Mylord! Meine sehr verehrten Herren! Namens des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie als die Vertreter des britischen Parlaments herzlichst in unserer Mitte.
Es ist uns eine besondere Ehre und Freude, Sie bei uns zu sehen als die Vertreter des Parlaments eines Volkes, das mehr als alle anderen Völker in seiner politischen Geschichte Beiträge zur Entwicklung des parlamentarisch-demokratischen Gedankens geleistet hat. Man hat Ihr Parlament nicht ohne Grund die Mutter der Parlamente genannt. Als Volksvertretung der Bundesrepublik Deutschland sind wir glücklich, auf diese Weise noch unmittelbarer die Verbindung zu dem Parlament herstellen zu können, dessen Geschichte und dessen Arbeit auch wir für unsere Gestaltung des parlamentarischen Lebens Entscheidendes verdanken.
Mit der Einladung zum Besuch Deutschlands und Bonns, die anzunehmen Sie die Freundlichkeit hatten, beabsichtigt der Deutsche Bundestag, zunächst seinen Dank für die mancherlei Gelegenheiten auszusprechen, die von Ihrem Parlament und anderen Stellen Ihres Landes geschaffen worden sind, bei denen deutsche Parlamentarier und Politiker Einrichtungen des parlamentarischen und politischen Lebens Großbritanniens kennenlernen konnten. Die dabei gesammelten Eindrücke und Erfahrungen waren für den Aufbau unseres Staates und die Gestaltung unserer Arbeit von großer Bedeutung.
Wir sind in den vergangenen Jahren oft genug davon bedrückt gewesen, daß wir als Deutsche immer wieder die Gastfreundschaft Ihres Landes und anderer Völker annehmen durften, aber nicht in der Lage waren, diese Gastfreundschaft in der Weise zu erwidern, die wir schon immer für notwendig gehalten hätten. Um so erfreuter sind wir darüber, daß sich jetzt für uns die Möglichkeit bietet, Sie als unsere Gäste bei uns zu sehen.
Aber unsere Gefühle in diesem Augenblick gehen über die Freude an Ihrem Besuch als solchem hinaus. Einige von Ihnen haben zum Teil an beiden Weltkriegen teilgenommen. Sie haben in den schweren Auseinandersetzungen unserer Völker im Kampf gegen Glieder unseres Volkes gestanden. Wir wissen um all das, was besonders im letzten Krieg mehr als in jedem früheren dazu geführt hat, daß die Kluft zwischen den Völkern scheinbar unüberbrücklich tief wurde. Wir möchten es als ein Zeichen nicht einer leichtfertigen Vergeßlichkeit auf der einen oder andern Seite, sondern als Ausdruck eines Willens zu neuer Begegnung und Gestaltung verstehen dürfen, daß Sie heute hier in diesem Hause sind. Eine Reihe von Mitgliedern des Deutschen Bundestages kommt von der Tagung der Interparlamentarischen Union in Istambul. Auch dort sind mancherlei fortwirkende Scheidungen der Völker sichtbar geworden. Wir haben aber mit großer Dankbarkeit zur Kenntnis genommen, daß es ein Mitglied Ihres Oberhauses, der Präsident der Interparlamentarischen Union, Lord Stansgate, war, der die aus den verschiedensten Völkern herkommenden Parlamentarier mahnte, nicht rückwärts, sondern vorwärts zu sehen. Wir verstehen unsere Arbeit in diesem Hause und in unserem Volke auch so, daß wir die bitteren Ereignisse der vergangenen Jahre zwar nicht vorschnell vergessen oder beiseiteschieben, daß wir aber mit der Bereitschaft zu etwas Neuem darangehen, aus den Trümmern, die uns ein unseliges System hinterlassen hat, etwas Neues und Dauerndes zu bauen.
Wir wissen darum, in wie starkem Maße wir in dem Neubeginn unseres politischen Lebens mit den guten Überlieferungen der Demokratie, insbesondere Ihres Landes, verbunden sind. Auch wenn wir wissen, daß es für jedes Volk Ausprägungen politischer Formen geben muß, die seiner Geschichte und seinen Notwendigkeiten gemäß sind, spüren wir doch täglich die engen Verflechtungen, die im Interesse aller zwischen den Völkern bestehen und bestehen müssen, die die Grundprinzipien der Menschenwürde, des Rechts und der Freiheit zur unverrückbaren Grundlage ihrer Politik machen wollen.
Einige von Ihnen haben Deutschland auch in den Jahren nach dem Kriege bereits gesehen. Sie werden sich aus diesen Erfahrungen ein Bild von den Schwierigkeiten machen können, denen jeder Versuch einer staatlichen Neuordnung in unserem Volk begegnet. Ich hoffe aber, daß Ihnen dieser Besuch und die Eindrücke, die Sie in den verschiedenen Teilen Deutschlands empfangen, auch einen Eindruck davon verschaffen, daß das deutsche Volk in diesen vergangenen wenigen Jahren seit dem Zusammenbruch nicht müßig gewesen ist. Es hat viel Kraft und Arbeit daran gewandt, die bitteren Folgen des Krieges und des Zusammenbruchs zu überwinden. Sie werden hoffentlich den Eindruck gewinnen, daß das nicht ohne Erfolg geschehen ist.
Im gegenwärtigen Augenblick stehen wir an einer entscheidenden Wende nicht nur unserer, sondern der Weltpolitik. Wir hegen die Hoffnung, daß der Zeitpunkt gekommen ist, in dem in dem Maße, das von den gemeinsamen Interessen unseres Volkes und der anderen freien Völker bestimmt ist, die Unabhängigkeit unseres Staates hergestellt wird. Wir hegen diesen Wunsch nicht, weil wir wünschten, in alte nationale Abgrenzungen zurückzukehren, sondern weil wir meinen, daß angesichts der Bedrohungen, denen unser Kontinent und die freie Welt überhaupt unterliegen, alles getan wer-
den sollte, um den Beitrag jedes Volkes zu den gemeinsamen Bemühungen, Freiheit, Frieden und Wohlfahrt unserer Völker zu sichern, möglichst wirkungsvoll zu gestalten.
Ich zweifle nicht daran, daß Sie als Angehörige eines Volkes, dessen Freiheitsliebe sprichwörtlich ist, Verständnis dafür haben werden, daß es unser Wunsch ist, den deutschen Beitrag zum Aufbau Europas und zur Sicherung des Friedens der Welt als ein unabhängiges Volk zu leisten.
Es ist unser fester Entschluß, das zu tun in einer engen Gemeinschaft mit den Völkern, mit denen wir uns in den gleichen Grundlagen unseres staatlichen Lebens verbunden wissen und mit tdenen wir in freier Vereinbarung die dazu erforderlichen Wege festlegen wollen.
Wir verstehen Ihren Besuch als einen Ausdruck dieser wachsenden Gemeinsamkeit und wünschen Ihnen, daß alles, vas Sie bei uns sehen und hören, Ihnen die Gewißheit vermittelt, daß der Weg des deutschen Volkes ein für allemal bestimmt ist als der Weg eines freien, sein Geschick in den Formen demokratischen Lebens gestaltenden Volkes, das durch seine Arbeit zur gemeinsamen Wohlfahrt der freien und friedliebenden Völker beizutragen wünscht.