Rede von
Dr.
Robert
Lehr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf bringt gegenüber dem bisherigen Rechtszustand grundsätzlich nichts Neues. Ich darf Sie im einzelnen auf die Ihnen mitgeteilte Begründung verweisen. Der Erlaß eines neuen Gesetzes ist erforderlich im Hinblick auf das veränderte staatsrechtliche Verhältnis zwischen Bund und Ländern und einige materiell-rechtliche Vorschriften wie die Bestimmungen über die Versagung oder Entziehung eines Passes und andere Bestimmungen, ferner über die Strafbestimmungen und über die Gebühren. Diese Punkte müssen durch das Gesetz oder durch die auf Grund des Gesetzes zu erlassenden Ausführungsverordnungen geregelt werden.
Ehe ich mich einigen allgemeinen Betrachtungen zuwende, gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung über die Organisation der Paßverwaltung und über das Verhältnis zu den Besatzungsmächten. Auf dem Gebiet des Paßwesens bleibt entsprechend der bundesstaatlichen Struktur der Bundesrepublik die Durchführung des Paßgesetzes, insbesondere die Behördeneinrichtung und das Verwaltungsverfahren, Sache der Länder. Hierbei wird entsprechend dem schon nach dem ersten Weltkrieg bewährten Aufbau die Verwaltung weitestgehend dezentralisiert. Die unteren Verwaltungsbehörden, d. h. also die Kreisverwaltungen und die Stadtverwaltungen der kreisfreien Städte bzw. die örtlichen Polizeidirektionen, sind sachlich durchaus in der Lage, die durch die Ausstellung von Pässen anfallenden Arbeiten und Vorprüfungen vorzunehmen. Diese Stellen haben auch den Vorzug der größeren Volksnähe. Durch ihre örtlichen Kenntnisse sind sie nicht so sehr auf die Akten angewiesen, sondern sind in der Lage, auf Grund ihrer persönlichen Kenntnisse in eigener Verantwortung die entsprechenden Entscheidungen zu fällen. Dadurch wird ein großer bürokratischer Apparat gespart, der bei zentralistischer Bearbeitung unvermeidlich gewesen wäre. Die erforderliche Einheitlichkeit in der Bearbeitung des Paßwesens wird aber durch die gemäß Art. 84 des Grundgesetzes von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats zu erlassenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften sichergestellt. In der Praxis hat sich bei dem jetzigen Verfahren herausgestellt, daß angesichts der oft schnell veränderten Lage der Bundesminister des Innern die Länderverwaltungen durch Rundschreiben über die im Interesse der Einheitlichkeit wünschenswerten verwaltungsmäßigen Handhabungen orientiert.
Wie Ihnen bekannt ist, ist die deutsche Verwaltung bei Wiederaufnahme der Paßfunktionen nicht ganz frei gewesen. Es liegen noch alliierte Vorbehalte vor, und zwar in Gestalt der sogenannten Schwarzen Listen und der Bezeichnung von Personen, denen im Einzelfall ein Paß nicht oder nicht ohne Zustimmung von alliierter Seite ausgehändigt werden darf. Es handelt sich hier um eine Einschränkung unserer Souveränität, die sich auf die Dauer mit gleichberechtigter Partnerschaft nicht vereinbaren läßt. Diese Frage wird daher im Zusammenhang mit den bevorstehenden Verhandlungen mit den Alliierten auf breiter Grundlage geklärt werden müssen. Gerade im Hinblick auf diese Verhandlungen möchte ich mir zu diesem Punkt weitere Ausführungen im Augenblick versagen.
Sie wollen mir vielmehr hier noch einige allgemeine Bemerkungen gestatten. Die Paßausstellung sollte ja' nicht mehr ein Mittel zur Absperrung und zur Regulierung des Fremdenstroms sein, sondern der Paß muß — seinem eigentlichen Wesen nach — ein internationale Anerkennung genießender Identitätsausweis des Inhabers sein. Er begründet für den Inhaber zwar nicht die Staatsangehörigkeit selbst, ist aber immerhin ein wichtiges Beweismittel für die Staatsangehörigkeit. Auch gibt er dem Inhaber Anspruch auf Schutz durch die Regierung seines Landes und die Organe der Auslandsvertretungen im Auslande. Es ist daher sehr dankenswert und es wird auch von der Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt der Integration Europas wärmstens begrüßt, daß vom Europarat der Gedanke eines europäischen Passes in die Debatte geworfen worden ist. Ein europäischer Paß würde sehr starke symbolische Bedeutung für ein vereinigtes Europa haben.
Es gibt aber einige Schwierigkeiten vor allem auf dem technischen Gebiet. Das hat schon der erste Schritt, den die Bundesregierung ihrerseits getan hat, erwiesen. Es handelte sich um den Vorschlag auf Aufhebung des Sichtvermerkzwanges auf der Grundlage der Gegenseitigkeit. Die Ablehnung, die dieser Vorschlag bisher im allgemeinen erfahren hat, ist ein Beweis dafür, wie stark das Mißtrauen und das sogenannte Sicherheitsbedürfnis heute noch das Feld beherrschen.
Dabei wird von allen Sachkennern im Grunde genommen anerkannt, daß die wirklich gefährlichen Personen fast immer Mittel und Wege zur Ein- und Ausreise finden. So wirkt sich der Paßzwang, besonders aber der Sichtvermerkzwang, als eine schwere Belastung des Verkehrs der breiten Masse der harmlosen Reisenden aus. Es wird eine ungeheure — im Grunde genommen unproduktive — Verwaltungsarbeit geleistet, um einige wenige zu treffen, indem man Millionen von Pässen und Sichtvermerken für an sich einwandfreie Personen ausstellt. Ganz eindeutig läßt sich insbesondere erkennen, daß der Reiseverkehr von Übersee vielfach von Deutschland abgeleitet wird — nur wegen der Unbequemlichkeit des Sichtvermerkzwanges, weil Reisen in andere europäische Länder diesem Zwang meistens nicht unterliegen.
Um gewisse Kontrollen des Reise- und Fremdenverkehrs kommen wir allerdings nicht herum,
wenn wir auch bei dieser Gelegenheit der ersten Lesung des Entwurfs betonen, daß dem Paß und vor allem dem Sichtvermerk keine so ausschlaggebende Bedeutung vom Standpunkt der Staatssicherheit beizumessen ist, daß wegen einiger, verhältnismäßig weniger subversiver Elemente einwandfreie Personen in größter Zahl durch bürokratische Erschwerungen Unbequemlichkeiten und Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit ausgesetzt werden müssen. Ich werde daher meinerseits alles tun, um die bestehenden Schranken des legitimen Reiseverkehrs so weit irgend möglich beseitigen zu helfen. .