Meine Damen und Herren! Es ist nicht ganz uninteressant, daß die Beratung der einzelnen Pläne ohne eine Stellungnahme der einzelnen Fraktionen, insbesondere also auch der Regierungsfraktionen, vorübergeht. Ich denke, daß der Haushalt, der jetzt zur Beratung steht, doch Veranlassung geben müßte, einige Bemerkungen zu dem zu machen, was seitens des Ministeriums in dieser nicht unwichtigen Frage insgesamt geleistet worden ist.
— Jawohl, denn gerade wir haben besondere Veranlassung,
Herr Schütz und Herr Kuntscher, gegenüber den Tendenzen, die von bestimmten Seiten unter den Umsiedlern und Flüchtlingen als Politik vertreten werden, vor der Öffentlichkeit einmal die politischen Absichten, die mit dieser Politik in den Organisationen verfolgt werden, einmal in ihrem gesamten Umfang aufzuzeigen. Aber ich glaube, es wird zweckmäßig sein, zunächst auf einige wenige Fragen einzugehen, zunächst auf die Frage nämlich, was die Regierung seit ihrem Bestehen getan hat, um für die rund 7 Millionen Umsiedler und Flüchtlinge die Frage des Arbeitsplatzes, die Frage der Wohnungsbeschaffung, die Frage der Unterstützung der Bauern unter den Flüchtlingen und Umsiedlern, die Frage der Fürsorge, die Frage der Flüchtlingsbetriebe usw. zu lösen. Wir haben in Westdeutschland auf der Grundlage der von mir bereits genannten Zahl einen Anteil von 16,2 % der Umsiedler an der Gesamtbevölkerung. Demgegenüber beträgt dieser Anteil im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik 24,3 %. Die Voraussetzungen für entscheidende Maßnahmen zur Seßhaftmachung der Umsiedler und Flüchtlinge sind also hier objektiv günstiger als im Gebiet der DDR.
Lassen Sie mich nun einige Fragen in der bereits angedeuteten Richtung aufgreifen. Es ist Ihnen ja nicht unbekannt, daß auch heute noch, genau so, wie wir es bei dem vorigen Etat bereits feststellen mußten, der prozentuale Anteil der Umsiedler und Flüchtlinge an der Gesamtzahl der Arbeitslosen nach wie vor mehr als 40 v. H. beträgt; die Anzahl der Jugendlichen ist dabei besonders erschreckend hoch. Ich glaube, daß die Möglichkeiten, ihnen allen Arbeit zu beschaffen, Lehrwerkstätten und Lehrlingsstellen zu geben, absolut gegeben wären, wenn nicht die Politik der Regierung und auch des Ministeriums des Herrn Dr. Lukaschek in einer völlig falschen Orientierung die Arbeitsmöglichkeiten, in erster Linie in der Richtung der Entwicklung der Grundstoffindustrien für die Kriegsproduktion, sehen würde, anstatt insbesondere die Fertigindustrie auszubauen und durch bestimmte Maßnahmen für alle dafür zu sorgen, daß die Arbeitslosen Arbeitsplätze bekommen.
Eine weitere Frage der Entwicklung ist — das ist ja eine allgemeine Erscheinung —, daß diejenigen, die sich in Arbeit befinden, genau so wie die Rentner und die Fürsorgeempfänger, im Zuge der allgemeinen weiteren Aufspaltung der Schere zwischen Preisen und Löhnen immer mehr in eine Elendslage geraten. Ich glaube, daß das eine Feststellung ist, die eine scharfe Anklage gegen die Politik dieser Regierung seitens der Flüchtlinge und Umsiedler bedeutet, und ich denke, daß gerade auch Sie, Herr Schütz, Gelegenheit nehmen müßten, um diese Tatsachen zum Anlaß zu nehmen, gegen diese Regierung Stellung zu nehmen und eine entsprechende Politik auch in den Organisationen selbst zu betreiben.
Die zweite Tatsache. Da festgestellt worden ist, daß in Westdeutschland ein Wohnungsbedarf von insgesamt etwa 6 Millionen vorhanden ist, so beläuft sich nach den Erklärungen in den Ausschüssen der Wohnungsbedarf der Flüchtlinge und Umsiedler auf etwas über 1 Million. Im vergangenen Jahre wurde ein großes Wohnungsbauprogramm verkündet, wobei man mit einer Zahl von 350 000 Wohnungen operiert hat. Die Regierung muß aber feststellen, daß das Wohnungsbauprogramm des vergangenen Jahres nicht durchgeführt ist und voraussichtlich erst bis zum Ende dieses Jahres zum Auslaufen kommen wird. Die Frage aber, was nun weiter zu geschehen hat, nämlich die erforderlichen Mittel für den weiteren Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen und, darin einbeschlossen, die Wohnungen für die Flüchtlinge und Umsiedler zu erstellen, hat die Regierung bisher nicht beantwortet und auch nicht beantworten können, weil die Mittel nach der Angabe der Regierung dafür nicht zur Verfügung stehen. Nicht nur, daß der Finanzminister einen Betrag von 100 Millionen DM gesperrt hat; entscheidend ist, daß man solche Mittel deswegen nicht zur Verfügung stellen kann — und das ist eine Frage, die die Umsiedler und Flüchtlinge besonders interessiert —, weil diese Mittel für die Abdeckung der Kosten der Besatzung, für die Kriegsvorbereitung, für die Remilitarisierung benötigt werden.
Ich möchte hier auf die Frage, welche Quellen die Regierung daneben erschließen könnte, um Hilfsmaßnahmen durchzuführen, die insbesondere für die Unterbringung der Flüchtlinge und Umsiedler erforderlich sind, gar nicht eingehen; darüber werden wir uns später zu unterhalten haben. Aber gerade im Zusammenhang mit dem Pro-
gramm der Umsiedlung aus den besonders stark belegten Gebieten werden die Frage des Wohnungsbaues und die Frage des Arbeitsplatzes sehr entscheidend sein. Wenn vor kurzem in der Zeitung gemeldet worden ist, daß Umsiedler, die aus Schleswig-Holstein in die Nähe von Baden-Baden sollten, von dem dortigen Oberbürgermeister einen Brief erhalten haben, der die Aufnahme mit der Begründung ablehnt, daß kein Wohnraum vorhanden sei, dann charakterisiert das nicht nur die Situation, sondern bestätigt auch die Berechtigung unserer Forderung. Wir haben damals die Forderung erhoben, daß, bevor diese Umsiedlung durchgeführt wird, durch Delegationen der Umsiedler an Ort und Stelle erstens die Frage der Unterbringung und zweitens die Frage des Arbeitsplatzes gelöst wird. Gerade aus diesen Kreisen wird immer und immer wieder die Forderung auf die Durchführung einer gerechten Wohnraumverteilung erhoben.
Auf diesem Gebiet ist in der Deutschen Demokratischen Republik eine andere Regelung eingetreten, indem dort im Jahre 1948/49 umfassende Maßnahmen zur gerechten Wohnraumverteilung durchgeführt worden sind. Es wurden dadurch nicht nur bis Anfang 1949 über 20 Millionen Quadratmeter Wohnraum erfaßt, sondern im August und September 1949 wurden weitere Maßnahmen in dieser Richtung ergriffen, durch die allein in Thüringen über 400 000 Quadratmeter Wohnraum insbesondere für die ehemaligen Umsiedler neu zur Verfügung gestellt werden konnten. Auf Grund eines Gesetzes, das im vergangenen Jahr im Oktober zur weiteren Hilfe für die Umsiedler erlassen worden ist, sind weitere Mittel über den Rahmen des großen Wohnungsbauprogramms in der Deutschen Demokratischen Republik hinaus bereitgestellt worden, um insbesondere bei den volkseigenen Betrieben usw. weitere über 10 000 Wohnungen zu erstellen.
Ich habe als weitere Frage die der Lage in der Landwirtschaft, der Bauern angeschnitten. Ich möchte auf eine Pressenotiz zurückkommen, die am 30. Juli in der „Heilbronnar Stimme" erschienen ist. Dort wird berichtet, daß der Landwirtschaftsminister von Württemberg-Hohenzollern eine Mitteilung gemacht hat, die folgendermaßen lautet:
Für die 294 000 unabhängigen Bauern, die als Heimatvertriebene in die Bundesrepublik gekommen sind, stehen etwa 650 000 ha Land zur Verfügung.
Dr. Weiß — also der Landwirtschaftsminister von Württemberg-Hohenzollern — erklärt in diesem Zusammenhang, daß nach Abzug der Nebenerwerbssiedlungen etwa 550 000 ha zur Verfügung ständen. Es würden damit rund 34 000 Vollbauernstellen mit durchschnittlich 15 ha geschaffen werden können.
Ich glaube, Sie selber werden an Hand einer Überprüfung der Ländereien all derjenigen Güter, die über 100 ha umfassen, zu der Feststellung kommen müssen: Wenn eine Bodenreform im gesamten Gebiet durchgeführt würde, die das Land von über 100 ha den Grundbesitzern wegnimmt, würden die Voraussetzungen geschaffen für Zehntausende von Bauernstellen für Umsiedler und Flüchtlingsbauern.
— Ich spreche hier nicht von Württemberg-Hohen- I zollern, sondern ich spreche vom gesamten Bundesgebiet, Herr Kollege!
Wenn Sie dabei nicht nur Niedersachsen, wenn Sie Nordrhein-Westfalen, wenn Sie auch Teile des Gebiets von Hessen nehmen — ich greife nur einige Länder heraus —, dann werden Sie mir zugeben müssen, daß eine Regierung, wenn sie wirklich die Absicht hätte, den Umsiedlerbauern zu helfen und sie seßhaft zu machen, Zehntausenden von ihnen Grund und Boden und damit Nahrung für sich und ihre Familie geben könnte. Aber dafür hat man weder das Geld, noch hat man den Willen, hier entscheidende Schritte zu tun. Ich möchte demgegenüber nur die Tatsache feststellen, daß im Zuge der Bodenreform in der Deutschen Demokratischen Republik über 91 000 Neubauern-stellen für ehemalige Umsiedlerbauern zur Verfügung gestellt worden sind. Das ist dort geschehen, und damit ist eine Frage gelöst worden, die unter politisch anderen Bedingungen gelöst werden konnte, weil dort der Großgrundbesitz und die Herren von der Schwerindustrie nicht mehr das Wort haben, sondern das Volk selbst.
Und wie ist es nun mit den Flüchtlingsbetrieben und ihrer Lage bestellt? Ich glaube, meine Damen und Herren, für diese sind nicht nur die mit der Politik der Ruhrbehörde zusammenhängenden Fragen von Bedeutung. Tatsache ist, daß durch den Export von Kohle, Eisen und Stahl — entsprechend der Aufrüstungs- und Kriegspolitik — diese Rohstoffe der deutschen Wirtschaft und dem Handwerk entzogen werden und daß damit auch den Flüchtlingsbetrieben die Existenz erschwert wird. Die Zahl der Konkurse unter ihnen nimmt ständig zu. Auch die Frage der Kredite spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Ihnen ist bekannt, daß, wenn überhaupt Kredite erhältlich sind, der hohe Zinsfuß diesen Flüchtlingsbetrieben kaum die Möglichkeit gewährt, ihre Existenz aufrechtzuerhalten. Demgegenüber wird ihnen in der Deutschen Demokratischen Republik eine großzügige Hilfe,
die in die Milliarden geht, gewährt. Das positive Ergebnis ist, daß allein im Verlauf der letzten fünf Jahre 61 000 neue Handwerksbetriebe im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik gegründet werden konnten! Das ist nur ein Beweis für die Großzügigkeit und die Entschlossenheit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, den früheren Umsiedlern zu helfen.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu dem Etat selbst machen. Wenn wir uns einmal die Kundgebungen der letzten Zeit vor Augen führen, dann ist der Tenor auf ihnen derselbe wie der, den heute vormittag der Abgeordnete Dr. Kather und nach ihm der Abgeordnete Kollege Tichi angeschlagen haben. Die gesamte Politik dieser Regierung gegenüber den Umsiedlern und Flüchtlingen basiert doch nur auf der Weigerung, sie als völlig gleichberechtigt — nicht gleichgestellt, sondern gleichberechtigt — anzuerkennen und ihnen damit die Existenz und das Gefühl zu geben, daß sie als Gleichberechtigte eine neue Heimat gefunden haben.
Die Politik einer Regierung, die diesen Forderungen nicht gerecht werden will, kann dann doch nur eine andere Aufgabe haben. Und das kommt auch in dem Haushalt zum Ausdruck, wenn wir die Titel 31 und 32 ins Auge fassen und in diesem Zusammenhang nur noch erwähnen, daß auch aus dem Etat des Herrn Kaiser bestimmte Mittel für die genannten Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Sinn und Aufgabe ist ja dabei nicht nur, wie es hier heißt, 500 000 DM für die Herstellung und Verbreitung von Informationsmaterial oder 250 000 DM für kulturelle und sonstige Betreuung zur Verfügung zu stellen. Wir haben ja bereits im Ausschuß darüber gesprochen, daß damit auch Gelder für die Unterhaltung der Organisationen selbst gewährt werden. Die entscheidende Aufgabe, die mit diesen Mitteln verfolgt wird, ist doch die, durch entsprechende Propaganda die Umsiedler und Flüchtlinge mit dem illusionären Versprechen auf eine etwaige Rückkehr in ihre Heimatgebiete davon abzuhalten, hier in Westdeutschland um ihre Existenz, um ihre wirkliche Eingliederung den Kampf zu führen. Das liegt in der Linie jener Propaganda, die ja nicht nur hier von Bonn aus, sondern von Bonn im Sinne des Petersbergs durchgeführt wird. Sie sollen die Armee — —
— Jawohl, darüber gibt es gar keinen Zweifel! — Sie sollen die Reservearmee stellen und das Reservoir sein für die Aufgaben, die im Interesse der amerikanischen Milliardäre und ihrer Kriegspolitik durchgeführt werden sollen. Wir möchten auch von dieser Stelle aus die Umsiedler und Flüchtlinge davor warnen, sich zur höheren Ehre seiner Majestät des Dollars herzugeben, um damit in einem Krieg alles, auch ihr Leben, zu verlieren. Die Aufgabe der Flüchtlinge wird vielmehr darin bestehen, sich gegen diese Politik Bonns, des Peters-bergs und Washingtons zu wenden und sich hier in Westdeutschland selbst im Kampf für den Frieden zugleich ihre eigene Existenz zu sichern.