionsmöglichkeit läßt, wahrscheinlich viel richtiger wäre.
Kollege Preusker hat mir einige Vorwürfe gemacht und einige Beispiele angeführt. Ich muß schon sagen: Wenn in der deutschen Wirtschaft seit der Währungsreform bis zum Anfang dieses Jahres etwa 60 Milliarden — und in den bereits vergangenen Monaten dieses Jahres vielleicht noch einmal 10 oder 12 Milliarden — investiert worden sind, dann ist eben gerade dieses Übermaß an Investitionen nur aus einem einzigen Grunde möglich gewesen: weil nämlich der viel gerühmte „Suppentopf", von dem die Herren hier gesprochen haben, das Ergebnis gebracht hat, daß die Fettschicht aus diesem Suppentopf nach rechts und die Kartoffeln nach links gegangen sind.
— Zu dem Arbeitseinkommen möchte ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister auch noch etwas sagen, und zwar muß ich wieder darauf hinweisen, daß man Politik nicht einmal so und am anderen Tag anders betreiben kann. Bei den Besprechungen über den Schumanplan haben uns die offiziellen Regierungsvertreter auf unsere Frage erklärt, daß es keine Möglichkeit eines internationalen Lohnvergleichs gibt und deshalb entscheidende Fragen, die wir im Hinblick auf den Schumanplan gestellt haben, nicht beantwortet werden könnten. Kollege Bertram hat vollkommen richtig gesagt: Was Herr Professor Erhard jetzt hat ermitteln lassen, mag theoretisch und als Zahlenbild ganz richtig sein; er war wenigstens ehrlich genug, zu sagen, daß über den tatsächlichen Lebensstandard nichts ausgesagt wird.
Die Opposition — das möchte ich dem Kollegen von rechts sagen, der vor mir gesprochen hat —hat es nicht notwendig, in den Massen zu schüren. Die Bevölkerung draußen gibt ihnen die Antwort bei jeder Gelegenheit, die sich seit einem Jahr geboten hat; das ist ein genügend deutliches Zeichen, daß sie mit der Wirtschaftspolitik nicht zufrieden ist. Kein Mensch bestreitet den Aufstieg der Produktion; aber machen wir doch nicht immer wieder diesen billigen Fehler, wenn nicht sogar Trick, daß wir aus einem ausgesprochen niedrigen Stand zu hohen Ziffern kommen, während doch die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen ist, daß eben die Verteilung des Sozialprodukts — auf die kommt es nämlich genau so entscheidend, wenn nicht entscheidender an als auf die Steigerung des Sozialprodukts — unter der Wirtschaftspolitik Professor Erhards und der Bundesregierung ausgesprochen unsozial erfolgt ist. Das ist einer der wesentlichsten Punkte der Kritik.
Abschließend kann ich nur lebhaft bedauern, daß der Altestenrat für die wirtschaftspolitische Debatte nicht dieselbe Redezeit festgelegt hat wie für die innenpolitische.