Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat den heute zur Beratung stehenden Antrag eingebracht, weil die Entwicklung der Saarfrage nach unserer Auffassung weiterhin äußerst beunruhigend ist und weil wir vor der Tatsache stehen, daß die Bundesregierung dieser Entwicklung gegenüber in völliger Passivität verharrt.
Ich möchte heute morgen keines der Argumente wiederholen, die in der Debatte am 30. Mai eine Rolle gespielt haben, insbesondere in der Rede meines Freundes Carlo Schmid. Ich möchte nur auf einige Tatsachen hinweisen, die sich seitdem gezeigt haben,
Das Beunruhigende ist nach unserer Auffassung, daß die französische Saarpolitik seit der Unterzeichnung des Schumanplans und seit dem Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Außenminister Schuman neue Tatsachen an der Saar schafft, die die dauernde politische Loslösung des Saargebiets fördern. Die Hoffnung des Herrn Bundeskanzlers, der Schumanplan und der Briefwechsel mit dem Außenminister Schuman würden das Saarproblem allmählich auflösen, erfüllt sich offensichtlich nicht. Im Gegenteil, die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler einen Vertrag unterzeichnet hat, in dem ausdrücklich die Vertretung des Saargebiets durch Frankreich festgelegt ist, hat, wie sich jetzt schon zeigt, die französische Position in der Saarfrage erheblich verstärkt, und der Briefwechsel bleibt demgegenüber ohne jedes faktische Gewicht.
Der Herr Außenminister Schuman hat die französische Position in bezug auf die Saar nach dem 18. April in verschiedenen Erklärungen und Pressekonferenzen völlig klar dargelegt. Frankreich will ein autonomes Regime an der Saar, und es will dieses Regime auf die Dauer. Es wird die Aufrechterhaltung dieses Zustandes auch bei zukünftigen Friedensverhandlungen fordern. Das zweite ist, daß wir durch die Ereignisse der letzten Wochen vor der Tatsache stehen, daß sich Frankreich durch den Briefwechsel nicht verpflichtet fühlt, an der Saar bis zum Friedensvertrag stillzuhalten.
Sie haben in den letzten Tagen in der Presse die Meldungen gelesen, daß man das sogenannte Hochkommissariat an der Saar in eine Botschaft verwandeln will, und die französische Regierung hat erklärt, daß sie die Verstärkung des autonomen Charakters des Saargebiets ohne Rücksicht auf die Tatsache der Unterzeichnung des Schumanplans in vollem Umfang und so schnell wie möglich durchführen will.
Auch diese Entscheidungen der französischen Regierung erfolgen wie alle früheren Entscheidungen über das Schicksal des Saargebiets ohne eine wirklich demokratische und freie Entscheidung der Menschen an der Saar.
Wir müssen damit rechnen, daß diese Umwandlung des Saargebiets in einen autonomen Staat in den nächsten Wochen weiter vorangetrieben wird. Schließlich stehen wir auch, jedenfalls nach den Entwicklungen der letzten Woche, vor der Tatsache, daß sich die These unserer Bundesregierung, mit dem Inkrafttreten des Schumanplans würden alle Voraussetzungen und Gründe wegfallen, die bisher die französische Politik an der Saar bestimmt haben, nicht aufrechterhalten läßt, daß sie insbesondere von der französischen Seite völlig abgelehnt wird.
Ich möchte Herrn Grandval nicht die Bedeutung zumessen, die Herr Strauß ihm hier in der Begründung seines Antrags gegeben hat.
Der Antrag von Herrn Strauß ist in diesem Sinne ein Antrag, der seinem Namen durchaus gerecht wird. Da hat der Herr Strauß den Kopf in den Sand gesteckt.
Das heißt: es geht hier gar nicht in erster Linie um die Frage der Absichten und der Ziele, die Herr Grandval verkündet.
Auf der andern Seite stehen wir allerdings vor der Tatsache, daß — insbesondere seit der Unterzeichnung des Schumanplans — Herr Grandval als der höchste französische Beamte an der Saar wiederholt noch offener und eindeutiger über französische politische Ziele an der Saar gesprochen hat als der Herr Außenminister Schuman.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihre Aufmerksamkeit auf eine Tatsache lenken, die nach unserer Meinung in den kommenden Diskussionen über den Schumanplan für die deutsche Entscheidung von großer Bedeutung ist: Der Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung vom 9. Juni — also auch sicher nach Ihrer Meinung und nach der Meinung der Regierung eine zuverlässige Informationsquelle — hat einen Auszug aus einem Interview von Herrn Grandval veröffentlicht. In diesem Auszug heißt es:
Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die europäische Montanunion die Saarautonomie und den wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich unnötig mache. Die Gemeinschaft der Montanunion setzt ein Gleichgewicht zwischen den Partnern voraus, das empfindlich gestört wird, wenn man die Saar Deutschland zuschlage.
Das heißt doch: die dauernde Loslösung der Saar von Deutschland ist nach dieser Auffassung sozusagen eine fundamentale Voraussetzung, ein fundamentaler Bestandteil der neuen ökonomischen Ordnung, die durch den Schumanplan geschaffen werden soll. Und dieser Schumanplan ist vom Herrn Bundeskanzler unterzeichnet worden. Er gilt, wie Sie wissen, für 50 Jahre.
Ich will hier nur auf diesen Tatbestand aufmerksam machen. Ich hoffe, daß der Herr Bundeskanzler, wenn er in der nächsten Zeit dem Hohen Hause das Ratifizierungsgesetz zum Schumanplan vorlegt, dem Parlament eine Erklärung darüber abgeben wird, wie die französische Regierung offiziell und verbindlich zu den Äußerungen des Herrn Grandval Stellung genommen hat.
Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß ein deutsches Parlament einen Vertrag ratifizieren kann, der nach französischer Auffassung auf der Voraussetzung basiert, daß er nur funktionieren und von Frankreich angenommen werden kann, wenn damit die dauernde Loslösung eines deutschen Gebiets von Deutschland verbunden ist.
— Entschuldigen Sie, ich habe den Herrn Bundeskanzler gebeten, im Parlament darüber Auskunft zu geben, ob die französische Regierung diese weitgehenden Äußerungen des Herrn Grandval tatsächlich als ihre Auffassung anerkennt.
U Angesichts dieser neuen Etwicklung in der französischen Saarpolitik ist nach unserer Aufassung eine Fortsetzung der Politik des Stillhaltens und des Gewährenlassens durch die deutsche Bundesregierung völlig unmöglich. Es geht nicht darum, daß man, wie uns gesagt worden ist, die deutsch-französischen Beziehungen nicht immer durch fortgesetzte Saardebatten von neuem belasten dürfe. Es ist nicht unsere Schuld, daß sich die Dinge so entwickelt haben. Wir sind nach wie vor für eine deutsch-französische Zusammenarbeit. Wir sind für Verhandlungen, und wir stehen unverändert zu dem Vorschlag Dr. Schumachers in seiner Rede vom 10. März 1950, einem Vorschlag, der Verhandlungen mit Frankreich anregte, die bedeutungsvoller sind und tiefer gehen als das, was Handelsvertragsverhandlungen hervorbringen können, die schließlich zu einem französisch-deutschen Freundschaftsvertrag führen können. Was wir bedauern und beklagen, ist, daß in der Zwischenzeit unsere Regierung in dieser Richtung keine Initiative entfaltet hat.
Sie hat den Beitritt der Saar zum Europarat auf der gleichen Ebene wie die Bundesrepublik hingenommen.
Sie hat jetzt durch die Unterzeichnung des Schumanplans die französische Position in der Saarfrage zweifelsfrei gestärkt. Wir meinen, sie muß endlich als ihre Pflicht erkennen, daß sie als deutsche Regierung genau so für die Saar zu sprechen hat wie für die Menschen in der Ostzone.
Wir verstehen auch nicht, warum sich die deutsche Bundesregierung in ihrem praktischen Verhalten nicht auf den Beschluß der New Yorker Außenministerkonferenz bezieht, an dem ja die französische Regierung mitgewirkt hat und dem sie zugestimmt hat. In diesem Beschluß ist die Bundesregierung als die einzig legitime deutsche Regierung anerkannt worden,
und diese Anerkennung schließt auch die Vertretung des Saargebiets durch die Bundesregierung ein; denn das Saargebiet gilt, wiederum nach den Entscheidungen der Alliierten, als deutsches Staatsgebiet. In jedem Fall: die Erfahrungen mit dem Schumanplan in der Vergangenheit zeigen, daß die Bundesregierung keine Verträge und Abkommen abschließen darf, die direkt oder indirekt die Lösung eines deutschen Gebietsteils wie die Saar sanktionieren, verstärken oder herbeiführen.
Meine Damen und Herren, es geht dabei nicht nur um die Wahrung eines Rechtsanspruchs des deutschen Volkes; es geht vor allem auch um die Menschen an der Saar. Ich will in diesem Zusammenhang wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht auf den wirklichen Charakter der sogenannten „wirtschaftlichen Zusammenarbeit" zwischen der Saar und Frankreich eingehen. Es' ist ein sehr trübes Kapitel,
und diese Zusammenarbeit trägt in der Praxis vielmehr den Charakter einer weitgehenden Protektoratsbehandlung des Saargebiets unter französischer Führung, und ich muß leider sagen: auch
einer weitgehenden wirtschaftlichen Ausbeutung des Saargebiets, einseitig zugunsten Frankreichs.
Aber, meine Damen und Herren, ohne in Einzelheiten über dieses Problem einzugehen, möchte ich darauf hinweisen, daß sich seit der Unterzeichnung des Schumanplans der totalitäre Zug der französischen Politik und ihrer Helfer an der Saar wesentlich verschärft hat. Ich will hier nicht noch einmal das Verbot der Demokratischen Partei an der Saar behandeln.
Die Tatsache, daß es auf Verlangen des französischen Außenministers erfolgt ist, ist eines der trübsten Kapitel französischer Saarpolitik nach 1945.
Das Verbot ist ein Schlag gegen jede demokratische Gesinnung und Praxis.
Heute wissen wir, daß es der Beginn einer neuen Ara der Unterdrückung demokratischer Freiheiten und Rechte ist. Ich weiß, das ist ein sehr hartes Urteil gegenüber einem Land, dessen Volk eine so stolze freiheitliche und demokratische Tradition hat wie das französische. Aber Tatsache ist, daß es heute an der Saar keine echte Opposition gegen die Protektoratsregierung gibt,
daß es an der Saar keine Pressefreiheit gibt und daß es an der Saar keine Koalitionsfreiheit gibt. Alle wesentlichen Grundrechte der Konvention des Europarats über die Menschenrechte werden an der Saar ständig verletzt. Man unterbindet nicht nur die politische Aktivität, man geht auch dazu über, die Menschen, die aus ihrer oppositionellen Haltung gegenüber dem gegenwärtigen Regime an der Saar öffentlich kein Hehl machen, auch ihrer wirtschaftlichen Existenz zu berauben mit Mitteln, die wir bisher nur in Diktatur-Staaten gekannt haben.
— Ich meine mit Diktaturen auch die kommunistische Herrschaft in der Ostzone, meine Damen und Herren.
Das Bedeutsame dabei ist, daß heute die Saarbevölkerung nicht die Möglichkeit hat, frei und ohne Furcht ihre wahre Meinung zu äußern.
Das zweite: In der Begründung des Verbots der Demokratischen Partei der Saar ist offiziell erklärt worden, daß jede Stellungnahme gegen das jetzige Regime an der Saar staatsfeindlich und verfassungswidrig ist. Schließlich hat man festgestellt, daß Verbindungen mit Deutschland oder deutschen Politikern als Verbindungen mit dem Ausland anzusehen und als unzulässig zu betrachten sind.
Meine Damen und Herren, das ist ein Zustand, den wir als deutsche Bundesrepublik und den die deutsche Bundesregierung nicht länger stillschweigend hinnehmen können.
Es ist wirklich nicht die Schuld des deutschen Volkes, wenn jetzt und gerade im 'Zeichen des Schumanplanes an der Saar eine Situation entsteht, die nach unserer Überzeugung die deutsche Regierung einfach zwingen muß, für die Menschen an der Saar zu sprechen, weil sie nicht mehr frei sind, für sich selbst zu sprechen.
Sprechen heißt bestimmt nicht schreien; aber das gegenwärtige Schweigen der Regierung in diesen Fragen ist einfach unerträglich.
Meine Damen und Herren, es gibt noch einen anderen sehr wesentlichen Punkt. Die Saarländer haben unter den gegenwärtigen Bedingungen keine Möglichkeit, in irgendeinem europäischen Gremium ihr Recht zu suchen. Es ist, glaube ich, die Pflicht der Bundesregierung, hier initiativ zu werden. Es ist die Aufgabe, eine unaufschiebbare Aufgabe der Regierung, im Ministerrat des Europarates die Frage nach den gegenwärtigen Zuständen an der Saar aufzuwerfen.
und vom Europarat eine Untersuchung darüber zu verlangen, ob angesichts der gegenwärtigen undemokratischen Zustände an der Saar die Saar noch die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im Europarat erfüllt.
Das ist im Augenblick praktisch die einzige Möglichkeit, den Menschen an der Saar wenigstens die elementaren Grundrechte einer Demokratie zu sichern. Wir hoffen, daß sich die Bundesregierung endlich entschließt, in dieser Frage und in dieser Richtung aktiv zu werden.
Meine Damen und Herren, wir sind gar nicht glücklich darüber, daß wir diese Frage heute erneut auf die Tagesordnung bringen mußten. Wir hätten gewünscht, daß insbesondere nach der Debatte vom 30. Mai und angesichts der Ereignisse der letzten Wochen die Regierung von sich aus gehandelt hätte.
Der Umstand, daß jetzt an der Saar durch die Schaffung neuer Tatsachen die Tendenzen für eine dauernde Loslösung des Saargebietes verstärkt werden, zwingt uns, die deutsche Position, wie wir sie in den Punkten 1 bis 3 unseres Antrages festgelegt haben, noch einmal völlig klarzumachen; und mit der Annahme durch den Bundestag soll' sie auch eine verpflichtende Richtlinie für die Politik der Bundesregierung werden.
Es kann und es muß eine französisch-deutsche Verständigung auch über die gemeinsamen Interessen an der Saar geben. Aber es muß eine Verständigung zwischen Paris und Bonn sein. Die Hinnahme einseitiger Entscheidungen, die Passivität in der berechtigten Verteidigung nationaler Interessen und der Freiheits- und Menschenrechte deutscher Menschen führt uns nicht vorwärts. Dauernde französisch-deutsche Verständigung und europäische Zusammenarbeit sind . nur auf der Basis der Respektierung der Lebensrechte aller Völker und aller Menschen möglich.