Rede:
ID0115700800

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    Deutscher Bundestag — 157. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. Juli 1951 6243 157. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Juli 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . 6244B, 6260D Ergänzung der Tagesordnung 6244B Anfrage Nr. 196 der Fraktion der SPD betr Steigerung der Dieseltreibstoffpreise (Nrn. 2309, 2420 der Drucksachen) . . . . 6244C Bericht des Bundeskanzlers über die Papierversorgung für Zeitungen (Nr. 2358 der Drucksachen) 6244C Zur Geschäftsordnung (betr. Redezeit und Ablesen von Manuskripten: Hennig (SPD) 6244C Präsident Dr. Ehlers 6244D Mellies (SPD) 6245A Beratung des Antrags der Abg. Strauß u. Gen. betr. Rede des französischen Hochkommissars an der Saar (Nr. 2298 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Saarfrage (Nr. 2347 der Drucksachen) 6245A Strauß (CSU), Antragsteller . . . 6245B Ollenhauer (SPD), Antragsteller 6248D, 6258B Dr. Adenauer, Bundeskanzler 6251C, 6259D Dr. von Merkatz (DP) 6252D Dr. Seelos (BP) 6253C Rische (KPD) 6254B Kiesinger (CDU) 6255D Dr. Hamacher (Z) 6256C von Thadden (DRP) 6257C Dr. Ott (BHE-DG) 6258B Ausschußüberweisung 6260C Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Bertram, Rümmele, Tichi, Clausen u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Pensionskasse deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen (Nr. 2334 der Drucksachen) 6260C Ausschußüberweisung 6260D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines KraftfahrtBundesamtes (Nr. 2409 der Drucksachen) 6260D Auschußüberweisung 6260D Erste Beratung des Entwurfs eines Gèsetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1951 (Nr. 2500 der Drucksachen) . . . 6261A Ausschußüberweisung 6261A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau (Nr. 2388 der Drucksachen) 6261A Ausschußüberweisung 6261A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Zulagen in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenzulagegesetz — RZG —) Nr. 2390 der Drucksachen) 6261A Storch, Bundesminister für Arbeit 6261B, 6264D, 6269C Renner (KPD) 6262B Richter (Frankfurt) (SPD) 6263A Schütz (CSU) 6264D Willenberg (Z) 6265B Arndgen (CDU) 6265C Frau Dr. Probst (CSU) 6265D Dr. Hammer (FDP) 6266A Horn (CDU) 6266C Frau Kalinke (DP) 6267B, 6270B Frau Schroeder (Berlin) (SPD) . . . 6268D Dr. Klein, Senator von Berlin . . . 6270A Dr. Bucerius (CDU) 6271B Mellies (SPD) 6271D Ausschußüberweisung 6272A Dritte Beratung des Entwurfs eines Bundesbahngesetzes und des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Deutsche Bundesbahn (Bundesbahngesetz) (Nrn. 1341, 1275, 2399 der Drucksachen, Umdrucke Nm. 257, 260) . . . 6272A Jahn (SPD) 6272B Vesper (KPD) 6274A Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 6275A Rümmele (CDU) 6277A Rademacher (FDP): zur Sache 6279B zur Abstimmung 6282C Dr. Etzel (Bamberg) (BP) 6282D Abstimmungen 6280C, 6282D Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1951 (Nr. 2245 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) (Nr. 2391 der Drucksachen) 6283B Eickhoff (DP), Berichterstatter . . 6283B Lausen (SPD) 6284A Schäffer, Bundesminister der Finanzen 6285C Dr. Seelos (BP) 6286C Beschlußfassung 6286D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betr. Aufhebung der Immunität der Abg. Aumer, Freiherr von Aretin, Donhauser, Mayerhofer und Volkholz (Nr. 2419 der Drucksachen) 6287A Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 6287A Beschlußfassung 6287D Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP betr. Neuwahl der Mitglieder des Kontrollausschusses beim Hauptamt für Soforthilfe (Nr. 2421 der Drucksachen) 628'7D Beschlußfassung 6288A Beratung des Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Günther, Kemper u. Gen. betr. Höchstentfernung im Güternahverkehr (Nrn. 1930, 646 der Drucksachen) 6288-A Beschlußfassung 6288A Beratung des Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Fahrrad-Hilfsmotoren (Nrn. 2333, 817 der Drucksachen) 6288A Beschlußfassung 6288B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Funk u. Gen. betr. Frachttarife für Schottersteine zum Straßenbau (Nrn. 2351, 1872 der Drucksachen) 6288B Cramer .(SPD), Berichterstatter . . 6288B Beschlußfassung 6289C Nächste Sitzungen 6289C Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Franz Josef Strauß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des französischen Hochkommissars an der Saar, Monsieur Grandval; hat uns zu dem Antrag veranlaßt, der Ihnen in Drucksache Nr. 2298 vorliegt. Es ist keine gute Stunde gewesen, als Herr Grandval am 2. Juni 1951 bei der Jubilarehrung in den ehemaligen Röchlingschen Eisenwerken, die jetzt unter Sequester Frankreichs stehen, diese Rede gehalten hat. Wenige Tage zuvor, am 30. Mai 1951, hatten die Bundesregierung und der Bundestag zu der Saarfrage sich in einer im großen und ganzen einmütigen, vor allen Dingen aber unmißverständlichen und trotzdem maßvollen Weise geäußert und den deutschen Standpunkt klar herausgearbeitet. Als nächstes wäre Frankreich am Zuge gewesen, es wäre an der französischen Regierung gewesen, nun auf das deutsche Vorbringen und die praktisch einmütige Stellungnahme des Bundestags und der Bundesregierung zu antworten. Diese Antwort hätte aber auf keinen Fall in einer beinahe präjudizierenden Weise von dem französischen Hochkommissar an der Saar, Herrn Grandval, erteilt werden dürfen. Ohne weiteres wäre es möglich gewesen, auch von dieser Seite aus einen Weg aufzuzeigen, wie man die Saarfrage in einer vernünftigen und demokratischen, das heißt in einer
    europäischen Weise regeln kann, wozu wir, um das vornweg mit allem Nachdruck festzustellen, unsere Dereitschaft bekundet haben.
    Offenbar hatte es M. .Grandval sehr eilig, eine Antwort vom französischen Standpunkt aus zu präjudizieren. Diese Eile legt uns den Verdacht und die Annahme nahe, daß er einen Grund hatte, die offizielle französische Antwort vorwegzunehmen. Vielleicht hatte er sie zu fürchten. Hatte er vielleicht eine Veranlassung, fragen wir heute, ihr diese Richtung zu weisen? Wir dürfen eines, glaube ich, feststellen, und diese Feststellung wird sicher in weiten französischen Kreisen geteilt werden: M. Grandval hätte damit dem Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland keinen guten Dienst erwiesen, selbst wenn man ihm zubilligen wollte, daß er ein bedeutender oder wichtiger Mann in den großen politischen Entscheidungen wäre, was aber Gott sei Dank nicht der Fall ist.
    Mit dieser Rede von Monsieur Grandval am 2. Juni 1951 in den Röchlingschen Stahlwerken verbinden sich einige Interviews gegenüber einer französischen und einer englischen Zeitung, die im Geist, in Inhalt und Gedankengang im großen und ganzen dieser Rede entsprechen und sie noch zu verstärken und zu vertiefen versuchen.
    Eher, als wir erwartet haben, sind der Punkt 1 und der Punkt 3 unseres Antrags in der Drucksache Nr. 2298 in einer beinahe befriedigenden Form von M. Grandval selbst erledigt worden. Er hat sehr rasch und sehr kurz nach der Drucklegung dieses Antrags erklärt, es liege kein genauer Wortlaut dieser Rede vor, weil er sie an Hand stenographischer Notizen aus dem Stegreif gehalten habe. Es vergingen auch einige Stunden, bis man der auf französisch gehaltenen Rede eine deutsche Übersetzung folgen ließ, die ihr etwas von der Schärfe genommen hat, die ursprünglich wohl in noch größerem Maße darin lag. Aus der Tatsache, daß er diese Rede aus dem Stegreif gehalten habe, schlußfolgerte er dann, er habe selbstverständlich keinen Auftrag des Quai d'Orsay erhalten, diese Rede zu halten.
    Für uns waren diese beiden Feststellungen sehr interessant. Aus ihnen geht einmal hervor, daß er Grund hat, zu erklären, er sei nicht beauftragt worden, und daß er zum anderen Grund hat, zu sagen, die Rede sei aus dem Stegreif gehalten worden, und deshalb müsse man ihr vielleicht doch einiges zubilligen, was nicht dem offiziellen französischen Standpunkt entspreche.
    Uns interessiert an diesem Antrag heute, wo die Aussprache darüber stattfindet, in der Hauptsache noch ,der Punkt 2, in dem die Bundesregierung ersucht wird, festzustellen, ob die französische Regierung offiziell mit dem Inhalt der Rede des franzosischen Hochkommissars an der Saar sich einverstanden erklärt. Die neue französische Regierung ist noch nicht gebildet. Ihr wird es obliegen, eine Antwort auf ,die Regierungserklärung vom 30. Mai 1951 und eine Antwort auf diese Frage zu geben.
    Die Feststellungen und die Behauptungen, die in der Rede des französischen Hochkommissars an der Saar getroffen und aufgestellt worden sind, interessieren uns nicht deshalb, weil sie von ihm getroffen worden sind. Wir halten an der Tatsache fest, daß M. Grandval als Politiker und als Kommissar keine so bedeutende Persönlichkeit darstellt, als daß er es sich leisten könnte, den französischen, Standpunkt kompetent zu formulieren.

    (Zuruf des Abg. Dr. Schmid [Tübingen].)



    (Strauß)

    — Herr Kollege Carlo Schmid, Sie sollten mit Ihrem Zwischenruf nicht eine Persönlichkeit zu einer Bedeutung stempeln, die ihr wirklich nicht zukommt.

    (Abg. Renner: Schuman hat .das selber erklärt. Brechen Sie sich doch keine Verzierungen ab!)

    Uns interessierten aus grundsätzlichen Erwägungen einige Feststellungen und Behauptungen, die in der Rede und in den Interviews des M. Grandval wiedergegeben worden sind.

    (Abg. Niebergall: Sie brauchen nicht zu differenzieren. Schuman und Grandval sind eins!)

    — Für uns, Kollege Renner, ist manches eins, manches aber auch nicht eins, und wo wir mit Ihnen nicht eins sind, ,das wissen wir ganz genau. Uns interessiert nicht so sehr die Persönlichkeit des Herrn Grandval. Es wäre vielleicht interessant festzustellen, warum er Grund hatte, seinen ursprünglichen Namen zu verleugnen. Es besteht ja wohl kein Zweifel daran, daß er ursprünglich nicht Grandval hieß, sondern den Namen Hirsch-Ollendors trug. Es ist wohl auch kein Zweifel daran, daß deutsch entweder seine Muttersprache oder eine seiner beiden Muttersprachen gewesen ist. Es ist auch kein Zweifel daran, —

    (Abg. Renner: Ein bißchen Antisemitismus gehört auch dazu!)

    — Haben Sie deshalb Sympathien für ihn? — Es ist auch kein Zweifel daran, daß er als Chef des Partisanenkrieges in Frankreich-Ost tätig gewesen ist.

    (Erneute Zurufe von der KPD.)

    — Ich bitte, den Moskauer Lautsprecher abzustellen.

    (Heiterkeit.)

    — Eines aber interessiert uns an den Feststellungen und Behauptungen des M. Grandval: daß aus ihnen noch ein Fühlen und Denken der Résistance spricht, das heute gegenüber der Bundesrepublik und ihrer Politik nicht mehr angebracht ist. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn Fühlen und Denken der Résistance eher eingesetzt hätten, schon vor dem zweiten Weltkrieg. Jedenfalls ist es aber falsch, Fühlen und Denken der Résistance auf die Bundesrepublik, auf die deutsche Bevölkerung in der Bundesrepublik und auf die Bundesregierung zu übertragen. Für uns gibt es auch in unserem Verhältnis zu Frankreich nur eine auf Europa orientierte Politik. Es ist aber auch Zeit, daß Frankreich und Deutschland trotz solcher Reden, trotz solcher Persönlichkeiten aus der Vorstellungswelt des politischen Gestern herauskommen, die aus solchen Reden spricht. Das gilt in gleicher Weise für uns wie für drüben. Wir wollen keinen Konflikt, auch keinen Saarkonflikt, mit Frankreich, weil er ein politischer Anachronismus ist und weil er den höheren Zielen von morgen widerspricht. Man soll uns aber nicht durch solche Reden den Konflikt mit aller Gewalt aufzwingen und die Geister einer für beide Völker unseligen Vergangenheit wachrufen.
    Aus den Reden und Interviews des M. Grandval sind einige Punkte herauszustellen, zu denen wir gerade heute, da die Saarfrage ein Prüfstein der Geister in beiden Völkern, ein Prüfstein der Demokratie, ein Prüfstein dafür geworden ist, ob Europa zustandekommen kann, einige klare und deutliche Worte zu sagen haben. Grandval hat in seinen Reden die Saarfrage mit dem Schuman-Plan verquickt und dargestellt, daß Frankreich ohne die Saar 27% der Kohle- und Stahlerzeugung in die Montan-Union einbringe, Deutschland aber mit der Saar 42% — Frankreich mit der Saar 34%, Deutschland ohne die Saar 35%. Diese Prozentrechnung ist genau das, was dem Geist, dem Inhalt und den Zielen des Schuman-Plans widerspricht. Allein die Konstruktion der Hohen Behörde mit zwei Vertretern Deutschlands, zwei Vertretern Frankreichs, zwei Vertretern Italiens, einem Vertreter Belgiens, einem Vertreter Hollands, einem Vertreter Luxemburgs zeigt schon genau auf, daß ein Denken in Prozenten nicht dem Geist und den Grundlagen des Schuman-Plans entspricht. Darum sollte man auch nicht die Saarfrage dazu benutzen, um Prozentrechnungen über die Quoten der einzelnen Länder im Schuman-Plan aufzustellen.

    (Zuruf von der KPD: Fragen Sie Herrn Adenauer!)

    Man kann nicht auf der einen Seite sagen, der Schuman-Plan löse die Saarfrage automatisch, weil er Kohle und Stahl aus der nationalen iSphäre heraushebt, und auf der andern Seite dieses Argument wieder zunichte machen, indem man etwa argumentiert, schon wegen des Schuman-Plans sei eine einseitige Regelung der Saarfrage, zugunsten Frankreichs etwa, notwendig. Hier wird der Schuman-Plan, eine revolutionäre, fortschrittliche politische Idee, für ein Denken der Restaurationspolitik mißbraucht, das nie wieder hätte aufkommen sollen.
    Der Schuman-Plan verträgt es auch nicht, daß er von Herrn Grandval umgefälscht wird in eine Politik der Einseitigkeit, wie sie in den saarländisch-französischen Konventionen sehr klar zum Ausdruck kommt. Frankreich sollte daran denken, daß sein Partner in der Saarfrage nicht die Regierung Johannes Hoffmann mit ihrer Umgebung ist; der Partner Frankreichs in der Saarfrage ist die Bundesrepublik, ist die Bundesregierung und das deutsche Volk. Jede andere Praxis wäre ein Monolog, wäre ein Gespräch vor dem Spiegel, wäre ein Gespräch, das vielleicht von Eitelkeit zeugte, das vielleicht befriedigte, aber ein Gespräch, das außerstande wäre, Lösungen von Bestand, von Dauer zu schaffen.
    Zu einem zweiten Punkt: Man sagt, die Bundesrepublik solle nicht vergessen, daß Deutschland einen Krieg verloren habe. an dem Frankreich keine Schuld trage. — Meine Damen und Herren! Wir sind uns wohl der Rolle bewußt, die die damalige deutsche Regierung in der Frage des Krieges und der Kriegsschuld gespielt hat. Wir sind uns dabei aber auch zweier anderer Tatsachen bewußt: Zunächst der Tatsache, daß die Politik, deren Geist heute noch aus M. Grandval spricht, dazu beigetragen hat, die damalige deutsche Regierung 1933 in den Sattel zu heben. Es steht fest, daß man in der Zeit vor 1933 deutschen demokratischen ,Staatsmännern — mögen sie die Namen Stresemann, Brüning oder andere Namen getragen haben — das verweigert hat, was man hernach dem Diktator als eine Selbstverständlichkeit geschenkt hat.
    Und zweitens kommen wir auch nicht um die Tatsache herum, daß man auch drüben gegenüber dem Diktator nicht die Haltung gezeigt hat, die einen Widerstand des deutschen Volkes gegen dieses System unterstützt hätte. Darum ist es überholt, heute davon zu sprechen, die Bundesrepublik solle nicht vergessen, daß Deutschland einen Krieg


    (Strauß)

    verloren habe, an idem Frankreich nicht schuld sei. Die Schuldfrage heute und in diesem Zusammenhang aufzurollen, ist verfehlt. Wir halten uns an das Wort Churchills in Straßburg: Wer über die Vergangenheit zu Gericht sitzt, der verspielt und verliert die Zukunft. Das gilt für Frankreich, das gilt genau so für Deutschland.
    In der Rede Grandvals heißt es weiterhin, daß das Saarstatut und das Statut der Bundesrepublik denselben Ausgangspunkt hätten. Diese Darstellung der Verhältnisse bedeutet nicht nur eine grobe Entstellung der Tatsachen; sie ist in Wirklichkeit auch eine grobe Geschmacklosigkeit. Deutschland hat nie aufgehört, zu existieren.

    (Zuruf rechts.)

    — Bitte, Herr Kollege?

    (Erneuter Zuruf rechts: Es gibt noch mehr Geschmacklosigkeiten!)

    Deutschland hat nie aufgehört, zu existieren. Die Bundesrepublik ist heute, wie im Grundgesetz festgelegt ist, allein legitimiert, für das ganze deutsche Volk, also auch für diejenigen mitzusprechen und mitzuhandeln, die sich an dem Zustandekommen des freien politischen Willens nicht beteiligen konnten.

    (Lachen bei der KPD.)

    Ich möchte hier mit aller Klarheit herausstellen, daß es nicht im geringsten irgend etwas mit einem nationalistischen Denken zu tun hat, wenn wir seinerzeit gegen das Verbot der Demokratischen Partei des Saarlandes protestiert haben. Es hat nicht das geringste mit der Unterstützung einiger Persönlichkeiten zu tun, die irgendwelcher Taten oder Äußerungen beschuldigt werden. Für uns handelt es sich einfach darum, daß im Laufställchen des Herrn Johannes Hoffmann keinerlei Opposition geschaffen werden sollte.

    (Zurufe von der KPD: Parteifreunde! — Demokraten!)

    — Wenn Sie von den Verhältnissen keine Ahnung haben, halten Sie doch den Mund! — Es handelt sich darum: Auch im Saargebiet muß eine Opposition zugelassen werden, die dem Willen und den Wünschen weiter Kreise der Bevölkerung Rechnung trägt und deren Dasein eine Einseitigkeit vermeidet.
    Es heißt weiter, daß die Grundrechte an der Saar besser als in der Bundesrepublik gewahrt seien. In der Gegenwart — und das ist auch die Meinung sogar eines Teils der saarländischen Presse — sind im Saargebiet nicht einmal die Voraussetzungen für die Wahrung der Grundrechte vorhanden. Wir in der Bundesrepublik bemühen uns, aus den Grundrechten etwas zu machen,

    (Zuruf von der KPD)

    ihnen Geltung zu verleihen. Wir bemühen uns, sie zu einer moralischen Waffe gegen alle Feinde der Grundrechte zu machen und können deshalb diese Behauptung des französischen Hochkommissars nicht hinnehmen.
    Es heißt zum Schluß, eine Volksabstimmung sei undemokratisch und gefährde das deutsch-französische Verhältnis. In diesem Zusammenhang hat Herr Grandval an das Drama von Pirmasens in den zwanziger Jahren erinnert, als die Kämpfe zwischen Separatisten und der deutsch gesinnten Bevölkerung stattgefunden haben.

    (Zuruf von der KPD: Wo stand damals Herr Adenauer?)

    Wir können die beruhigende Versicherung abgeben, daß es uns völlig fernliegt, sei es jetzt, sei
    es später etwa mit Gewalt vorzugehen. Hier wird eine Welt heraufbeschworen, mit der wir gar nichts zu tun haben. Es handelt sich einfach um einen demokratischen Ablauf dieser Frage, an der wir nicht nur aus ideellen, am allerwenigsten aber etwa aus Prestigegründen interessiert sind. Das deutsche Volk kann heute auch trotz der Rede, die Monsieur Grandval gehalten hat, zwischen der Haltung und dem Denken des französischen Volkes, das mit uns eine gemeinsame europäische Zukunft wünscht, und den Äußerungen Grandvals unterscheiden, der damit weder der französischen Politik noch dem deutsch-französischen Verhältnis noch etwa einer vernünftigen Regelung der Saarfrage einen Dienst erwiesen hat.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man hat in der Kritik der Aussprache im Deutschen Bundestag über die Saarfrage, die in der Saarpresse und auch in offiziellen Verlautbarungen saarländischer Regierungspolitiker geübt wurde, an einem Punkt besonderen Anstoß genommen. Man behauptete, es sei wohl eine Reihe politischer Reden gehalten und es sei wohl eine Reihe politischer Grundsätze, falscher und richtiger, vorgebracht worden, man sei aber an einer Tatsache vorbeigegangen: an der Tatsache, ein wirtschaftlicher Anschluß oder eine wirtschaftliche Zusammengehörigkeit des Saargebiets und der Bundesrepublik würde schwerwiegende Nachteile für die Saarbevölkerung und für seine Arbeits-und Wirtschaftsverhältnisse mit sich bringen. Aus diesem Grunde wird auf der einen Seite gesagt, das Saargebiet habe im Osten keine Ernährungsbasis, es sei gegenüber der deutschen Industrie nicht konkurrenzfähig, ein Verlust an Arbeitsplätzen und eine steigende Arbeitslosigkeit seien zu befürchten. Zum Schluß kam aus dem Munde von Herrn Johannes Hoffmann noch hinzu, daß in diesem Fall auch die Aufnahme von Heimatvertriebenen zu befürchten sei. Als Anreiz wurde noch hinzugefügt, der Verteidigungsbeitrag könne ja für das Saargebiet dann auch in Geld abgeleistet werden.
    Diese Vorstellungen und Behauptungen, die in Widerspruch nicht nur zu den wirtschaftlichen Tatsachen, sondern auch zu jeder vernünftigen Lösung und jeder vernünftigen Haltung stehen, müssen mit einigen Zahlen — leider -
    richtiggestellt werden. Wenn man Zahlen einander gegenüberstellt, die sich auf Frankreich und das Saarland beziehen, muß man sich vor Augen halten, daß das Saarland 920 000 Einwohner und Frankreich 41 Millionen Einwohner zählt. Das Verhältnis der saarländischen zur französischen Bevölkerung beträgt also 1 : 45. Die saarländische Stahlerzeugung beträgt jährlich rund 2,3 Millionen t, die Stahlerzeugung Frankreichs dagegen 9,2 Millionen t, das Verhältnis ist also hier 1 : 4. Die saarländischen Bergwerke fördern zur Zeit 17 Millionen t Kohle pro Jahr, die französischen rund 50 Millionen t, was ein Verhältnis von 1 : 3 ergibt. Wenn wir die französischen Gesamtinvestitionsziffern während der Jahre 1948, 1949 und 1950 mit den entsprechenden Zahlen des Saarlandes vergleichen, ergibt sich folgende Gegenüberstellung: In Frankreich sind in diesen drei Jahren rund 3000 Milliarden Francs investiert worden. Diesen französischen Investitionsziffern dürften kaum im Verhältnis zur Produktions- und Bevölkerungsquote entsprechende saarländische Investitionsziffern gegenüberstehen. Die saarländischen Regierungsstellen haben — ob mit Absicht oder aus Nachlässigkeit sei offengelassen — keine


    (Strauß)

    Untersuchung über die saarländischen Gesamtinvestitionen seit dem- wirtschaftlichen Anschluß angestellt, obwohl sie von Investitionsplanungen reden. Nach den vorliegenden Unterlagen dürften die saarländischen Investitionen während der Jahre 1948, 1949 und 1950 nicht mehr als 40 bis 45 Milliarden Francs betragen. Nimmt man für die saarländischen Investitionen einen Höchstbetrag von 45 Milliarden an, dann ergibt sich, verglichen mit 1: 67. Dieses Verhältnis ist denkbar ungünstig für die
    Dieses Verhältnis ist denkbar ungünstig für die Saar, wenn man es zur Bevölkerungsziffer und zur Produktionskapazität in Beziehung setzt.
    Genaue Zahlen liegen uns über die Investitionen in den Bergwerken vor. In saarländischen Gruben wurden in den Jahren 1947 bis 1950 13,4 Millarden Francs investiert, in französischen Gruben während derselben Zeit 212 Milliarden Francs. Das ergibt ein Verhältnis von 1:16, ein Verhältnis, das keinesfalls der Kohlenförderungsquote 1:3 entspricht.
    In der saarländischen eisenschaffenden Industrie wurden nach dem wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich 539 Millionen Francs aus MarshallplanGegenwertmitteln investiert. Was darüber hinaus aus Selbstfinanzierung oder Bankkrediten angelegt wurde, ist nicht bekannt, dürfte aber unerheblich sein. In Frankreich wurden in diesen drei Jahren 1947, 1948 und 1949 in der eisenschaffenden Industrie etwa 74,4 Milliarden Francs investiert. Die Zahl für 1950 ist noch nicht bekannt.
    Dasselbe Mißverhältnis kommt zum Ausdruck, wenn man die bisherige Aufteilung der Marshallplan-Gelder einer Untersuchung unterzieht. Das Saarland erhielt von 1948 bis 1950 5,3 Milliarden Francs, Frankreich 1948 bis 1950 533 Milliarden Francs. Das ist ein Verhältnis 1:100.
    Man kann vielleicht am besten eine französische Zeitschrift als Zeugen anführen. In Nr. 18 der Wochenzeitschrift „Perspective" vom Samstag, dem 12. Mai 1951, schreibt ein Mann namens J. R., wahrscheinlich Jean Rivire, folgende Zeilen:
    Wenn das Saarland in der Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs ein sehr schätzenswertes industrielles Kohle- und Stahl-Potential darstellt, so würde es indessen über Nacht eine außerordentlich schwierige Belastung in Krisenzeiten werden, wie dies der Fall war während der ersten sechs Monate des Jahrens 1950. Saarländische Kohle und Stahl, die in Frankreich im Rahmen der Union einen breiten Absatzmarkt finden, können unseren Kohlengruben und mehr noch unserer eisenschaffenden Industrie Konkurrenz machen. Diese Befürchtungen treten besonders in unseren östlichen Departements in Erscheinung. Auf der industriellen Ebene rechnen die lothringischen Gruben, die eine sehr beachtliche Anstrengung machen, um die Kohlenförderung zu vergrößern, damit, diese von 7,5 Millionen Tonnen im Jahre 1947 auf 15 Millionen Tonnen im Jahre 1955 zu erhöhen.
    Mit diesen Zahlen soll nur dargelegt werden, daß die wirtschaftlichen Interessen des Saarlandes nicht einseitig festgelegt werden können und auch bezüglich ihrer Zweckmäßigkeit nicht einseitig festliegen. Süddeutschland wird, was es immer gewesen ist, ein maßgebender Absatzmarkt für das Saarland bleiben. Eine einseitige Orientierung der saarländischen Wirtschaft wird der Bevölkerung dort selbst und unmittelbar schaden. Und letzten Endes sollte man ja die Frage der politischen und verwaltungsmäßigen bzw. staatsrechtlichen Zugehörigkeit nicht mit der wirtschaftlichen Frage in Verbindung bringen, die auf europäischer Ebene ohne weiteres gelöst werden kann.
    Wenn die saarländische Regierung heute der Bundesrepublik unberechtigte Intervention vorwirft, so möchte ich zum Schluß nur noch etwas erwähnen, was die Aufmerksamkeit im besonderen des Herrn Innenministers verdient. Die saarländische Eisenbahn führt seit einiger Zeit laufend Sonderzüge nach der Mosel, dem Rhein und der Pfalz durch, die nebenbei bemerkt im Handumdrehen ausverkauft sind. Der Genuß von Wein und andere Unbeschwertheiten scheinen die Zungen zu lockern. Das Absingen des Saarliedes, das von deutscher Seite aus nicht irgendwie veranlaßt ist, und heftige Kritik an der Saarregierung haben das besondere Mißfallen der hohen Herren der Saarregierung erregt. Der Herr Innenminister — wie bekannt Dr. Hector, französischer Staatsangehörigkeit — ist nun auf eine neue Methode verfallen. Er läßt diese Sonderzüge durch Polizeibeamte in Zivil begleiten.

    (Zuruf von der KPD: Genau wie ihr!) '

    Was gedenken Sie, Herr Innenminister, gegen die Ausführung der Befehle des saarländischen Innenministers auf Bundesgebiet zu unternehmen? Was würde die Saarregierung, was würde Frankreich dazu sagen, wenn deutsche Bereitschaftspolizei oder Kriminalpolizei in Zivil ihre Tätigkeit im Saargebiet ausüben würde? Dort ist es ja nicht einmal möglich, daß Abgeordnete des Deutschen Bundestages in schlichtem Zivil und in aller Einfachheit auftreten oder auch nur die Grenze überschreiten, wenn es den dortigen Machthabern nicht paßt.

    (Zuruf von der KPD: Das gibt's hier auch!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe festgestellt, daß die Punkte 1 und 3 des Antrages auf Drucksache Nr. 2298 praktisch mit der von uns noch gar nicht erwarteten Äußerung des Hochkommissars an der Saar bereits erledigt sind. Es liegt aber in unserm allgemeinen Interesse, festzustellen, ob die offizielle Auffassung und die offizielle Haltung der französischen Regierung den Äußerungen des M. Grandval entspricht oder ob der Geist, der heute weite Kreise des deutschen und französischen Volkes und seiner politisch führenden Schichten verbindet, uns zu einer vernünftigen, demokratischen und europäischen Lösung im Saargebiet zusammenbringen kann.

    (Beifall in der Mitte.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Ollenhauer!

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    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat den heute zur Beratung stehenden Antrag eingebracht, weil die Entwicklung der Saarfrage nach unserer Auffassung weiterhin äußerst beunruhigend ist und weil wir vor der Tatsache stehen, daß die Bundesregierung dieser Entwicklung gegenüber in völliger Passivität verharrt.
    Ich möchte heute morgen keines der Argumente wiederholen, die in der Debatte am 30. Mai eine Rolle gespielt haben, insbesondere in der Rede meines Freundes Carlo Schmid. Ich möchte nur auf einige Tatsachen hinweisen, die sich seitdem gezeigt haben,


    (Ollenhauer)

    Das Beunruhigende ist nach unserer Auffassung, daß die französische Saarpolitik seit der Unterzeichnung des Schumanplans und seit dem Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Außenminister Schuman neue Tatsachen an der Saar schafft, die die dauernde politische Loslösung des Saargebiets fördern. Die Hoffnung des Herrn Bundeskanzlers, der Schumanplan und der Briefwechsel mit dem Außenminister Schuman würden das Saarproblem allmählich auflösen, erfüllt sich offensichtlich nicht. Im Gegenteil, die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler einen Vertrag unterzeichnet hat, in dem ausdrücklich die Vertretung des Saargebiets durch Frankreich festgelegt ist, hat, wie sich jetzt schon zeigt, die französische Position in der Saarfrage erheblich verstärkt, und der Briefwechsel bleibt demgegenüber ohne jedes faktische Gewicht.
    Der Herr Außenminister Schuman hat die französische Position in bezug auf die Saar nach dem 18. April in verschiedenen Erklärungen und Pressekonferenzen völlig klar dargelegt. Frankreich will ein autonomes Regime an der Saar, und es will dieses Regime auf die Dauer. Es wird die Aufrechterhaltung dieses Zustandes auch bei zukünftigen Friedensverhandlungen fordern. Das zweite ist, daß wir durch die Ereignisse der letzten Wochen vor der Tatsache stehen, daß sich Frankreich durch den Briefwechsel nicht verpflichtet fühlt, an der Saar bis zum Friedensvertrag stillzuhalten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sie haben in den letzten Tagen in der Presse die Meldungen gelesen, daß man das sogenannte Hochkommissariat an der Saar in eine Botschaft verwandeln will, und die französische Regierung hat erklärt, daß sie die Verstärkung des autonomen Charakters des Saargebiets ohne Rücksicht auf die Tatsache der Unterzeichnung des Schumanplans in vollem Umfang und so schnell wie möglich durchführen will.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Auch diese Entscheidungen der französischen Regierung erfolgen wie alle früheren Entscheidungen über das Schicksal des Saargebiets ohne eine wirklich demokratische und freie Entscheidung der Menschen an der Saar.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir müssen damit rechnen, daß diese Umwandlung des Saargebiets in einen autonomen Staat in den nächsten Wochen weiter vorangetrieben wird. Schließlich stehen wir auch, jedenfalls nach den Entwicklungen der letzten Woche, vor der Tatsache, daß sich die These unserer Bundesregierung, mit dem Inkrafttreten des Schumanplans würden alle Voraussetzungen und Gründe wegfallen, die bisher die französische Politik an der Saar bestimmt haben, nicht aufrechterhalten läßt, daß sie insbesondere von der französischen Seite völlig abgelehnt wird.
    Ich möchte Herrn Grandval nicht die Bedeutung zumessen, die Herr Strauß ihm hier in der Begründung seines Antrags gegeben hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Antrag von Herrn Strauß ist in diesem Sinne ein Antrag, der seinem Namen durchaus gerecht wird. Da hat der Herr Strauß den Kopf in den Sand gesteckt.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Das heißt: es geht hier gar nicht in erster Linie um die Frage der Absichten und der Ziele, die Herr Grandval verkündet.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Auf der andern Seite stehen wir allerdings vor der Tatsache, daß — insbesondere seit der Unterzeichnung des Schumanplans — Herr Grandval als der höchste französische Beamte an der Saar wiederholt noch offener und eindeutiger über französische politische Ziele an der Saar gesprochen hat als der Herr Außenminister Schuman.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihre Aufmerksamkeit auf eine Tatsache lenken, die nach unserer Meinung in den kommenden Diskussionen über den Schumanplan für die deutsche Entscheidung von großer Bedeutung ist: Der Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung vom 9. Juni — also auch sicher nach Ihrer Meinung und nach der Meinung der Regierung eine zuverlässige Informationsquelle — hat einen Auszug aus einem Interview von Herrn Grandval veröffentlicht. In diesem Auszug heißt es:
    Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß die europäische Montanunion die Saarautonomie und den wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich unnötig mache. Die Gemeinschaft der Montanunion setzt ein Gleichgewicht zwischen den Partnern voraus, das empfindlich gestört wird, wenn man die Saar Deutschland zuschlage.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das heißt doch: die dauernde Loslösung der Saar von Deutschland ist nach dieser Auffassung sozusagen eine fundamentale Voraussetzung, ein fundamentaler Bestandteil der neuen ökonomischen Ordnung, die durch den Schumanplan geschaffen werden soll. Und dieser Schumanplan ist vom Herrn Bundeskanzler unterzeichnet worden. Er gilt, wie Sie wissen, für 50 Jahre.
    Ich will hier nur auf diesen Tatbestand aufmerksam machen. Ich hoffe, daß der Herr Bundeskanzler, wenn er in der nächsten Zeit dem Hohen Hause das Ratifizierungsgesetz zum Schumanplan vorlegt, dem Parlament eine Erklärung darüber abgeben wird, wie die französische Regierung offiziell und verbindlich zu den Äußerungen des Herrn Grandval Stellung genommen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß ein deutsches Parlament einen Vertrag ratifizieren kann, der nach französischer Auffassung auf der Voraussetzung basiert, daß er nur funktionieren und von Frankreich angenommen werden kann, wenn damit die dauernde Loslösung eines deutschen Gebiets von Deutschland verbunden ist.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kiesinger: Herr Ollenhauer, nun pumpen S i e Herrn Grandval auf! — Abg. Strauß: S i e identifizieren doch ganz Frankreich mit Grandval! Sie geben ihm doch mehr Bedeutung als wir! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Entschuldigen Sie, ich habe den Herrn Bundeskanzler gebeten, im Parlament darüber Auskunft zu geben, ob die französische Regierung diese weitgehenden Äußerungen des Herrn Grandval tatsächlich als ihre Auffassung anerkennt.

    (Abg. Strauß: Das ist ja unser Antrag. Wir haben differenziert, und Sie haben identifiziert!)



    (Ollenhauer)

    U Angesichts dieser neuen Etwicklung in der französischen Saarpolitik ist nach unserer Aufassung eine Fortsetzung der Politik des Stillhaltens und des Gewährenlassens durch die deutsche Bundesregierung völlig unmöglich. Es geht nicht darum, daß man, wie uns gesagt worden ist, die deutsch-französischen Beziehungen nicht immer durch fortgesetzte Saardebatten von neuem belasten dürfe. Es ist nicht unsere Schuld, daß sich die Dinge so entwickelt haben. Wir sind nach wie vor für eine deutsch-französische Zusammenarbeit. Wir sind für Verhandlungen, und wir stehen unverändert zu dem Vorschlag Dr. Schumachers in seiner Rede vom 10. März 1950, einem Vorschlag, der Verhandlungen mit Frankreich anregte, die bedeutungsvoller sind und tiefer gehen als das, was Handelsvertragsverhandlungen hervorbringen können, die schließlich zu einem französisch-deutschen Freundschaftsvertrag führen können. Was wir bedauern und beklagen, ist, daß in der Zwischenzeit unsere Regierung in dieser Richtung keine Initiative entfaltet hat.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Sie hat den Beitritt der Saar zum Europarat auf der gleichen Ebene wie die Bundesrepublik hingenommen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sie hat jetzt durch die Unterzeichnung des Schumanplans die französische Position in der Saarfrage zweifelsfrei gestärkt. Wir meinen, sie muß endlich als ihre Pflicht erkennen, daß sie als deutsche Regierung genau so für die Saar zu sprechen hat wie für die Menschen in der Ostzone.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir verstehen auch nicht, warum sich die deutsche Bundesregierung in ihrem praktischen Verhalten nicht auf den Beschluß der New Yorker Außenministerkonferenz bezieht, an dem ja die französische Regierung mitgewirkt hat und dem sie zugestimmt hat. In diesem Beschluß ist die Bundesregierung als die einzig legitime deutsche Regierung anerkannt worden,

    (Na, na! bei der KPD)

    und diese Anerkennung schließt auch die Vertretung des Saargebiets durch die Bundesregierung ein; denn das Saargebiet gilt, wiederum nach den Entscheidungen der Alliierten, als deutsches Staatsgebiet. In jedem Fall: die Erfahrungen mit dem Schumanplan in der Vergangenheit zeigen, daß die Bundesregierung keine Verträge und Abkommen abschließen darf, die direkt oder indirekt die Lösung eines deutschen Gebietsteils wie die Saar sanktionieren, verstärken oder herbeiführen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, es geht dabei nicht nur um die Wahrung eines Rechtsanspruchs des deutschen Volkes; es geht vor allem auch um die Menschen an der Saar. Ich will in diesem Zusammenhang wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht auf den wirklichen Charakter der sogenannten „wirtschaftlichen Zusammenarbeit" zwischen der Saar und Frankreich eingehen. Es' ist ein sehr trübes Kapitel,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    und diese Zusammenarbeit trägt in der Praxis vielmehr den Charakter einer weitgehenden Protektoratsbehandlung des Saargebiets unter französischer Führung, und ich muß leider sagen: auch
    einer weitgehenden wirtschaftlichen Ausbeutung des Saargebiets, einseitig zugunsten Frankreichs.

    (Sehr richtig! und Sehr wahr! bei der SPD.)

    Aber, meine Damen und Herren, ohne in Einzelheiten über dieses Problem einzugehen, möchte ich darauf hinweisen, daß sich seit der Unterzeichnung des Schumanplans der totalitäre Zug der französischen Politik und ihrer Helfer an der Saar wesentlich verschärft hat. Ich will hier nicht noch einmal das Verbot der Demokratischen Partei an der Saar behandeln.

    (Zuruf von der KPD: Genau wie hier!)

    Die Tatsache, daß es auf Verlangen des französischen Außenministers erfolgt ist, ist eines der trübsten Kapitel französischer Saarpolitik nach 1945.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Das Verbot ist ein Schlag gegen jede demokratische Gesinnung und Praxis.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Heute wissen wir, daß es der Beginn einer neuen Ara der Unterdrückung demokratischer Freiheiten und Rechte ist. Ich weiß, das ist ein sehr hartes Urteil gegenüber einem Land, dessen Volk eine so stolze freiheitliche und demokratische Tradition hat wie das französische. Aber Tatsache ist, daß es heute an der Saar keine echte Opposition gegen die Protektoratsregierung gibt,

    (Zuruf von der KPD: Hier auch nicht!)

    daß es an der Saar keine Pressefreiheit gibt und daß es an der Saar keine Koalitionsfreiheit gibt. Alle wesentlichen Grundrechte der Konvention des Europarats über die Menschenrechte werden an der Saar ständig verletzt. Man unterbindet nicht nur die politische Aktivität, man geht auch dazu über, die Menschen, die aus ihrer oppositionellen Haltung gegenüber dem gegenwärtigen Regime an der Saar öffentlich kein Hehl machen, auch ihrer wirtschaftlichen Existenz zu berauben mit Mitteln, die wir bisher nur in Diktatur-Staaten gekannt haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Renner: Und ab Montag im Bundesgebiet! Weitere Zurufe von der KPD.)

    — Ich meine mit Diktaturen auch die kommunistische Herrschaft in der Ostzone, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD und in der Mitte. — Lebhafte Zurufe von der KPD. — Abg. Renner: Das ist ein Denkfehler! Ich dachte: das Zuchthausgesetz in Vorbereitung!)

    Das Bedeutsame dabei ist, daß heute die Saarbevölkerung nicht die Möglichkeit hat, frei und ohne Furcht ihre wahre Meinung zu äußern.

    (Abg. Rische: Methode Kaiser!)

    Das zweite: In der Begründung des Verbots der Demokratischen Partei der Saar ist offiziell erklärt worden, daß jede Stellungnahme gegen das jetzige Regime an der Saar staatsfeindlich und verfassungswidrig ist. Schließlich hat man festgestellt, daß Verbindungen mit Deutschland oder deutschen Politikern als Verbindungen mit dem Ausland anzusehen und als unzulässig zu betrachten sind.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der KPD: Zuchthausgesetz!)

    Meine Damen und Herren, das ist ein Zustand, den wir als deutsche Bundesrepublik und den die deutsche Bundesregierung nicht länger stillschweigend hinnehmen können.

    (Zustimmung bei der SPD.)



    (Ollenhauer)

    Es ist wirklich nicht die Schuld des deutschen Volkes, wenn jetzt und gerade im 'Zeichen des Schumanplanes an der Saar eine Situation entsteht, die nach unserer Überzeugung die deutsche Regierung einfach zwingen muß, für die Menschen an der Saar zu sprechen, weil sie nicht mehr frei sind, für sich selbst zu sprechen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sprechen heißt bestimmt nicht schreien; aber das gegenwärtige Schweigen der Regierung in diesen Fragen ist einfach unerträglich.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, es gibt noch einen anderen sehr wesentlichen Punkt. Die Saarländer haben unter den gegenwärtigen Bedingungen keine Möglichkeit, in irgendeinem europäischen Gremium ihr Recht zu suchen. Es ist, glaube ich, die Pflicht der Bundesregierung, hier initiativ zu werden. Es ist die Aufgabe, eine unaufschiebbare Aufgabe der Regierung, im Ministerrat des Europarates die Frage nach den gegenwärtigen Zuständen an der Saar aufzuwerfen.

    (Beifall bei der SPD und vereinzelt in der Mitte)

    und vom Europarat eine Untersuchung darüber zu verlangen, ob angesichts der gegenwärtigen undemokratischen Zustände an der Saar die Saar noch die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im Europarat erfüllt.

    (Erneuter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Mitte.)

    Das ist im Augenblick praktisch die einzige Möglichkeit, den Menschen an der Saar wenigstens die elementaren Grundrechte einer Demokratie zu sichern. Wir hoffen, daß sich die Bundesregierung endlich entschließt, in dieser Frage und in dieser Richtung aktiv zu werden.
    Meine Damen und Herren, wir sind gar nicht glücklich darüber, daß wir diese Frage heute erneut auf die Tagesordnung bringen mußten. Wir hätten gewünscht, daß insbesondere nach der Debatte vom 30. Mai und angesichts der Ereignisse der letzten Wochen die Regierung von sich aus gehandelt hätte.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Umstand, daß jetzt an der Saar durch die Schaffung neuer Tatsachen die Tendenzen für eine dauernde Loslösung des Saargebietes verstärkt werden, zwingt uns, die deutsche Position, wie wir sie in den Punkten 1 bis 3 unseres Antrages festgelegt haben, noch einmal völlig klarzumachen; und mit der Annahme durch den Bundestag soll' sie auch eine verpflichtende Richtlinie für die Politik der Bundesregierung werden.
    Es kann und es muß eine französisch-deutsche Verständigung auch über die gemeinsamen Interessen an der Saar geben. Aber es muß eine Verständigung zwischen Paris und Bonn sein. Die Hinnahme einseitiger Entscheidungen, die Passivität in der berechtigten Verteidigung nationaler Interessen und der Freiheits- und Menschenrechte deutscher Menschen führt uns nicht vorwärts. Dauernde französisch-deutsche Verständigung und europäische Zusammenarbeit sind . nur auf der Basis der Respektierung der Lebensrechte aller Völker und aller Menschen möglich.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Mitte und der DP.)