Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen den 20. Juni sind in Westberlin, und zwar im britischen Sektor, insgesamt sechs Deutsche, ehemalige Angehörige der französischen Fremdenlegion, verhaftet worden.
Die Verhaftung erfolgte, soweit bekanntgeworden ist, auf Wunsch des französischen Stadtkommandanten. Diesem Wunsch war durch den britischen Stadtkommandanten stattgegeben worden, und die Verhaftung sowie die anschließende Auslieferung dieser deutschen Menschen wurde durch Organe der Stumm-Polizei mit Genehmigung des Magistrats in Westberlin durchgeführt. Wir haben hier also einen bewiesenen Fall von Menschenraub vor uns, eine Parallele zum Fall Kemritz.
Die von Deutschen und mit deutscher Hilfe verhafteten deutschen Menschen waren Angehörige der Fremdenlegion, der Fremdenlegion, die uns ja hier im Bundestag auf Grund von Anträgen unserer Fraktion mehrfach beschäftigt hat. Wieviel deutsche Menschen monatlich über die in Westdeutschland und. in Westberlin unterhaltenen Werbebüros in den militärischen Dienst des Auslands treten, wissen wir nur annähernd. Am 30. Januar 1950 schätzten die „Luzerner Neuesten Nachrichten" die Zahl der monatlich von den Werbern von sechs Staaten, darunter auch Spanien und Argentinien, auf westdeutschem Boden angeworbenen Deutschen auf 2 000 bis 2 500. Es gibt auch in deutschen Zeitungen der letzten Wochen und Monate Zahlen. So hat z. B. eine führende CDU-Zeitung in Rheinland-Pfalz noch vor einigen Wochen davon gesprochen, daß ihrer Meinung nach monatlich mindestens 4- bis 5 000 Menschen, deutsche Menschen, diesen Weg gehen.
Worum handelt es sich nun im vorliegenden Fall Diese sechs Deutschen, von denen einer, und zwar der ehemalige Fremdenlegionär Jack Holsten, bereits zum Tode verurteilt worden ist, sind aus Vietnam zum Teil geflohen, zum Teil wurden sie dort, wie das bei Jack Holsten der Fall ist, gefangengenommen. Ihre Rückkehr nach der DDR und von dort aus nach Westberlin erfolgte auf Grund eines regulären Vertrages zwischen der Regierung Ho-Tschi-Minh von Vietnam, der einzigen rechtmäßigen Regierung dieses Landes, und der Regierung der DDR, eines Vertrages, in dem man sich auf die gegenseitigen Behandlungs- und Rückführungsbedingungen dieser deutschen Menschen nach Deutschland geeinigt hat. Gleichzeitig mit diesem Vertrage wurde ein gemeinsamer Aufruf an die Deutschen bekanntgegeben, die in Vietnam im Rahmen der Fremdenlegion kämpfen, in dem sie aufgefordert werden, die Waffen niederzulegen und sich nicht mehr länger in diesem Kampf der französischen Kolonialherren gegen das Volk von Vietnam mißbrauchen zu lassen.
Darf ich noch etwas nachtragen. Als diese Menschen in Westberlin ankamen, hat sich bestimmt einer von ihnen, Jack Holsten, bei der britischen Behörde im Lancaster House gemeldet. Dort hat er auch auf die Tatsache hingewiesen, daß sein auf fünf Jahre lautender Verpflichtungsvertrag noch nicht abgelaufen sei. Man hat ihm in dem Hause der britischen Militärregierung ausdrücklich zugesichert, daß er beruhigt sein könne und daß er in Westberlin in der britischen Zone sicher sei. „Nein", das war die Antwort, „wir denken nicht daran, Sie auszuliefern. Kuriert euch erst einmal ordentlich aus."
Und nun zurück. Warum ist dieser Aufruf an die deutschen Menschen, die in Vietnam gegen das Volk von Vietnam kämpfen, die Waffen niederzulegen, erfolgt? Wie ist er berechtigt, worin ist er begründet? — Das Zentralorgan der französischen Kommunistischen Partei, „L`Humanité", schreibt im Zusammenhang mit dem Fall Holsten dazu folgendes:
Als die französische Regierung Henri Martin verurteilte, glaubte sie, ein Exempel zu statuieren. Aber das Urteil wirkte sich im Gegenteil gegen die Männer an der Macht aus. Die Unzufriedenheit nahm in der Marine und in der Armee zu. Die bisher zurückhaltend gebliebenen Heimkehrer begannen ihrerseits Zeugnis abzulegen. Überall erscholl immer lauter der Ruf: „Friede in Indochina!"
Deshalb verliert die französische Regierung den Kopf. Sie bietet den Kautschukplantagenbesitzern und Bankiers ein Sühneopfer an. Sie beschließt, in Berlin einen Deutschen des Expeditionskorps zu töten, weil er die Wahrheit über diesen Krieg in den renazifizierten Sektoren Berlins berichtet hat. Jack Holsten soll sterben . . .
So weit „L`Humanité". Und weiter:
Man kann nicht mit Plünderungen, Raubzügen, Morden, mit dem Anzünden von Städten, Dörfern und mit Massenhinrichtungen unschuldiger Menschen das Herz der Anamiten für Frankreich gewinnen ... Auf die Gefahr hin, einige Leute in Wut zu versetzen, erkläre ich, daß der Einsatz der Fremdenlegion hier den Interessen Frankreichs nicht gedient hat.
lind dann kommt ein Wort zugunsten Holstens. Es wird gesagt, daß der Fall Holsten ein Prüfstein auch für die Beziehungen des deutschen Volkes zum französischen Volke sei. Es handelt sich bei diesen deutschen Fremdenlegionären also um Menschen, die aus den Gefangenenlagern heraus, aus den Arbeitsämtern Westdeutschlands und Westberlins heraus, aus der Ausweglosigkeit heraus, die in Westdeutschland für die Jugend besteht, den Weg in die Fremdenlegion gegangen sind. Dort haben sie über Oran ihre Verschickung; nach Vietnam hinnehmen müssen, und dort in Vietnam haben sie an diesem dreckigen Krieg erkannt, worum es geht. Sie haben die Erkenntnis gewonnen, daß sie sich an den Völkern vergehen, die den Frieden und ihre nationale Freiheit erstreben, und daß sie als deutsche Menschen kein Recht darauf haben, auch nur eine Stunde länger für die französischen Plantagenbesitzer und gegen das Volk von Vietnam die Waffen zu tragen. Sie haben Schluß gemacht mit diesem dreckigen Krieg. Sie sind mit Hilfe der DDR in ihr deutsches Vaterland zurückgekehrt und werden nun mit Hilfe westdeutscher Polizei an ihre Henker in Frankreich ausgeliefert. Das ist die Situation.
Nun haben wir uns, wie ich schon sagte, hier in diesem Hause mehrfach mit dem Problem der Anwerbung deutscher Menschen beschäftigt. Wir Kommunisten haben im Februar dieses Jahres im Zusammenhang mit einer Anfrage auf Herausgabe der Zahlen über die Kriegsgefangenen die Regierung gefragt, wie es mit den Zahlen der deutschen Menschen stünde, die als ehemalige deutsche Kriegsgefangene in die Fremdenlegion überführt worden sind und auf dem Boden von Vietnam oder in der Sandwüste von Afrika den Tod gefunden haben. Wir haben am 8. März 1950 den Antrag eingebracht:
Die Bundesregierung wird beauftragt, bei der Hohen Kommission die sofortige Einstellung der Anwerbung von Deutschen im Bundesgebiet für fremde Militärdienste zu beantragen.
Dieser Antrag ging an den Ausschuß für Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten; das schien also keine deutsche Angelegenheit zu sein. Von dort kam die Stellungnahme zurück:
Dieser Antrag wird durch die Einfügung des § 83 Abs. 1 in das Strafrechtsänderungsgesetz 1950 grundsätzlich als erledigt betrachtet.
Nun ist in diesem Strafrechtsänderungsgesetz bisher nichts geändert worden. Was in dem Strafgesetz geändert worden ist, das waren die Ausnahmebestimmungen gegen die Kämpfer für den Frieden in unserem Volk.
Es heißt dann weiter in der Empfehlung des Ausschusses:
Die Bundesregierung wird ersucht, durch Verhandlungen mit der Oberkommission zu erreichen, daß schon vor dem Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes die Anwerbung von Deutschen für ausländischen Militärdienst unterbleibt.
Darf ich vielleicht im Zusammenhang mit dieser Frage auch einen Satz aus der Antwort des Herrn Bundesministers der Justiz Dr. Dehler auf diesen Antrag zitieren. Er spricht davon, daß diese Änderung in das Strafrechtsgesetz eingefügt werden soll, und sagt dann:
Wir sehen vor, daß als Wehr- oder Rüstungsdienst einer ausländischen Macht nicht der Dienst bei zwischenstaatlichen Einrichtungen gilt, die wir im Grundgesetz vorgesehen haben.
Ich erinnere im Zusammenhang mit dem Problem
der Fremdenlegion daran, weil wir hier die absolute Zustimmung unserer Bundesregierung zu
den inzwischen gebildeten und — wie bewiesen werden kann — bereits jetzt zu militärischen Diensten eingesetzten Arbeitskommandos der Besatzungsmächte haben.
Als wir von der Regierung keine Antwort darauf bekamen, was sie in den von uns geforderten Bemühungen auf dem Petersberg in puncto Einstellung der Werbungen erreicht hat, haben wir am 7. Oktober noch einmal beantragt: „Der Bundestag wolle beschließen: Deutschen Staatsangehörigen ist der militärische Dienst bei bewaffneten Einheiten fremder Mächte verboten." Wir forderten, daß der Bundesregierung die Verpflichtung auferlegt werden sollte, die Landesregierungen anzuweisen, deutsche Staatsangehörige, die sich dem Versuch der Werbung widersetzen, in jeder Beziehung und Richtung zu schützen. Wir haben erleben müssen, daß dieser Antrag ohne jeden Erfolg in den großen Korb der von der Mehrheit dieses Hauses als gegenstandslos bezeichneten Anträge der Kommunisten geworfen worden ist.
Nun, wie ist die Situation? Wir haben hier den offensichtlichen Zustand festzustellen, daß im Kampf um die Einstellung der Werbung deutscher Menschen auf westdeutschem Boden und dem Boden Westberlins ein klares Versagen unserer Adenauer-Regierung vorliegt. Diese Regierung hat nichts unternommen, hat zum mindesten nicht erreicht, daß diese sogar nach dem Grundgesetz eindeutig verbotene Anwerbung von Deutschen auf deutschem Boden für ausländische Militärdienste eingestellt wird. Das ist ein Tatbestand. Wir klagen also auch die Adenauer-Regierung dafür an, daß diese sechs deutschen Menschen ihren französischen Henkern in die Hände gespielt worden sind.
Wir klagen sie an. Auch die Verhältnisse hier in Westdeutschland sind dafür verantwortlich, daß deutsche Jungens als einzigen Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Situation den — —
— Aue? Ja, wagen Sie denn überhaupt einen Vergleich zu ziehen zwischen der Lage der Jugend in
der DDR und hier? Was ist denn los? Dort haben
wir vor uns eine gesunde, eine aufsteigende
Jugend, dort haben wir — da lesen Sie doch gelegentlich einmal Ihre eigenen Zeitungen — eine
Jugend, die jede Möglichkeit des Aufstiegs hat,
dort haben wir eine Jugend vor uns, die in Frieden
arbeitet und die für den Frieden kämpft. Und hier
in Westdeutschland haben wir eine Jugend, die
gerade Sie und Ihre Fraktion liebend gern noch
einmal für den Krieg zu opfern bereit sind, auch
für den Krieg dieser französischen Plantageherren.
So ist die Situation. Wir haben hier eine Jugend ohne Aussicht, ohne Existenzmöglichkeit, eine Jugend ohne Aufstiegsmöglichkeit. Kommen Sie nicht mehr mit der DDR! Sollten die Erlebnisse, die Sie auf Ihrem so künstlich aufgezogenen Jugendtreffen auf der Lorelei hatten,
Ihnen nicht den Unterschied zwischen freier deutscher Jugend und der Jugend, die nur die Aufgabe erfüllen soll, Ihre innen- und außenpolitischen Ziele
zu untermauern, klargemacht haben? So liegen die Dinge.
Wir fordern also von der Regierung, daß sie auf dem Petersberg noch einmal ganz eindeutig zum Ausdruck bringt: Schluß mit der Werbung von deutschen Menschen auf deutschem Boden! Wir verlangen aber auch von Ihnen, die Sie sich so um den Fall Kemritz — und mit Recht, sagen wir - erregt haben,
daß Sie unserem Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zustimmen, der bis in die letzten Winkel hinein klären soll, wer und welche deutschen Stellen an diesem Menschenraub verantwortlich mitgewirkt haben. Wir wollen den Anteil der Polizei von Berlin, dieser Stumm-Polizei, genau kennen, wir wollen wissen, ob hier westdeutsche Organe verschiedener Länderregierungen oder gar der Bundesregierung in diesem Spiel eingesetzt wurden. Vor allen Dingen wollen wir, daß der Bundestag sich zu diesen deutschen Menschen bekennt. Wir wollen, daß der deutsche Bundestag sich einmütig aufrafft, die Regierung zu beauftragen, von der Hohen Kommission die Aufhebung des Todesurteils gegen Jack Holsten, die sofortige Freilassung der Ausgelieferten und das Recht auf Rückkehr in ihre Heimatorte bzw. nach Deutschland zu fordern.
Das verlangen wir von Ihnen und hoffen, daß Sie so viel deutschen Mut und so viel deutsche Gesinnung aufbringen, daß Sie diesem unserem Antrage zustimmen.