Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Antrag auf Drucksache Nr. 163 vom 4. November 1949 über die Errichtung von Familienausgleichskassen zu keiner Gesetzesvorlage geführt hat, bringt die CDU/CSU-Fraktion diesen Antrag heute erneut ein. Zur Begründung erlaube ich mir folgendes auszuführen.
Die Familie ist wie kaum eine andere Institution der menschlichen Gesellschaft in den. Strudel des Zusammenbruchs gestürzt. Während der Staat seine Einnahmen beschließt, wenn notwendig, erhöht und während Organisationen ihre Beiträge beschließen und verlangen, führt die Familie zum großen Teil ein kümmerliches Dasein im Schatten der Interessenorganisationen. Die Familie ist in ihren ganzen Lebensbedingungen fast ausschließlich auf das Arbeitseinkommen angewiesen. Auch alle Lohnerhöhungen und Steuererleichterungen werden in der gegenwärtigen Situation nicht mehr wirksam und verbürgen nicht mehr ein menschenwürdiges Dasein. Man könnte eine Reihe Begründungen anführen, wie sich das Arbeitseinkommen verteilt in Familien, in denen keine Kinder, in denen wenige Kinder und in denen vier und mehr Kinder vorhanden sind. Darauf will ich verzichten, weil es allgemein bekannt ist. Nur ein einziges Beispiel! Die Preissteigerung der letzten Monate wirkt sich bei einer neunköpfigen Familie in der Höhe
von 37,88 DM aus, ein sehr erheblicher Betrag, wenn auch diese Familie von dem reinen Arbeitseinkommen leben muß.
Die Frage, die heute Millionen von Familien an uns, den Deutschen Bundestag, richten, lautet — und das ist gestern nachmittag an dieser Stätte auch ausgesprochen worden —: Soll die Familie, besonders die kinderreiche Familie, verkümmern und untergehen? Der Notschrei von vielen Familien geht dahin, daß das Arbeitseinkommen durch einen Soziallohn ergänzt werden muß, wenn die gesunden Lebensgrundlagen und Entfaltungsbedingungen der Familie - eine familiengerechte Wohnung, ausreichende Ernährung und Kleidung und die Teilnahme am Kulturgeschehen, an einem Stück Eigentumsbildung zur Sicherung der Freiheit und Unabhängigkeit - gewährleistet werden soll. Viele Tausende Kinder beklagen heute, daß die Mutter einen Arbeitsplatz in der Fabrik angenommen hat, um einen zusätzlichen Verdienst in die Familie hineinzutragen. Wir wollen uns in diesem Hohen Hause bewußt werden, daß Familiennot Volksnot ist und daß der Familienuntergang einen Volksuntergang bedeuten würde. Die Familie hat das Recht und - das ist, glaube ich, unbestritten — sie hat ein natürliches Recht auf gesunde Lebens- und Entfaltungsbedingungen. Immer noch ist die Familie die Urzelle der Gemeinschaft unseres Volkes. Ferner steht fest — auch das ist gestern nachmittag sehr stark zum Ausdruck gekommen—, daß die Familie kraft ihrer ethischen Grundlage und geistigen Unabhängigkeit alle von Menschen und Zeiten geschaffenen Staatsformen überdauert hat und heute noch das stärkste Bollwerk der persönlichen Freiheit im Kampf gegen den Kollektivismus ist.
Diese Verpflichtung sollten wir hier übernehmen, und der Deutsche Bundestag sollte in seiner Gesetzgebung stärkstens die soziale Familienpolitik verfolgen.
In Art. 6 unseres Grundgesetzes ist herausgestellt, daß Ehe und Familie dem staatlichen Schutz besonders unterstehen. Nicht zuletzt sollten wir uns nicht beschämen lassen von fast 25 Staaten um uns herum, die eine klare und eindeutige Familiengesetzgebung erlassen und die das Arbeitseinkommen in der Familie durch den Soziallohn ersetzt haben. Früher ist es einmal so gewesen, daß die Selbsthilfe kraft der Eigentumsbildung in der Familie möglich war; aber durch die Schaffung des Nur-Lohn-Arbeiters bleibt den meisten Familien nur das Arbeitseinkommen. Das Eigentum ist zum Teil zerstört, und die allgemeine Belastung ruht darauf, so daß es kaum möglich ist, die Familie zur Selbsthilfe aufzurufen, damit der Lastenausgleich sich auf dieser Ebene vollzieht. Es gibt ein fundamentales Wort: Wo die Kraft der kleinen Gemeinschaft aufhört, muß die größere Einheit einspringen und eintreten und die Pflicht übernehmen, helfend einzugreifen. Wem obliegt hier also diese Pflicht? Dem Staat und der Wirtschaft. Der Staat hat die Aufgabe, das Hilfsgesetz, das Rahmengesetz zu schaffen und der Wirtschaft die Verpflichtung aufzuerlegen, hier helfend einzugreifen.
Sinn des vorliegenden Gesetzes soll und darf nicht sein, der Familie jede Sorge für die Kinder abzunehmen, die des Lebens höchstes Glück bedeuten, sondern Sinn des vorliegenden Gesetzes soll nur sein, eine bescheidene Grundlage für die Familie mit mehr als zwei Kindern zu schaffen.,
Diesem Ziel sollen die Familienausgleichskassen dienen, die der Gesetzentwurf erstrebt. Die Familienausgleichskassen wünschen wir innerhalb der Wirtschaftszweige und Berufsverbände. Das vorliegende Gesetz ist nicht der Weisheit letzter Schluß, aber es sind keine besseren und stichhaltigeren Vorschläge gemacht worden, die rechtfertigen könnten, dem Staat die Aufgabe in Form von staatlichen Kinderbeihilfen zu übertragen.
Welche Prinzipien rechtfertigen die Familienausgleichskassen? Ich möchte vier Prinzipien herausstellen: Erstens die Erhaltung des reinen Leistungslohns und des echten Wettbewerbs; zweitens das Subsidiaritätsprinzip; drittens das Solidaritätsprinzip, das auch in der Wirtschaft Geltung haben muß, und viertens die Verhinderung der weiteren Verstaatlichung des persönlichen Lebens.
Das erste Prinzip, die Erhaltung des reinen Leistungslohns. Die Frage der Lohngerechtigkeit ist immer umstritten gewesen und wird umstritten bleiben. Die Lohngerechtigkeit stellt auf der einen Seite die Aufgabe, die Arbeitsleistung richtig zu bewerten, damit die Gleichwertigkeit der Gegenleistung erreicht werden kann. Der Leistungslohn gibt dem Familienvater und dem Junggesellen ein gleiches Arbeitseinkommen. Durch die Not der letzten Jahre, besonders seit 1945, sind auf Grund der abgeschlossenen Tarifverträge sehr viele soziale Bestandteile in den Leistungslohn eingebaut worden. Je mehr aber soziale Bestandteile in den Leistungslohn eingebaut werden, desto mehr erhöht sich das Lohnkonto des Betriebes, und der Betrieb wird dadurch belastet. Die Folge ist, daß der Familienvater kaum noch eine Arbeit finden kann, weil er eben das Lohnkonto des Betriebes zu stark belastet. Deshalb muß im Betrieb der Leistungslohn erhalten bleiben und der Soziallohn auf überbetrieblicher Grundlage gefunden werden. Darum schlagen wir die Bildung der Familienausgleichskassen vor, in die jeder Betrieb einen gleichen Prozentsatz seiner Lohnsumme einzahlt. So ist der gleiche Start für alle Betriebe im echten Wettbewerb gesichert, und der Leistungslohn bleibt unberührt.
Auch das zweite Prinzip, das Subsidiaritätsprinzip, rechtfertigt die Schaffung der Familienausgleichskassen. Wenn der Staat die Kinderbeihilfen zahlen würde, müßte er das Geld heute bei der gegenwärtigen Notlage der Staatsfinanzen aus der Wirtschaft holen. Eine Belastung der Junggesellen und der Kleinfamilien ist nicht möglich. Kriegszerstörung und Neugründung haben einen erheblichen Nachholbedarf bei jedem Menschen hervorgerufen. So bleibt allein noch die Wirtschaft übrig. Warum soll denn das erforderliche Geld erst über den Staat wandern und über den vermeidbaren Verwaltungsapparat ausgezahlt werden? Das wird die
wirtschaft in Verbindung mit den Sozialversicherungseinrichtungen viel billiger tun. Was der einzelne Wirtschaftszweig als kleine Einheit leisten kann, das darf der Staat nicht übernehmen.
Drittens. Das Solidaritätsprinzip muß auch in der Wirtschaft Geltung finden. Wenn der Leistungslohn, wie ich sagte, aus dem Betrieb geleistet wird, so muß der Soziallohn aus der Gesamtheit der Wirtschaft sichergestellt werden. Der hier vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, über die Familienausgleichskassen der Wirtschaftszweige eine zentrale Familienausgleichskasse zu setzen, damit kein Wirtschaftszweig mehr bzw. weniger zu
leisten hat. Die Gegenleistung der Familien für die Wirtschaft wird eine bessere Berufswahl und eine sorglose Fachausbildung sein. Durch, das System der Familienausgleichskassen trägt die Wirtschaft, glaube ich, eine Gesamtschuld an unseren Familien ab. Sie finanziert die zu zahlenden Kinderbeihilfen aus ihrer Gesamtheit.
Viertens, die Verhinderung der weiteren Verstaatlichung des persönlichen Lebens. Staatliche Kinderbeihilfen haben immer den Beigeschmack der Fürsorge.
Demgegenüber sichert die Familienausgleichskasse dem Familienvater ohne Antrag und ohne Formulare ein Recht auf den Soziallohn. Darüber hinaus wirkt die Familienausgleichskasse erzieherisch besser. Weite Kreise unseres Volkes haben sich daran gewöhnt, für jede Notlage sofort den Staat in Anspruch zu nehmen.
Die Familienausgleichskasse auf der Grundlage der Wirtschaft läßt deutlich erkennen, daß alles Geld, das ausgegeben wird; erarbeitet werden muß. Auch die Unabhängigkeit der Familie vom Staat ist durch die Familienausgleichskassen und ihre Selbstverwaltung besser gesichert.
Die Einwände, die gegen die Familienausgleichskassen gemacht worden sind und noch gemacht werden, lassen sich alle widerlegen. Es gibt keinen stichhaltigen Grund, diese Aufgabe dem Staat zu überantworten. Der vorliegende Gesetzentwurf, Drucksache Nr. 2427, sieht vor, daß zunächst einmal ganz klar und eindeutig der Leistungslohn gesichert bleibt, sieht vor, daß der Wirtschaft die Freiheit gegeben wird, die Familienausgleichskassen innerhalb ihrer Wirtschaftsverbände mit einer Genehmigung durch den Bundesarbeitsminister zu gründen. Das Gesetz beschränkt den Kreis der Empfangsberechtigten. Vom dritten Kind an soll gezahlt werden: eine bescheidene Grundlage, weil Sinn des Gesetzes ist, den Lebensstandard der kinderreichen Familie zu heben. Das erste und zweite Kind erfaßt man zum großen Teil noch durch Steuergruppe III. Für sie wird also eine Erleichterung gegeben. Würde man das erste und zweite Kind einbeziehen, würde der Lebensstandard der kinderreichen Familie sich sowieso nicht heben. Deshalb schlagen wir die Lösung vor, vom dritten Kind an Kindergeld zu zahlen.
Der Gesetzentwurf paßt sich weitgehend der Steuergesetzgebung an, um ein großes Stück Verwaltungsarbeit zu ersparen; denn wir denken uns den Ablauf einfach, klar und eindeutig: der Betrieb zahlt das Kindergeld auf Grund der Steuerkarte aus, der Betrieb verrechnet Plus und Minus mit der Familienausgleichskasse des Wirtschaftszweiges, die Familienausgleichskasse des Wirtschaftszweiges verrechnet Plus und Minus mit der zentralen Familienausgleichskasse. So glauben wir, die ganze Angelegenheit als ein Auftragsangelegenheit den Berufs- bzw. Unfallgenossenschaften übertragen zu können, um keine neue Verwaltungsbehörde mehr aufbauen zu müssen.
Ich glaube, die psychologische Wirkung des Gesetzes in unserem Volke wird die sein, daß unser Volk, besonders die kinderreichen Familien, anerkennen, daß hier endlich der Staat einen Gerechtigkeitsakt vollzogen hat. Zweitens werden die Betriebe solidarisch zusammenwachsen. Drittens wird die Berufswahl in den kinderreichen Familien hinsichtlich des Facharbeiternachwuchses besser gewährleistet sein. Darüber hinaus wird, glaube ich, vielen Familien die Mutter wiedergegeben werden. Nicht zuletzt verhindern wir durch dieses Gesetz die weitere Verstaatlichung ides persönlichen Lebens der Familie.
Ich darf das Hohe Haus bitten, den vorliegenden Antrag, Drucksache Nr. 2427, dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. An den Ausschuß richte ich die Bitte, die Angelegenheit zu beschleunigen — wir warten schon 1 1/2 Jahre auf die Regelung —, damit der Deutsche Bundestag dieses Gesetz unseren deutschen Familien als Weihnachtsgeschenk übermitteln darf.