Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es unterliegt für denjenigen, der sich einen klaren Blick bewahrt hat, gar keinem Zweifel, daß die von Herrn Minister Erhard inaugurierte deutsche Wirtschaftspolitik in den letzten beiden Jahren Zustände herbeigeführt und Erfolge gezeitigt hat, die man vor zwei Jahren für ganz unwahrscheinlich, vor vier Jahren für schlechterdings unmöglich gehalten hätte.
Diese Tatsache braucht man eigentlich nicht mehr zu unterstreichen und zu erläutern.
Dazu steht in einem auffallenden und bedauerlichen Mißverhältnis der Umstand, daß diese Erfolge in der breiten Schicht des Volkes nicht anerkannt sind, daß im Gegenteil Kritik geübt wird von Leuten, die im einzelnen etwas verstehen mögen, die sich aber offenbar arglistig eines Gesamtüberblicks enthalten.
Davon hat auch die heutige Diskussion einige Proben geliefert. Ich zweifle nicht daran, daß gewisse kritische Bemerkungen der Opposition zutreffend sind. Diese aber, aus jedem Zusammenhang herausgerissen in die Masse geworfen, liefern jenen Staatsfeinden den Stoff für ihre tägliche Agitation,
und davor möchten wir ausdrücklich warnen. Ich bitte, bei aller berechtigten Kritik, die in einer Demokratie erwünscht ist, immer das große Ganze im Auge zu behalten und billigerweise nicht das allein zu sehen, was jeweils zur Kritik Veranlassung gibt.
Auch wir als Koalitionspartei sind nicht völlig kritiklos. Ich möchte dazu nur folgendes bemerken: Der Herr Wirtschaftsminister Erhard hat es verstanden, getragen von der Konjunktur, in Westdeutschland glatt friedensmäßige Zustände herbeizuführen. Gott gebe es, daß man in Zukunft von diesen Zuständen nicht als „Scheinblüte" sprechen wird, wie wir es vor 25 Jahren schon einmal erlebt haben.
Diese Zustände haben sich auf die Gebiete längs des Eisernen Vorhangs, von Nordbayern über Osthessen bis Niedersachsen und Schleswig-Holstein, leider nicht auswirken können. In diesen Gebieten sitzen jene Volksschichten, und zwar massiert, von denen mein Herr Vorredner Etzel mit Recht sagte: ihnen wird das Augenmerk zuzuwenden sein, wenn es sich um eine einigermaßen gerechte Verteilung des Sozialprodukts handelt. Hier sitzen nämlich weniger die Rentenempfänger als die Garnichtsempfänger und diejenigen, die nichts empfangen können, weil in der Tat in diesen Gebieten selbst für die Arbeitswilligen keine Arbeitsplätze geschaffen werden können. Ich möchte glauben, insoweit ist für den Ostteil Westdeutschlands vom Ministerium noch nicht genug geschehen.
Nun ein anderes: Ich meine, es ist die Mittel-und Großindustrie, der insbesondere das Augenmerk des Herrn Ministers gegolten hat, ebenso wie dem Großhandel. Wir vermissen nach wie vor ein Abtasten seiner Wirtschaftspolitik auf die breiten Schichten des Mittelstandes, seien es die Einzelhändler, seien es die Handwerker, seien es die freien Berufe. Hier ist nicht alles in Ordnung. Hier herrscht zum großen Teil auch nicht die freie Marktwirtschaft, sondern hier herrschen Zwangssituationen — ich brauche nur an die Ärzteschaft zu erinnern —, die in einem freien Staate unmöglich sein sollten. Auch das aber sind Teile der Wirtschaftspolitik.
Endlich aber steht die Öffentlichkeit — ich glaube, nicht ohne jeden Grund — unter dem Eindruck, daß eine Abstimmung wirtschaftspolitischer Pläne zwischen den beteiligten Ministerien, nämlich dem Ministerium des Herrn Dr. Erhard, dem des Herrn Schäffer und dem des Herrn Niklas, nicht immer rechtzeitig stattfindet. Hier wird offenbar konterkariert und gegeneinander gearbeitet. Das führen wir zum Teil darauf zurück, daß bis heute noch kein Staatssekretär für den Mittelstand bestellt und noch kein Referat für das Handwerk eingerichtet ist. Wir sind der Ansicht, daß dies ein Hauptanliegen sein muß; denn wenn es eine Richtung nötig hat, mit ihren Interessen im Bundestag deutlich und klar vertreten zu sein, so sind es diese breiten Schichten des Mittelstandes, mögen sie selbständig sein oder mögen sie abhängige Stellungen haben, die aber eben die große, und zwar zum großen Teil intellektuelle Masse des Volkes ausmachen. In dieser Beziehung ist noch sehr viel zu bessern.
Zum Schluß darf ich auf eines hinweisen: Vom Standpunkt des Nordens unseres westdeutschen Gebietes aus, wo die Herbstsonne nicht so milde scheint wie am Rhein, muß man auf den kommenden Winter mit ängstlichster Sorge blicken, nicht nur weil die Wohnungen kalt sein werden, sondern weil der dortigen gewerblichen Wirtschaft in Eisen, Stahl und Kohle, wenn es so weitergeht, in kürzester Zeit jede Arbeitsmöglichkeit genommen sein wird. Ich bewundere die Ruhe und Gelassenheit, mit der man dieser Sorge anscheinend von Bonn aus entgegensieht.
Wir teilen diese Ruhe nicht. Wir können heute nur sagen: Gott gebe uns einen milden Winter und dem Herrn Minister Erhard zur rechten Zeit die richtigen Einfälle, um der drohenden Not zu steuern.