Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer meiner Herren Vorredner hat gesagt, er wolle nicht die „heiligsten Güter Europas" beschwören, wenn es nur um die Veranlagung zur Einkommensteuer gehe. Insoweit, als es die Veranlagung zur Einkommensteuer betrifft, hat er recht. Aber ich glaube, zu den heiligsten Gütern Europas zählen auch die Verfassungen der europäischen Länder. Es ist in den Ländern innerhalb und außerhalb Europas, die eine demokratische Tradition haben, üblich, eine Verfassung nicht alle halbe Jahre zu ändern. Wenn ich aber die Anträge zusammenzähle, die in diesem Hohen Hause, vor allem von der Freien Demokratischen Partei, auf Verfassungsänderung eingebracht worden sind, dann kommen wir tatsächlich alle halbe Jahre zu einer Verfassungsänderung.
Wenn das Grundgesetz einmal geschaffen ist, das als Kompromiß manche Unvollkommenheiten an sich trägt, dann werden wir es nun auch einmal respektieren und erst einmal — wie ein anderer Redner gesagt hat — sehen, daß es in unserem Lande wirklich gelebt wird. Deshalb ist die Frage, die jetzt zur Erörterung steht, als eine Verfassungsfrage zu sehen. Ich möchte deshalb namens meiner Freunde ausdrücklich beantragen, den vorliegenden Antrag der FDP auch dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen, und zwar als dem federführenden Ausschuß, nicht weil ich gegen den Vorsitzenden des Steuerausschusses irgendein Bedenken habe — den ich persönlich ebenso schätze, wie ich ihm politisch meistens leider nicht zu folgen vermag —, sondern deswegen, weil es hier in erster Linie um eine Rechts- und Verfassungsfrage geht. -
Der Herr Kollege Höpker-Aschoff hat heute in seiner Rede darauf hingewiesen, daß das deutsche Parlament bestimmte Partien des Grundgesetzes, z. B. die Bundesfinanzverwaltung, nicht freiwillig geschaffen habe, sondern daß ihm diese von den Besatzungsmächten aufgezwungen worden seien. Wenn ich den Herrn, Kollegen Höpker-Aschoff richtig verstanden habe, hat er seine Ausführungen auf die Bundesfinanzverwaltung begrenzt. Nicht alle seine Parteifreunde tun desgleichen. Sie können es alle Augenblicke in gemäßigter Form im Bundestag und in hemmungsloser Form draußen im Lande hören, daß überhaupt das föderative System der Bundesrepublik von draußen her aufgezwungen sein soll. Im niedersächsischen Wahlkampf hat man dem in einem Wahlplakat Ausdruck verliehen, das ich hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen darf; es handelt sich nur um einen Vierzeiler. Der muntere Knüppelvers dort heißt folgendermaßen:
Den Bundesstaat will nur der Ami,
den Staatenbund Franzos und Tommy, wir aber wollen alle gleich
das ewig junge Deutsche Reich.
Wenn das der Herr Remer oder die außerparlamentarischen Freunde des Herrn Kollegen von Thadden gedichtet hätten, würde ich mich nicht wundem und würde nicht darüber sprechen. Es ist aber von der Freien Demokratischen Partei plakatiert worden, also von einer Verfassungspartei.
Ich will nicht darauf eingehen, wie schön das gedichtet ist; ich nehme an, daß der Verfasser nicht in Ihren Reihen hier sitzt. Ich will auch nicht darauf eingehen, daß der Dichter — wenn man ihn so nennen will — ausgerechnet dem Engländer den „Superföderalismus", den Staatenbund, zudichtet. Ich will auch nicht davon reden, daß der Mann so wenig historische Bildung besitzt, daß er nicht weiß, daß die Reichsidee stets eine föderalistische Idee gewesen ist. Ich will nur darauf hinweisen, daß das Folgen einer Propaganda und einer politischen Methode sind, wie wir sie leider auch hier im Bundestag erleben. Es sind sozusagen HöpkerAschoffs Reden in Volksausgabe, vielleicht eine nicht autorisierte Volksausgabe, aber immerhin eine von seiner Partei herausgegebene Volksausgabe.
Das, was draußen, außerhalb des Parlaments, geschieht, indem man behauptet, ein tragendes Strukturprinzip der Bundesrepublik sei uns von den Besatzungsmächten aufgezwungen, das kann sich zu einer neuen Dolchstoßlegende auswachsen und kann zu einer politischen Brunnenvergiftung führen.
Der Abgeordnete des Parlamentarischen Rats, Herr Dr. Süsterhenn, hat in einer der ersten Sitzungen des Parlamentarischen Rats namens der Fraktion der CDU/CSU darauf hingewiesen, daß, wenn das föderative Prinzip gefordert werde, man dies nicht wegen der Besatzungsmächte tue, sondern daß dies eben den Auffassungen der CDU/ CSU entspreche. Das Grundgesetz ist ein Kompromiß zwischen den Sozialdemokraten, den Freien Demokraten und der CDU. Schließlich und endlich, soweit sich CDU und CSU sowie die Deutsche Partei durchgesetzt haben, ist es föderalistisch; soweit sich die anderen Parteien durchgesetzt haben, ist es unitarisch. Hier kann man nicht den Besatzungsmächten die Schuld für Meinungsverschiedenheiten geben, die unter uns Deutschen bestehen, die es immer gegeben hat und wahrscheinlich noch ziemlich lange geben wird. Im übrigen, wenn Sie schon von der Einwirkung der Besatzungsmächte reden, so vergessen Sie nicht jenen 20. April 1949 und das, was sich damals zwischen einer Besatzungsmacht und der linken Seite dieses Hauses abgespielt hat.
Im übrigen aber möchte ich gerade Sie, meine Damen und Herren, da Sie ja schließlich überzeugte Demokraten sind, einmal auf folgendes hinweisen: Wenn Sie heute behaupten, der Föderalismus sei uns von den Besatzungsmächten aufgezwungen, dann kommt morgen einer und sagt, die Zentralinstanz und die ganze Bundesrepublik ist uns von den Besatzungsmächten aufgezwungen, denn sie beruht auf einem Erlaß der Militärgouverneure, die bestimmt haben, daß zwei Drittel der deutschen Länder diese Verfassung annehmen können und daß sie dann für alle Länder gilt, auch für das
Land, das sie eventuell ablehnt; und ein Land hat sie abgelehnt.
Nicht ich trage diese Gedankengänge vor; aber sie sind die logische Konsequenz von dem, was Sie gesagt haben. Dann gibt es Leute — es sind nämlich diejenigen, die Ihnen nächstens Ihre Wähler wegnehmen, weil sie es mit dem Nationalismus besser verstehen als Sie —, die heute schon erzählen, die Demokratie sei uns von den Alliierten oktroyiert worden. Ich glaube, wenn man hier den kleinen Finger gibt, so muß man bald die ganze Hand geben. Der eine wirft den Föderalismus mit Richelieu zusammen, und der andere wirft die Demokratie mit Morgenthau zusammen. Das eine ist so falsch wie das andere. Glauben Sie doch nicht das Märchen, daß man uns den Föderalismus empfohlen hat, um uns zu schwächen. Die Alliierten haben uns auch die Demokratie empfohlen, und dann müßten Sie die Konsequenz daraus ziehen, daß die Demokratie den Sinn hat, uns zu schwächen. Das ist aber schließlich auf dem einen wie auf dem andern Gebiet nicht der Fall. Das ist beim Föderalismus noch weniger der Fall. Denn das, was das Volk draußen von unserem politischen Leben abstößt, sind nicht die Debatten im Bundesrat und nicht die Spannungen zwischen Bund und Ländern, die sich in durchaus zivilen Formen vollziehen, sondern das sind jene Ausfälle, die sich in den Parlamenten abspielen, in denen nicht Ländervertreter sitzen, sondern Parteien. Darum fürchte ich, daß die Ebene, die Sie beschreiten, meine Herren von der Freien Demokratischen Partei, eine gefährliche Ebene eben für die Demokratie ist.
Es ist hier im Hause bei der Beratung über den Abänderungsantrag zum Grundgesetz so etwas zutage getreten — zum zweiten Mal; bei der Debatte über den Südweststaat war es schon einmal der a Fall —, was ich die Stuttgarter Koalition nennen möchte, die Koalition zwischen SPD und FDP. Nun, meine Herren von der Freien Demokratischen Partei, muß ich ein ernstes Wort mit Ihnen reden. Wenn Sie glauben, gegen andere Koalitionsparteien Verfassungsänderungen durchsetzen zu können, dann, bitte, machen Sie auch Ihre Wirtschaftspolitik mit den Sozialisten! Wir jedenfalls von der Christlich-Sozialen Union werden einer Bundesfinanzverwaltung; wenn sie geschaffen werden sollte, keinen Pfennig Steuern bewilligen.
Lassen Sie mich dann zum Schluß, weil meine Redezeit begrenzt ist, noch auf eines hinweisen. Ein föderalistisches Deutschland wird stets ein freies Deutschland sein. Aber das zentralistische Deutschland, das sie schaffen wollen, wird zwangsläufig ein sozialistisches Deutschland werden.