Ich danke dem Herrn Berichterstatter und darf unterstellen, daß das Wort „unterschoben" natürlich kein moralischer Vorwurf gegen den Bundestag war.
Wird gewünscht, daß Erklärungen abgegeben werden? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 2413. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, den Bericht des Vermittlungsausschusses Drucksache Nr. 2412, betreffend Zolltarifgesetz, noch etwas zurückzustellen. Der Herr Berichterstatter hat mich darum gebeten. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist und rufe auf Punkt 1 der heutigen Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Deutsche Dienstkommandos bei den Besatzungsmächten .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 20 Minuten und eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Zur Begründung der Interpellation, bitte, Herr Abgeordneter Gleisner!
Gleisner , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 2318 beantwortet die Regierung die Anfrage Nr. 181 meiner Fraktion zum Problem der Arbeitsdienstgruppen. Diese Antwort hat uns nicht überzeugen können. Wir legen daher dem Hohen Hause eine Interpellation in gleicher Sache vor. In dieser Interpellation fragen wir die Regierung: Hat sie von der Umgestaltung der Dienstgruppen durch die Besatzungsmächte gewußt, und was hat sie getan oder gedenkt sie zu tun, um den Dienstgruppenmännern das Recht als Deutsche zu erhalten?
Während bis vor einem Monat die Vertragsbedingungen bei der GSO gut und erträglich waren, hat sich mit dem neuen Vertrag seit dem 1. Juni 1951 die Lage sowohl arbeitsrechtlich wie auch staatsrechtlich grundlegend gewandelt. Diese Verträge ändern aber nicht nur die arbeitsrechtlichen Beziehungen, sondern sie ändern das Wesen der Dienstgruppen überhaupt. Innerhalb 24 respektive 48 Stunden mußten die Männer der GSO sich entschließen, die neuen Verträge zu unterschreiben, oder sie konnten gehen.
Bisher wurden die GSO-Gruppen nach deutschem Tarifrecht entlohnt. Verheiratete und Unterhaltspflichtige erhielten ihre Sozialzulage und einen Beweglichkeitszuschuß in Höhe von 60 DM und Unterkunft nebst Bekleidung gegen ein geringes Entgelt. Der neue Vertrag sieht Bezahlung nach Soldsätzen und Dienstgraden vor, für die Verheirateten eine Schlechterstellung von mindestens 80 DM und mehr. Alle bisherigen Vergünstigungen fallen fort oder werden stark eingeschränkt. Aus dem bisherigen Arbeitsvertrag ist ein Subordinationsverhältnis zur Streitmacht der Alliierten geworden. Damit hat die britische Streitmacht langsam nachgeholt, was seit langem bei der amerikanischen Streitmacht feste Übung ist. Die Uniformierung, Bewaffnung, der Ordnungsdienst, die Grußpflicht und die Gehorsamsleistung konnten in der britischen Zone nicht so geräuschlos über die Bühne gehen wie in der amerikanischen Zone.
Während das Durchschnittsalter der Dienstgruppen in der amerikanischen Streitmacht bei 23 Jahren liegt und der größte Teil der Männer unverheiratet ist, sind die Männer der GSO großenteils verheiratet, und ihr Durchschnittsalter liegt bei 37 Jahren. Da über 80 % dieser Bediensteten Flüchtlinge sind und diese zum größten Teil ihr Zuhause hinter der Oder-Neiße-Linie hatten, blieb ihnen keine Wahl; sie mußten unterschreiben oder arbeits- und wohnungslos werden.
Diese Situation war allen Beteiligten klar. Daher ist dieser Vertrag nicht nur arbeitsrechtlich angreifbar, sondern auch unsittlich.
Es ist offensichtlich und unverkennbar, daß mit den neuen Verträgen eine Verjüngung der GSOEinheiten erreicht werden soll. Die Dienststellen der britischen Besatzungsmacht haben selbst mit einem Abgang von mindestens 30 % gerechnet, die diese Verträge nicht unterschreiben würden. Daß es nur 10 % waren, die von der „Freiwilligkeit" keinen Gebrauch machten, zeigt, daß diese Menschen einer besonderen Tragik unterliegen. Um so schwerer trifft sie die unsoziale Besoldungsskala, trifft sie der Wegfall aller bisherigen Vergünstigungen.
Es ist unschwer zu erkennen, daß mit diesem neuen staatsrechtlich und arbeitsrechtlich anfechtbaren Vertrag die Dienstgruppen der britischen Streitmacht denen der amerikanischen Streitmacht gleichgeschaltet werden sollen. Dies ist nun geschehen. Auf Befehl der Streitmacht muß der Dienstgruppenmann an jedem Ort der Bundesrepublik Dienste verrichten. Im Vertrag steht: „Von den Bediensteten kann jede Arbeit verlangt werden, die von den Streitkräften für erforderlich gehalten wird".
Während die besonderen Begehren des Vertrages bis ins Detail formuliert wurden, ist die Gehorsamsleistung lapidar in einen Satz gekleidet, der lautet: „Insbesondere können wegen Ungehorsams gegen rechtmäßige Anordnungen die Bediensteten vor ein alliiertes Gericht gestellt werden". Sie müssen also unbedingten Gehorsam leisten. Von einem eigenen Gewissen steht in dem Vertrag kein Wort.
Würde es sich um einen normalen Arbeitsvertrag oder um übliche Arbeitsverrichtungen handeln, so wäre gegen die Gehorsamspflicht nichts einzuwenden. Da es sich aber um Dienstleistungen bei fremden Streitkräften handelt, die bei aktiven Handlungen von der Bereitschaft dieser Männer weitgehend abhängig sind, hat die Gehorsamspflicht mit Strafandrohung eine besondere Bedeutung.
Die Bundesregierung wäre allein schon auf Grund dieses Tatbestandes verpflichtet, zu überprüfen, ob ein solcher Vertrag nach dem Grundgesetz überhaupt möglich ist.
Wie sieht denn die Dienstleistung aus? Die Bediensteten sind Handwerker, Kraftfahrer, Arbeiter usw.; so heißt es jedenfalls im Vertrag. Wie bei Manövern beobachtet, bewegen sich die Bediensteten im Kampfgelände. Es ist doch klar, daß bei der Beweglichkeit und Schnelligkeit moderner Truppen, j a selbst beim Stellungskrieg für sie un-
mittelbare Feindberührung möglich ist. Diese Tatsache verlangt zwingend eine Bewaffnung, mindestens eine Selbstverteidigung. Damit wären sie Soldaten. Daß es so ist, mag folgende kleine Geschichte beweisen, die erzählt, daß bei einem Manöver die Dienstgruppen maßgeblich daran beteiligt waren, das feindliche Hauptquartier gefangenzunehmen.
Wir sind selbstverständlich der Meinung, daß die Besatzungsmacht Hilfskräfte zur Erledigung anfallender Arbeiten braucht. Wir meinen aber, daß diese Arbeit nach gültigen Arbeitsverträgen unter Beachtung der sozialen Erfordernisse verrichtet werden kann.
Warum diese Arbeitsleistung in Uniform, mit
Gruß- und Gehorsamspflicht und mit Waffentragen verrichtet werden muß, verstehen wir nicht.
Da es sich bisher aber im wesentlichen um arbeitsrechtliche Dinge handelt, verstehen wir insbesondere nicht, warum ein Generalreferat beim
Bundesfinanzminister eingerichtet wurde. Dieses
Generalreferat gehört zum Bundesarbeitsminister,
und wir glauben, daß es hier eine dankbare Aufgabe hat: diese Verträge schnellstens auf den Stand
des deutschen Arbeits- und Sozialrechts zu bringen.
Wenn z. B. ein Kraftfahrer in einem Kampfgelände, das ihm unbekannt und das unwegsam
ist, auf Befehl mit abgeblendetem Luftschutzlicht
fährt und hierbei verunglückt, wer soll dann
helfen? Der Vertrag lehnt jede Unterstützung ab!
Das gleiche gilt für Unfälle bei aktiven Handlungen der Streitmacht, an denen Bedienstete teilnehmen. Hier muß doch der Arbeitsminister sofort eingreifen und Unfallschutz, Haftpflicht, auch Schadenersatzansprüche für Krankheit, Unfall und Tod erzwingen.
Die Angelegenheit der Dienstgruppen hat aber auch eine staatspolitische und staatsrechtliche Seite. Einige Bestimmungen der Anstellungsbedingungen stehen im Widerspruch zum Grundgesetz, insbesondere zu den Artikeln 9, 11 und 12. Auch der Hinweis darauf, daß der Eintritt in die Dienstgruppen freiwillig sei, ändert nichts an dem Tatbestand, daß durch die neuen Arbeitsbedingungen eine weitere Herauslösung aus dem deutschen Sozial- und Rechtsgefüge erfolgt ist.
Die Auffassung der Bundesregierung deckt sich auffallend mit der Meinung der Alliierten.
Die amtlichen Verlautbarungen stehen gegen die tatsächlich verlangten Dienstleistungen. Selbst die Zeitung, die dem Herrn Bundeskanzler näher steht als uns, der „Rheinische Merkur", schreibt in ihrer Ausgabe Nr. 25 vom 15. Juni unter dem Titel „Der Zeiger rückt vor":
Schon sind die Engländer im Begriff, ihre
Wacheinheiten durch Verträge in einen Status
zu versetzen, der es ihnen erlaubt, sie im Ernstfall als militärische Verbände zu verwenden,
und zwar — hier zeigt sich die Kalamität einer
solchen Sicherung über die Hintertreppe —
ohne die Einschaltung und den Einfluß irgendeiner deutschen Autorität und selbst außerhalb
der Grenzen des deutschen Staatsgebiets.
Ebenso wichtig erscheint uns daher auch die politische Seite dieser Entwicklung innerhalb der Dienstgruppen. Selbständig, heimlich und überraschend haben die Allierten diese Dienstgruppen nach ihrem Willen umgeformt.
Die Rücksichtslosigkeit, mit der dieser Prozeß durchgeführt worden ist, ist ebenso beachtlich wie die Tatsache, daß das Parlament in keiner Phase der Entwicklung gefragt oder gehört worden ist. Wir vermissen gerade in dieser für Deutschland so entscheidenden Frage den von den Alliierten proklamierten neuen Geist.
Hier ist der neue Geist mit alter Praxis wieder lebendig geworden.
Wir fragen die Regierung, warum sie dieses Vorgehen toleriert hat und warum die Opposition nicht einmal unterrichtet worden ist.
Wenn etwa auf diese Art die Frage der Beteiligung an einem deutschen Wehrbeitrag zum Teil vorweg gelöst werden soll, machen wir jetzt schon auf alle Konsequenzen aufmerksam.
Es ist unmöglich, einen Teilwehrbeitrag an Menschen ohne Zustimmung des Parlaments an Organisationen zu geben,
auf die wir weder Einwirkung nehmen können noch Kontrolle ausüben.
Es kann nicht unser Wille sein, deutsche Menschen zu fremder Verfügung und Verwendung freizustellen, die nach fremdem Gutdünken und Bedürfnis möglicherweise sogar gegen deutschen Willen und Absicht eingesetzt werden können.
Deutschland darf nicht die Liefernation für Landsknechtskontingente werden,
indem wir stillschweigend deutsche Menschen als Wehrbeitrag in die alliierten Organisationen einbauen lassen.
Wenn die Bundesregierung nicht schnell und überzeugend eingreift und die Dienstgruppen nicht wieder auf den tatsächlichen Stand zurückführt, wird der Wehrgedanke im Volke diffamiert.
Diese Methode, die Gleichberechtigung im Wort anders als in der Tat zu dokumentieren, rechtfertigt im weitesten Maße unsere Interpellation. Es wird heute schon bei der GSO darüber gesprochen, daß die Bundesregierung die Möglichkeit des Einbaus der deutschen Dienstgruppen in die alliierten Streitkräfte untersucht, die in einer zumutbaren Form in den deutschen Sicherheitsbeitrag einbezogen werden würden.
Man sagt, aus diesem Grunde müßten die Dienstgruppen für eine gewisse Zeit dieses Zwischenstadium der Rechtlosigkeit und des Zwielichts ertragen. Es muß unter allen Umständen klargestellt werden, daß die Dienstgruppen keine Hilfsverbände sind und Deutschland keine Leihsoldaten stellt; denn das haben die Männer der Dienstgruppen nicht verdient. Sie haben sich in schwerer Zeit nicht nur zum Minenräumen, zum Bombensprengen und zur Trümmerbeseitigung bereit erklärt; sie haben auch einen aktiven Beitrag zum Wiederaufbau geleistet. Sie müssen daher vom Parlament und von der Bundesregierung vor einer Diskriminierung geschützt werden, und dies kann nur geschehen, wenn ein normales Arbeitsverhältnis hergestellt wird.
Meine Fraktion erwartet aus all den angeführten Gründen, daß die Bundesregierung sofort eingehende Verhandlungen mit den Alliierten führt, damit die Verträge dem deutschen Arbeits-, Sozial-
und Staatsrecht angeglichen werden.