Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wäre offengestanden auf ernsthaftere Einwände gefaßt gewesen.
Hier ist gesagt worden, ich sei unter die Räder gekommen, es sei alles schiefgegangen, und ich sei überrollt worden.
Schließlich hieß es: Wenn man sich nicht an äußerliche Tatsachen halte — ich habe allerdings den Eindruck gehabt, daß sich der Redner nicht an äußere Tatsachen gehalten hat; ich weiß jedoch nicht, an was sonst —, dann könne man nur von einem Zusammenbruch und einem Fiasko sprechen. Der Redner erwähnte dabei insbesondere das Fiasko des Außenhandels. Nun, meine Damen und Herren, wollen wir bei diesem Thema einmal bleiben. Wir haben ja schon im Februar und März gehört, daß wir mit unserer Handelspolitik Schiffbruch erlitten hätten, daß wir Bankrott ansagen müßten, weil wir eben mit unserer Handelspolitik völlig versagt hätten.
Es ist richtig, wir haben nach Korea — obwohl ja nach Ihrer Auffassung Korea ausgerechnet auf die deutsche Volkswirtschaft gar keinen Einfluß ausgeübt hat —
Rohstoffe einkaufen müssen. Diese haben sich in der Zwischenzeit im Durchschnitt um 67 % verteuert. Wir haben Nahrungsmittel einkaufen müssen. Diese haben sich um 40 % verteuert. Unser Export, der schon wieder in einer friedenswirtschaftlichen Struktur zu über 75 % aus Fertigwaren besteht, ließ die Erzielung höherer Preise jedoch nur im Ausmaß von 17% zu,
mit der Wirkung, daß dadurch der deutschen. Volkswirtschaft eine außerordentlich starke Belastung erwuchs.
Als wir dann im Frühjahr dieses Jahres zu der
bekannten Ausweitung des Kreditspielraumes bei der
EZU kommen mußten, weil die ursprüngliche Bemessung von 320 Millionen Dollar nach allgemeiner
Auffassung für die deutschen Verhältnisse und für
die Entwicklung des deutschen Außenhandels zu
kurz bemessen war, da wurden von Ihrer Seite
diese düsteren Prophezeiungeru geäußert.
Wir haben seinerzeit diese zusätzliche Kreditlinie, die uns bis zu einer Inanspruchnahme von 480 Millionen Dollar eingeräumt war, weitgehend ausnützen können. Das „Fiasko des Außenhandels" aber stellt sich heute wie folgt dar. Wir hatten diesen zusätzlichen Kredit in dem Augenblick schon zurückgezahlt, als wir beginnen mußten, Raten zurückzuzahlen. Wir haben heute diesen Kredit aus dem laufenden Geschäft mit 140 Millionen Dollar ausgenützt. Dazu kommen alte Verpflichtungen aus der JEIA-Zeit mit noch ungefähr 30 Millionen Dollar. Das heißt, wir haben insgesamt bei der EZU Kredite von 170 Millionen Dollar in Anspruch genommen, obwohl der Kreditspielraum, der uns dank der allgemeinen Ausweitung, die allen Ländern im Juli zuteil wurde, auf 500 Millionen Dollar läuft. Von 500 Millionen Dollar sind also 170 Millionen Dollar in Anspruch genommen. Die Dollarbestände bei der Bank deutscher Länder haben sich in der Zwischenzeit nach einer weitgehenden Erschöpfung auf jetzt wieder über 400 Millionen Dollar angereichert.
Wir haben für bereits hereingenommene Waren nicht einen Cent Devisenverpflichtungen,
während wir umgekehrt für bereits geleistete Exporte über ein Guthaben von über 550 Millionen Dollar verfügen.
Das ist das „Fiasko des deutschen Außenhandels"!
Nun aber etwas Weiteres. Der Herr Referent sagte, es gehe eben nicht ohne Lenkung und ohne Planung ab. Ich möchte jetzt einmal sagen: Ich kann es ja machen, wie ich will; Sie werden unter allen Umständen ein Argument gegen mich finden! Würde ich ohne jede Beweglichkeit auf einer ganz bestimmten Linie bleiben, dann würden Sie sagen: Der ist so stur; mit dem kann man überhaupt nicht reden. Finde ich mich aber aus der gegebenen Situation heraus, weil ich eben nicht so dogmatisch bin wie Sie, bereit, eine taktische Wendung vorzunehmen, dann wird mir Verrat an der Marktwirtschaft vorgeworfen.
Die Verantwortung können Sie ruhig mir überlassen!
Wenn Herr Dr. Kreyssig glaubt, daß wir drauf und dran sind, in eine neue Zwangsbewirtschaftung hineinzukommen, dann möchte ich sagen: ich glaube vielmehr, daß ich drauf und dran bin — und die Verhandlungen und Bestrebungen sind mitten im Gange —, aus der Bewirtschaftung wieder herauszukommen. Wir werden also den umgekehrten Weg gehen.
Im übrigen zu der „Knappheit". Meine Damen und Herren, mit Ausnahme der deutschen Grundstoffe,
über die noch zu sprechen sein wird, habe ich es nicht erlebt, daß in dieser ganzen Zeit seit Korea irgendein Bedarf, irgendeine auf den Markt kommende Nachfrage unbefriedigt geblieben ist.
Wir haben es immer zustande gebracht, unter Aufrechterhaltung der freien Konsumwahl jeden Bedarf abzudecken.
Noch etwas anderes. Es wurde hier auch von einem „sozialen Ärgernis" gesprochen. Wollen wir mal sehen, wie das „soziale Ärgernis" aussieht. Da wir in der Welt nicht allein stehen, sondern internationale Vergleiche ziehen können, möchte ich auch darauf zu sprechen kommen. Ich erkläre ausdrücklich, nicht alles, was sich in Deutschland vollzieht, ist nun kausal unbedingt mit dem Koreakonflikt in Verbindung zu bringen. Aber sicher ist doch, daß alle europäischen Volkswirtschaften von dem Koreakonflikt nachhaltig betroffen wurden. Man braucht nur die Erscheinungen auf den europäischen Märkten anzusehen, um sich dessen bewußt zu werden. Es war ja nicht etwa eine List der Idee, daß die Preise in allen Ländern gestiegen sind und Lohnangleichungen vonnöten waren, sondern das waren Folgewirkungen von schweren Erschütterungen, die den ganzen Weltmarkt umfaßten.
Aber nun zu dem internationalen Vergleich. Ich habe, um die Dinge einmal auf eine objektive Grundlage zurückzuführen, — um also an äußerlichen Tatsachen zu messen, Herr Dr. Kreyssig — eine Zusammenstellung auf Grund der nationalen Statistiken in den wichtigsten europäischen Ländern anfertigen lassen, um festzustellen, wie sich in diesen Ländern — England, Frankreich, Italien, Schweiz, Schweden, Holland, Belgien, die wichtigsten Länder sind alle dabei — seit dem ersten Halbjahr 1950 die Entwicklung vollzogen hat. Wir können mit Recht annehmen, daß das erste Halbjahr 1950 in allen diesen europäischen Ländern von politischen Störungen frei war. Es schien angemessen und methodisch einwandfrei, die Ziffern des ersten Halbjahres 1950 als Basis, d. h. in der statistischen Rechnung als Hundert-Grundlage heranzuziehen, um darauf bezogen auszurechnen, wie sich die Lebenshaltungskosten auf der einen Seite und die Lohneinkommen auf der anderen Seite entwickelt haben. Dabei ergibt sich ein so interessantes Bild, daß es unter dem Aspekt des „sozialen Ärgernisses" besonders gewertet werden sollte. In einer Reihe von europäischen Ländern haben sich, gemessen am ersten Halbjahr 1950, die Preise bzw. die Lebenshaltungskosten stärker erhöht als die Löhne. Überhaupt möchte ich sagen, von allen europäischen Ländern mit Ausnahme der Schweiz, die noch einen Punkt tiefer liegt, ist die Preissteigerung in Deutschland am geringsten geblieben. Jeder, der die Möglichkeit hat, einmal über die Grenzen unseres Landes zu blicken und Einblick in die dortigen Verhältnisse zu nehmen, wird das bestätigen müssen, was im übrigen überhaupt nicht mehr bestritten wird. Die Preisentwicklung allein aber wäre noch kein hinreichendes Maß für eine soziale Bewertung, und deshalb muß zu der Preisentwicklung und zu der Lebenshaltungskostenentwicklung auch die Lohnentwicklung zum Vergleich herangezogen werden,
mögen Sie die Bruttostundenlöhne oder die Bruttowochenlöhne nehmen. Dann aber wird das Bild
noch interessanter. Ich sagte schon vorhin: in einer
Reihe von Ländern sind die Löhne hinter der
Preisentwicklung zurückgeblieben. In anderen Ländern, wie vor allen Dingen in den planwirtschaftlich organisierten, ergibt sich eine sklavische Über-
einstimmung von Preis- und Lohnentwicklung. In ganz wenigen Ländern hat die Lohnkurve die Preiskurve überragt, aber in keinem europäischen Land so stark wie in Deutschland.
In Deutschland ist nämlich die Lohnkurve um 12% über die Preiskurve angestiegen.
Damit ist nichts über den absoluten Lebensstandard ausgesagt;
das gebe ich zu. Aber es ist etwas ausgesagt, wie sich seit Mitte vorigen Jahres, seit dem Koreakonflikt, von dem aus ja unsere Wirtschaftspolitik besonders verhängnisvoll gewesen sein soll, die sozialen Verhältnisse in Deutschland entwickelt haben, und dieser Beweis ist zwingend.
Im übrigen habe ich dieses Material mit Schaubildern und Zahlenunterlagen Ende Juli der Deutschen Gewerkschaftsführung, und zwar Herrn Fette persönlich, mit der Bitte überreicht, er möge das Material durch das wissenschaftliche Institut der Gewerkschaften prüfen lassen und er möge es mir mit den Anmerkungen dieses Instituts wieder zurückgeben. Ich habe das Material zurückerhalten ohne Anmerkungen des Gewerkschaftsinstituts!
Ich habe diese Zahlen in der Zwischenzeit auch in mindestens zwanzig Versammlungen öffentlich genannt, und es ist mir noch keine Widerlegung zuteil geworden.
- Das zu dem „sozialen Ärgernis".
Nun, meine Damen und Herren, komme ich auf die Kohle zu sprechen. Auch hier wird die Sache so dargestellt, als ob das ein ausschließlich deutsches Problem wäre.
In der Zwischenzeit hat sich deutlich genug erwiesen, daß z. B. durch eine besondere Organisation bei der OEEC in Paris das Problem der europäischen Kohlenversorgung als ein Ganzes betrachtet wird, daß auch die Verhandlungen mit Amerika nicht mehr von einzelnen Volkswirtschaften, sondern für Europa geschlossen geführt werden, mit der Wirkung, daß sich Amerika in diesem zweiten Halbjahr zu einer Leistung von 16 Millionen Tonnen Kohle für Gesamteuropa entschlossen hat.
Was die 20 Zentner Kohle anbelangt, so stehe ich noch einmal hier zu meiner Erklärung, daß pro Haushalt 20 Zentner Kohle zugeteilt werden.
Wenn gestern im Landtag Nordrhein-Westfalen die Kohlezuteilung auf Grund der jetzigen Haushaltszählung oder, besser gesagt, der Anmeldung als Haushalte und durch die dadurch bewirkte Erhöhung der Zahl der Haushalte rein rechnerisch mit nur 18,3 Zentnern angegeben wurde, dann wissen wir ehr genau, daß bei den Haushaltsanmeldungen sehr großzügig verfahren wurde. Soweit echte Haushalte vorhanden sind, stehe ich auch für Nordrhein-Westfalen dafür gerade, daß 20 Zentner zugeteilt werden.
Dann ist von der schwarzen Kohle die Rede, von der „schwarzen" schwarzen Kohle, die im Ausmaß von 1 Million Tonnen in Nordrhein-Westfalen gehandelt werden soll. Ja, da kann ich Ihnen nur sagen: Sie spotten Ihrer selbst und wissen nicht, was Sie tun!
Denn die Kohle ist ausgerechnet das Produkt, das in einem Maße zentral gelenkt und zentral gesteuert wird,
daß hier mit Ausnahme einer globalen Aufteilung durch den Wirtschaftsminister er für einen Schwarzmarkt auf keinen Fall mehr verantwortlich zu machen ist.
Es sind vor allen Dingen Ihre Gewerkschaften, die IG-Bergbau, die die verantwortliche Institution, den DKV, unter allen Umständen am Leben erhalten möchte, weil sie nur durch den DKV eine sichere Verteilung gewährleistet sieht.
Wenn also unter dem DKV nach Ihrer Meinung 1 Million Tonnen Kohle schwarz gehandelt werden, dann scheint hier die zentralbürokratische Institution eben nicht richtig zu funktionieren.
Zu der Investitionspolitik. Ich darf darauf verweisen, daß ich es gewesen bin, der zunächst den von Ihnen — das ist Ihr gutes Recht — abgelehnten Sparmarkenplan entwickelt hat. Ich war es auch wieder, der dann im Einvernehmen und in Besprechungen mit der gewerblichen Wirtschaft die Investitionshilfe zur Diskussion gestellt hat, mit der wir uns noch zu befassen haben. Man kann also nicht sagen, daß wir uns um diese Dinge nicht bekümmerten. Im Gegenteil, wir haben alles getan, und ich stehe ja auch dauernd in Verbindung — und ich bin sehr dankbar dafür — z. B. mit der IG-Bergbau, um zu prüfen, mit welchen Mitteln man die Kohlenförderung steigern könnte.
Denn das ist in der Zwischenzeit klar geworden: mit Verteilungsakrobatik ist dieses Problem nicht mehr befriedigend zu lösen, sondern es muß von der Förderung aus angepackt werden.
Weiter bin ich aufgefordert worden zu erklären, ob ich zur Vollbeschäftigung stehe. Die Erklärung kann ich Ihnen gern abgeben: ich habe keine andere Sehnsucht und kein anderes Verlangen, als ein größtmögliches Maß an voller Beschäftigung für das deutsche Volk zu erreichen.
Aber damit ist nicht ausgesagt, daß ich zu dem sozialistischen Dogma der Vollbeschäftigung stehe, das nach meiner festen Überzeugung allerdings zu einer Inflation und zu einem Verfall der Währung führen muß.
Dann wird ein Gegensatz daraus konstruiert, daß
ich im Frühjahr gesagt habe, die Verteidigung
werde Opfer erfordern, und jetzt für eine Steigerung des Verbrauchs eingetreten bin. Das ist kein
Gegensatz, sondern ich will Ihnen sagen, wie die
Dinge sehr logisch zusammenhängen. Sie hängen
nämlich insofern logisch zusammen, als das klar
ist: je größere Opfer ein Volk zu bringen hat und
je größere Anstrengungen eine Volkswirtschaft zu
machen hat, um einen Beitrag zur Verteidigung
zu leisten, um so wichtiger ist es, die Produktion
auszudehnen, die Produktivität zu erhöhen, um die
Lebensmöglichkeiten des einzelnen zu verbessern,
sein Einkommen zu erhöhen und neue Arbeitskräfte in den Produktionsprozeß einzubeziehen.
Das geschieht durch eine Ausweitung des Sozialprodukts. Selbstverständlich werden dann durch den notwendigen Verteidigungsbeitrag individuelle Opfer erforderlich werden. Das Opfer, das wir aber in Form des Verteidigungsbeitrags zu bringen haben, wird sich leichter tragen lassen und wird geringere soziale Erschütterungen auslösen, wenn es auf ein Sozialprodukt von 120 Milliarden gegründet werden kann anstatt auf ein solches von nur 100 Milliarden. Und das ist unsere Politik.
Dann ist mir hier vorgeworfen worden, ich habe nicht genügend getan, um die Stabilität der Preise zu wahren. Ich brauche hier nur auf das zu verweisen, was ich vorhin über die Preisentwicklung in Deutschland und im übrigen Europa gesagt habe. Aber, meine Damen und Herren, Sie scheinen doch die Presse wenig verfolgt zu haben; denn sonst hätten Sie aus vielen offenen Briefen in den Organen der Textilwirtschaft und der Schuhwirtschaft lesen müssen, daß ich sehr energisch vom Leder gezogen bin und dort auf die Preise einen Einfluß — und zwar nicht in Richtung einer Stabilität, sondern in Richtung einer Preissenkung — ausgeübt habe. Ich habe es an offenen Worten auch gegenüber der Industrie und der gewerblichen Wirtschaft nicht fehlen lassen. Es kann mir skein Mensch nachsagen, daß ich hier nicht alles getan hätte, um die Leute zur Disziplin, zur Besinnung und zum gesunden Menschenverstand zurückzuführen.
Ich habe auch in den Bereichen, in denen die Preisüberwachung vonnöten war, immer wieder an die Länder entsprechende Aufforderungen ergehen lassen; aber ich habe bisher noch nicht festgestellt, daß die mit allen Vollmachten ausgestatteten Exekutivorgane — und die liegen ja ausschließlich bei den Ländern — etwa in den sozialistischen Ländern erfolgreicher operiert hätten als in den politisch anders strukturierten Ländern.
Wenn die Zahl von 1,5 Millionen Arbeitslosen genannt worden ist, dann ist wohlweislich verschwiegen worden, daß die Zahl der Beschäftigten in dieser ganzen Zeit ebenfalls zugenommen hat.
Sie alle wissen, wenn Sie die Dinge ehrlich betrachten, sehr wohl, daß die Zahl von 1,5 Millionen
Arbeitslosen eine sehr euphemistische Ziffer ist, die mit den Realitäten kaum mehr übereinstimmen dürfte.
Meine Damen und Herren, hier ist gesagt worden, das deutsche Volk müsse das ausbaden, was wir ihm durch unsere Wirtschaftspolitik eingebrockt hätten. Ich sage hier an dieser Stelle noch einmal: ich übernehme für die deutsche Wirtschaftspolitik die volle Verantwortung einschließlich des sozialen Schicksals, das nach Ihrer Meinung für das deutsche Volk so verhängnisvoll geworden ist.
Ich sage Ihnen aber: das deutsche Volk hat nicht die Suppe auszulöffeln; sondern wenn überhaupt in dem Pott noch Suppe drin ist, dann haben wir sie hineingeschüttet!