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ID0116302700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 163. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 18. September 1951 6593 163. Sitzung Bonn, Dienstag, den 18. September 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . 6594B, D, 6639C Eintritt des Abg. Funcke in den Bundestag 6594B Änderungen der Tagesordnung 6594C Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Behandlung Nordhessens als Notstandsgebiet (Nr. 2434 der Drucksachen) 6594C, 6605D Freidhof (SPD), Interpellant . . . 6594D Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 6596B, 6602A Dr. Leuchtgens (DP) 6597D Sabel (CDU) 6598B Dr. Arndt (SPD) 6599C Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) 6601A Weickert (BHE-DG) 6605D Ausschußüberweisung 6605D Teilnahme von Mitgliedern des Britischen Parlaments als Gäste an der Sitzung . . . 6602A Präsident Dr. Ehlers 6602A, 6605C Mr. Woodburn, Leiter der britischen Delegation 6603A Erste Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Bewahrungsgesetzes (Nr. 2366 der Drucksachen) 6605D Frau Wessel (Z), Antragstellerin 6606A, 6613B Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 6608B Ewers (DP) 6608D Frau Korspeter (SPD) 6609C Frau Niggemeyer (CDU) 6611B Frau Thiele (KPD) 6612A Dr. Hammer (FDP) 6612D Ausschußüberweisung 6613C Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Sicherung des Kohlenbedarfs der Bevölkerung und der deutschen Friedensindustrie (Nr. 2540 der Drucksachen) 6594C, 6613C Renner (KPD), Antragsteller 6613D, 6621A Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 6615A Imig (SPD) 6617C Etzel (Duisburg) (CDU) 6619B Dr. Preusker (FDP) 6622B Dr. Bertram (Z) 6623B Ausschußüberweisung 6623D Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung (Nr. 2494 der Drucksachen) 6623D Frau Kipp-Kaule (SPD), Antragstellerin 6623D Dr. Etzel (Bamberg) (BP) 6624C Becker (Pirmasens) (CDU) 6624D von Thadden (DRP) 6625B Ausschußüberweisung 6625C Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung (Nr. 2513 der Drucksachen) 6625C Arndgen (CDU) (zur Geschäftsordnung) 6625D Ausschußüberweisung 6625D Erste Beratung des vom Bundesrat eingegebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (Nr 2471 der Drucksachen) 6625D Ausschußüberweisung 6625D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abwicklung der landwirtschaftlichen Entschuldung (Nr. 2526 der Drucksachen) 6625D Ausschußüberweisung 6626A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Außenhandelsstelle für Erzeugnisse der Ernährung und Landwirtschaft (Nr. 2532 der Drucksachen) 6626A Ausschußüberweisung 6626A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung und Abänderung des Gesetzes über den Verkehr mit Zucker (Zuckergesetz) (Nr. 2431 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) (Nr 2559 der Drucksachen) 6626A Schill (CDU), Berichterstatter . . 6626B Frau Keilhack (SPD) 6627B, D Niebergall (KPD) 6629B Dr. Dr. Müller (Bonn) (CDU) . . . 6629D Dannemann (FDP) 6631B Loritz: zur Sache 6631C persönliche Bemerkung 6638D Schuster (WAV) 6632A Abstimmungen 6632A Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Tarifvertragsgesetzes (Nrn. 2396, 2543 der Drucksachen; Umdruck Nr. 305) 6632C Sabel (CDU) 6632C Ausschußrücküberweisung 6632C Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP und des Zentrums betreffend Manöverschäden (Nr. 2560 der Drucksachen) 6632C Matthes (DP), Antragsteller . . . 6632D Nowack (Harburg) (SPD) 6633D Niebergall (KPD) 6635A Brese (CDU) 6635B Stegner (FDP) 6635C Beschlußfassung 6635D Beratung des Antrags der Abg. Goetzendorff u. Gen. betreffend Anklage gegen Kroupa (Nr. 2496 der Drucksachen) . . . 6636A zur Geschäftsordnung: Tichi (BHE-DG) 6636A Dr. Richter (Niedersachsen) (WAV) 6636A Goetzendorff (DRP-Hosp.) . . . . 6636B Von der Tagesordnung abgesetzt . . . 6636C Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend einmalige Winterbeihilfe (Nr. 2539 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend einmalige Winterbeihilfen (Nrn. 2469, 1470 der Drucksachen) 6594C, 6636C Kohl (Stuttgart), Antragsteller 6636D, 6637B Schüttler (CDU): als Berichterstatter 6636D zur Geschäftsordnung 6638C Abstimmung 6638C Nächste Sitzung 6639C Die Sitzung wird um 13 Uhr 35 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid eröffnet.
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    Rede von Hans Ewers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns heute vorliegende Entwurf löst auf den ersten Blick schwerstwiegende Bedenken aus, ob man auf diese Weise ein Fürsorgeproblem anpacken oder gar erledigen kann. Frau Wessel hat dankenswerterweise auseinandergesetzt, welche Bedenken gegen ihren Gesetzentwurf obwalten und hat gemeint, daß mit der Bestimmung des § 2 etwas Neues und Wesentliches gesagt sei. Ich als Diener des Rechts vermisse aber jede Abgrenzung sowohl zu den im Entmündigungsrecht vorgesehenen gesetzlichen Möglichkeiten als auch zu den im Strafrecht weitgehend vorgesehenen Sicherungsverwahrungen oder Bestimmungen über Unterbringung in einem Arbeitshaus bei den bekannten Übertretungen wie Landstreicherei, Bettelei usw. Diese Dinge müssen daher zunächst völlig geklärt werden,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und zwar aus folgendem Grunde.
    Hier ist ein Vormundschaftsverfahren vorgesehen, d. h. also die Vormundschaft über Erwachsene wird verhängt, und zwar ist nach diesem Entwurf die einzige Voraussetzung, daß der Betroffene über 18 Jahre alt zu sein hat. Über 18, weil bis dahin bekanntlich nach dem Jugendschutz-


    (Ewers)

    Besetz Zwangsfürsorgeerziehung möglich ist, die Sicherungsverwahrung. Eine Altersgrenze nach oben ist in dem Entwurf nicht gesetzt. Vor allem ist es sicherlich notwendig, eine obere Altersbegrenzung in das Gesetz aufzunehmen; es sollte doch eine Bewahrung von insbesondere — was ja leicht vorkommt — „verwahrlosten" alten Witwern und Witwen, hauptsächlich Witwern, Männern im Greisenalter, bei denen doch von Erziehung von „Spätreifen" nicht mehr die Rede sein kann, sondern umgekehrt eher von Spätentreiften, von Senilen nämlich, überhaupt nicht zur Erörterung stehen. Ich glaube also, wenn dies eine verlängerte Jugendschutzbestimmung sein soll, dann gehört zunächst einmal eine obere Altersbegrenzung in das Gesetz hinein.
    Weiter aber ist in den außerordentlich dankenswerten Ausführungen des Herrn Sachverständigen — Oberregierungsrat Gotschick vom Innenministerium — vor dem Fachausschuß schon die Verwandtschaft der rechtlichen Bestimmungen sehr klar gekennzeichnet worden. Da muß ich nun hervorheben, daß die anderen Bestimmungen, insbesondere die über die vormundschaftsrichterliche Entmündigung und die strafrechtliche Freiheitsentziehung, einen viel besseren Rechtsschutz gewährleisten, wenn es sich um die Frage handelt, ob Verwahrung vorzunehmen ist, als das, was hier vorgesehen ist. Ein Mann, der von sich behauptet, daß er ein Genie, ein Künstler sei, der still sein Triebleben führt, aber beileibe- deshalb noch nicht verwahrlost sei im Sinne der bürgerlichen Gesellschaft, weil er seinem Triebe frönt; über den sollen „Kenner der Gefährdetenfürsorge" richten? Das lehne ich rundweg ab! Im Entmündigungsverfahren gibt es gegen den Beschluß die ordentliche Klage bis zum Bundesgerichtshof. In drei Instanzen wird das nachgeprüft, wenn einer von sich behauptet: „Ich bin ja nicht verrückt; das sagt ja höchstens mein lieber Verwandter, um mich nach Möglichkeit auszunutzen; ich leugne es entschieden". Hier ist eine einzige Tatsacheninstanz, eine einzige Beschwerdeinstanz beim Landgericht vorgesehen, das ohne mündliche Verhandlung in dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit vermutlich im wesentlichen über Rechtsfragen entscheiden wird. Das ist in keiner Weise der im Grundgesetz bestimmte Schutz der persönlichen Freiheit.
    Meine Fraktion kommt daher zu der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, wegen der fehlenden Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten und wegen der Bestimmungen in § 2, die alle die Voraussetzungen der Entmündigung enthalten — Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht und Verschwendung; das alles wäre nach den Bestimmungen des Entwurfs gedeckt; aber keine geniale Abseitigkeit soll vom Gesetz gemeint sein, nur: der Gesetzentwurf spricht das nicht klar aus —, nur als Material angesehen werden kann, wie der Herr Bundesinnenminister mit Recht gesagt hat. Ich stelle deshalb den Antrag, den Gesetzentwurf dem Bundesinnenministerium als Material zu überweisen. Wir werden ihn dann, wenn die Vorlage der Regierung kommen sollte, wieder heranziehen.
    Ich stelle also hiermit den Antrag — ob das in erster Lesung geht, Herr Präsident, ist mir persönlich zweifelhaft, aber in der zweiten Lesung, die wir ja morgen oder in der nächsten Woche abhalten können, wird das möglich sein —, den Gesetzentwurf der Regierung als Material zu überweisen. Wie er vorliegt, scheint mir der Gesetzentwurf im Bundestag noch nicht erörterungsreif zu sein.

    (Beifall bei der DP.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nachdem Frau Hütter ihre Wortmeldung zurückgezogen hat, erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Korspeter.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Lisa Korspeter


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir bedauern es, daß die Zentrumsfraktion uns schon heute den Entwurf eines Bewahrungsgesetzes vorgelegt hat, obwohl wir mit unseren Beratungen im Ausschuß für öffentliche Fürsorge auf Grund des Antrages der CDU noch nicht zu Ende gekommen waren und bei weitem noch nicht die Möglichkeiten sozialpädagogischer Behandlung gefährdeter Menschen entwickelt und den gesamten Problemkreis noch nicht genügend durchdacht hatten.
    Der vorliegende Gesetzentwurf rollt eine der allerschwierigsten Fragen der öffentlichen sozialen Fürsorge auf, nämlich die Frage, ob Recht und Pflicht des Staates zu erzieherischen Zwangsmaßnahmen — die heute bereits sehr fragwürdig geworden sind — über die bisherige Altersgrenze hinaus erweitert werden sollen. Es handelt sich also um nichts anderes als um die Erweiterung der Zwangserziehung für über 18 Jahre alte Menschen, für die die Öffentlichkeit sie als wünschenswert oder notwendig ansieht. Ich glaube, daß wir uns bei der Behandlung dieser Frage alle klar darüber sind — das hat die Diskussion bis jetzt gezeigt —, welche Verantwortung wir auf uns nehmen, wenn wir eine Gesetzgebung schaffen wollten, die einen Freiheitsentzug vorsieht.
    Wir verkennen in keiner Weise, daß ein ernstlicher Notstand der Anlaß zur Vorlage dieses Gesetzentwurfs gewesen ist. Im Gegenteil, wir sind uns darüber klar, daß in unserem Fürsorgewesen im Hinblick auf diese gefährdeten Menschen eine Lücke geschlossen werden muß. Es gibt eine große Zahl von Menschen, deren physische oder psychische Veranlagung sie so schwer benachteiligt, daß sie dem Mißbrauch durch andere ausgesetzt sind oder daß sie unfähig sind, sich in den Verhältnissen zurechtzufinden, in denen sie leben müssen. Sie verfallen rettungslos dem Elend. Sie gefährden sich und unter Umständen die Umwelt. Diese Menschen, die aus Veranlagung oder aus Milieuschäden heraus nicht die Kraft haben, sich im Leben zu behaupten, die nicht in der Lage sind, mit den Schwierigkeiten des Lebens fertig zu werden, bedürfen der Hilfe der gesellschaftlichen Organisation, nicht etwa, um die Allgemeinheit zu schützen, sondern vielmehr, um ihnen einen Schutz vor sich selber zu geben. Es ist untragbar, daß der Mensch nur dann erfaßt wird, wenn er gegen Gesetze oder gegen Polizeivorschriften verstößt, daß wir uns aber nicht genügend um ihn bemühen, wenn er aus seiner Lebensuntüchtigkeit heraus unserer Hilfe bedarf.
    Wir wenden uns also nicht dagegen, daß für dieses Fürsorgegebiet eine gesetzliche Lösung angestrebt wird. Wir wenden uns aber gegen den vorliegenden Gesetzentwurf, weil er in Grundhaltung und Wortlaut dem Gesetzentwurf, der bereits in den zwanziger Jahren im Reichstag abgelehnt worden ist, völlig entspricht und weil er keine genügende Rücksicht auf die Erkenntnisse nimmt, die inzwischen auf dem Gebiet der Soziologie, der Psychologie, der Psychotherapie und


    (Frau Korspeter)

    der Sozialpädagogik gewonnen wurden. Gewiß sind wir durch die Isolierung und durch die Schwierigkeiten während des Zusammenbruchs gerade den anderen Ländern gegenüber in diesen Fragen sehr im Rückstand geblieben. Aber das verpflichtet uns um so mehr, bei einer solchen Gesetzgebung sorgfältigste Studien und wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen und die Erfahrungen des Auslandes heranzuziehen, um mit wirklich neuen Erkenntnissen und neuen Methoden an die Lösung dieser Frage heranzugehen.
    Es gibt unter uns wohl kaum eine Meinungsverschiedenheit darüber, daß unsere Fürsorgeerziehung, weil sie eine Zwangsmaßnahme ist, mit ihren oft rückständigen Methoden nicht die Erziehungserfolge gebracht hat, die für die Jugendlichen wünschenswert wären. Statt die jungen Menschen lebenstüchtig und gesellschaftstüchtig zu machen, hat man sie infolge veralteter Auffassungen in vielen Fällen lebensuntüchtig und widerstandsunfähiger gemacht. Weil es so ist, gehen alle Reformbestrebungen der Fürsorgeerziehung darauf hinaus, die Isolierung in einer Anstalt so weit wie möglich aufzuheben, den Zwang einzuschränken und auf der Grundlage eigener, wachsender Verantwortung die Kräfte zu entwickeln, die der junge Mensch im Leben braucht.
    Wir wissen, daß dieser Weg sehr mühsam ist, daß er sehr oft Rückschläge bringt. Aber wir könnten einem Gesetz im Hinblick auf diesen Personenkreis nur dann zustimmen, wenn es in der Richtung der Freiwilligkeit liegt, da wir der Ansicht sind, daß sich eine solche Tendenz in der gesamten deutschen Fürsorgegesetzgebung und Fürsorgepraxis durchsetzen muß. Es müßte deshalb seht sorgfältig geprüft werden, wieweit wir die Länder zu einer
    3) Fürsorge für bewahrungsbedürftige Erwachsene auf der Grundlage der Freiwilligkeit verpflichten könnten. Das heißt, daß wir durch eine Gesetzgebung die Länder veranlassen sollten, für die Unterbringung und Erziehung dieses Personenkreises finanziell aufzukommen. Weiterhin müßte sehr sorgfältig, mit genauesten Untersuchungen und Studien, geprüft werden, wieweit für besonders schwierige Fälle andere Maßnahmen, die aber immer Fürsorge- und Erziehungscharakter zu tragen haben, getroffen werden müßten. Dabei möchten wir von vornherein betonen, daß dieser Kreis aufs äußerste eingeengt werden müßte, um jede Gefahr eines Mißbrauchs zu vermeiden.
    Wir sind also der Meinung, daß man an Stelle eines Bewahrungsgesetzes ein Fürsorgegesetz schaffen sollte, das die Bestimmungen der Fürsorgepflichtverordnung für den Kreis der seelisch und sozial nicht Intakten ähnlich regelt, wie es beispielsweise das Krüppelgesetz für die Körperbehinderten tut. Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß eine Regelung dieses Problemkreises nur in engstem Zusammenhang mit der Gesetzgebung in bezug auf psychische Krankheiten, und zwar im Hinblick auf die Anstaltsunterbringung Geisteskranker, erfolgen kann, in dem die Fürsorgegesetzgebung für diesen bewahrungsbedürftigen Personenkreis nur als ein Teil der großen Gesetzgebung gelten kann. Es erscheint uns unmöglich, daß heute noch Geisteskranke auf Grund von Polizeiverordnungen in die Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen werden können. Ebenso unmöglich erscheint es uns, daß bei dem Entmündigungsverfahren nicht genügend Sicherheiten für den Entmündigten eingebaut sind. Dieses Verfahren entspricht in keiner Weise mehr den sozialen Verhältnissen und den ärztlichen Erkenntnissen.
    Wir hoffen, daß der Herr Innenminister im Hinblick auf eine solche Gesetzgebung unserem Wunsch entspricht. Ich möchte betonen, es hat uns sehr angenehm berührt, daß der Herr Minister auf die Schwierigkeiten dieser Gesetzesmaterie hingewiesen hat. Wir wünschen also, daß die Regierung uns Gesetzentwürfe vorlegt, die den gesamten Problemkreis umfassen, damit wir zu einer umfassenden Gesetzgebung kommen, und daß die Beratung des Gesetzentwurfs der Zen-. trumsfraktion so lange ausgesetzt wird — wir treffen uns darin ja mit den anderen Fraktionen —, bis die Regierung mit der Vorlage eines solchen Gesetzes zu Rande gekommen ist.
    Daß wir mit unserem Vorschlag, die Länder zur Fürsorge für bewahrungsbedürftige Erwachsene auf der Grundlage der Freiwilligkeit zu veranlassen, auf dem richtigen Wege sind, beweisen auch die Ausführungen der Vertreterin des katholischen Frauen- und Mädchenfürsorgevereins, die sie im Ausschuß für öffentliche Fürsorge über diesen Problemkreis gemacht hat. Sie beklagte sich bitter über die Einsichtslosigkeit der Bezirksfürsorgeverbände, die nicht bereit seien, für Bewahrungsbedürftige, die in ihrem Heim untergebracht seien, und zwar auf freiwilliger Grundlage, zu zahlen. Sie erklärte wörtlich: „Es kann dann" — und sie meinte mit dem „dann" wenn die Bezirksfürsorgeverbände für die Kosten aufkommen würden — „sehr viel auf freiwilliger Basis" — also ohne Zwang — „geschehen". Ich darf allerdings nicht verschweigen, daß sie in ihren weiteren Ausführungen zum Schluß in direktem Gegensatz zu ihren ersten Worten erklärt hat: „Ohne Gesetz ist es nicht möglich, noch mehr Anstalten zu schaffen und in erheblichem Umfang zu helfen". Gerade diese sich widersprechenden Ausführungen beweisen die Problematik und die Schwierigkeiten dieser Materie und sollten uns veranlassen, in unseren Maßnahmen sehr sorgfältig zu sein.
    Der vorliegende Gesetzentwurf bietet uns nicht die Gewähr, daß eine Bewahrung, wie wir sie uns vorstellen, durchgeführt werden kann. Wir müssen den Gesetzentwurf deshalb als Diskussionsgrundlage ablehnen. Der Entwurf definiert weder den Begriff der Bewahrung noch den der Verwahrlosung. Das sind die beiden Begriffe, die schließlich die Grundpfeiler dieses Gesetzes sind. Gerade der Umstand, daß der Begriff der Verwahrlosung keine genügende Definition gefunden hat, läßt die Gefahr entstehen, daß ein viel zu großer Personenkreis davon betroffen wird. Das waren auch schon die Einwendungen in den zwanziger Jahren, die dazu geführt haben, daß der Entwurf nicht verabschiedet wurde. Diese Einwendungen gelten heute noch in vollem Umfang; sie sind sogar durch die inzwischen erfolgten Änderungen in der soziologischen Struktur noch viel schwerwiegender geworden. Es bedarf wohl keines Beweises, daß es sehr schwerfallen dürfte, für die Verwahrlosung im soziologischen Sinne feste Maßstäbe zu schaffen. Also besteht unsere Sorge absolut zu Recht, daß dem freien Ermessen viel zu viel Spielraum eingeräumt wird. Auch die Tatsache, daß für Personen, die bereits verwahrlost sind, und für solche, die zu verwahrlosen drohen, die gleichen Maßnahmen getroffen werden sollen, stimmt uns sehr bedenklich. Sie werden dem — sicher mit einem gewissen Recht — entgegenhalten, daß unsere


    (Frau Korspeter)

    heutige gesellschaftliche Ordnung einen völligen Mißbrauch ausschließt, daß die Öffentlichkeit sich gegen einen Mißbrauch wehren würde. Aber wenn wir Gesetze machen, müssen sie von vornherein so abgefaßt sein, daß jede Gefahr eines Mißbrauchs ausgeschlossen ist. Ich brauche nicht zu betonen, daß wir in Deutschland dazu besonders verpflichtet sind, weil wir ein böses Erbe der Vergangenheit zu überwinden haben.
    Der Gesetzentwurf ist dem Entwurf der 20er Jahre gegenüber insofern verbessert, als er ein Gutachten eines Psychiaters fordert. Aber er läßt die Möglichkeit der Mitarbeit eines Psychiaters und eines Psychotherapeuten bei der Durchführung offen. In dem Gesetz sind keinerlei Möglichkeiten für eine solche ärztliche Behandlung und ärztliche Leitung vorgesehen. Ich glaube, das größte Bedürfnis für uns besteht darin, Heime zu schaffen, Heime mit differenziertem Charakter und wirklich ausreichendem und geschultem Personal. Keine Behörde witd uns heute diese Heime nennen können. Deshalb könnte man praktisch die Voraussetzung für eine echte Lösung dieses Problems nur dadurch schaffen, daß man zunächst einmal Mittel für die Errichtung solcher Heime bereitstellt.
    Meine Herren und Damen, wir hätten noch eine Menge an diesem Gesetzentwurf zu beanstanden. Insbesondere sind wir der Ansicht, daß die Fristen zu lang sind und daß nicht genügend Sicherheiten eingebaut sind. Aber auf einen Paragraphen muß ich noch eingehen. Das ist der § 6, der die vorläufige Bewahrung regelt. Er regelt sie in einer Weise, die die Gefahren dieses Gesetzes deutlich zeigt. Nach diesem Paragraphen kann eine Person ein halbes Jahr lang interniert werden, wenn die Wahrscheinlichkeit der Anordnung endgültiger Bewahrung besteht, ohne daß Sicherungsmaßnahmen gegen eine ungerechtfertigte vorläufige Bewahrung gegeben sind. Wir lehnen deshalb diesen Gesetzentwurf als Diskussionsgrundlage ab und wünschen, daß die Regierung uns einen Gesetzentwurf vorlegt, wie ich ihn vorhin dargestellt habe, einen Gesetzentwurf, der den ganzen Problemkreis umfaßt.

    (Beifall bei der SPD.)