Rede von
Hugo
Karpf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wurde vom Bundestag in seiner 159. Sitzung dem Ausschuß für Arbeit überwiesen. Der Ausschuß lur Arbeit hat am 8. September 1951 den Regierungsentwurf behandelt und bei zwei Stimmenthaltungen die unveränderte Annahme des Regierungsentwurfs beschlossen. In einer Aussprache über die Regierungsvorlage wurde im Ausschuß die dem Entwurf beigefügte Begründung bemängelt, soweit sie sich auf die Organisationsverhältnisse in der Landwirtschaft und auf das Nichtbestehen von Arbeitgeberverbänden in einzelnen Bezirken erstreckt.
Das Gesetz, so wurde im Ausschuß betont, ist keineswegs die Ablösung oder Ersetzung eines notwendigen Gesetzes über Mindestlöhne. Die derzeit gültige Fassung des § 5 des Tarifvertragsgesetzes war seinerzeit im Wirtschaftsrat für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Gegenstand sehr schwieriger und langwieriger Verhandlungen mit den beiden Militärregierungen. In dem zuerst vom Wirtschaftsrat verabschiedeten Gesetz war vorgesehen, daß eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfolgen kann, wenn der Tarifvertrag für diesen Wirtschaftszweig von überwiegender Bedeutung ist. Der Militärregierung war dieser Begriff zu unbestimmt. Sie forderte eine genaue Festlegung dahingehend, daß die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Daraufhin wurde vom Wirtschaftsrat eine Neufassung beschlossen, die folgenden Wortlaut hatte:
1. wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 v. H. der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen oder die soziale Ordnung in seinem Geltungsbereich es erfordert und
2. die Allgemeinverbindlichkeit im öffentlichen Interesse geboten erscheint.
Der Militärregierung sagte aber auch diese Fassung nicht zu. Sie beanstandete sie und verlangte, daß bei den Worten: „oder die soziale Ordnung in seinem Geltungsbereich es erfordert" entweder das Wort „oder" durch „und" ersetzt oder die ganze Bezeichnung „soziale Ordnung" fallengelassen wird. Der Wirtschaftsrat entschloß sich, die Worte: „oder die soziale Ordnung in seinem Geltungsbereich es erfordert" zu streichen. Daraufhin fand das Gesetz bei der Militärregierung seine Annahme.
Diese einengende Vorschrift des § 5 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes hat sich inzwischen bei der zunehmenden Bedeutung, die der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zukommt, als unerträglich erwiesen. Es hat sich gezeigt, daß die Allgemeinverbindlichkeitserklärung gerade in den Wirtschaftszweigen, in denen sie von besonderer Wichtigkeit wäre, häufig infolge dieser einengenden Vorschrift undurchführbar ist, da die vorgeschriebene Zahl von 50 v. H. der in diesem Wirtschaftszweig bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten Arbeitnehmer nicht vorhanden ist. Es traten häufig Fälle ein, daß Arbeitgeber ihre Organisation verließen, um dadurch die Möglichkeit einer Allgemeinverbindlichkeit zu unterbinden. Von den Voraussetzungen der Ziffern 1 und 3 abgesehen, kann die Allgemeinverbindlichkeit jetzt nach dem vom Ausschuß verabschiedeten Gesetzentwurf zur Behebung eines sozialen Notstandes erklärt werden. Vom Ausschuß ist jedoch der Vorschlag des Bundesrats, zu bestimmen, daß im Falle des § 5 Abs. 1 Satz 2 die Allgemeinverbindlichkeitserklärung auch wieder aufgehoben werden kann, wenn sie zur Behebung eines sozialen Notstandes nicht mehr erforderlich erscheint, einmütig abgelehnt worden. Der Ausschuß betrachtet diesen Vorschlag des Bundesrats als eine Einengung und hält ihn für systemwidrig. Er entspricht auch nach Auffassung des Ausschusses keineswegs einem praktischen Bedürfnis. Der § 5 des Tarifvertragsgesetzes verwendet den Begriff des öffentlichen Interesses zweimal, aber jedesmal in einem anderen Sinn. In § 5 Abs. 1 wird verlangt, daß die Allgemeinverbindlichkeit im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Wenn das öffentliche Interesse später entfällt, so ist das allein noch kein Grund für die Aufhebung der Allgemeinverbindlichkeit. Gemäß § 5 Abs. 5 kann vielmehr die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nur aufgehoben werden, wenn die Aufhebung als solche im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Es kann nicht entscheidend sein, ob nach Ausspruch der Allgemeinverbindlichkeitserklärung der soziale Notstand entfällt. Maßgebend kann nur sein, ob nachträglich eine Lage entsteht, in der das öffentliche Interesse es verlangt, daß die ausgesprochene Allgemeinverbindlichkeitserklärung wieder aufgehoben wird.
Aus den dargelegten Gründen kam der Ausschuß zu dem angeführten Beschluß, dem Gesetzentwurf in der Vorlage des Regierungsentwurfs seine Zustimmung zu geben und den Abänderungsvorschlag des Bundesrates abzulehnen. Namens des Ausschusses für Arbeit darf ich das Hohe Haus bitten,
dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuß gebilligten Fassung seine Zustimmung zu geben.