Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einige tatsächliche Feststellungen, die der Herr Bundeswirtschaftsminister hier eben vorgetragen hat, kritisch beleuchten. Er hat erklärt, daß sich der Außenhandel sehr gut entwickelt habe und von einem Fiasko des Außenhandels gar keine Rede sein könne, daß im Gegenteil demnächst wieder ein Übergang zu einer freien Außenwirtschaft möglich sei.
Wenn man sich einmal die Tatsachen vergegenwärtigt, wie sie zur Zeit bestehen, dann muß man doch diese Behauptung als einigermaßen merkwürdig empfinden. Zunächst haben wir für den Außenhandel ein neues Verfahren bekommen, ein Verfahren, das bei Exporten so kompliziert ist, daß es komplizierter überhaupt nicht sein kann, ein Lenkungsverfahren bürokratischer Art, bei dem für jeden Auftrag eine ganze Fülle von Formularen ausgefüllt werden muß, ein Verfahren zudem, das auf die Ostexporte nicht angewandt werden kann, da für die Ostexporte ja nach wie vor das Embargo besteht. Wir wissen nicht, warum es der Wirtschaftsminister beispielsweise geduldet hat, daß für den Verkehr zwischen Deutschland und den Ländern jenseits des Eisernen Vorhangs eine wesentlich umfangreichere Embargoliste besteht als für die Exporte von Großbritannien nach den gleichen Ländern. Die Ziffern der Liste für Deutschland betragen ein Vielfaches im Verhältnis zu denen, die England auferlegt worden sind.
Auf der anderen Seite ist das Importverfahren alles andere als ein Verfahren, das man marktwirtschaftlich rechtfertigen könnte. Der größte Teil der Importe geht über das sogenannte Fachstellenverfahren. Im Fachstellenverfahren sind Privilegien verewigt, Privilegien, die sich sicherlich mit einer Marktwirtschaft nicht vertragen. Diejenigen Firmen, die in der Fachstelle vertreten sind und dort ihre feste Monatsquote zugewiesen bekommen, haben die Sicherheit eines guten Verdienstes, während sich alle anderen an diesen Importen nicht beteiligen können. Das, was hier geübt wird, ist das genaue Gegenteil von einer Marktwirtschaft.
Wenn dann ferner darauf hingewiesen worden ist, daß der Abbau der Kreditlinie bei der EZU und die Ansammlung von Guthaben im Außenhandel eine besonders erfreuliche Tatsache sei, so ist doch meiner Ansicht nach diese „erfreuliche" Tatsache aus zwei Gründen sehr unerfreulich, die bisher vom Herrn Bundeswirtschaftsminister nicht vorgebracht worden sind. Erstens bedeutet Abbau der Kreditlinien bei der EZU und diese Ansammlung von Guthaben im Außenhandel, daß wir rohstoffmäßig weniger versorgt sind, als wir es hätten sein können. Ferner wirkt sich dies beispielsweise in der Futtermittelversorgung und in dem Ansteigen der Schweinepreise aus, die wahrscheinlich hätten niedriger sein können, wenn man entsprechend der günstigen Devisensituation rechtzeitig und mehr eingekauft hätte.
Diese Ansammlung von entsprechenden Guthaben wirkt sich aber zweitens — und das ist meiner Ansicht nach noch viel verheerender — für uns in der Zahlungsbilanz sehr ungünstig aus. Denn die Bank deutscher Länder muß ja alle diese Guthaben ihrerseits honorieren. Das führt zu einer Aufblähung des deutschen Zahlungsmittelumlaufes, der jetzt fast die 10-Milliarden-Grenze erreicht hat, die Grenze, die gesetzlich überhaupt zulässig ist. Diese Aufblähung des Umlaufes ist ja doch im
wesentlichen darauf zurückzuführen, daß kein Gleichgewicht zwischen Einfuhr und Ausfuhr hergestellt ist. Das also, was uns der Bundeswirtschaftsminister als einen Gewinn und einen Vorteil hat darstellen wollen, ist meiner Ansicht nach im wesentlichen ein großer Nachteil. Man hat ja auch schon früher, im Frühjahr 1950, mit den Importen gezögert, weil man glaubte, bei den Weltmarktpreisen zeige sich ein Trend nach unten. Der Erfolg war damals sowohl auf dem Ernährungssektor wie auf dem allgemeinwirtschaftlichen Sektor der, daß wir für die Importe, die wir dann wirklich durchführen mußten, effektiv wesentlich mehr Devisen nötig hatten.
Eine gleiche Entwicklung zeigt sich jetzt wieder bei Wolle, bei der die Preise stark angestiegen sind und bei der die kommenden Importe eben teurer sein werden, als wenn sie vor 14 Tagen getätigt worden wären.
Ich bin also keineswegs der Ansicht, daß es für ein Land wie Deutschland, das auf die verarbeitende Industrie angewiesen ist und von der verarbeitenden Industrie letzten Endes den größten Teil seiner Bevölkerung ernähren läßt, günstig ist, bei den Einkaufsmöglichkeiten zu horten, statt diese Einkaufsmöglichkeiten bis zum letzten Pfennig auszunutzen.
Eine weitere Frage, die in diesem Zusammenhang erörtert werden müßte, betrifft den Vergleich zwischen Preisentwicklung und Lohnentwicklung. Es ist sicher richtig, daß die Preis- und die Lohnentwicklung in Deutschland in den letzten Monaten günstig gewesen ist und daß die reale Kaufkraft sich relativ gut entwickelt hat, soweit die Lohnempfänger in Frage kommen. Aber die sind doch auch nur ein Teil des deutschen Volkes. Ein großer Teil, die Festbesoldeten, vor allem aber die Unterstützungsempfänger — und wir haben in Deutschland 6,1 Millionen Einkommensbezieher, die unter 100 Mark im Monat beziehen —, alle diese Menschen haben gar nichts davon, daß sich die Lohnkurve erhöht hat, sondern die spüren nur die Erhöhung der Preise. Auch an diese Menschen muß man denken, wenn man hier einen Vergleich anstellt.
Ebenso ist es auch nicht möglich, einfach Zahlen zu vergleichen, ohne die Ausgangsbasis zu berücksichtigen. Bei einem wesentlich erhöhten Lebensstandard ist natürlich die Steigerung nicht in demselben Prozentsatz möglich wie bei einer niedrigeren Ausgangsbasis, wie wir sie in Deutschland hatten. Ich gebe zu, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat auf diesen Punkt hingewiesen. Er hat aber vergessen, dabei die große Zahl derjenigen zu erwähnen, die tatsächlich noch dasselbe Einkommen haben wie vor den starken Preissteigerungen, die wir erleben mußten.
Er ist auf die Kohlenimporte zu sprechen gekommen und hat erklärt, für Gesamteuropa stünden 20 Millionen Tonnen zur Verfügung. Meine Damen und Herren, das mag ja alles sein. Die Frage ist aber doch, ob in Deutschland richtig gewirtschaftet worden ist. In diesem Zusammenhang werden immer wieder die These und die Antithese von Marktwirtschaft und Bedarfsdeckungswirtschaft vorgetragen. Ich möchte doch bitten, diese Auseinandersetzung nun endlich nicht mehr in einem politischen Parlament zu führen, sondern sie den Professoren auf den Hochschulen zu überlassen. Wenn man die Dinge in den Zeitschriften und sonstigen Veröffentlichungen verfolgt, findet man
Vorschläge der einen und der anderen Seite, die aber praktisch nur geringfügig voneinander abweichen. Ich glaube, es gibt keinen, der eine Marktwirtschaft nach Modell fordert, ebenso wie es kaum einen gibt, der sich Bedarfsdeckungswirtschaft nach Modell vorstellen könnte. Damit haben wir es hier doch auch gar nicht zu tun, sondern wir haben es mit der praktischen Wirtschaft zu tun. Alle Dogmatik und Theorie wirkt hier nur verwirrend, weil es von den eigentlichen Tatsachen ablenkt.
Diese eigentlichen Tatsachen bestehen darin, daß wir in der Kohlenwirtschaft zwar eine Lenkung haben, aber eine sehr schlechte Lenkung. Wir haben einen Großteil von Verbrauchern, die privilegiert versorgt werden. Ich erinnere beispielsweise an die Bundesbahn oder, bisher, an die Stahlwerke. Durch diese bevorzugte Versorgung wird der innerdeutsche Markt, der nach den Exporten noch verbleibt, so verknappt, daß für die anderen, die nichts zugeteilt bekommen, nichts anderes übrig bleibt, als wahnsinnige Überpreise zu zahlen. Das liegt nicht an Marktwirtschaft oder nicht Marktwirtschaft, sondern daran, daß das Lenkungssystem schlecht ist und den Markt für diejenigen, die nicht zu den privilegierten Kreisen gehören, so verknappt, daß es zu der eben geschilderten Folge führt.
— Herr Preusker, man kann darüber streiten, ob freie Preise hier wirklich eine wesentliche Erleichterung bringen würden. Jedenfalls, das jetzige System kann so überhaupt nicht funktionieren. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dieses Lenkungssystem hier verteidigt. Dazu kann ich nur
sagen: ich verstehe nicht, woher er den Mut dazu nimmt, Preise zu vertreten, die bis auf 160 und 170 Mark je Tonne angestiegen sind, was dazu geführt hat, daß beispielsweise den Büros und den freien Berufen für den ganzen Winter nur 1,2 Zentner Kohle zugeteilt werden sollen. Meine Damen und Herren, wie soll man denn mit 1,2 Zentnern ein Büro oder einen Handwerksladen den ganzen Winter hindurch heizen können! Das ist doch nichts anderes als blutiger Hohn und hat mit Lenkung oder Bewirtschaftung nichts mehr zu tun.
Ich darf dann kurz noch auf die Eisenversorgung eingehen. Leider ist meine Redezeit schon wieder zu Ende. Das ist ja das übliche bei uns, daß wir immer nur einen ganz kleinen Teil der Dinge, die wir auf dem Herzen haben, sagen dürfen. Das hängt eben mit dem Schwergewicht der Fraktionen zusammen, worauf vorhin schon hingewiesen wurde. Meine Damen und Herren, zur Eisenfrage noch ein kurzes Wort. Die Eisenversorgung in Deutschland wird vor allem dadurch entscheidend geschmälert, daß wir sehr viel Walzmaterial ausführen. Generaldirektor Northoff, der jetzt von einer Südamerikareise zurückgekehrt ist, hat erklärt, daß er die gesamten südamerikanischen Häfen voll deutschen Walzmaterials gesehen habe, daß es ihm aber nicht möglich gewesen sei, Bleche in Deutschland zu kaufen und für die verarbeitende Industrie einzusetzen. Diese Erscheinung ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß wir bei einer deutschen Gesamtproduktion von rund 700 000 t nicht weniger als 180 000 t als Walzmaterial exportieren, bevor es also durch die deutsche verarbeitende Industrie gegangen ist. Diese Exporte von 180 000 t monatlich stehen im
Widerspruch zu dem Versprechen, das uns der Bundeswirtschaftsminister in diesem Frühjahr gegeben hat. Damals hat uns der Bundeswirtschaftsminister zugesagt, es würden nicht mehr als 120 000 t Eisen- und Stahlmaterial exportiert werden. Er hat aber zugelassen, daß 180 000 t exportiert worden sind.
Man kann das nicht etwa mit angeblichen Importnotwendigkeiten entschuldigen; das ist ja die Melodie, die uns hier immer vorgespielt wird. Diese 60 000 t — —
Ich habe nun schon lange genug gerade in dieser Hinsicht Vorschläge gemacht, ohne daß es uns bisher gelungen wäre, die Schwerfälligkeit des Herrn Bundeswirtschaftsministers in ein etwas schnelleres Tempo zugunsten der deutschen Wirtschaft zu verändern.
— Ob das eine Anmaßung ist, Herr Etzel, oder nicht, beweisen die Zahlen.
— Ob Sie es für richtig halten oder nicht, das kratzt mich wenig. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß der Bundeswirtschaftsminister uns seinerzeit versprochen hat, nicht mehr als 120 000 t exportieren zu lassen, im Gegensatz dazu aber 180 000 t Export zugelassen hat. Es handelt sich dabei um eine sehr lebenswichtige Frage, so daß ich in diesem Zusammenhang wohl von Schwerfälligkeit sprechen kann, ohne daß man mir den Vorwurf der Anmaßung machen kann.
Es kommt noch die alte volkswirtschaftliche Erfahrung hinzu, daß zwischen der Eisenproduktion einerseits und der gesamten volkswirtschaftlichen Tätigkeit andererseits ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Hätten wir diese 60 000 t monatlich mehr verarbeitet, dann würden wir in Deutschland wesentlich weniger Arbeitslose haben. Kommen Sie doch einmal in unser Revier und fragen Sie nach, ob nicht eine ganze Reihe von Betrieben in der Lage wäre, eine zweite und dritte Schicht einzulegen, wenn man ihnen nur das Material dazu gäbe! Es ist einfach nicht wahr, wenn man sagt, bei der Arbeitslosenzahl handle es sich um eine Zahl, die unabdingbar sei. In England gibt es 24 Millionen Beschäftigte, in Amerika über 60 Millionen. In Deutschland haben wir 15 Millionen. Das ist ein Anteil, der wesentlich geringer ist als in anderen Volkswirtschaften. Meine Damen und Herren, das ist zum großen Teil die Schuld unseres Bundeswirtschaftsministers!