Rede von
Dr.
Günther
Henle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten sowie der Wirtschaftsausschuß haben den Antrag der Fraktion der Bayernpartei Drucksache Nr. 2170 vom 18. April 1951 betreffend die Anrechnung der Besatzungskohle auf die Ausfuhrquote in ihren Sitzungen vom 20. Juni und 4. Juli einer eingehenden Beratung unterzogen. Beide Ausschüsse gelangten hierbei zu den gleichen Ergebnissen und zu einer übereinstimmenden Beurteilung des Sachverhalts, die ich Ihnen hier vorzutragen beauftragt bin.
Einleitend ist hierzu festzustellen, daß eine solche Übereinstimmung zunächst in der Überzeugung bestand, daß diese Frage der Besatzungskohle nur in dem größeren Rahmen der gesamten deutschen Kohlenausfuhr gesehen und behandelt werden kann. Dieses Problem hat sich bekanntlich zu einem der Hauptsorgenpunkte der ganzen deutschen Wirtschaftspolitik entwickelt, denn jede Verknappung auf dem Gebiete der Kohlenversorgung zieht sofort zwangsläufig die gesamte Wirtschaft und darüber hinaus jeden deutschen Privathaushalt, d. h. also die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik, in Mitleidenschaft. Die heutige Kohlenknappheit ist, wie ebenfalls allgemein bekannt sein dürfte, eine keineswegs auf Deutschland beschränkte, unmittelbar mit dem Koreakrieg in Zusammenhang stehende Erscheinung. Die Folgewirkungen dieses Krieges haben allgemein einen erheblich gestiegenen Industriebedarf an Kohle gebracht, mit dem die Kohlenförderung nicht Schritt halten konnte. Die gleiche Erscheinung wie bei uns ist auch in Großbritannien zutage getreten, was dort dazu geführt hat, daß im ersten Vierteljahr 1951 kurzerhand die Kohlenausfuhrquote nach dem europäischen Festland auf ein knappes Drittel der früheren Menge herabgesetzt worden ist.
Uns steht dieser einfache Ausweg zur Linderung der eingetretenen Mangellage nicht zur Verfügung, weil nach dem heute noch geltenden Ruhrstatut die Aufteilung der Kohlenförderung des Ruhrgebiets auf den innerdeutschen Verbrauch und auf die Ausfuhr der Internationalen Ruhrbehörde obliegt. Deren Rat hat aber in seiner Sitzung vom 19. Mai 1951 entschieden, daß die deutsche Kohlenausfuhrquote für das dritte Vierteljahr 1951 wiederum 6,2 Millionen t betragen soll. Dieser Beschluß wurde gegen die Stimme des deutschen Vertreters gefaßt. Dieser mußte ihn ablehnen, weil die danach und nach Berücksichtigung der Sonderanforderungen der Alliierten verbleibende Fördermenge für innerdeutsche Zwecke notorisch unzureichend ist und sowohl wirtschaftlich wie politisch und sozial ernste Auswirkungen nach sich ziehen muß.
Die Bundesregierung hat die schweren Sorgen, die durch die so geschaffene Sachlage bei ihr hervorgerufen wurden, den Westmächten in einem ausführlichen Memorandum zur Kenntnis gebracht. Es schließt mit der Bitte, die Ruhrbehörde zu veranlassen, unter Würdigung der in dem Memorandum dargelegten Gesichtspunkte eine Nachprüfung und Änderung ihres Beschlusses vom 19. Mai vorzunehmen. Der Erfolg dieses Schrittes bleibt noch abzuwarten. Die Bundesregierung hält bekanntlich eine Ausfuhrmenge von 5,2 Millionen t im dritten Vierteljahr 1951 für das Maximum der wirtschaftlich vertretbaren deutschen Leistungsfähigkeit. Der Unterschied gegenüber der Anforderung der Ruhrbehörde beträgt mithin rund 1 Million t Kohle.
Die Anforderungen an Besatzungskohle für das dritte Vierteljahr liegen nach dem Ansatz im Plan des Bundeswirtschaftsministeriums zusammen mit dem steigenden Kohlebedarf für notwendige Bauvorhaben der Besatzungsmächte noch über dieser eben erwähnten Differenzmenge von 1 Million t Kohle. So ist es ein naheliegender Gedanke gewesen, dem dann auch der Antrag der Bayernpartei vom 18. April Ausdruck gegeben hat, nämlich die genannte Differenz dadurch auszugleichen, daß die Besatzungskohle auf die der Bundesrepublik auferlegte Kohleausfuhrmenge angerechnet wird.
Was zunächst die Höhe der Anforderungen an Besatzungskohle anlangt, so weist diese eine bedeutende Steigerung gegenüber dem entsprechenden Zeitraum des Vorjahres auf. Diese Steigerung hat offenkundig zwei Hauptursachen. Einmal wünschen die Besatzungsbehörden in diesem Jahr offenbar möglichst frühzeitig eine Winterbevorratung sicherzustellen, so daß nicht wieder ein starkes Ansteigen der Anforderungen in den Wintermonaten selbst erfolgt, wie das im Vorjahr der Fall war. Sodann macht sich natürlich das neuerdings angelaufene Eintreffen größerer neuer Truppenkontingente auch in dieser Beziehung stark fühlbar. Wieweit die angeforderten Mengen tatsächlich unbedingt benötigt werden, entzieht sich natürlich einer deutschen Nachprüfung. Von deutscher Seite kann wie auch stets an die deutschen Behörden und hier auch an die Besatzungsbehörden nur der Appell gerichtet werden, daß von oben her entgegen der natürlichen Neigung aller Besatzungstruppen auf eine gewisse Einschränkung im Verbrauch wegen der angespannten deutschen Kohlenlage möglichst eindringlich hingewirkt wird.
Ein solcher Appell wird schon durch die Beobachtung nahegelegt, daß der Verbrauch der einzelnen Besatzungsmächte recht unterschiedlich ist. Die Forderung dürfte deshalb kaum unberechtigt sein, daß der Verbrauch allgemein wenigstens auf das Ausmaß der am wenigsten verbrauchenden Besatzungsmacht herabgemindert wird; denn es ist ein wenig erbaulicher Zustand, daß unsere Bevölkerung beobachten muß, daß bei Besatzungsbehörden im Winter in überheizten Räumen die Fenster aufge-
rissen werden, während vielfach der dringendste deutsche Bedarf für Wirtschaft und Hausbrand ungedeckt bleibt.
Die Besatzungskohle stellt als solche natürlich keinen Teil der deutschen Kohleausfuhr dar, sondern einen Teil des innerdeutschen Verbrauchs, dessen Höhe der Einflußnahme der Bundesregierung entzogen ist. Es ist aber kein gewöhnlicher innerdeutscher Verbrauch, sondern eine Sonderbelastung, die als Teil des deutschen Beitrags für die Verteidigung des Westens bezeichnet werden muß.
In diesem Sinne ist die Frage auch von der deutschen Vertretung bei der Internationalen Ruhrbehörde zur Sprache gebracht worden. Die dabei erhobene Forderung, daß die Besatzungskohle — und zwar dem üblichen Verfahren entsprechend — im Rahmen des innerdeutschen Bedarfs mit aufgeführt werde, daß sie aber doch als Bedarfsanforderung besonderer Art auch die entsprechende Sonderbehandlung erfahren müsse, — diese Forderung läuft dem Sinne nach auf das gleiche hinaus wie der Antrag der Bayernpartei auf Anrechnung dieser Sonderleistung auf die Kohlenausfuhrquote. Der Rat der Ruhrbehörde hat sich demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß die gerechte Verteilung der Verteidigungslasten aus dem Zuständigkeitsbereiche der Ruhrbehörde herausfalle und daß diese Frage deshalb den Mitgliederregierungen zur Prüfung zu unterbreiten ist. Damit ist die Angelegenheit, die auch schon in dem erwähnten Memorandum der Bundesregierung eine entsprechende Hervorhebung erfahren hat, nicht nur durch dieses Memorandum, sondern auch auf dem Wege über die Ruhrbehörde selbst an die zuständigen Regierungen herangetragen worden. Insoweit dürfte dem Antrag der Bayernpartei bereits von der Bundesregierung Rechnung getragen worden sein. Selbstverständlich wird diese Frage der Besatzungskohle auch bei der weiteren Behandlung dieses Fragenkomplexes die gleiche besondere Berücksichtigung erhalten.
Eine vor allem mißliche Seite der Kohleausfuhrangelegenheit ist bekanntlich die Frage des Kohlenexportpreises. Es will der deutschen öffentlichkeit nicht verständlich und nicht gerecht erscheinen, daß wir für unsere Ausfuhrkohle gemäß dem von der Alliierten Hohen Kommission festgesetzten Preis durchschnittlich 11 Dollar je Tonne erzielen, während wir für die amerikanische Einfuhrkohle einen Preis von etwa 23 Dollar je Tonne zu entrichten haben. Die Begründung der Gegenseite lautet meist, daß der innerdeutsche Markt keinen Vorzugspreis genießen dürfe, der ihn zu erhöhtem Wettbewerb befähige, weshalb der Ausfuhrpreis dem Inlandspreis zumindest weitgehend angeglichen sein müsse. Dabei wird nur regelmäßig übersehen, daß es sich bei unserem Inlandskohlepreis nicht um einen wirtschaftlich gerechtfertigten Preis und noch weniger um ein Wettbewerbsmanöver der deutschen Wirtschaft handelt, sondern um einen aus für zwingend gehaltenen politischen Gründen niedrig gehaltenen, also um einen politisch fixierten Preis. Seine Beseitigung und Ersetzung durch den wirtschaftlich gerechtfertigten Preis scheint heute aus den verschiedensten Gründen noch nicht gegeben zu sein. Es wäre damit aller Voraussicht nach die Gefahr verbunden, die Preis- und Lohnspirale bei uns in rasche Aufwärtsbewegung zu versetzen. Dies hätte unübersehbare soziale und politische Auswirkungen. Das müßte dann wiederum die mühsam wiedergewonnene leidliche Ordnung in Westdeutschland baldigst in Unordnung bringen mit den dann unausbleiblichen, leicht vorstellbaren Folgewirkungen. Damit wäre aber gerade den gemeinsamen und übereinstimmenden Interessen der Welt der freien Völker der schlechteste Dienst geleistet.
Gleiche Gründe sind es, die der Bundesregierung die Sorge für eine zureichende Deckung des innerdeutschen Hausbrandbedarfs zu einer vordringlichen Pflicht machen; denn auch da kann das Ausland — soweit es der Welt der freien Völker angehört — kein Interesse daran haben, daß sich in der deutschen Bevölkerung Notstände ergeben, die Unzufriedenheit und Mißmut so auf die Spitze treiben könnten, daß dadurch den Radikalisten nur das Wasser auf die Mühlen geleitet würde.
Alle diese Umstände sollten die in der Ruhrbehörde vertretenen Mächte unbedingt veranlassen, den Anträgen der Bundesregierung auf eine Ermäßigung der derzeitigen deutschen Kohleausfuhrquote ernstlichst Rechnung zu tragen. Die volle und der Sonderlage des Falles entsprechende gebührende Berücksichtigung der deutschen Leistungen an Besatzungskohle bildet in diesem Gesamtproblem nur einen Teilausschnitt, auf dessen Bedeutung der Antrag der Bayernpartei aber nicht zu Unrecht unser Augenmerk gelenkt hat. Wenn auch die Bundesregierung diesem Antrage sachlich bereits Rechnung getragen hat, so wird doch dieses ganze Problem weiter unsere sowohl als auch der Bundesregierung ernsteste Aufmerksamkeit erfordern. Auch die Besatzungsmächte werden an ihm nicht vorbeigehen können, indem sie an der von der Ruhrbehörde am 19. Mai getroffenen Festsetzung festhalten. Auch sie sollten sich im wohlverstandenen Gesamtinteresse der Einsicht und der Erkenntnis nicht verschließen, daß sich eine entsprechende Korrektur vielmehr als eine unabweisbare Notwendigkeit erwiesen hat.
In diesem Sinne, meine Damen lind Herren schlagen Ihnen die beiden Ausschüsse einstimmig vor: Der Bundestag wolle beschließen, dem Antrag der Bayernpartei — Nr. 2170 der Drucksachen — zuzustimmen.