Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Der Art und Weise, wie dieses Gesetz im Ausschuß und auch hier behandelt worden ist, war deutlich anzumerken, wie dahinter der ständige Druck höherer Stellen stand, höherer Stellen, die Wert darauf legten, daß dieses Gesetz unter Außerachtlassung aller sonst üblichen Gründlichkeit mit größter Eile zur Verabschiedung gelangt.
Es ist im Ausschuß mehr als einmal vorgekommen, daß ein sonst so würdiger und ernsthafter Mann wie der Vorsitzende verlauten ließ, daß man sich eilen müsse, daß man ja doch noch vor den Ferien fertig werden müsse. Wenn nicht ein indirekter oder gar ein direkter Druck von oben her, seitens der Regierung
ausgeübt worden wäre, dann wären solche Andeutungen niemals gemacht worden.
Wenn Sie das aber in_ den Zusammenhang der politischen Ereignisse der letzten Tage hineinstellen, so ist es klar, warum der Regierung daran gelegen war, warum sie eine solche Eile an den Tag legte. Wir haben auf dem Umweg über ausländische Zeitungen gehört, welches der Inhalt der Besprechungen war, die der amerikanische Hohe Kommissar in der vergangenen Woche mit dem Bundeskanzler gepflogen hat. Wir haben gehört, daß sie sich mit der Frage der beschleunigten Durchführung der Remilitarisierung auf der Grundlage des Angebots der Bundesregierung befaßten,
eines Angebots, unverzüglich mit der Aufstellung der ersten 250 000 Mann zu beginnen.
Darum, weil d i es e Sache drängte, mußte dieses Gesetz unter Außerachtlassung der Gründlichkeit und der sonst üblichen Methode der Behandlung so schnell wie möglich herbei, darum, weil es sich im Grunde genommen bei diesem Gesetz um nichts anderes handelt als um ein Gesetz zum Schutz der Remilitarisierung.
Man hat sehr deutlich die politische Absicht gespürt, die mit diesem Gesetz verbunden ist. Denn wie sollte man es sich sonst erklären, daß gerade der Abschnitt über „Friedensverrat", der im Ausschuß zuerst behandelt wurde, nunmehr der Vorlage nicht angehört? Ursprünglich war man der Meinung, daß es zu einem solchen Gesetz gehöre — das entsprach auch der Vorlage des Justizministeriums —, Vorschriften für die Bestrafung von Verbrechen und Vergehen gegen den Frieden aufzustellen. Im ersten Abschnitt der ursprünglichen Vorlage war vorgesehen, daß mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft werden sollte, wer mit bewaffneter Gewalt eine Angriffshandlung, die geeignet ist, einen Krieg auszulösen, vorbereitet. Es war vorgesehen, daß mit 10 Jahren Zuchthaus bestraft werden sollte, wer ein solches Unternehmen vorbereitet. Es war vorgesehen, alle groben Entstellungen und Verleumdungen, die geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, mit Gefängnis zu bedrohen. Es war vorgesehen, denjenigen, der zur Kriegführung geeignete Waffen oder Munition herstellt, lagert oder befördert, mit Gefängnis zu bestrafen, und derartiges mehr.
Ich möchte jemand sehen, der den Mut hat, zu sagen, daß diese Dinge nun nicht mehr aktuell für das Volk seien. Jawohl, für die Bundesregierung sind derartige Bestimmungen heute nicht mehr aktuell, sind sie unerwünscht, und darum wurden sie gestrichen, eben weil man es nicht für opportun hält, heute Gesetze zu verkünden, die die Kriegshetzer in die Schranken weisen und vielleicht die Kämpfer für den Frieden zu stärken geeignet wären.
Man hat mit diesem Gesetz erreichen wollen, daß die Fiktion eines separaten westdeutschen Staates definitiv und durch gesetzliche Bestimmungen des Hochverrats geschützt werde. Man hat dieses Gesetz ausgearbeitet, um der Bundesregierung eine „Stärke" zu verleihen, über die sie auf normale Art und Weise nicht verfügen kann. Denn wenn die Regierung den Appell an das Volk richten würde, ob es mit der Politik der Kriegsvorbereitung, der Bereitstellung des sogenannten „Sicherheitsbeitrages" einverstanden ist, so würde ihr ein eindeutiges Nein entgegengerufen werden.
Weil aber die Regierung weiß, daß sie eire solche Stärke für ihre agressive, reaktionäre, unsoziale Politik im Volke nicht hat, darum möchte sie sich künstlich stark machen, indem sie sich und ihrer Politik den Schutz von Zuchthaus- und Gefängnisdrohung verschafft.
Zu diesem politischen Zweck war die Regierungsmehrheit und, wie wir jetzt sehen, nach einigen Verhandlungen über untergeordnete Meinungsverschiedenheiten, auch die sogenannte Opposition bereit, den Ungeist der Nazijustiz heraufzubeschwören, bereit, die Grundrechte für nichtig zu erklären, die Meinungsfreiheit und die Vereinigungsfreiheit als nicht existent, als nicht maßgeblich zu erachten, waren sie bereit, ein Gesinnungsstrafrecht zu schaffen, das die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz abschafft, und waren sie bereit, ein Gerichtsverfahren zu legalisieren, das dem Angeklagten die Rechte der Verteidigung nimmt und nur noch einen Hohn auf traditionelle Rechtmäßigkeit darstellt.
Ich möchte die Damen und Herren, die sich vorbereiten, diesem Gesetz ihre Zustimmung zu geben, fragen: Fühlen Sie sich wohl bei diesem Geschäft?
Haben Sie einmal daran gedacht, wie es sein könnte, wenn Sie, die heute diesem Gesetz die Zustimmung erteilen, einmal als Angeklagte von den Bestimmungen dieses Gesetzes getroffen würden?
Ein Mitglied der Regierungskoalition hat auf eine private Anfrage in diesen Tagen erklärt, es sei eine sehr faule Sache, wenn man die Demokratie verteidigen wolle, indem man sie preisgebe. Dieser Mann hat den Mut zu einer solchen Äußerung nur unter vier Augen gehabt. Ich glaube, ich täusche mich nicht, wenn ich voraussage, daß er dieser seiner Gesinnung zuwider heute für dieses Gesetz stimmen wird. Hier, meine Damen und Herren, in der Haltung dieses Mannes, haben Sie einen symbolischen Beitrag für die Situation, in der sich viele Männer und Frauen dieses Hauses angesichts
der Entscheidung über dieses Gesetz befinden; sie spüren: was sie tun, ist Unrecht, ist Heraufbeschwörung dunkelster nazistischer Traditionen. Sie empfinden, daß sie sich auf einen Weg begeben, der ohne Ziel, ohne Perspektive ist, es sei denn die Perspektive des Massengrabs und der Vernichtung.
Sie wissen auch, daß es eine Kraft der Neuen Welt gibt, die bereit ist, das Erbe anzutreten, und der man sich nicht mehr widersetzen kann. Trotzdem sind sie nicht so konsequent, heute ihrem Wissen, ihrer Überzeugung und ihrer Gesinnung entsprechend zu stimmen. Sie finden es noch besser, noch opportuner, mit den Wölfen zu heulen, mit der Mehrheit derjenigen zu gehen, die sich nicht schämen, einem Innenminister Beifall zu klatschen, der dem Vorwurf der Brutalität und des Zynismus nicht anders begegnen kann als mit einem sadistischen Grinsen. Sie sind noch stolz, mit der Politik eines Bundeskanzlers zusammengehen zu können, der seine ganze Politik darauf abstellt, demnächst 250 000 deutsche Jungs in Marschstiefel zu stecken.
Meine Damen und Herren! Überlegen Sie sich, welche Verantwortung Sie auf sich nehmen mit der Entscheidung über dieses Gesetz. Denken Sie daran, noch nie hat die Anwendung der Gewalt den Gang der Geschichte aufhalten können, auch nicht die Drohung mit Zuchthaus und Gefängnis.
Sie behaupten wohl, es seien nur die sogenannten „Staatsfeinde", nur die Kommunisten davon betroffen. Das- war auch schon 1933 so. Als nach der Brandstiftung vom 28. Februar das Gesetz „zum Schutz von Volk und Staat" erlassen wurde, da gab es auch einige, die meinten: das sind ja nur die Kommunisten, die mit diesem Gesetz getroffen werden. — Sie haben sich im Laufe der Jahre eines Schlechteren überzeugen lassen müssen!