Meine Damen und Herren! Bei der Höhe der heutigen Steuersätze ist Finanzpolitik im wesentlichen nur ein Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Dieser Grundsatz, daß Finanzpolitik ein Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik zu sein hat, ist von unserem Finanzminister in vieler Hinsicht und oft verletzt worden. Dieser Grundsatz, für uns einer der obersten, wäre aber dringend zu beachten. Der Bundesfinanzminister könnte schon etwas Gutes tun, wenn er nicht ständig etwas Neues erdenken und erfinden, sondern sich in erster Linie mit einer Verbesserung des Bestehenden begnügen würde. So ist er ständig bemüht, neue Steuern zu erfinden oder einmal von ihm erdachte in ständig neuen Variationen uns vorzulegen.
Da ist z. B. die hochgepriesene Luxussteuer, die dann hinterher Sonderumsatzstetuer hieß und jetzt
Aufwandsteuer genannt wird. Es ist aber in allen drei Fällen dasselbe steuerliche Kind, das der Herr Bundesfinanzminister hier von uns zur Geburt bringen lassen will. Die wichtigste Aufgabe für den Bundesfinanzminister wäre es aber, nicht neue Steuern zu erfinden oder Steuerpläne, die er einmal gehegt hat, immer wieder vorzulegen, sondern die Steuern gerecht und gleichmäßig erheben zu lassen. Und hier scheinen mir, glaube ich, die allergrößten Reserven zu liegen. Wenn wir auf diesem Gebiete Verbesserungen fänden, würde wahrscheinlich die größte Sorge um ein Haushaltsdefizit beseitigt werden.
Ich will nicht theoretisieren, sondern einmal aus der Praxis erzählen, woran ich dabei denke. Ein Oberregierungsrat läßt sich von mehreren Steuerpflichtigen, deren Akten er zuständigkeitshalber zu bearbeiten hat, Darlehen gemäß § 7 c des Einkommensteuergesetzes in einem Gesamtbetrag von 50 000 DM gewähren und errichtet sich dafür ein Haus, das zwar hochbelastet ist, für das er aber keine Zinsen zu zahlen hat. Es ist natürlich nicht anzunehmen, daß hierbei ein Fall einer Bestechung vorliegt; aber immerhin ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß ein Zusammenhang zwischen der Steuerprüfung einerseits und der Darlehensgewährung andererseits vorliegt.
Ein anderer Fall: Ein Prüfer des mittleren Dienstes läßt sich von einem einzigen Steuerpflichtigen ein größeres Darlehen, ebenfalLs nach § 7 c des Einkommensteuergesetzes gewähren. Der Oberfinanzpräsident gibt sogar seine Genehmigung dazu.
Ein anderes Beispiel. Ein Prüfer erscheint bei einer Firma und legt Kontrollmitteilungen anderer Firmen auf den Tisch. Kontrollmitteilungen sind Mitteilungen, die durch denselben oder andere Prüfer über Geschäftsvorfälle bei Geschäftsfreunden des zu prüfenden Betriebs gemacht wurden und in denen insbesondere auch Umsatzvorgänge festgehalten worden sind. Dieser besagte Prüfer läßt die Kontrollmitteilung auf dem Tisch liegen, weist darauf hin, daß er die und die Kontrollmitteilungen habe, entfernt sich unter einem nichtigen Vorwand, der Chef der zu prüfenden Firma beseitigt die Kontrollmitteilungen, und der Prüfer ist mit diesem Vorgang nicht nur einverstanden, sondern hat ihn durch die Art seiner Prüfung selbst herbeigeführt. Entsprechende Vorteile für den Prüfer in Form von bestimmten Zuwendungen folgen.
— Ich bin ja kein Staatsanwalt, Herr Pelster!
Ein anderes Beispiel. Zahlreiche Prüfer der Finanzämter leisten den Steuerpflichtigen ihres Bezirks Hilfe als Steuerberater. Das werden Sie auch aus Ihrem Bezirk wissen, Herr Pelster. Es ist nicht selten, daß der zuständige Sachbearbeiter sogar seine Dienststunden dazu benutzt, um mit den Steuerpflichtigen die Bilanzen fertigzumachen. In einzelnen Fällen ist beobachtet worden, daß Beamte ihre Dienstzeit dazu verwenden, den Steuerpflichtigen Rechtsrat zu gewähren und bei Verhandlungen mit Dritten zur Seite zu stehen.
Alle diese Fälle beweisen, daß der Betriebsprüfungsdienst nicht so funktioniert, wie er hätte funktionieren sollen. Die Tatsache, daß auf diesem Gebiet etwas getan werden müßte, ist, glaube ich, von keinem Einsichtigen zu bestreiten.
Man kann mir nun einwenden, daß diese Herren zu wenig verdienten und daß die Verdienste, von denen sie bei ihren Prüfungen Kenntnis erhielten, zu hoch seien und sie dann den übermäßigen Versuchurigen erlägen. Ich will das gar nicht bestreiten; aber dann müßte in mehrfacher Hinsicht der Dienst der Buch- und Betriebsprüfer verbessert werden.
Der erste Weg wäre der, den betreffenden Prüfern ganz allgemein den Weg in die höhere Beamtenlaufbahn zu öffnen und nicht nur die leitenden Beamten als Regierungsräte und Oberregierungsräte zu den einzelnen Firmen zu schicken, sondern die Prüfer selbst aus dem höheren Dienst heraus zu nehmen.
Der zweite Weg wäre der, daß von allen Beamten eidesstattliche Versicherungen darüber zu fordern wären, daß sie nicht in ihrer Freizeit die Steuerpflichtigen noch beraten und ihnen Rechtsrat oder Steuerrechtsrat erteilen.
Drittens müßten grundsätzlich alle Genehmigungen zur Entgegennahme von irgendwie gearteten Vorteilen usw. — auch von Darlehen nach § 7 c des Einkommensteuergesetzes — versagt werden.
Viertens wäre es erforderlich, daß die zugelassenen Steuerberater, Helfer in Steuersachen, Wirtschaftsprüfer, Fachanwälte für Steuerrecht usw. dafür geradezustehen hätten, daß die von ihnen erstellten Bilanzen sowohl den Belangen des Steuerrechts als auch denen des Fiskus entsprechen. Wir haben in England die Institution des Chartered Accountant. Durch diese Institution sind in England Prüfungen weitgehend überflüssig geworden, und der Staat kann sich hundertprozentig auf diese Art der Prüfung durch eine derartige freiwillige Selbstkontrolle verlassen.
Wenn man fünftens in besonderen Fällen den steuerberatenden Berufen zugestehen würde, die Buch- und Betriebsprüfung ihrerseits vorzunehmen, natürlich unter Zubilligung angemessener Honorare, so würden zahlreiche von den Prüfern versehentlich oder aus anderen Gründen nicht entdeckte Verstöße aufgedeckt werden. Es würde ferner, sobald die Prüfer wüßten, daß sie von sachverständiger Seite kontrolliert werden, eine Quelle der Korruption verschüttet werden.
Es würde sechstens grundsätzlich zu erwägen sein, statt den staatlichen Buch- und Betriebsprüfungsdienst auszubauen — und das ist ja wohl der Gedankengang des Bundesfinanzministers —, die Hilfsstellung der steuerberatenden Berufe für die staatliche Steuererfassung dadurch zu verstärken, daß man rücksichtslos Zulassungen widerruft, wenn auch nur die geringste Inkorrektheit eines Angehörigen eines steuerberatenden Berufs festgestellt wird. Diesen Angehörigen eines steuerberatenden Berufs müßte außer der Aufstellung der Bilanz zur Pflicht gemacht werden, dieselbe Prüfung anzustellen, die der Prüfer des Finanzamts anzustellen hat. Durch dieses Verfahren muß vor allem erreicht werden, daß diejenigen Steuerpflichtigen, die steuerehrlich sind, nicht mehr über Gebühr herangezogen werden. Es hat sich in der letzten Zeit — und darüber wird auch mit Recht heftig Klage geführt — herausgestellt, daß diejenigen Steuerpflichtigen, die ehrlich sind, sehr schwer herangezogen werden, während andere mit leichter Hand behandelt worden sind.
Wenn diese weit verbreiteten Mängel des Buch-und Betriebsprüfungsdienstes der Finanzämter beseitigt werden könnten, dann würde, glaube ich, eine der Hauptursachen für die Divergenz im Aufkommen von Lohnsteuer einerseits und Einkommen- und Körperschaftsteuer andererseits wegfallen. Ich kann mir vorstellen, daß der Bundesfinanzminister sich selbst sehr große Sorge darüber
macht, daß die Einkommensteuer der Veranlagten seit 1949 in ständigem Rückgang begriffen ist, obwohl die allgemeine Wirtschaftslage sich aufwärts entwickelt hat, während die Lohnsteuer sich in ständigem Anstieg befindet und zusammen mit der Lohnsteuer, die für die Arbeitnehmer im Notopfer Berlin enthalten ist, sogar einen recht steilen Anstieg entsprechend der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung aufweist.
Hier ist der Hebel zunächst anzusetzen. Sobald diese divergierende Entwicklung des Steueraufkommens der Veranlagten einerseits und der Lohnsteuerpflichtigen andererseits aufhören würde, würden wir es nicht nötig haben, uns hier ständig mit neuen Steuerplänen herumzuärgern. Es kommt darauf an, daß das Bestehende verbessert wird und daß die ehrlichen Steuerzahler vor neuen Steuern geschützt werden, die sie nur deshalb zahlen sollen, weil die Steuersünder nicht gefaßt werden können.