Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat am 8. März 1951 den Beschluß gefaßt, die Bundesregierung zu ersuchen, bei der Hohen Kommission für eine Freigabe der Handhabung des Art. 29 des Grundgesetzes betreffend Neugliederung des Bundesgebietes einzutreten. Durch diesen Antrag sollten die formellen Voraussetzungen für die Inangriffnahme der Neugliederung des Bundesgebietes geschaffen werden. Unser heutiger Antrag Nr. 2222 bezweckt, in materieller Hinsicht die Neugliederung des Bundesgebietes voranzutreiben, indem die Bundesregierung ersucht werden soll, einen Sachverständigenausschuß zur Erörterung und Planung einer den Erfordernissen des Art. 29 Rechnung tragenden Neugliederung des Bundesgebietes einzusetzen und den Bundestag über den Stand der Arbeiten auf dem laufenden zu halten.
Meine Damen und Herren, wir verfolgen mit unserem Antrag den Zweck, außerhalb des Parteienstreites und außerhalb von Parteiinteressen durch ein Gremium von Sachverständigen Vorschläge für eine vernünftige Neugliederung des Bundesgebietes als Gesamtplan ausarbeiten zu lassen. Bei dieser vorbereitenden Arbeit sollen die Grundsätze des Art. 29 des Grundgesetzes gewahrt werden, denen zufolge das Bundesgebiet „unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges" neu zu gliedern ist -
ist ! das darf ich betonen —; es ist also eine Verpflichtung, die uns das Grundgesetz auf erlegt! „Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können."
Meine Damen und Herren, wenn solche Vorschläge einmal von einem unabhängigen, vor allem keinen parteipolitischen Bindungen unterliegenden Sachverständigenkreis ausgearbeitet werden, dann sollen diese Vorschläge den zuständigen politischen Instanzen zur politischen Entscheidung vorgelegt werden.
Wir wünschen in dieser Frage auch eine Initiative der Bundesregierung, die eine vernünftige und zweckmäßige Planung der Neugliederung des Bundesgebietes durch Schaffung der technischen Voraussetzungen für die Ausarbeitung des Planes ermöglichen soll. Deswegen der Gedanke eines Auftrages an die Bundesregierung, eines Auftrages, der natürlich niemand anderem die Zuständigkeit oder das Recht, auf diesem Gebiete aktiv zu werden, nehmen soll, insbesondere auch nicht unserem Bundestagsausschuß für innergebietliche Neuordnung, der natürlich genau so gut das Recht hat, in dieser Angelegenheit initiativ und mitarbeitend tätig zu werden.
Ich hatte, ohne den Antrag, der von der FDP- Fraktion jetzt vorgelegt worden ist, zu kennen, ohnehin vor, hier zu bemerken, daß es vielleicht zweckmäßig wäre, wenn auch der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung einmal eine stärkere Aktivität auf diesem Gebiet entfalten würde.
Ich sehe in der Tatsache, daß dieser Ergänzungs antrag — wie ich inzwischen berichtigend höre —, der von der FDP-Fraktion gestellt worden ist, vorliegt, in keiner Weise eine Beeinträchtigung der Absichten des von uns gestellten Antrages. Denn wenn sowohl seitens der Bundesregierung als auch seitens des zuständigen Ausschusses des Bundestages eine Initiative ergriffen wird, dann werden wir nachher allenfalls zwei Planungen vorliegen haben, die einander vielleicht befruchten können und die man bei der endgültigen Gesetzgebung auf eine Linie bringen kann, wie es des öfteren in diesem Hause zwischen Anträgen der Regierung und solchen aus dem Parlament in sehr zweckmäßiger Weise geschieht.
Ich möchte mich also bei der Begründung des Antrages schon dafür aussprechen, daß das Hohe Haus den beiden gestellten Anträgen, die an sich im Grunde das gleiche Ziel haben, es aber nur auf verschiedenen Wegen, die gleichzeitig gangbar sind, verfolgen wollen, zustimmen möge.
Nur noch eine kurze weitere Bemerkung, meine Damen und Herren. Der Wunsch nach Neugliederung des Bundesgebietes ist ein gemeinsames Anliegen der Bevölkerung des Bundesgebietes, ein Anliegen, das quer durch die Parteien geht. Denn bekanntlich sind doch nach 1945 verschiedene Landesgrenzen gezogen worden, die wirklich n u r auf zufällige militärische Gegebenheiten, nicht aber auf die berechtigten Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung zurückzuführen sind und die deshalb dringend der Änderung bedürfen. Man wird in den Fällen gewaltsamer Grenzziehung von 1946 zwar nicht gerade sagen können: „Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen!" Man wird aber jedenfalls in manchen Fällen sagen können: Was Napoleon verbunden hat, das hätte der General König nicht zu trennen brauchen!
— Lieber Kollege Strauß
— Kollege Horlacher! —, wir haben nicht die Absicht, in eine materielle Erörterung des Neugliederungsproblems bei der Behandlung dieses Antrages einzutreten; das ist nicht die Aufgabe am heutigen Tag. Wir wollen ja Sachverständigengremien mit der Aufgabe der materiellen Prüfung der Frage betrauen. Deswegen scheint mir der Zwischenruf im Augenblick etwas verfrüht. Es ist ja aber durchaus denkbar, Herr Kollege Horlacher, daß Sie auf die Dauer zum Ziele kommen.
Meine Damen und Herren, unser Grundgesetz verlangt die Neugliederung nach den im Art. 29 niedergelegten Grundsätzen, nach Grundsätzen, die auf Grund demokratischen Auftrags unseres Volkes vom Parlamentarischen Rat festgelegt wurden. Wir hoffen sehr, daß die Besatzungsmächte, die wir durch den Beschluß vom 8. Mai dazu aufgefordert haben, die Anwendung des Art. 29 nun wirklich auch bald freigeben; denn die gegenwärtige Verhinderung unserer demokratischen Selbstordnung erscheint doch wahrhaftig in keiner Weise mehr mit der heutigen staats- und völkerrechtlichen Lage der Bundesrepublik vereinbar. Wenn unser Volk zur Zeit mit schwersten Finanzsorgen fertigzuwerden hat, worüber wir ja noch heute morgen gesprochen haben, kann man ihm wirklich nicht mehr verwehren, auch durch die Gestaltung seiner inneren Gliederung Wege zu suchen, die ihm die Er-
5988 Deutscher Bundestag — 149. und 150. Sitzung. Bonn, Freitag, den 8. Juni 1951
füllung der schweren Gegenwartsaufgaben erleichtern.
Gewiß, meine Damen und Herren, die Ersparnisse, die durch eine Neugliederung des Bundesgebiets vielleicht erreicht werden können, werden im Lande draußen, was ihr Ausmaß betrifft, sicherlich von manchem prozentual überschätzt; aber schließlich sind wir uns doch alle darüber einig, daß jede Million und jede zehn Millionen DM, die wir durch eine vernünftige Gestaltung unserer inneren Ordnung dem Steuerzahler oder zugunsten der Notleidenden ersparen können, gespart werden müssen. Das ist ja auch mit ein Grund dafür, daß wir wohl alle den Gedanken einer baldigen gesunden Neugliederung bejahen.
Die Frage des Saargebiets und Ostdeutschlands scheint mir der Inangriffnahme dieses Problems und einer positiven Lösung keineswegs entgegenzustehen, weil die spätere Eingliederung dieser Gebiete in die Bundesrepublik durch eine solche Beschlußfassung innerhalb des Bereichs, über den wir jetzt verfügen können, in keiner Weise präjudiziert wird.
Meine Damen und Herren, wir wünschen, daß der Gesamtplan dieser Neugliederung vorwärtsgebracht wird, weil die Dinge in verschiedenen Ländern auf den Nägeln brennen. Wir wollen mit unserem Antrag keinen Einzelfall aufgreifen,
sondern eine möglichst schnelle und gute Gesamtlösung einleiten. Niemand in diesem Hause wird
sich der Forderung nach Neugliederung, die ja praktisch eine Ausführung des Grundgesetzes bedeutet, entziehen wollen. Deshalb bitte ich das Hohe Haus, den beiden gestellten Anträgen möglichst einmütig zuzustimmen, damit eine vernünftige Neugliederung auf der Grundlage des Art. 29 sich auch nach außen hin als ein echtes Anliegen des gesamten Volkes offenbart, an dessen baldiger Erfüllung wir alle interessiert sind.
Meine Damen und Herren, wir haben heute gerade die 150., also eine Jubiläumssitzung des Bundestags.
Das scheint mir eine besonders gute Gelegenheit zu sein, ein so wichtiges Anliegen des Volkes und damit auch des Bundestages zum Ausdruck zu bringen.