Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Dem Hohen Hause habe ich im Namen der Bundesregierung folgende Erklärung abzugeben.
Das oberste Ziel der Politik der Bundesregierung ist und bleibt die Wiederherstellung der deutschen Einheit in einem freien und geeinten Europa.
Diese Einheit muß aus der freien Entscheidung des gesamten deutschen Volkes kommen.
Die Bundesregierung hat deshalb wiederholt, zuletzt in ihrer Erklärung vom 9. März 1951, die Abhaltung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahlen in ganz Deutschland zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung vorgeschlagen. Dabei hat sie gleichzeitig die unerläßlichen Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen festgelegt.
Auf alle diese Vorschläge der Bundesregierung ist eine Antwort der sowjetischen Besatzungsmacht nicht erfolgt. Die Behörden der Sowjetzone haben sie zurückgewiesen.
Nunmehr hat Herr Grotewohl am 15. September vor der Volkskammer Erklärungen abgegeben, die sich den Vorschlägen der Bundesregierung zu nähern scheinen. Die Bundesregierung hat diese Erklärungen aufmerksam geprüft. Senat und Abgeordnetenhaus von Berlin haben sofort freie Wahlen für ganz Berlin vorgeschlagen, die leider abgelehnt worden sind.
Herr Grotewohl beharrt auf Beratungen über gesamtdeutsche Wahlen. Was bedeuten Beratungen mit Kommunisten?
Die Welt weiß aus vielfachen bitteren Erfahrungen, daß Repräsentanten des Kommunismus, wenn sie von Beratungen sprechen, entweder Diktat oder endlose Verzögerungen wollen.
Anders wäre es, wenn wir es mit frei gewählten Vertretern der Bevölkerung der Sowjetzone zu tun hätten.
Mit ihnen könnten wir uns sofort einigen.
Um nichts unversucht zu lassen, wird die Bundesregierung eine Wahlordnung für freie gesamtdeutsche Wahlen vorlegen. Diese Wahlordnung wird im wesentlichen folgende Grundsätze enthalten:
1. Das Gebiet der Wahl bildet einen einheitlichen Wahlkreis; jede Partei reicht einen Wahlvorschlag für das gesamte Wahlgebiet ein.
2. Die Freiheit der politischen Betätigung zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl wird gewährleistet.
3. Alle Beschränkungen im Personenverkehr zwischen den Besatzungszonen einschließlich Groß-Berlin werden spätestens drei Monate vor der Wahl aufgehoben.
4. Jedem ordnungsgemäß vorgeschlagenen Bewerber um einen Sitz in der Nationalversammlung wird bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung im gesamten Wahlgebiet die unbedingte persönliche Freiheit gewährleistet. Er darf weder verhaftet, vorläufig festgenommen noch gerichtlich oder dienstlich verfolgt, aus seinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis entlassen oder sonst zur Verantwortung gezogen oder in seiner Bewegungsfreiheit behindert werden. Ihm ist der zur Vorbereitung der Wahl erforderliche Urlaub zu gewähren.
5. Niemand darf vor, während und nach der Wahl wegen seiner politischen Hartung verhaftet, vorläufig festgenommen, gerichtlich oder dienstlich verfolgt, aus seinem Dienstoder Arbeitsverhältnis entlassen oder sonst zur Verantwortung gezogen oder benachteiligt werden.
6. Öffentliche Versammlungen der Parteien, die einen ordnungsmäßigen Wahlvorschlag eingereicht haben, und ihrer Bewerber sind unbeschränkt zugelassen und unter öffentlichen Schutz zu stellen.
7. Die Verbreitung von Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Druckschriften, die in einem deutschen Lande erscheinen, und der Empfang von Rundfunksendungen dürfen im ganzen Wahlgebiet nicht behindert werden.
8. Das Wahlgeheimnis wird gewährleistet.
9. Die Wahlzettel und ihre Umschläge sind für alle Wahlberechtigten gleich und dürfen mit keinen Merkmalen versehen sein, die die Person des Wählers erkennen lassen. Die Kennzeichnung des Wahlzettels durch den Wähler erfolgt in einem der Beobachtung durch andere Personen entzogenen Teil des Wahllokals. Vor den Augen des Wahlvorstandes legt der Wähler seinen Wahlzettel in einem Umschlag in die Wahlurne.
10. Ein Verzicht auf diese Vorschriften ist unzulässig. Jeder Verstoß macht den gesamten Wahlakt des Stimmbezirks ungültig.
11. Die Auszählung der Stimmen findet öffentlich durch den aus Vertretern verschiedener Parteien gebildeten Wahlvorstand statt.
12. Vorbereitung und Durchführung der Wahl stehen unter internationalem Schutz und internationaler Kontrolle.
13. Der Schutz ist in allen Teilen des Wahlgebiets gleichmäßig internationalen Kontrollorganen anvertraut. Die deutschen Behörden haben den Weisungen dieser Kontrollorgane Folge zu leisten.
14. Die Kontrollorgane gewährleisten die aus diesen Bestimmungen sich ergebenden Rechte und Freiheiten der Bevölkerung. Jeder Deutsche hat das Recht, die Kontrollorgane anzurufen.
Die Bundesregierung wird diese Wahlordnung nach Annahme durch den Deutschen Bundestag den Vereinten Nationen, den vier Besatzungsmächten und den sowjetzonalen Behörden zur Stellungnahme zuleiten. Sie wird dabei vorschlagen, daß die internationalen Kontrollorgane von Vertretern neutraler Mächte gebildet werden.
Echte freie Wahlen sind aber nur möglich, wenn in der Sowjetzone tatsächliche Voraussetzungen für einen freien Ausdruck des Volkswillens gegeben sind. Bis heute sind die gesamten Verhältnisse in der Sowjetzone von jenem Zustand der Freiheit weit entfernt. Noch heute leiden Zehntausende unschuldiger Häftlinge in Zuchthäusern und Gefängnissen. Die Hunderte von Flüchtlingen, die unter Aufgabe von Hab und Gut täglich die Zonengrenze nach Westen überschreiten und in der Bundesrepublik Zuflucht suchen, sind ein erschütternder Beweis für die Rechtlosigkeit und die Unfreiheit in der Sowjetzone.
Diese Menschen treibt die quälende Unsicherheit, die Angst vor dem Staatssicherheitsdienst, der Volkspolizei, dem Konzentrationslager und der Zwangsarbeit.
Die Bundesregierung fühlt sich verpflichtet, alles zu tun, um Gewißheit zu schaffen, daß die tatsächlichen Voraussetzungen' für die Abhaltung der von ihr vorgeschlagenen gesamtdeutschen Wahlen gegeben sind. Das kann vor der Weltöffentlichkeit nur dadurch geschehen, daß eine neutrale internationale Kommission unter der Kontrolle der Vereinten Nationen in der Sowjetzone und auf dem Gebiet der Bundesrepublik untersucht, inwieweit die bestehenden Verhältnisse die Abhaltung freier Wahlen ermöglichen. Die Bundesregierung wird für das Bundesgebiet eine entsprechende internationale Untersuchung sofort beantragen. Es liegt bei den Behörden der Sowjetzone, dasselbe für ihr Gebiet zu tun.
Die Vereinigung des Gebietes der Sowjetzone mit der Bundesrepublik wird der erste Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands sein. Das ist von schicksalhafter Bedeutung für das deutsche Volk und für den Frieden der Welt.