Rede von
Grete
Thiele
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Nein, ich denke an die Abmachungen, die Herr Dr. Adenauer mit dem Sonderbotschafter Trumans, Harriman, getroffen hat!
Die Leiterin des Landesjugendamtes von Rheinland-Pfalz hat kürzlich vor Pressevertretern erklärt, daß rund 100 000 junge Menschen in Westdeutschland ohne Arbeit und ohne Heim auf der Straße liegen. Eine Million junger Menschen sind in Westdeutschland ohne Beruf und ohne Arbeit. Und da wagt man es noch, diesem sozialen Elend und seinen Auswirkungen auf die von ihm betroffenen Menschen mit einem Schutzhaftgesetz zu begegnen! Gleichzeitig erklärt diese Landesjugendleiterin noch — und das ist sehr interessant —, daß in Rheinland-Pfalz um diese auf freiwilliger Grundlage erstellten sogenannten Bewahrungsheime herum sich ganz offen die Werber für die französische Fremdenlegion und die französischen Arbeitskompanien bewegen und viele Jugendliche von den Heimen wegholen, wogegen die deutschen Stellen machtlos seien. Jeden Tag, so wird weiter erklärt, gingen zwei Transporte von 20 bis 25 jungen Menschen nach Frankreich.
In der Ausgabe der „Rhein-Zeitung" vom 24. Juli 1951 gibt es eine Diskussion um das Problem der streunenden Jugend. Darin wird aufgezeigt, daß es eine Million junger Menschen gebe, die man als streunende Jugend betrachte. Ich frage Sie: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, daß diese streunende Jugend als verwahrlost bezeichnet wird? Ich glaube, von einer Bundesregierung, die mit diesem Problem nicht fertig wird, die das soziale Elend und die Not nicht beseitigt, kann man nicht erwarten, wie es die sozialdemokratische Fraktion tut, daß sie ein Bewahrungsgesetz schaffen wird, welches den sozialen Anforderungen entspricht, die die Vertreterin der sozialdemokratischen Fraktion hier dargelegt hat. Mit der Hetze gegen andere Völker, mit dem Bau von Kasernen, mit der Wiederherstellung des alten Militarismus wird man unserm Volk nur neues Elend bringen, wird man nur neue soziale Verelendung schaffen und wird man nachher um so mehr fordern, daß man ein solches Bewahrungsgesetz schaffen müsse, um diese verwahrlosten Menschen nunmehr in Heimen unterzubringen. Wir sind der Auffassung, daß man nicht mit solchen Gesetzen, mit solchen Polizeiverordnungen und Polizeimaßnahmen diese Not beseitigen und diesen Menschen helfen kann, die tatsächlich mit dem Leben nicht fertig werden, sondern daß man die sozialen Verhältnisse ändern muß, daß man nicht durch Kriegsvorbereitung die großen Mittel weggeben soll, sondern daß man den jungen Menschen und auch den sozial schwachen Menschen Existenzgrundlagen schaffen soll. Dann wird man nämlich ein solches Gesetz nicht mehr nötig haben, das nebenbei bemerkt in einer ganzen Reihe von Paragraphen dem Entmündigungsgesetz und auch einer Neuauflage des Euthanasiegesetzes gleichkommt,
wenigstens in einer bestimmten Frage, wenn Sie nämlich berücksichtigen, wie die Fragen der sozial Schwachsinnigen behandelt werden. Meine Fraktion lehnt dieses Gesetz ab, und wir werden bei der Behandlung einer Vorlage der Regierung, der wir kein Vertrauen schenken werden, auch zu den einzelnen Paragraphen noch unsern Standpunkt sagen.