Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei der Diskussion, die wir schon einmal in diesem Hause über das Problem Familienausgleichskasse oder staatliche Kinderbeihilfen geführt haben, habe ich bereits im Namen meiner Fraktion auf die große Problematik hingewiesen, die sich daraus ergibt, daß bei uns nicht, wie in vielen anderen Ländern, über die das Internationale Arbeitsamt auf Grund von Erhebungen berichtet, etwa lediglich das Problem des Soziallohns und des Leistungslohns, nicht etwa nur die Frage einer Familienausgleichskasse zur Diskussion steht, sondern daß im Gegensatz dazu bei uns bei jeder Neuordnung berücksichtigt werden muß, daß die Familie durch die vielfältigsten gesetzlichen Regelungen bereits geschützt werden sollte und geschützt ist. Es steht außer Zweifel, daß die bisherige Regelung unvollkommen und nicht ausreichend ist.
Trotzdem möchte ich mich nach dieser ergiebigen
Diskussion über das Für und Wider bemühen,
nur das an Gedanken hinzuzufügen, was in der
Diskussion noch nicht ausgesprochen worden ist.
Vorweg darf ich im Namen meiner Fraktion
sagen, daß wir von allen guten Worten, die hier für den Bestand der Familie gefunden worden sind, hoffen, daß sie nicht nur Worte bleiben, sondern daß in der Diskussion in den Ausschüssen dann auch etwas herauskommt, was uns nicht nur hilft, den Bestand der deutschen Familie, den Bestand der deutschen Arbeitskraft zu sichern, sondern was uns gleichzeitig in die Lage versetzt, in den vielfältigen Problemen und Sorgen, die den deutschen Sozialetat angehen, zu wirklich verantwortlichen und vollkommenen Lösungen zu kommen. Bei der Höhe, die der westdeutsche Sozialetat jetzt schon erreicht hat, muß jede neue Steuer und jede neue Abgabe im Rahmen einer Sozialleistung mit größter Vorsicht und größter Verantwortung gesehen werden! Wir müssen uns immer vor Augen stellen, daß der auch weitgehend verwischte Zusammenhang zwischen der Leistung, dem Leistungslohn und dem sozialen Auftrag doch sehr bald wiederhergestellt werden muß und nicht weiter zerstört werden darf!
Deshalb bin ich, soweit ich auch mit den Ausführungen des Kollegen Naegel übereinstimme, in einem Punkte mit ihm nicht einig, daß es sich nämlich hier lediglich um ein Problem der Lohnpolitik handele und daß an Stelle des Leistungslohns etwa der Soziallohn treten müßte, um dieses Problem vollkommen zu lösen. Wir glauben vielmehr, daß man am Leistungslohn festhalten kann und trotzdem zu Lösungen kommen wird, die dieses wichtige Anliegen der kinderreichen Familien positiv befriedigen können.
Wir glauben außerdem, daß bei der augenblicklichen Situation mit den außerordentlichen Belastungen der Bruttolohnsummen schon eine weitere Erhöhung der Sozialabgaben, die nach dem Antrag der CDU um ein volles Achtel erfolgen würde, zu größter Sorge Veranlassung gibt. Auch die unvermeidbar schematische Verteilung der Mittel — besonders nach dem Antrag der CDU — sollte sehr sorgfältig diskutiert werden! Wir wissen, daß die Not nicht nur in den unteren, sondern ebenso auch in den mittleren und höheren Einkommensgruppen bei kinderreichen Familien sehr drückend ist. Wir sollten Wege finden, diese kinderreichen Familien vor der großen sozialen Benachteiligung zu schützen, ohne daß wir in die Gefahr irgendeines Kollektivs oder einer kollektiven Auffassung der Lösung des Problems hineinrutschen. Als armes, auf den Export angewiesenes Land müssen wir uns alle finanziellen Auswirkungen ganz besonders gründlich überlegen.
In der sehr ergiebigen öffentlichen Diskussion dieses Problems ist immer wieder auf die steuerpolitische Möglichkeit des einfachen Abzugs vom Steuersatz für die Gruppen I, II und III hingewiesen worden. Es ist immer wieder betont worden, daß der einfachste Weg zur Lösung des Problems ohne Schaffung neuer Bürokratien über die Steuersätze führe. Hier möchte ich wieder — und ich habe das schon mehrmals in diesem Hause angedeutet — darauf hinweisen, daß die Revision unserer Steuerpolitik das Vordringlichste ist, was einer solchen Regelung voranzugehen hat.
Ich habe in sehr vielen Zeitschriften, Zeitungen und Erarbeitungen, die uns zu diesem Problem dankenswerterweise zur Verfügung gestellt werden, zwei Dinge gelesen, die mich bedenklich gemacht haben. Das eine war das Problem der Familienzulagen durch Familienausgleichskassen, wie es immer wieder in der Begründung so primi-
tiv dargestellt wird. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich hier nur das Beispiel anführen, das auch in der Presse immer wieder geschildert wird. „Im gleichen Betrieb, am selben Arbeitsplatz arbeiten mit dem gleichen Fleiß und Erfolg zwei Arbeiter um den gleichen Lohn. Beide sind verheiratet. Der eine ist kinderlos, der andere hat vier Kinder." Ich möchte dieses primitive Beispiel nur deshalb erwähnen und nenne es deshalb primitiv, weil es bei der vollkommenen Umstürzung unserer soziologischen Struktur, bei der vollkommen veränderten soziologischen Pyramide des deutschen Volkes kaum einen kinderlos verheirateten Arbeiter, kaum einen Angestellten und kaum einen Beamten geben wird, der nicht weitgehend von der großen Unterhaltsverpflichtung betroffen ist, die sich aus der Massennot unseres Volkes ergibt.
Leider haben wir immer noch keine Statistik über die Unterhaltsverpflichtungen. Ich weiß aus den Kreisen gerade auch der ledigen und vielen weiblichen Angestellten, die diese Unterhaltsverpflichtungen haben, wie ungerecht unsere gesamte Steuerpolitik ist und wie ungerecht eine solche Regelung wäre, wenn sie so einfach und primitiv denjenigen belastete, der ledig, verheiratet und kinderlos oder verheiratet mit ein oder zwei Kindern ist. Ich denke dabei auch an die vielen Spätheimkehrer, die erst sehr spät in der Lage sind, zu einer Familiengründung zu kommen, und für die schon ein zweites Kind unter Berücksichtigung ihrer soziologischen Verhältnisse in der augenblicklichen Situation, ihres Alters und der Verantwortung, die sie für die Zukunft tragen, mindestens genau so verantwortungsbewußt als schwere Belastung finanzieller Art empfunden werden würde o wie etwa das fünfte oder sechste Kind von einem gut Verdienenden in einer gesicherten wirtschaftlichen Lebenssituation. Deshalb warnen wir davor. Wir werden in der Arbeit im Ausschuß mit aller Behutsamkeit auf diese Dinge hinweisen.
Ich möchte nun noch, um dem Vorwurf des Herrn Kollegen Richter zu begegnen, daß beim Internationalen Arbeitsamt diesen Dingen nicht mit großer Freudigkeit zugestimmt worden sei — ich kenne die Argumente nicht —, auf eine Grundsatzfrage hinweisen. Es wird die vornehmste Aufgabe der internationalen Verständigung auf sozialpolitischem Gebiete sein, dafür zu sorgen, daß nicht etwa das Beispiel der europäischen Länder in einer Gleichmacherei dazu führt, zu sagen: Weil das in Frankreich so ist und weil dort 16 % Lohnsummenbeitrag vom Unternehmer erhoben werden, ist das unbedingt ein nachahmenswertes Beispiel, da wir ja ohnehin durch die europäische Verflechtung dazu kommen müssen, diese Dinge möglichst einheitlich zu machen.
Meine Freunde haben die größte Sorge vor der Nachahmung solcher Beispiele nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit. Wir wissen, daß wir in der deutschen Familienhilfe in unserer Sozialversicherung schon in einem erheblichen Maße Leistungen haben, deren Beiträge doch von denen aufgebracht werden, die diese Leistungen nicht für sich in Anspruch nehmen. Da gestatten Sie mir bitte, daß ich Ihnen nur zwei Beispiele nenne. In der deutschen Sozialversicherung haben wir noch lange nicht den Begriff der echten Versicherungsgerechtigkeit, aber den der echten Familienhilfe! Wir haben dort eine Solidarhaftung, in der der Ledige und Kinderlose denselben Beitrag zahlt wie der Kinderreiche. Für seinen Beitrag bekommt er weder in der
Krankenversicherung die Leistung für die von ihm unterhaltene alte Mutter, kranke Schwester oder sonstige Angehörige, noch in der Rentenversicherung eine Rente. Für den gleichen Beitrag bekommt derjenige, der eine große Familie hat, für die Kinder — die unehelichen, die ehelichen, die an Kindes Statt angenommenen — in jedem Falle die Familienhilfe-Leistungen. Für den gleichen Beitrag bekommt in der Angestelltenversicherung sogar die Witwe die Witwenrente und die geschiedene Frau unter Umständen als Kannleistung die zweite Witwenrente.
Der kinderlos Verheiratete oder die Ledige — die nicht heiraten kann, weil sie große Familienverpflichtungen hat, die aus echter Verantwortung nicht möchte, daß etwa ihre Angehörigen zum Wohlfahrtsamt gehen, sondern die diese Aufgaben aus dieser Verantwortung heraus freiwillig übernommen hat —, diese Männer und Frauen werden belastet in einem Maße, das einer echten und gerechten Neuordnung bedarf.
Ich muß leider wegen des Zeitdrucks zum Schluß kommen. Ich bedaure das, weil zu diesem Problem noch so unerhört viel hinzuzufügen wäre von den Fragen, die hier nicht angeschnitten worden sind. Ich möchte im Namen meiner Freunde nur sagen, daß wir einen guten Beginn der Arbeit für die Lösung der Fragen auf diesem Gebiet aufs wärmste begrüßen, daß wir aber große Bedenken dagegen haben, anzunehmen, daß etwa der hier vorgelegte Antrag der CDU der Weisheit letzter Schluß sei und die Probleme in ihrer vollen Bedeutung erkenne.