Ich danke Ihnen.
Ich darf annehmen, daß die Gesuche um Urlaub über eine Woche vom Hause genehmigt sind.
Ich möchte nun den neu zu uns gekommenen Kollegen, den Abgeordneten Oscar Funcke, begrüßen, der an die Stelle des zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählten Dr. HöpkerAschoff zum Bundestagsabgeordneten berufen wurde.
Auf Wunsch der Antragsteller wird die Behandlung von Punkt 1 der heutigen Tagesordnung, die Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP
betreffend Verbilligung von Dieselkraftstoff — Nr. 2466 der Drucksachen —, auf einen späteren Zeitpunkt zurückgestellt.
Ich bin weiter von den Antragstellern gebeten worden, Punkt 4 der Tagesordnung, die Beratung des Antrags betreffend Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Cultural Exchange Program der USA — Nr. 2487 der Drucksachen — heute abzusetzen.
Ferner bin ich gebeten worden, Ziffer 3 der Tagesordnung, betreffend Sicherung des Kohlenbedarfs, erst nach Erledigung von Punkt 5 aufzurufen. — Das Haus ist damit einverstanden.
— Es wurde mir von den Antragstellern mitgeteilt, daß der Abgeordnete, der diesen Antrag begründen soll, noch nicht da sei.
Der Ältestenrat hat beschlossen, den Mündlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend einmalige Winterbeihilfe — Nrn. 2469 und 1470 der Drucksachen, Berichterstatter: Abgeordneter Schüttler — im Zusammenhang mit Punkt 15 der heutigen Tagesordnung zusätzlich zu behandeln. — Es erhebt sich kein Widerspruch; das Haus ist einverstanden.
Ich rufe nunmehr als ersten Punkt die Ziffer 2 der gedruckten Tagesordnung auf, die Ihnen vorliegt:
Beratung der Interpellation der Fraktion der
SPD betreffend Behandlung Nordhessens als
Notstandsgebiet .
Das Wort hat der Abgeordnete Freidhof. —10 Minuten Redezeit haben Sie.
Herr Abgeordneter, noch einen Augenblick! Ich habe vergessen, noch bekanntzugeben, daß der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen unmittelbar nach Beendigung dieser Sitzung zusammentritt.
Freidhof , Interpellant: Meine Damen und Herren! Nachdem der Ältestenausschuß die Redezeit für die Interpellanten auf 10 Minuten festgelegt hat, werde ich mich bemühen, im Telegrammstil einige grundsätzliche Bemerkungen zu unserer Interpellation auf Drucksache Nr. 2434 zu machen. Diese Interpellation hat folgenden Wortlaut:
1. Ist die Bundesregierung bereit, Nordhessen, insbesondere die Stadt Kassel und die Landkreise Eschwege, Rotenburg und Wolf-hagen als Notstandsgebiet zu behandeln?
2. Welche Regelung wird die Bundesregierung hinsichtlich des Kupferschieferbergwerkes in Sontra treffen?
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der nordhessische Raum ein ausgesprochenes Notstandsgebiet ist, das in bezug auf Größe und Bedeutung den anderen Notstandsgebieten in Deutschland gleichkommt. Durch die Zonengrenze, die im Jahre 1945 gezogen worden ist, ist der mitteldeutsche Wirtschaftsraum, zu dem erhebliche Teile des nordhessischen Gebiets gehören, zerrissen worden, ein Gebiet, das 700 Jahre lang zusammengehört hat. Das ergibt sich auch daraus, daß die Industrie- und Handelskammer in Kassel vor 1945 nicht Industrie-und Handelskammer Kassel allein gewesen ist, sondern sich Industrie- und Handelskammer KasselMühlhausen genannt hat. Schon daraus ergibt sich, daß große Teile des thüringischen Gebiets, die jetzt
in der Ostzone liegen, damals mit dem nordhessischen Raum zu einem Wirtschaftsgebiet verbunden gewesen sind.
Nordhessen gehört zu den Gebieten der Bundesrepublik, die die größte Arbeitslosigkeit aufzuweisen haben. Dabei handelt es sich nicht um eine saisonbedingte, sondern um eine strukturelle Arbeitslosigkeit. Eine große Anzahl von Arbeitslosen ist schon jahrelang ohne Beschäftigung; sie haben auch keine Aussicht, in der nächsten Zeit irgendwie Arbeit zu bekommen, wenn nicht für den nordhessischen Raum besondere Maßnahmen im Zusammenwirken des Bundes mit dem Land Hessen ergriffen werden. Diese Maßnahmen können nur im Zusammenwirken durchgeführt werden, und sie müssen auch in der nächsten Zeit durchgeführt werden, wenn dort nicht eine besonders schwierige politische Situation entstehen soll.
Ich möchte zunächst bezüglich der Stadt Kassel eine Bemerkung machen. Die Stadt Kassel gehört zu den am schwersten zerstörten Städten in Deutschland. In einer Eingabe, die die Vereinigung industrieller Unternehmungen von Hessen unlängst an die Abgeordneten des nordhessischen Raums gemacht hat, wird darauf hingewiesen, daß allein in der Stadt Kassel zur Zeit etwa 4000 Bauarbeiter arbeitslos sind.
Das war im Juni dieses Jahres, also zur Zeit der Hauptkonjunktur des Wohnungsbaues. Das sind rund ein Drittel aller Bauarbeiter im Arbeitsamtsbezirk Kassel, die arbeitslos sind.
Ganz besonders aber wirkt sich diese Situation für die Kreise aus, die unmittelbar an der Zonengrenze gelegen sind und durch die Zerreißung des mitteldeutschen Raumes am ersten und am stärksten in Mitleidenschaft gezogen sind. Im Landkreis Eschwege sind beispielsweise nach den letzten Feststellungen 24,8 Arbeitslose auf 100 gerechnet zu verzeichnen, während der Durchschnitt in der Bundesrepublik 11,4 beträgt; also im Kreis Eschwege mehr als das Doppelte. Dazu kommt, daß die Kreisgrenze ungefähr 65 km längs der Zonengrenze verläuft, dem Eisernen Vorhang, und daß auch deshalb durch die Zerreißung dieses Gebiets eine außerordentlich schwierige Situation entstanden ist.
Ferner ist zu berücksichtigen, daß dieses Gebiet infolge seiner geographischen Lage und seiner Rohstoffquellen — Braunkohle, Kali und Kupfer — in den Jahren 1929 bis 1938 eine besondere wirtschaftliche Förderung erfahren hat, insbesondere durch die nationalsozialistische Regierung auf dem Gebiete der Rüstung. Eine Reihe von Rüstungsbetrieben sind dort entstanden. Von diesen Rüstungsbetrieben sind dann allein im Kammerbezirk Kassel 21 total demontiert worden. In derselben Zeit, von 1929 bis zum Jahre 1938, stieg die Zahl der Beschäftigten in diesem Gebiet um rund 40 000 Personen, die aus allen Teilen Deutschlands in dieses Gebiet hineingelegt worden sind, um dort für die Rüstung zu arbeiten. Der Landkreis Eschwege, der vor 1939 eine Einwohnerzahl von 51 000 hatte, hat jetzt eine Einwohnerzahl von 73 000, also eine Zunahme um fast 50 %. Die Stadt Eschwege, die sich ebenfalls in großer finanzieller Sorge wegen der großen Arbeitslosigkeit befindet, hat in demselben Zeitraum eine Zunahme von 15 000 auf 26 000 Einwohner zu verzeichnen.
Dazu kommt, daß fast alle Verkehrswege, die von der Bundesrepublik in die Ostzone führen, stillgelegt worden sind; ich brauche bloß an den Zugverkehr zu erinnern, der von Leipzig über
Eisenach, Erfurt nach dem Westen gegangen ist und umgekehrt. Zwei Hauptstrecken und vier Nebenstrecken der Eisenbahn sowie zwei Omnibuslinien sind stillgelegt worden. Die Reichsautobahn, die von Hersfeld abzweigt und nach Eisenach geht, ist zum größten Teil stillgelegt. Fünf Reichsstraßen und 15 Provinzialstraßen, die nach Thüringen oder nach dem Südharz geführt haben, werden von der Zonengrenze geschnitten und sind infolgedessen ebenfalls stillgelegt worden. Im ganzen nordhessischen Gebiet befindet sich nur noch eine einzige Bahnübergangsstelle; und was das für diesen Bezirk bedeutet, ist klar. Hinzu kommt, daß jetzt die Bundesstraße 27, die einzige Verkehrsstraße, die von Norden nach Süden führt, infolge der Zerstörung der großen Brücke über die Werra bei Laubach überlastet ist, wodurch dem Kreis erhebliche Sorgen bereitet werden. Nur durch Mittel des Bundes kann hier Abhilfe geschaffen werden.
Am schlimmsten betroffen wird der Ringgau, der im Kreis Eschwege liegt und der früher fast ausschließlich nach Thüringen orientiert war. Durch die Grenzziehung sind Hunderte von Menschen, die früher in dem Gebiet, das jetzt in der Ostzone liegt, beschäftigt waren, arbeitslos geworden. Diesem Gebiet kann nur durch Umsiedlung oder durch erhebliche Mittel oder Schaffung neuer Arbeitsplätze geholfen werden. Es handelt sich bei den dort vorhandenen Arbeitslosen um ausgesprochene Dauerarbeitslose.
Ferner kommt hinzu, daß der Zuzug aus der Ostzone in diese Gebiete außerordentlich stark ist und daß diese Bezirke und Kreise durch das ständige Herüberwechseln aus der Ostzone außerordentlich leiden.
Der Abgeordnete Dr. Arndt, der jetzige hessische Ministerpräsident Zinn — als er noch hier als Bundestagsabgeordneter weilte — und ich haben seinerzeit an McCloy einen Brief gerichtet, in dem wir gebeten haben, dem nordhessischen Raum bei der Vergebung von Aufträgen durch die Besatzungsmächte besonders zu helfen. Es ist mir mitgeteilt worden, daß einige Aufträge dorthin gegangen sind, daß aber in letzter Zeit die Aufträge sehr spärlich fließen. Ich möchte auch von dieser Stelle aus an die Besatzungsmacht die Bitte richten, gerade diese Gebiete an der Ostzonengrenze bei der Vergebung von Aufträgen besonders zu berücksichtigen.
Ähnliche Verhältnisse liegen im Kreise Rotenburg und in Wolfhagen und ganz besonders in der Stadt Kassel vor, wo ja während des Krieges die Rüstungsindustrie aufgebläht worden ist und wo auch heute die drei größten Werke auf Staatsaufträge angewiesen sind: die Lokomotiv- und die Waggonindustrie und ebenfalls die Schwerweberei. Nur bei Erteilung von Staatsaufträgen kann dort eine nennenswerte Industrie aufrechterhalten werden.
Die hessische Regierung hat ihrerseits erhebliche Mittel, sogar Millionenbeträge zur Verfügung gestellt, um den Kupferschieferbergbau in Sontra, der ja nach 1945 stillgelegt gewesen ist und dessen Schächte zum größten Teil unter Wasser gesetzt worden sind, wieder in Gang zu bringen. Ebenso hat die hessische Regierung erhebliche Mittel für die nordhessische Industrie und für das Baugewerbe in Nordhessen zur Verfügung gestellt. Aber die Leistungsfähigkeit des hessischen Landes ist begrenzt. Deshalb muß der Bund hier eingreifen und die Möglichkeit schaffen, daß hier ein Wandel in der Struktur erfolgt.
r Es handelt sich bei unserem Antrag nicht nur darum, daß dem Arbeiter geholfen werden soll, sondern dieser Wunsch ist auch aus den Kreisen der Industrie, aus den Kreisen des Handels und aus den Kreisen des Gewerbes an uns herangetragen worden. Ich möchte deshalb die Bundesregierung um eine klare und eindeutige Antwort bitten, was sie tun will, um diesem Gebiet zu helfen.
Ich bin nun gezwungen, am Schluß meiner Betrachtung noch ein anderes Problem anzusprechen, und ich bitte den Herrn Präsidenten, mir für diese Ausführungen noch einige Minuten Zeit zu gewähren. — Das Gebiet ist nicht nur wirtschaftlich auseinandergerissen, sondern auch — was die Eisenbahn betrifft — in zwei Eisenbahndirektionsbezirke, nämlich Kassel und Erfurt. Die Orte, die früher zum Eisenbahndirektionsbezirk Erfurt gehörten, sind zum größten Teil — bis auf zwei — dem Eisenbahndirektionsbezirk Kassel einverleibt worden. Nur die Eisenbahner der beiden Orte Herleshausen und Wommen unterstehen noch dem Eisenbahndirektionsbezirk Erfurt. Sie sind zunächst mit Ostgeld entlohnt worden. Die Verhandlungen, die ich und auch die Eisenbahnergewerkschaft mit dem Verkehrsministerium geführt haben, haben nach langwierigen Bemühungen eine einigermaßen befriedigende Lösung herbeigeführt. Es bestehen aber dort noch Verhältnisse, die umgehend geklärt werden müssen. Ich habe seinerzeit, als der Haushalt des Bundesverkehrsministers hier beraten wurde, aus politischen Gründen keine Ausführungen zu diesem Problem gemacht. Nachdem aber die Bundesregierung und das Verkehrsministerium anscheinend nicht gewillt sind, hier eine befriedigende Lösung herbeizuführen, bin ich gezwungen, diese Bemerkungen zu machen. Ich möchte es trotzdem aus politischen Gründen unterlassen, hier einige Dinge anzusprechen, die, wenn sie der Bundestag in seiner Gesamtheit wüßte, wahrscheinlich von niemandem gebilligt würden, nämlich darüber, wie sich einzelne Minister bei dieser Frage eingestellt haben .