Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 4 des Bundesbahngesetzes steht etwas sehr Schwerwiegendes, das dem Gesetz eigentlich den Charakter gibt und die zukünftige Leitung der Bundesbahn sowie ihren Verwaltungsrat und das Verkehrsministerium praktisch mit einer schweren Verantwortung belastet. Es heißt dort, die Bundesbahn habe als Treuhänderin des Bundes dieses Vermögen, die Bahn, nach kaufmännischen Gesichtspunkten unter Wahrung der Interessen der deutschen Volkswirtschaft zu führen. Das hört sich einfach an und ist doch eine fast unlösbare Aufgabe. Kaufmännische Wirtschaftsführung in einem Betrieb, der Verkehrszwang, Tarifzwang, Beförderungszwang, Haftpflicht, gesetzliche Bestimmungen wegen der Sicherheit und andere Dinge hat, der internationale Verpflichtungen erfüllen muß und politische Lasten von über 100 Millionen Mark durch Übernahme der Pensionen der Vertriebenen hat, der in seinem Personalkörper von über 500 000 Mann auch 32 000 Schwerkriegsbeschädigte zählt, in einem Betrieb, der in der Einnahme einen Index der Frachten- und Fahrkartenpreise von etwa 170 hat, dem auf der anderen Seite ein Beschaffungsindex der Industrierohstoffe von 283 gegenübersteht —, ist ein Kunststück. Dennoch muß diese Aufgabe bewältigt werden. Denn der Sinn der Neuordnung ist der, daß die Bundesbahn aus den schlechten Finanzverhältnissen herauskommt, daß sie gesundet, daß sie gegenüber dem bisherigen Zustand besser wird, auf dem schließlich manches beruht, was die Wirtschaft, aber auch den Bund belastet. Die Bahnen waren ja früher in guten Zeiten, in den Zeiten vor 30, 40, 50 Jahren einmal gute Milchkühe für den Vater Staat, damals für die einzelnen Länder. Sie haben Überschuß abgeworfen, und jeder Finanzminister der Länder war hocherfreut, daß er diese Bahnen als Staatsbetriebe hatte. In der damaligen Zeit waren die Bahnen Musterbetriebe, soziale
Musterbetriebe, aber auch Verkehrsmusterbetriebe und wurden in der ganzen Welt als solche anerkannt.
Wenn man nun von der zukünftigen Leitung der Bahn fordert, daß sie kaufmännisch wirtschaftet, muß man in diesem Gesetz natürlich auch entsprechende Möglichkeiten schaffen. Es wäre sinnlos, Aufgaben zu stellen, die an der Sache scheitern müssen, weil die Grundlagen falsch sind. Deswegen war es im Verkehrsausschuß so schwer — und man hat so lange Zeit benötigt —, die richtige Ordnung zu finden. Das Gesetz hat nur 55 Paragraphen, und der Verkehrsausschuß hat, wenn ich mich recht entsinne, etwa 8 Monate daran gearbeitet, hat gefeilt, geprüft, Gutachten herangezogen, mit der Verwaltung zusammengearbeitet und Vergleiche mit Entwürfen des Bundesrats und des Bundesverkehrsministeriums angestellt. Ich glaube, nach Lage der Dinge ist in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs im Ausschuß etwas Tragbares herausgekommen. Voraussetzung ist allerdings, daß die kommenden Männer in der Leitung der Bundesbahn wirklich etwas von der Wirtschaft verstehen. Sie müssen vom Verkehr etwas verstehen und müssen auch die Interessen des Bundes und der Gesamtheit voranstellen. Sie dürfen nicht Verwaltungsbürokraten sein. Man muß sich darüber klar sein, daß die Bundesbahn in der Zukunft vor schweren wirtschaftlichen Aufgaben stehen wird. Sie hat 4 Milliarden DM Nachhol- und Erneuerungsbedarf. Sie hat einen Jahresumsatz von auch etwa 4 Milliarden DM.
Ich muß in diesem Zusammenhang dem Herrn Kollegen Vesper und den Herren von der Fraktion der KPD sagen, gerade meine Fraktion und auch die anderen Fraktionen haben wirklich nicht die Absicht, dieses Unternehmen, das immerhin einen Staatsbetrieb darstellt — mit seinen 12 Milliarden DM Vermögen, früher 20 Milliarden DM Vermögen, heute noch unser wertvollster Staatsbetrieb —, etwa dem amerikanischen Monopolkapitalismus auszuliefern. Aber wenn die Amerikaner als die Leute, die immerhin noch etwas geldflüssiger sind, als wir es leider in Deutschland sind, der Bundesbahn einmal einen Kredit von einigen Milliarden D-Mark geben würden, dann würden wir sicher nicht gegen die Kredithereinnahme sein, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Amerikaner sich mit der wirtschaftlichen Verzinsung und Rendite des Kredits zufrieden geben und damit nicht Eingriffe in die personellen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Verhältnisse der Bundesbahn verbinden. Geld und Kredit muß die Bundesbahn schließlich haben, wenn sie ihren Wagenpark erneuern find in Ordnung halten will, wenn sie Verbesserungen durchführen will, wenn sie elektrifizieren will, wenn sie die Verkehrsaufgaben so bewältigen will, daß sie auch gegenüber der Verkehrskonkurrenz in Deutschland bestehen kann.
Hier müssen wir allerdings sagen, daß das vorliegende Gesetz auch ein Gesetz sein muß, mit dem der Bundesverkehrsminister später in Verbindung mit dem Gesetz über den Güterverkehr auf der Straße, mit dem Gesetz über den Binnenverkehr der Schiffahrt usw. koordinieren kann — um das schöne oder unschöne Wort zu gebrauchen —, mit dem er eine saubere Konkurrenz der Verkehrsträger unter sich herstellen kann. Dazu müssen ihm die entsprechenden Gesetze die Möglichkeit geben. Was jetzt im Verkehr geschieht, ist zum Teil Substanzverlust und Nebeneinanderarbeiten, zum Teil leider auch Schmutzkonkurrenz. Die
Lösung kann nur darin liegen, daß die Konkurrenz im Verkehr zwar bestehen bleibt, aber eine saubere, eine faire Konkurrenz ist und daß man der Bundesbahn im Rahmen des Gesamtverkehrs, nachdem sie ihr Monopol seit etwa 30 Jahren verloren hat, die gleiche Chance wie den übrigen Verkehrsträgern in Deutschland gibt.
Ich darf noch darauf hinweisen, die Bundesbahn ist in einer sehr schwierigen Lage, weil sie nicht nur die größten Kriegsschäden und den größten Nachholbedarf hat, sondern weil sie in dem ganzen europäischen Bahnsystem die einzige Bahn ist, die den Wiederaufbau aus eigener Kraft mit den laufenden Einnahmen finanzieren muß. Das ist eine fast unlösbare Aufgabe. In dem Gesetzentwurf steht, daß der Finanzminister Kredite geben soll und daß die Kredite verzinst werden müssen, allerdings im Rahmen der Möglichkeiten und der Geschäftslage. Ich fürchte, diese Möglichkeiten werden wir in den nächsten Jahren nicht haben. Der Finanzminister wollte eigentlich noch einen Betrag von 50 Millionen DM für die sogenannte Abgabe des Betriebsrechts neben den Verkehrssteuern festlegen lassen. Wenn wir das abgelehnt haben, dann aus dem einfachen Grund, daß die Bahn von der Substanz lebt und daß sie den Aufbau nicht so schnell vollführen kann, wie es im Interesse auch der Volkswirtschaft notwendig wäre. Sie zahlt beispielsweise zur Zeit für ihre geringen Anleihen und Schulden mehr an Zinsen, als sie fur den Oberbau im ganzen Jahr aufwenden kann. Das ist ein ungesunder Zustand. Wenn die Bundesbahn sich anstrengt und die Anlagen in Ordnung bringt, modernisiert und ausbaut, dient sie dem Volke. Jeder aufgebaute Bahnhof, jede erstellte Anlage, jede erneuerte Schiene erhöht das Bundesvermögen. Deswegen ist die indirekte Verwendung dieses Geldes — wenn etwa die 50 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung ständen — im Interesse der Bahn und gleichzeitig im Interesse des Bundes geschehen.
Nun, wenn man die Bahn gut führen will und wenn man vor allem — was auch bei der Bahn notwendig ist — Leistungssteigerungen und die Bestleistungen herausholen will, dann braucht man allerdings — und da bin ich mit Herrn Kollegen Jahn absolut einer Meinung — ein zufriedenes Personal. Wenn Bahnverwaltung und das Personal zusammenarbeiten, wenn zwischen Verwaltung und Personal ein vernünftiges Vertrauensverhältnis besteht, wenn man alle Rationalisierungsmaßnahmen, die notwendig werden mögen — und es werden sicher eine Anzahl sein —, im Geiste des Vertrauens durchführt und wenn überall das Vertrauen vorhanden ist, daß das, was geändert werden muß, nicht aus bürokratischem oder aus paragraphenmäßigem Denken heraus geschieht oder weil die Oberen bloß immer unten abbauen wollen, dann ist damit schon viel gewonnen.
Dies führt aber zur Frage der Mitbestimmung. Die Mitbestimmung ist eine Frage des Vertrauens. Ich bin nicht in vollem Einverständnis mit meiner Fraktion, wenn ich Ihnen folgendes sage: Es ist noch nicht klar und es ist strittig, ob nicht unter Umständen die Gewerkschaften mit der Mitbestimmung mindestens ebensoviel oder auch noch mehr in die gemeinsamen Leistungen und in die gemeinsamen Unternehmungen in der Zukunft einbringen.
Die Mitbestimmung ist ja nicht nur die Mitverantwortung. Sie ist einfach die Mitverpflichtung. Ich habe die Empfindung, wenn man die Mitbestimmung in einer vernünftigen Form durchführt, spürt nach 10 oder 20 Jahren niemand mehr etwas von den jetzigen Schwierigkeiten. Wenn man die Mitbestimmung richtig anfaßt und wenn sie von den Menschen, die dafür in Frage kommen, richtig ausgeübt wird, wenn diese Menschen nicht versagen, wenn man nicht kleine Betriebe, mittlere Betriebe und Betriebe, in denen sich der persönliche Arbeitgebereinfluß ja noch ganz anders auswirkt als in einem großen Unternehmen oder in einer großen Aktiengesellschaft, mit einbezieht, dürfte vielleicht schon in 5 oder 10 Jahren der Zeitpunkt gekommen sein, wo die Mitbestimmung allgemein als genau so notwendig angesehen wird, wie wir heute die Tarifverträge, die ja früher auch nicht anerkannt wurden, als richtig und gut und notwendig ansehen.
Ich bin aber auch der Meinung, daß der Unterschied weniger in der Tatsache der Mitbestimmung an sich zu sehen ist, vielmehr liegt der Unterschied in dem Ausmaß der Mitbestimmung. Ich kann persönlich in der Mitbestimmung etwa 50 zu 50, um einmal den Ausdruck zu gebrauchen, mitgehen. Ich bin mir aber darüber klar, daß auch das wieder eine Frage der Menschen ist. Nicht ob ein Drittel oder ein Viertel der Leute bei der Mitbestimmung in irgendeiner Form eingeschaltet sind — sei es im Verwaltungsrat oder sonst irgendwie —, ist ausschlaggebend, nicht die Zahl allein, sondern der Geist dieser Menschen, ihr Können, ihr Verantwortungsbewußtsein, ihr Mut und ihre Sachkenntnis werden wesentlich mitspielen.
Ich selbst kann also für den Antrag, der von der Opposition kommt, 50 zu 50, stimmen. Ich habe das gestern schon getan und ich werde das heute wieder tun. Ich muß dazu wegen der politischen Freunde meiner Fraktion, die glauben, das nicht tun zu können, ein Wort sagen. Sie tun es nicht deswegen, weil sie unsozial denken. Im Gegenteil! Ihr Denken ist sozial ganz einwandfrei. Sie haben eben nur noch bestimmte Befürchtungen und sagen: Man soll nichts überhasten, man soll gewissermaßen auch im Ausmaß die Kontrolle behalten, und dann, wenn sich eine Sache bewährt, aufbauen und ausbauen und später besser machen.
Damit ist auch die Frage des Sozialdirektors oder des Arbeitsdirektors angeschnitten. Auch da hätte ich persönlich gewünscht, daß tatsächlich das Wort „Arbeitsdirektor" oder „Sozialdirektor" im Gesetz drinstünde, wie wir es in der ersten Lesung im Ausschuß hatten. Es ist zwar geändert worden, aber es steht immerhin sinngemäß dasselbe drin; denn wenn einer der vier Herren von der Leitung, einer der vier Vorstandsmitglieder, in der Hauptsache die sozialen Belange wahrzunehmen hat, wird daraus — meine Damen und Herren, da mag man sagen, was man will — der Arbeitsdirektor werden. Denn er ist mit an der Spitze, und es ist ja auch ganz selbstverständlich, irgendeiner muß die Aufgaben tun.
Ich möchte auch persönlich noch folgendes dazu sagen: Ich kann mir unmöglich denken, daß man diesen Posten des Mannes, der den Sozialdirektor oder Arbeitsdirektor abgibt — in dieser oder jener Formulierung —, nicht mit einem Mitglied aus der zuständigen größten Gewerkschaft des Unternehmens besetzt. Ich würde das für eine Unklugheit ersten Ranges halten; denn Vertrauen. wächst eben nur durch einen Vertrauensbeweis, und Mitarbeit wächst nur durch die Möglichkeit, sie zu geben, und trägt ihre Früchte nur dann, wenn eben aus der Mitarbeit eine Zusammenarbeit kommt und wenn der Grundsatz gilt, der ja auch für uns Abgeord-
nete gilt, daß jeder einzelne keine Direktiven in sein Amt mitbringt, sondern seinem Gewissen unterworfen ist. Der Leitstern soll und muß sein das Unternehmen, die Ergebnisse des Unternehmens und der Dienst an der Volksgemeinschaft.
Damit will ich, um nicht zuviel Zeit zu verbrauchen - wir haben noch viel zu tun —, zum Schluß kommen und nur einen Wunsch aussprechen. Wir vom Parlament geben mit diesem Bundesbahngesetz viele Rechte aus den Händen des Parlaments ab und übertragen sie dem Verwaltungsrat. Wir wissen allerdings, wir haben einen Bundesverkehrsminister, der die parlamentarische Verantwortung trägt. Deswegen ist der Zuständigkeitskatalog geschaffen worden. Auch da darf ich sagen, ich habe volles Verständnis dafür, wenn der Herr Verkehrsminister sagt, die Ziffer 8 — ich glaube, des § 14 —, die ihm die Möglichkeit gibt, direkt Beamte auch der Bundesbahn zu hören und zu verwenden, sollte nicht gestrichen werden. Für die Streichung der Ziffer 5 kann ich mich einsetzen; aber immerhin, wer die parlamentarische Verantwortung trägt, muß sie auch tragen können und muß auch die Möglichkeit der Einflußnahme haben, sonst entsteht eine Belastung, die nicht in Ordnung ist. Möge es nun aber der Regierung und den Vorschlagsberechtigten gelingen, wirklich gute Männer an den guten Platz zu bringen. Mögen diese Männer, die dann das Unternehmen „Deutsche Bundesbahn" leiten - im Verwaltungsrat wie in der Leitung, aber auch die Herren im Verkehrsministerium —, es besser machen, als der Bundestag es hätte machen können! Das ist mein Wunsch.