Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das in der Interpellation genannt ist, ist in der Tat inzwischen nach einer dreimonatigen Verzögerung verkündet worden. Damit können die materiellen Gründe, die zu der Verzögerung geführt haben und die in der Interpellation der Fraktion der Freien Demokratischen Partei angeschnitten sind, als zur Zeit nicht mehr zur Diskussion stehend betrachtet werden. Der ganze Vorgang hat aber doch einige verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen, die wir der Beachtung des Parlaments und der Öffentlichkeit unterbreiten müssen. Ich habe nicht vor, Ihnen eine staatsrechtliche Vorlesung über diese Fragen
6030 Deutscher ,Bundestag — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Juni 1951
Seuffert)
fier zu halten — so gern ich das täte, weil es mir Spaß machen würde —, sondern ich möchte diese Fragen bezeichnen und auch die Regierung bitten, so klar, wie ich mich bemühen werde, diese Fragen zu stellen, eine Antwort darauf zu geben.
Im Art. 82 des Grundgesetzes steht, daß ein vom Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz zu verkünden ist, und es ist ein allgemein anerkannter Satz im Staatsrecht, daß im Verkündungsverfahren nichts anderes mehr zu prüfen ist als: ob ein formal ordnungsmäßig beschlossenes Gesetz vorliegt. Irgendwelche materiellen Erwägungen haben im Verkündungsverfahren nicht stattzufinden.
Die Bundesregierung hat sich bei ihrem Verfahren offenbar — das ist aus verschiedenen Außerungen klargeworden — auf den Art. 113 des Grundgesetzes .stützen wollen, welcher besagt, daß Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats, die die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplans erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen.
Erste Frage: Ist dieser Art. 113 denn überhaupt auf Gesetzesbeschlüsse anwendbar? Der Art. 113 steht nicht in dem Abschnitt über die Gesetzgebung, sondern er steht in dem Abschnitt über das Finanzwesen, und zwar speziell unter denjenigen Artikeln, die sich auf das Zustandekommen und die Bedeutung des Haushaltsplans beziehen. Wenn für Gesetzesbeschlüsse etwas Derartiges wie eine Zustimmung der Bundesregierung vorgesehen wäre, so wäre das eine Mitwirkung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren, und sie hätte dort vorgesehen sein müssen; und sie ist dort nicht vorgesehen. Das ist die erste Frage.
Wir müssen, glaube ich, der Ansicht sein, daß dieser Art. 113 sich auf das Zustandekommen des Haushaltsgesetzes bezieht, wie sich ja auch daraus ergibt, daß er von den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben spricht und von Beschlüssen, die sich auf Solche Ausgaben beziehen. Ich glaube, daß deswegen zu Recht in verschiedenen Ausgaben dieser Artikel mit der Überschrift versehen worden ist: „Bundesratsbeschlüsse bezüglich ,des Etats". Wenn die Bundesregierung den Art. 113 auf Gesetzesbeschlüsse Anwendung finden lassen wollte, so wäre die weitere Frage zu stellen, wie sie dann überhaupt das Anwendungsgebiet des Art. 113 abgrenzen will. Praktisch und tatsächlich ist ja keinerlei Gesetz denkbar, das nicht in irgendeiner Weise Folgerungen bezüglich der Ausgaben des Bundes mit sich bringt oder mit sich bringen kann, und eine derartige Auslegung würde tatsächlich eine unbeschränkte Mitwirkung der Bundesregierung bei der Gesetzgebung bedeuten, die in unserem Grundgesetz nicht vorgesehen ist und nach allen Auffassungen über parlamentarische Demokratie nicht stattfinden kann. Wenn man, wie es richtiger sein sollte, den Art. 113 auf das Zustandekommen des Haushaltsplans und auf Beschlüsse zum Haushaltsplan beschränkt — denn es gibt auch andere Sondervorschriften für das Haushaltsgesetz, z. B. daß es sich nur auf ein Jahr beziehen kann und andere mehr —, wenn man es darauf beschränkt, so ist wohl eine weitere Frage zu stellen, die gerade für den hier vorliegenden Fall von Bedeutung ist, nämlich: ergibt sich noch ein Anwendungsgebiet, und welches wäre es, wenn
überhaupt kein vorgeschlagener Haushaltsplan vorliegt und wenn gar kein Vorschlag bezüglich der Ausgaben seitens der Bundesregierung vorliegt? Für den hier in Frage kommenden Zeitraum, denn das Gesetz soll am 1. April 1951 in Kraft treten und deswegen erst im Rechnungsjahr 1951/52 wirksam werden, lagen und liegen solche Vorschläge der Bundesregierung nicht vor.
Eine dritte Frage ist folgende: Wenn schon ein Zustimmungsrecht der Bundesregierung in dem einen oder andern Umfange gegeben ist, — unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form muß dieses Zustimmungsrecht ausgeübt werden? Muß die Bundesregierung, wenn solche Beschlüsse vorliegen, sofort oder wenigstens unverzüglich erklären, ob sie zustimmt oder nicht, oder kann sie, wie es in diesem Falle geschehen ist, Monate oder noch länger warten; bis sie sich entschließt? Die Interpellation der Freien Demokratischen Partei, welche meines Erachtens zu Unrecht zu unterstellen scheint, daß an und für sich ein Anwendungsfall des Art. 113 hier gegeben wäre, weist auf diesen Punkt jedenfalls mit Recht ebenfalls hin, indem sie feststellt, daß von einem eventuell gegebenen Zustimmungsrecht oder einem Recht, die Zustimmung zu verweigern, die Bundesregierung jedenfalls keinen Gebrauch gemacht hat. Und hei weitester Auslegung des Art. 113 kann es denn doch nicht stattfinden, daß Beschlüsse und insbesondere Gesetzesbeschlüsse monatelang, oder ich weiß nicht, wie lange noch, in der Schwebe bleiben können, ohne daß die Bundesregierung überhaupt Stellung nimmt.
Das sind die Fragen, die wir der Bundesregierung und dem Parlament vorlegen möchten, und ich schließe mich durchaus der Bemerkung der Interpellation der Freien Demokratischen Partei an, nämlich daß die Frage einer klaren Handhabung dieser Bestimmung für das Ansehen unserer parlamentarischen Arbeit außerordentlich wichtig ist und daß es nicht angehen kann, durch einfache unmotivierte Verzögerung von Gesetzesverkündungen unsere parlamentarische Arbeit hier nicht nur zu erschweren, sondern auch zu diskreditieren.