Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Bedeutung der Familie für Volk, Staat und Gesellschaft ist schon so oft und so deutlich gesprochen worden, daß es eigentlich verwunderlich ist, feststellen zu müssen, wie wenig Aufmerksamkeit der Bedeutung der Familie für die Wirtschaft bisher gewidmet wurde. Gerade das Thema, das heute hier zur Diskussion steht, sollte uns veranlassen, darüber nachzudenken, wie die Not der Familien durch eine echte Leistung der Wirtschaft beseitigt werden könnte. Mit Recht ist schon darauf hingewiesen worden, daß das Familienproblem eines der schwerstwiegenden Sozialprobleme der Gegenwart ist. Von dem Umfang sowie von der Art und Weise unserer Bereitschaft, dieses Problem zu lösen, hängt nicht nur das Schicksal der Familien, sondern darüber hinaus auch das Schicksal der ganzen menschlichen Gesellschaft ab.
In Würdigung dieser Gedanken ist Ihnen unter Federführung des Herrn Kollegen Winkelheide von der CDU/CSU-Fraktion das Gesetz über die Einrichtung von Familienausgleichskassen vorgelegt worden, um damit einen Beitrag zur Linderung der materiellen Not und zur Beseitigung der Diskriminierung der kinderreichen Familien zu leisten. Der Inhalt der Gesetzesvorlage ist Ihnen bekannt; Herr Kollege Winkelheide hat die Vorlage begründet.
Ich möchte noch einige Gedanken hinzufügen, nicht nur als Stellungnahme meiner Fraktion, sondern auch — und das darf ich hier besonders betonen — als Stellungnahme einer Reihe von Unternehmerorganisationen sowohl aus der gewerblichen Wirtschaft wie aus der Landwirtschaft, die sich positiv zu diesen Gedanken geäußert haben. Zunächst einige Zahlen. Die deutsche Bundesrepublik zählt rund 11,8 Millionen Kinder unter 15 Jahren, wie es mein Herr Vorredner, Herr Kollege Richter, bereits angedeutet hat. Davon sind 57 % Erstkinder, 26 % Zweitkinder und nur 17 % Dritt- und Mehrkinder. Von 12,2 Millionen Haushaltungen in der Bundesrepublik haben rund 10 Millionen Haushaltungen keine Kinder oder nur ein Kind, im Höchstfall aber zwei Kinder. Ich glaube, diese Zahlen zeigen schon sehr deutlich, daß besonders der soziale Lebensstandard heute von den Familien mit zwei Kindern, mit einem Kinde oder mit keinem Kinde bestimmt wird. Die Folgen für die Familien mit zwei oder drei oder mehr Kindern
sind offensichtlich. Diese Familien erreichen den • sozialen Lebensstandard, der unter ihresgleichen üblich ist, nicht mehr. Das bedeutet schlechtere Wohnverhältnisse, schlechtere Kleidung, schlechtere Ernährung und letzten Endes auch schlechtere Ausbildungsmöglichkeiten gerade für diese Kinder. Die Lage führt mit innerer Konsequenz zu einem ständigen Abnehmen der Familien, die noch bereit sind, drei oder mehr Kindern das Leben zu schenken.
Im Jahre 1949 wurden in der Bundesrepublik 791 000 Kinder geboren; im Jahre 1950 waren es bereits 20 000 weniger. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird das deutsche Volk in wenigen Jahrzehnten nicht mehr genügend Hände zur Verfügung haben, um das heutige Sozialprodukt zu erzeugen. Es droht auch die Gefahr, daß die Altersversorgung für die breiten Jahrgänge, die heute im Alter von 40 bis 60 Jahren in Arbeit und Brot stehen, nicht mehr geleistet werden kann. Neben den anderen Gründen für den Geburtenrückgang darf hier auf die Wirkung der sozialen Deklassierung der kinderreichen Familien verwiesen werden.
Um diesen Erscheinungen entgegenwirken zu können, bedarf es einer Änderung der Einkommensverhältnisse für kinderreiche Familien. Für den kinderreichen Arbeitnehmer bedeutet das eine Umgestaltung seines Lohnes nach Maßgabe seiner Familienstruktur. Der bloße Leistungslohn, wie er heute noch vorherrscht, wirkt sich kinder- und familienfeindlich aus. Es ist deshalb ein Gebot der Gerechtigkeit und der Vernunft, die Forderung nach Kinderbeihilfen zu erheben. Diese Forderung ist nicht neu; sie ist, wie vielen in diesem Hause bekannt sein dürfte, schon lange in den sozialen Enzykliken und in Äußerungen christlicher Sozialpolitiker dargelegt worden. Der scheinbar bequemste Weg zu einer solchen Lösung wäre es natürlich, diese Aufgabe dem Staate zuzuweisen. Aber hüten wir uns davor, Familie und Jugend zu verstaatlichen.
Nach unserer Auffassung muß hier, wie schon Herr Winkelheide sagte, das Subsidiaritätsprinzip Platz greifen. Primär ist es eine Aufgabe der Wirtschaft, für den wirtschaftenden Menschen und damit auch für seine Familie zu sorgen.
Dem Staat hingegen fällt die Aufgabe zu, Hilfsstellung durch eine entsprechende Gesetzgebung zu leisten. Die „Aufzucht" der Kinder kann niemals Aufgabe der Gesellschaft sein, sondern es ist ein natürliches Recht und eine natürliche Verpflichtung der Familie, zu deren Erfüllung der Ernährer der Familie durch entsprechende Bemessung seines Lohnes bzw. Einkommens instand gesetzt werden muß.
Es handelt sich hier also um ein Problem der Lohnpolitik, das nur durch Maßnahmen der Lohn- und Einkommenspolitik sinnvoll gelöst werden. kann, das aber nicht auf staatliche Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen abgeschoben werden darf.
Wenn wir somit anerkennen, daß hier eine echte Aufgabe der Wirtschaft vorliegt, so sehen wir zwar in der Einzelregelung des isoliert stehenden Betriebes eine anerkennenswerte Leistung; wir sehen aber auch die Gefahr, daß bei schwieriger Kosten-und Wettbewerbslage gerade der kinderreiche Arbeitnehmer benachteiligt werden kann. Demgegenüber bietet die Errichtung von Familienausgleichskassen innerhalb der einzelnen Berufs- und Wirtschaftszweige nach Maßgabe des Gesetzes die Möglichkeit des überbetrieblichen Ausgleichs und damit die größere Sicherheit für den kinderreichen Arbeitnehmer. Es ist uns bekannt, daß eine große Reihe von Betrieben schon von sich aus isoliert Kinderbeihilfen zahlen. Es ist zu hoffen, daß diese Betriebe auch nach Einführung der Familienausgleichskassen ihre etwa darüber hinausgehenden Leistungen für ihre eigenen Arbeitnehmer beibehalten.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß bereits in fast allen europäischen Ländern gesetzliche Regelungen für Kinderbeihilfen in Form von Familienausgleichskassen oder ähnlichen Einrichtungen bestehen, so z. B. in Holland, Belgien, der Schweiz, Frankreich, Spanien, ja sogar in vielen Ostblockstaaten.
Ich glaube, es ist wirklich an der Zeit, daß auch die deutsche Bundesrepublik nun endlich dieses Problem aufgreift und möglichst bald eine gesetzliche Regelung durchführt. Die Vorlage, die wir Ihnen unterbreiten, soll dazu als Diskussionsgrundlage dienen. Wir hoffen, daß in den Ausschußberatungen eine Fülle von Einzelfragen noch beraten und einer endgültigen Lösung zugeführt werden kann. Wir hoffen, daß die endgültige Verabschiedung des Gesetzes in diesem Hause recht bald erfolgen kann. Wir sind uns bewußt — und viele Eingaben und zustimmende Meldungen aus der Unternehmerschaft haben uns das deutlich gemacht —, daß im Grundsatz auch der überwiegende Teil der in der Wirtschaft tätigen Unternehmer zustimmt. Wir sind uns bewußt, daß einige Änderungen und Wünsche auf Angleichung an zeit- und wirtschafts- oder marktgemäße Verhältnisse berechtigt sind. Wir hoffen, daß wir in den Ausschußberatungen diese Probleme schnell lösen können.
Die Aufbringung der Mittel durch die Arbeitgeber allein halten wir für tragbar, obwohl wir uns darüber klar sind, daß dadurch echte Kosten entstehen, genau so wie bei den Sozialversicherungsbeiträgen und anderen Leistungen. Wir glauben aber, daß die Erhaltung der Wettbewerbsgleichheit einen sehr wesentlichen Gedanken dazu beiträgt, daß man die Tragbarkeit durch die Arbeitgeber verantworten kann. Alle konkurrierenden Betriebe werden eben durch die Tatsache, daß innerhalb der einzelnen Wirtschafts- und Berufsstufen diese Familienausgleichskassen gebildet werden, gleichmäßig belastet; aber die Belastung kommt in einem sehr geringen Umfang wirklich zum Durchschlagen. Ein gewisser einmaliger Stoß ist vielleicht nicht ganz zu vermeiden; aber er ist wesentlich kleiner, als ihn z. B. die Umsatzsteuererhöhung ausgelöst hat.
Es gibt sehr viele positive Momente, die für den Gesetzesvorschlag sprechen und die Ihnen bereits von Herrn Winkelheide vorgetragen worden sind. Ich möchte aber noch einige hinzufügen. Vor allen Dingen scheint es mir notwendig und bedeutungsvoll zu sein, immer wieder darauf hinzuweisen, daß hier durch die Einführung der Familienausgleichskassen eine soziale Maßnahme ohne Preisgabe des Leistungsprinzips erreicht wird. Die Regelung der Verwaltung ist denkbar einfach, und ich habe nicht die Bedenken, die Herr Kollege Richter aussprach, daß nun eine Fülle von Ausgleichskassen mit neuen Präsidenten und der entsprechenden Bürokratie eingerichtet werden müßten. Denn vergessen wir doch nicht: die Beiträge für die Unfallversicherung an die Berufsgenossenschaften müssen ja nach wie vor bezahlt werden, und die Bezahlung hat bisher
doch keine technische Schwierigkeiten gemacht. Außerdem wird die meiste Arbeit ja in den Lohnbüros geleistet werden, und sie ist in einem so kleinen Umfang zusätzlich vorhanden, daß sie dort ohne weiteres geleistet werden kann.
Durch die Kinderbeihilfen über die Familienausgleichskassen tritt eine Kaufkraftvermehrung gerade an den Stellen ein, wo sie durch ein echtes Bedürfnis bedingt ist. Die Diskriminierung der kinderreichen Arbeitnehmer wird endgültig beseitigt, und die Beschäftigung erfolgt in Zukunft ohne Rücksicht auf die Familienstruktur der Beschäftigten. Gesamtwirtschaftlich gleicht sich die geringe Belastung der Wirtschaft durch die neue Regelung jederzeit aus. Aber auch im Einzelfalle tritt ein Ausgleich ein, wenn man die Produktivitätssteigerung des einzelnen Menschen in der Wirtschaft berücksichtigt und diese mit 1,5 % im Jahre annimmt.
Wir erblicken in der Einführung der Familienausgleichskassen einen wesentlichen Schritt auf dem Wege zur sozialen Lohngerechtigkeit hin, die die christliche Soziallehre jederzeit fordert. Wir sehen in ihnen eine Einrichtung, die das wirtschaftliche Prinzip des Leistungslohnes, auf dem die betriebliche Lohnpolitik beruht, ja beruhen muß, in hervorragender Weise mit dem ethischen Prinzip des Soziallohns vereinbar macht, und wir bitten das Hohe Haus, diese Gesetzesvorlage nach den Ausschußberatungen mit möglichster Beschleunigung zum Abschluß zu bringen.