Rede von
Dr.
Max
Becker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Die Herren Kollegen Freidhof und Sabel haben über die Notwendigkeit, dieses Gebiet als Notstandsgebiet zu bezeichnen, schon genügend Ausführungen gemacht, so daß ich dazu Weiteres nicht zu sagen brauche. Es hat sich hier der Brauch eingeschlichen, daß die Interpellationen immer sehr kurz, in fertig formulierten Sätzen beantwortet werden. Das mag für die erste Beantwortung richtig sein. Aber es scheint mir doch nützlich zu sein, diesen Brauch dahin zu erweitern, daß nicht nur kurze Antworten gegeben, sondern die Dinge ausführlich besprochen werden.
Herr Kollege Dr. Arndt hat den Antrag gestellt, die Angelegenheit dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen. Ich schließe mich diesem Antrag an, in der Hoffnung, daß dort das Nötige im einzelnen 'erörtert werden kann, was bei der beschränkten Redezeit hier nicht ausgeführt werden kann.
Herr Kollege Leuchtgens hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß der Herr Wirtschaftsminister seinerseits Ideen haben und zeigen müsse, was hier zu geschehen habe. Ich habe den Eindruck, daß es auch unsere Aufgabe mit ist — gerade von uns, die wir in den Gegenden zu Hause sind —, Mittel und Wege aufzuzeigen oder uns wenigsten zum Dolmetsch derjenigen Ideen zu machen, die mit neuen Vorschlägen und Initiativen an das Problem herangehen. Ich möchte nach dieser Richtung hin folgendes sagen. Zunächst einmal habe ich an den Herrn Verkehrsminister die Bitte, daß er in einem der nächsten Fahrpläne die Eisenbahnverbindungen in Hessen, die recht schlecht sind, zu bessern versucht. Wenn man gerade von der östlichen Ecke Hessens nach Bonn fahren will, ist dies ohne recht große Zwischenaufenthalte schlechterdings kaum möglich.
Weiter genügt es nicht, daß irgendein Betrag von 1,5 Millionen DM, der gemessen an der ganzen Summe von 25 Millionen DM sehr gering zu sein scheint, nun einfach auf das Gebiet verstreut wird, sondern man muß auch auf andere Weise versuchen, den Dingen näherzukommen. Wenn z. B. — das richtet sich an den Herrn Finanzminister — in der Gemeinde Immenhausen ein früher leerstehendes Fabrikgebäude, das in der Nazizeit zufällig Bundeseigentum geworden ist, an eine Glasfabrik verkauft werden soll, die sich dort schon als Pächter installiert hat, und diese das, was von ihr als Verbesserung in den Betrieb hineingebracht wurde, als werterhöhend, d. h. als kaufpreiserhöhend vorgerechnet bekommt, dann scheint mir das eine fiskalische Betrachtungsweise, aber eine sehr kurzsichtige Methode zu sein. Denn sie erwägt nicht, wieviel Menschen dort Arbeit finden können und daß der Finanzminister indirekt auf dem Wege über Umsatzsteuer und Einkommensteuer und die Gemeinde auf dem Wege über die Gewerbesteuer wieder Einnahmen erzielen kann.
Ich habe ferner den Wunsch auszusprechen, daß bei der Verteilung der Bundesbehörden die Stadt
Kassel nicht zu kurz kommt. Sie ist bisher immer zu kurz gekommen.
Die gleiche Bitte habe ich aber auch an das Land Hessen zu richten. In der Nordecke von Hessen besteht durchaus die Empfindung der Zurücksetzung zugunsten des Südens. Die Wünsche, die hier an die Bundesregierung herangetragen werden, könnten in gleichem Maße und vielleicht mit größerer Zielsetzung noch im hessischen Landtag gegenüber der hessischen Landesregierung vorgebracht werden.
Ich bin der Meinung, Landesregierung und Bundesregierung sollten auf diesem Gebiet Hand in Hand arbeiten.
Als ich im Januar 1950 zum ersten Male die Angelegenheit des Sontraer Kupferschieferbergbaus in die Hand nahm, haben wir zusammen mit den Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums und der hessischen Bergbauleitung eine Verhandlung gehabt. Wir sind allerdings auf meinen Wunsch dahin schlüssig geworden, nichts darüber in die Presse zu bringen, nicht etwa, weil wir befürchteten, daß die Dinge dadurch gestört würden, sondern weil uns mehr daran lag, daß etwas geschieht, als daß darüber geredet wird. Ich hoffe, daß, nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister heute erklärt hat, daß die Bundesregierung die Option von Salzdetfurth anzunehmen bereit ist, sie sich auch das Kalkül aufgemacht hat, daß sie dabei nach außenpolitischen, außenwirtschaftlichen Grundsätzen, aber auch nach sozialpolitischen Grundsätzen nicht schlecht fährt. Denn es ist klar: auch wenn es ein Zuschußgebiet ist, werden die Zuschüsse wahrscheinlich nicht so hoch sein, wie Arbeitslosenunterstützungen, die nunmehr völlig unproduktiv ausgegeben werden, gegebenenfalls sein würden. Außerdem würden die betroffenen Kommunen und die Gemeinden, an die man auch einmal denken muß und die unter der Zusammenballung arbeitsloser Menschen schwer leiden, auch ihren Vorteil finden, wenn dort mehr Arbeit geleistet werden könnte.
Bedauerlich ist nun, daß in diesem Notstandsgebiet Hessen ausgerechnet versucht worden ist, das Gegenteil von Arbeitsbeschaffung zu tun, nämlich Streiks anzuzetteln. Zunächst im Sommer zur Erntezeit ein zusammengebrochener, aber frivol begonnener Landarbeiterstreik, jetzt ein Metallarbeiterstreik. Es ist das gute Recht jeder Seite, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dabei ihren Vorteil zu suchen. Aber es kommt auf die Form an, in der das geschieht. Nach den Berichten, die wir aus Nordhessen bekommen haben, sind dort Terrorakte vorgekommen, die nun doch aller Beschreibung spotten und die den Erfolg haben können, daß gerade das, was hier erreicht werden soll, nämlich in der Allgemeinheit das Interesse für Nordhessen zu wecken, ins Gegenteil verkehrt wird. Wenn der hessische Innenminister selbst zwei Stunden lang vor einem bestreikten Werk verhandeln muß, damit den Arbeitswilligen von den Streikposten Zugang gewährt wird, wenn in Kassel Omnibusse, die mit Standarten versehen sind, herumfahren, um die Streikposten zu verstärken, wenn Stenotypistinnen, die in die Fabrik gekommen sind, wieder herausgeholt werden — ich zitiere nur wenige Fälle; ich könnte Ihnen mehr bringen —, dann ist das das Gegenteil von Arbeitsbeschaffung.
V Wenn dann noch von einer führenden Stelle der Gewerkschaften der Vorschlag gemacht wird, man solle im Arbeitskampf junge unverheiratete Facharbeiter von Hessen weg ins Ausland bringen, dann hört sich doch alles auf.