Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Angebot, das der sogenannte Regierungschef eines Teiles Deutschlands, wie wir es vorausgesehen haben, zum zweiten Male gemacht hat, läßt die Frage aufkommen, ob man damit tatsächlich etwa das Begräbnis der da drüben herrschenden Partei ganz offiziell ankündigte, oder ob es sich vielleicht nur um ein Scheinbegräbnis handelt, das man begeht, um die eigentlichen Absichten jener Macht zu vertuschen, die hinter der SED steckt. Um den Sinn dieses Angebots überhaupt richtig verstehen zu können, müssen meiner Ansicht nach die Lage und die Absichten der Sowjetunion einmal besonders herausgestellt werden.
Eine westeuropäische Front würde für die Russen militärisch und letzten Endes auch wirtschaftlich eine eminente Schwächung bedeuten. Seine an sich neuralgischen Punkte wie das Ölzentrum Baku und der westsibirische Raum mit seiner konzentrierten Schwerindustrie würden noch mehr gefährdet werden, als sie an sich schon heute gefährdet sein dürften. Innerhalb der nächsten acht oder zehn Jahre dürfte von der Sowjetunion bei ihrem geringeren Rüstungspotential gegenüber dem Westen ein Kämpfen an zwei Fronten als ein untragbares Risiko angesehen werden, das die Russen wohl nur dann auf sich zu nehmen bereit wären, wenn sie dazu gezwungen würden. Käme es dann allerdings zu einem Vorstoß der Russen nach dem westeuropäischen Raum, so würden sie dort nicht nur versuchen, das Menschenpotential für ihre Zwecke einzusetzen, sondern sie würden ebenso die wirtschaftlichen Möglichkeiten sich dienstbar zu machen bestrebt sein. Bei einem eventuellen Rückzug bedeutete das aber nicht mehr und nicht weniger — das Vorspiel dazu haben wir ja bereits erlebt — als eine Verschleppung von Menschen und Material nach jenen Räumen, die dann als sicherer gelten können. Das hieße, nach diesem Zwischenspiel würde Deutschland nicht mehr existieren.
— Wären Sie Soldat gewesen, würden Sie etwas mehr davon verstehen!
Wie nun vorauszusehen war, hat Herr Grotewohl seinen Vorschlag gemacht; aber ich glaube, man kann über diesen Vorschlag nicht mit allgemeinen Redensarten hinweggehen.
Die Gründe der Ablehnung, die immer wieder vorgebracht werden, stehen eigentlich so fest, daß sie reichlich uninteressant genannt werden können. Interessanter erscheint mir in diesem Zusammenhang das diplomatisch-politische Ballspiel, das erneut, nur diesmal ganz offiziell, zwischen dem französischen Außenministerium und der Bonner Regierung getrieben wird, ein Spiel, das nur eindeutig auslegbar sein kann. Ausgerechnet im jetzigen Augenblick stellt der französische Außenminister die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik auf, was nichts anderes bedeutete, als daß Frankreich, Luxemburg, Belgien und Holland auch über eine gesamtdeutsche Regelung mitzureden hätten. Und ausgerechnet jetzt, nämlich am 23. September 1951, erklärt die Bundesregierung, daß sie den Vorschlag Schumans vollinhaltlich billige. Die Politik, die Frankreich unter Ludwig XIV. mit bestimmten Kräften am Rhein zu betreiben versuchte, die Politik, die Napoleon mit den Staaten des Rheinbundes betrieben hat, feiert also fröhliche
und diesmal amtliche Auferstehung, feiert so sehr Auferstehung, daß der Vorschlag Schumans einerseits und die zustimmende Antwort der Bundesregierung andererseits inhaltlich aus den Dekreten Napoleons an die Rheinbundstaaten genommen sein könnten.
Was die Siegermächte im Jahre 1945 mit ihrer radikalen Teilung Deutschlands erreichten, nämlich die Schaffung eines Unruhefaktors erster Ordnung, bestätigt die uralte geschichtliche Erfahrung, daß ein Dualismus auf die Dauer gesehen zu Unfrieden, Unruhe und Auseinandersetzungen führen muß. Beide Teile versuchen nämlich, in den von ihnen beherrschten Räumen ihr Festungs- und Vorgelände aufzubauen, und Deutschland soll auf der einen wie auf der anderen Seite der leidtragende Teil sein, der in erster Linie die Haut zu Markte zu tragen hat. Alles, was man bisher erreichen konnte, war, Defensivpläne aufzustellen, die nichts anderes bedeuten als das, was ich vorhin bereits geschildert habe. Die Entscheidung darf für uns nicht die sein: Wie gliedern wir uns der einen oder der anderen Seite ein, wie ordnen wir uns dieser oder jener politischen Macht unter, sondern: Wie bleiben wir überhaupt außerhalb dieser Kräfte? Wie bewahren wir uns unsere Freiheit und unsere Selbständigkeit, die dann allerdings auf allen Gebieten so stark ausgebaut werden muß, daß sie sich gegenüber all diesen Kräften auch wirklich erhalten kann? Darin muß meiner Ansicht nach das Ziel der deutschen Politik bestehen, also nicht darin, Vasall der einen oder der anderen Mächtegruppe zu werden, sondern darin, die Freiheit Deutschlands außerhalb dieser Mächtegruppierungen zu erstreben.
Der Königsteiner Entwurf für die eventuell I durchzuführenden gesamtdeutschen Wahlen, der Ihnen j a zugeleitet worden ist, erscheint mir sehr günstig. Es kann nur empfohlen werden, ihn nicht nur im Hause, sondern darüber hinaus auch in der Regierung entsprechend zu beachten. Ich glaube allerdings, es wird kaum zu einer solchen Wahl kommen; denn, wie ich eingangs erwähnte, würde sich j a durch eine solche Wahl jene Kraft, die heute im Osten innerpolitisch die beherrschende Macht darstellt, selbst ausmanövrieren, und ich glaube, manche andere Kraft im Westen dann auch mit.
Weil man sich davor fürchtet, deshalb redet man
zwar große Töne davon, aber zu einer entscheidenden Tat in dieser Richtung wird es nicht kommen.
Noch etwas habe ich dazu zu sagen. Es ist bei allem, was man sonst an diesen Erklärungen begrüßen kann, bedauerlich, daß immer noch, wenn die Rede auf die deutschen Ostgebiete kommt, nur die Grenzen von 1937 erwähnt werden. Wenn man von den deutschen Ostgebieten spricht, kann überhaupt nur der Raum von Memel bis zum Böhmerwald als deutsches Gebiet erwähnt werden, denn er ist altes Reichsgebiet, ist altes deutsches Land. Die Forderung auf Rückgabe dieses uns widerrechtlich geraubten Gebietes muß eine Forderung eines jeden Deutschen immer und immer wieder sein und bleiben.