Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß der Regierungsentwurf eines Rentenzulagegesetzes dem Hohen Hause endlich unterbreitet wurde. Bereits vor einem Jahr haben wir den ersten diesbezüglichen Antrag eingebracht und den Bundestag ersucht zu beschließen, die Bundesregierung möge Maßnahmen ergreifen, um die Unterstützungen und Renten dem geänderten Preis- und Lohnniveau anzupassen. Wir mußten noch wiederholte Anträge stellen. Alle diese Anträge haben Sie abgelehnt. Aber unter dem Druck unserer Interpellation vom Februar dieses Jahres
— die Wahrheit zu hören, ist nie angenehm —
fanden Sie sich endlich bereit, die Bundesregierung zu ersuchen, eine Vorlage auf Erhöhung der Renten um durchschnittlich 25% zu unterbreiten. Seit dem 1. März mußten die Rentner wiederum warten. Heute sind wir endlich in der Lage, die erste Lesung durchzuführen. Die sozialdemokratische Fraktion und ihre Vertreter in den zuständigen Ausschüssen werden alles tun, damit dieses Gesetz noch vor den Ferien beraten und in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag verabschiedet wird, so daß endlich unserer Forderung auf eine Rentenerhöhung entsprochen wird.
Der damalige Beschluß lautete, daß die Renten im Durchschnitt um 25% erhöht werden sollten. Wir waren der Ansicht, daß eine Erhöhung um durchschnittlich 25% in der Praxis bedeuten würde
— und das hätte in der Regierungsvorlage zum Ausdruck kommen müssen —, daß die Bezieher von kleinen Renten, die ja am meisten unter der Teuerung leiden, eine Zulage zu den Renten um mehr als 25% erhalten würden und daß man, wenn es notwendig wäre, und wenn man die Mittel nicht zur Verfügung haben sollte, dann eben versuchen würde, an anderer Stelle Einsparungen zu machen.
Ich muß Ihnen hier zu meinem Bedauern erklären und dem Befremden meiner Fraktion Ausdruck geben, daß in der Regierungsvorlage das Gegenteil geschehen ist. Der Herr Bundesarbeitsminister hat versucht, diese gegenteilige Regelung mit der Behauptung zu begründen, daß es Landwirte seien, die als Holzfäller tätig waren, also eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt und Beiträge gezahlt haben, die nun nach dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz in den Genuß der Mindestrente von 50 DM pro Monat gekommen seien. Wie ist es denn in Wirklichkeit? In Wirklichkeit ist es so, daß in der Angestelltenversicherung in jedem Fall ein Grundbetrag von 37 DM, dazu der Mindeststeigerungsbetrag von
7 DM und die Zulagen nach dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz von 15 DM, also insgesamt 59 DM gezahlt werden. Also der Geschäftsmann, der früher in seinen jungen Jahren einmal Angestellter war, eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, Beiträge geleistet hat, seine Versicherung nach dem geltenden Recht aufrechterhalten und die Anwartschaften und alle anderen Voraussetzungen erfüllt hat, bekommt mindestens 59 DM.
— Ja, ohne Rücksicht auf seine Beitragsleistungen, Herr Kollege Schäfer, entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen, die eingehalten werden müssen. Das ist unser Grundsatz und ich glaube
— dafür kenne ich Sie, Herr Kollege Schäfer -
— auch Ihr Grundsatz. -
Bei Landwirten, Bauersfrauen, Landarbeiterinnen und ehemaligen kleinen Beamten, die in der Invalidenversicherung versichert waren, beläuft sich der Mindestbetrag infolge des geringen Grundbetrages von 13 DM plus 7 DM Mindeststeigerungsbetrag plus 15 DM auf insgesamt höchstens 35 DM, so daß sich die Mindestrente von 50 DM nur bei den Arbeitern und Arbeiterinnen auswirkt; und da soll gespart werden.
Die Folge ist, daß diese Mindestrentenbezieher
— und das sind nach einer neuen Statistik bei den Männern ca. 26% und bei den Frauen 80%, im rohen Durchschnitt gesehen ein Drittel aller Rentenbezieher — nichts oder wenig von dieser 25 % igen Zulage erhalten werden. Denn nach § 2 der Regierungsvorlage sollen bei Mindestrenten die Zulagen nur Insoweit gezahlt werden, als die nach Grund- und Steigerungsbetrag berechnete Rente einschließlich des auf Grund des SVAG gewährten Zuschlages und der dann auf Grund des. Rentenzulagengesetzes gewährten Zulage die Mindestsätze übersteigt.
Ich weiß, das ist kompliziert und für den, der nicht ständig damit zu tun hat, etwas befremdend. Deshalb ein Beispiel: Arbeiter und Arbeiterinnen, die infolge Invalidität oder Alters. eine berechnete Rente von monatlich 35 DM zu beanspruchen haben, erhalten keine Zulage, da sie eine Mindestrente von 50 DM beziehen. Die 25%ige Zulage zu 50 DM macht nur 12,50 DM aus, während sie schon die Differenz von 15 DM pro Monat zusätzlich erhalten. Es hätte mich wirklich nicht gewundert, wenn ich in der Regierungsvorlage eine Bestimmung gefunden hätte, nach der den Betreffenden die Differenz von 2,50 DM abgezogen wird. Handelt es sich jedoch um solche Rentner, die eine berechnete Rente von 40 DM haben, so bekommen sie 2,50 pro Monat. Ganze 2,50 DM, meine Damen und Herren! Das ist unhaltbar!
Interessant ist die Behauptung des Herrn Bundesarbeitsministers bezüglich der Landwirte, Landarbeiter und Beamten. Wir haben die Zahlen von Berlin. In Berlin gibt es 350 000 Rentner. Davon sind 115 000, also ein Drittel, Mindestrentenbezieher, und diese wieder sind überwiegend Frauen. Man kann doch nicht behaupten, daß sich in Westberlin dieses Drittel überwiegend aus Landwirten oder Landarbeiterinnen zusammensetzt. Ich glaube, auf dem Aphalt in Westberlin wird die Möglichkeit einer derartigen Beschäftigung nicht gegeben sein.
Ich bin deshalb der Meinung meine Fraktion
wird diese Forderung erheben und dafür eintreten —, daß die 25%ige Erhöhung auf die Mindestrenten der Rentner von 50 DM — das sind 12,50 DM —, auf die Mindestrenten der Witwen von 40 DM — das sind 10 DM — und auf die Mindestrenten der Waisen von 30 DM in Höhe von 7,50 DM berechnet werden und nicht so, wie e die Regierungsvorlage vorsieht.
Ich möchte noch besonders erwähnen, daß meine Fraktion sich mit aller Entschiedenheit dagegen wehren wird, daß die Teuerungszulagen auf die Fürsorgeleistungen, auf die Leistungen aus der Soforthilfe, auf die Renten nach dem Bundesversorgungsgesetz und auch auf die Zusatzpensionen angerechnet werden, wie sie beispielsweise die Eisenbahnarbeiter, die Postarbeiter und die im öffentlichen Dienst sowie andere in der Privatwirtschaft tätige Arbeiter auf Grund besonderer Bestimmungen zu beanspruchen haben und erhalten.
Wir verlangen, daß entsprechend dem Bundestagsbeschluß in dem Ausschuß auch darüber verhandelt wird, daß die Ruhensvorschriften der Reichsversicherungsordnung §§ 1274 bis 1279 überprüft und, was nach unserer Auffassung das Richtige wäre und dem Versicherungsprinzip entsprechen würde, aufgehoben werden. Auch müssen wir uns damit beschäftigen, daß die in Abs. 3 und 4 von § 21 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes niedergelegte Regelung entsprechend früheren Anträgen, die in diesem Hause angenommen wurden, ebenfalls überarbeitet und geändert wird. Die Unfallversicherung dürfen wir keinesfalls vergessen.
Wenn der Herr Bundesarbeitsminister vom Versicherungsprinzip gesprochen und zum Ausdruck gebracht hat, daß den Beitragsleistungen entsprechende Renten usw. gewährt werden müssen, — grundsätzlich ja! Diese Zulage, die jetzt gewährt wird, wird nicht auf Grund von Beitragsleistungen gewährt. Diese Zulage wird auf Grund der Teuerung aus Steuermitteln gewährt, zu denen wir alle beitragen. Deshalb verlangen wir auch eine gerechte, sozial einwandfreie Regelung.
Und nun kurz zu Berlin. Das ist ja wohl wirklich das Tollste, was wir in einem Gesetz lesen mußten. Der Herr Bundesarbeitsminister hat lange Ausführungen gemacht über Telefongespräche, über Unterhaltungen, über den kleinen Senat, über den großen Senat, über den regierenden Bürgermeister und was weiß ich sonst noch. Das mag alles zugetroffen haben; ich weiß es nicht. Entscheidend ist für mich die Gesetzesvorlage, der Wortlaut, der Geist, die Wirkung, die hieraus hervorgehen. Für uns ist es einfach untragbar, daß man die Berliner Arbeiterschaft zwingt, ihre Rentenregelung, nach der die Arbeiter und Angestellten ihre Rente nach einheitlichen Grundsätzen, und zwar nach denen der Angestelltenversicherung beziehen, wiederum aufzuspalten in eine Rentenversicherung der Arbeiter, also die Invalidenversicherung, und eine Rentenversicherung der Angestellten, die Angestelltenversicherung. Wir sind der Meinung, daß diese Grundsätze, deren Anwendung ohne Zweifel eine Verbesserung darstellt und eine fortschrittliche Leistung der Berliner gesetzgebenden Körperschaften bedeutet, unter allen Umständen aufrechterhalten werden müssen und daß nicht versucht werden darf, diese besseren Leistungen durch einen derartigen Zwang wieder zu beseitigen. Selbstverständlich will Berlin an den Gemeinlasten beteiligt sein. Aber daraus den Schluß zu ziehen, daß man deshalb, nun, ich will nicht sagen, eine Erpressung, das wäre nicht schön, aber doch einen unangenehmen Zwang auf die Berliner Verwaltung ausüben könne, das Bundesrecht, wie wir es leider hier noch haben, auch für Berlin durchzusetzen, das können ,wir nicht mitmachen.
Bei der Übernahme der in der Bundesrepublik geltenden Vorschriften Würde wieder eine unterschiedliche Rentenberechnung für Arbeiter und Angestellte erfolgen. Der Rente für Arbeiter wären nach der Rentenformel der Invalidenversicherung ein Grundbetrag von jährlich 156 DM und ein Steigerungsbetrag von 1,2 zugrunde zu legen. Auf den unterschiedlichen Begriff der Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit sowie die unterschiedliche Rentengewährung bei Arbeitslosigkeit und ferner die Unterschiede in der Gewährung von Renten an Witwen der Arbeiter und Angestellten in der Bundesrepublik gegenüber der einheitlichen und fortschrittlichen Regelung in Berlin möchte ich jetzt nur hinweisen, ohne näher darauf einzugehen. Im Ausschuß werden wir dies in aller Deutlichkeit nachholen und, so hoffe ich, in aller Gründlichkeit in gemeinsamer Arbeit im Interesse eines sozialen Forschritts beraten.
Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich Sie dringend, mit dafür einzutreten, daß eine fortschrittliche, den Rentnern, Witwen und Waisen dienende Regelung noch vor den Bundestagsferien verabschiedet wird, damit wir diese schon lange auf uns lastende Verpflichtung endlich erfüllen.