Meine Damen und Herren! Das bayerische Justizministerium hat dem Präsidenten des Bundestages am 28. März 1951 auf dem Dienstwege einen Ermittlungsvorgang zugeleitet und gebeten, eine Entscheidung über die Frage der Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Arndt herbeizuführen. Diesem Ermittlungsvorgang liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Wahlkampf, der der Bundestagsnachwahl in Kulmbach vorausging, hatte der Bundesjustizminister Herr Dr. Dehler in Lichtenfels eine Wahlrede gehalten. Einige Tage später hielt der SPD-Parteisekretär, Herr Zeug, eine Wahlrede in Thurnau und führte in dieser Rede aus, Herr Bundesjustizminister Dr. Dehler habe in seiner Wahlrede Herrn Dr. Kurt Schumacher vorgeworfen, er sei nicht nur körperlich, sondern auch geistig schwach. Zeug habe Dr. Dehler ferner als Lügner und Verleumder bezeichnet.
Wegen dieser Äußerungen hat Herr Dr. Dehler gegen Zeug Strafantrag gestellt. In diesem Strafverfahren hat der Angeklagte Zeug Herrn Abgeordneten Dr. Arndt zu seinem Verteidiger bestellt. Der Hauptverhandlungstermin vor dem Schöffengericht in Kulmbach war auf den 23. Januar 1951 anberaumt. Dem Strafverfahren war der Bundesjustizminister Herr Dr. Dehler, vertreten durch seinen Prozeßbevollmächtigten in Kulmbach, als Nebenkläger beigetreten; er war auch zugelassen worden.
Einige Tage vor der Hauptverhandlung vom 23. Januar 1951 hat der Prozeßbevollmächtige des Herrn Bundesjustizministers beim Schöffengericht in Kulmbach die als Schöffin ausgeloste Frau Lindner wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil sie ein prominentes und aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Partei in Kulmbach sei.
Dieses Ablehnungsgesuch ist, den Vorschriften der Strafprozeßordnung zuwider, weder dem Angeklagten, noch seinem Verteidiger, Herrn Dr. Arndt, noch, obwohl dieses eine zwingende Vorschrift der Strafprozeßordnung ist, der abgelehnten Schöffin zugeleitet worden, sondern es ist nur die Staatsanwaltschaft gehört worden, die ihrerseits die Ablehnung für begründet erachtete. Das Gericht, in diesem Falle also der Gerichtsvorsitzende, hat darauf die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Aber auch dieser Beschluß ist weder dem Angeklagten noch seinem Verteidiger vor der Hauptverhandlung zugestellt worden.
Die Hauptverhandlung fand am 23. Januar 1951 statt. Der Angeklagte Zeug ist in dieser Hauptverhandlung wegen Beleidigung in Tateinheit mit übler Nachrede zu 80 DM Geldstrafe verurteilt worden. Gegen dieses Urteil ist Berufung eingelegt worden. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Neben dem Berufungsverfahren schwebt auch ein Verfahren vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof, das unter anderem damit begründet wird, der Angeklagte Zeug sei seinem gesetzlichen Richter entzogen worden.
Ich muß noch hinzufügen, daß auf Grund von Feststellungen des bayerischen Justizministeriums der Ersatzschöffe für Frau Lindner auf Anordnung des Richters durch einen Polizeibeamten befragt worden ist, ob er einer politischen Partei angehöre.
Der andere Schöffe ist vor der Hauptverhandlung vom Richter selbst befragt worden, ob er einer politischen Partei angehöre.
Meine Damen und Herren, nach der Hauptverhandlung erschien am 1. Februar 1951 im „Kulmbacher Tageblatt" ein mit dem Namen des Abgeordneten Dr. Arndt unterzeichneter Artikel, in dessen Überschrift es heißt: „Nachwort zum Beleidigungsprozeß Dehler. Dr. Arndt bezeichnet Dr. Dehler als Totengräber der Justiz."
Es heißt in dem Artikel unter anderem weiter — ich glaube, Sie ersparen mir die Verlesung des ganzen nicht sehr kurzen Artikels und gestatten mir, die Sätze dieses Artikels vorzulesen, in denen der Bundesjustizminister Herr Dr. Dehler eine verleumderische Beleidigung erblickt —, die Ablehnung der Frau Lindner stelle einen Bruch der bayerischen Verfassung dar, weil hierdurch der Angeklagte Zeug seinem gesetzlichen Richter entzogen sei; von der Nazizeit abgesehen sei noch niemals ein Schöffe nur wegen seiner Zugehörigkeit zu einer demokratischen Partei für befangen erklärt worden. Diesen Mißbrauch eingeführt zu haben, werde das „Verdienst des gegenwärtigen Bundesjustizministers bleiben. Man müsse gespannt sein, welch herrlichen Zeiten der Bundesjustizminister Dr. Dehler die deutsche Justiz entgegenführen werde.
In diesen Äußerungen, die sich unter anderem in dem Artikel befinden, der mit dem Namen des Herrn Dr. Arndt unterzeichnet ist, erblickt, wie ich schon sagte, Herr Dr. Dehler eine verleumderische Beleidigung.
Infolgedessen hat der Bundesjustizminister gegen
den Abgeordneten Dr. Arndt Strafantrag gestellt.
Das bayerische Justizministerium hat diesen Vorgang dem Herrn Präsidenten zugeleitet, und der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hatte sich mit ihm zu befassen. In Beachtung der Grundsätze, die der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität entwickelt hat, hat er einmütig beschlossen, dem Aufhebungsverlangen nicht zu entsprechen. Bei der Berichterstattung zu diesen Fragen im Hohen Hause hat es schon sehr oft geheißen, daß in politisch infizierten Fällen eine Aufhebung der Immunität nicht bewilligt werde. Ich glaube, in diesem Falle sagen zu dürfen, daß es nicht ein politisch infizierter Fall, sondern ein politischer Streitfall schlechthin ist. Ich darf mich zur Begründung dieser Ansicht auf die Ausführungen des Prozeßbevollmächtigten des Herrn Dr. Dehler in dem Verfahren gegen Zeug in dem Schriftsatz, durch den die Schöffin Lindner wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, berufen. Es heißt in dieser Eingabe an das Schöffengericht in Kulmbach wie folgt:
Bei dem vorliegenden Prozeß handelt es sich um eine ausgesprochen politische Angelegenheit, und zwar um einen Streit zwischen dem Herrn Nebenkläger und der SPD schlechthin.
Der Ausschuß war der Meinung, daß das für den Prozeß gegen Zeug tatsächlich zutrifft, daß man aber den Prozeß Zeug nicht von dem einzuleitenden Verfahren gegen Herrn Dr. Arndt trennen kann. Was aber von dem einen Verfahren gegen Zeug gilt, daß es nämlich ein politischer Streit schlechthin zwischen der SPD und dem Herrn Nebenkläger ist, muß nach der einstimmigen Meinung des Ausschusses auch von dem Verfahren gegen Herrn Dr. Arndt gelten. Ein Grund, hier in diesem Fall eine Ausnahme von dem entwickelten Grundsatz anzuerkennen, lag nach der übereinstimmenden Meinung des Ausschusses nicht vor. Der Ausschuß hat Ausnahmen immer dann bewilligt, wenn ein offensichtlicher Mißbrauch mit dem Recht der Immunität getrieben werden soll — das ist zweifellos hier nicht der Fall — oder wenn die Ablehnung der Aufhebung der Immunität für den Verletzten eine offensichtliche und unbillige Härte bedeuten würde. Auch das ist bei dem Hin- und Hergewoge des Kampfes in diesem ganz konkreten Fall nicht anzunehmen. Infolgedessen habe ich die Ehre, Sie zu bitten, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.