Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe hier den Antrag zu begründen, der Ihnen als Umdruck Nr. 194 von der sozialdemokratischen Fraktion unterbreitet worden ist. Ich darf sagen, daß es unserer Meinung nach richtiger wäre, die Sitzfrage im Gesetz selbst zu entscheiden. Inhaltlich deckt sich ja dieser Vorschlag mit dem Antrag den der Herr Kollege Dr. Tillmanns begründet hat. Aber wenn unser Antrag angenommen würde — darüber sind wir uns doch wohl alle einig —, dann würde damit der andere überflüssig sein. Ich kann mich auch auf einen Teil der Begründung beziehen, die der Herr Kollege Dr. Tillmanns hier vorgetragen hat. Wir können aber als sozialdemokratische Fraktion nicht darauf verzichten, bei dieser Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß die Behandlung der Frage der Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin kein Ruhmesblatt des offiziellen Bonn ist. Dreimal hat sich dieses Hohe Haus für die Verlegung von Bundesbehörden nach Berlin ausgesprochen, und zwar am 21. Oktober' 1949, im Mai vergangenen Jahres und Herbst vergangenen Jahres. Die Bundesregierung hat einen im Grunde unverpflichtenden Zwischenbescheid im März 1950 erteilt. Sie hat im März dieses Jahres einen neuen Bescheid erteilt, der sich dadurch auszeichnete, daß
er inhaltlich hinter den Vorschlägen zurückblieb, die ein Jahr zuvor diesem Hause gemacht worden waren.
Inzwischen hat sich das Kabinett auf Grund der starken Enttäuschung, die die Kabinettsliste vom März dieses Jahres hervorgerufen hatte, veranlaßt gesehen, in der Frage des Bundesaufsichtsamts, mit der wir uns heute zu befassen haben, seinen ursprünglichen Standpunkt zu revidieren. Am 18. April hat nun in diesem Hause auch der gemeinsame Sprecher der drei Regierungsparteien bei der Aussprache über den Sitz des Bundesverfassungsgerichts von einem gewissen Junktim zwischen dem Verfassungsgericht und dem Bundesaufsichtsamt gesprochen. Wenn das eine nach Karlsruhe käme, solle das andere nach Berlin kommen. Meine politischen Freunde hatten sich diese Verkoppelung nicht zu eigen gemacht; aber es mußte bei uns ernste Verwunderung hervorrufen, daß hier, nachdem ein Kabinettsbeschluß vorlag, zu dem sich vielleicht ja auch der inzwischen hinzugekommene Herr Minister für gesamtdeutsche Fragen noch äußern wird, zwei Anträge aus dem Lager der Regierungskoalition vorliegen, Anträge, die, wenn sie angenommen würden, den Erklärungen, die hier am 18. April von dem Sprecher der drei Parteien abgegeben wurden, nicht Rechnung tragen würden.
Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich möchten nicht den Eindruck aufkommen lassen, als handle es sich bei dieser Frage für uns um eine vorwiegend politische Entscheidung in dem Sinne, daß die politischen Gründe für und die sachlichen Erwägungen gegen Berlin sprächen. Es handelt sich für uns nicht um eine politische Demonstration, sondern um eine aus der Sache und aus nationalpolitischen Gründen heraus zu treffende richtige Entscheidung.
Ich hoffe, daß wir uns bei der Begründung dieses Antrages nicht auch noch mit staatsrechtlichen Einwänden zu beschäftigen brauchen; denn die prinzipielle Frage, ob obere Bundesbehörden ihren Sitz in Berlin haben und von dort für ganz Deutschland tätig hein können, ist längst positiv entschieden, auch durch die Bundesregierung, indem sie vorgeschlagen hat, das Bundesverwaltungsgericht nach Berlin zu legen. Ich hatte, bevor der Herr Kollege Dr. Brönner hier sprach, gehofft, daß wir uns in diesem Hause auch nicht mit dem sehr schwachen — um nicht ein sehr viel stärkeres Wort zu benutzen — Argument auseinanderzusetzen brauchten, in Berlin sei die Sicherheit von Bundesbehörden nicht gewährleistet. Meine Damen und Herren, einer solchen Auffassung liegt eine geradezu groteske Illusion zu Grunde.
Berlin erfreut sich genau so großer oder genau so beschränkter Sicherheit wie Hamburg, Hannover, Nürnberg oder Bonn.
Es sei denn, man denkt an eine katastrophenhafte Entwicklung, vor der uns das, Schicksal bewahren möge. Aber auch in einer solchen Situation, meine Damen und Herren, wäre die Sicherheit unserer Menschen und die Sicherheit der hier eben erwähnten, so gewichtigen Akten im Westen nicht größer als in Berlin.
Ernster zu nehmen ist der Einwand, der Abstand und die Verkehrsschwierigkeiten könnten den Betrieb einer Bundesbehörde in Berlin erschweren.
Was den Abstand angeht, so sollte man sich wirklich vor restdeutschem — ich sage nicht „westdeutschem", sondern „restdeutschem" — Denken bewahren. Berlin liegt nicht in Sibirien, sondern immer noch an der Spree.
Der Abstand zwischen Köln und Hamburg ist nicht wesentlich kürzer, der zwischen München und Hamburg weiter als der zwischen Bonn und Berlin. Die Beamten der Berliner Aufsichtsbehörde haben den größten Teil ihrer Besuche im Westen auf dem Schienenwege oder auf der Autobahn zurückgelegt. Daneben steht für besonders dringende Reisen zwischen Berlin und dem Westen das Flugzeug zur Verfügung. Der Publikumsverkehr eines Bundesaufsichtsamtes dieser Art wird übrigens häufig überschätzt. Für die zahlenmäßig durchaus übersehbaren Reisen der Beamten zu den Gesellschaften und für Besuche der Vertreter der Versicherungswirtschaft, sofern sie ihren Sitz nicht am Sitz der Aufsichtsbehörde haben, dürfte die Verlegung der Behörde nach Berlin kein ernster Hinderungsgrund sein.
Der Herr Kollege Dr. Brönner hat sich nun eben sehr besorgt über den Transport von Akten geäußert. Zunächst — und auch darüber herrschen sehr irrtümliche Auffassungen — bleiben die Akten ja in der Regel bei den Versicherungsunternehmen und werden nicht bei der Aufsichtsbehörde aufbewahrt. Die paar Mal im Jahre, wo ein Aktenvorgang angefordert wird, kann man ihn auch nach Berlin schicken. Wenn man besondere Vorsicht walten lassen will, kann man sich der Luftpost bedienen. Im übrigen hat die von mir erwähnte Berliner Aufsichtsbehörde diese Akten bei ihren Reisen über die Autobahn mitgenommen, und, meine Damen und Herren, bei allem Respekt vor der Sorge, daß die Sowjets Einblick in die Gegebenheiten der westdeutschen Wirtschaft nehmen könnten, fürchte ich, daß sie auf ganz anderen Wegen sehr viel bessere Einsicht bekommen als aus den Unterlagen der Versicherungswirtschaft.
Nun ist zu sagen, daß gewiß einige größere Aktentransporte notwendig sein werden; nämlich von den Landesaufsichtsbehörden, welche nach 1945 die Akten angelegt haben, die überregionale Gesellschaften betreffen und die zur Bundesbehörde hinmüssen. Wenn aber die Bundesbehörde an einen anderen Sitz verlegt würde, dann müßte ein noch viel größerer Transport stattfinden, nämlich ein Transport der alten, aber noch benötigten Akten des früheren Reichsaufsichtsamtes in Berlin. Übrigens könnte es, meine Damen und Herren, wenn ich es am Rande sagen darf und wenn wir von diesen praktischen Schwierigkeiten, die natürlich bis zu einem gewissen Grade mit den Reisen verbunden sind, sprechen, wahrhaftig nicht schaden, sondern es könnte nur wünschenswert sein, daß möglichst viele praktisch zu lösende Fragen in dieser Bundesrepublik aus dem unmittelbaren Miterleben der Berliner und der gesamtdeutschen Problematik gestaltet werden.
Es gibt noch einen Einwand, den auch der Herr Kollege Dr. Brönner vorgetragen hat; das ist der Kosteneinwand. Es ist zuzugeben, daß vielleicht das Reisekonto ein klein wenig größer sein kann, obgleich es ja auch bei wichtigen Reisen zwischen Hamburg und München manchmal nicht ohne Flugzeug geht, wenn es wirklich eilig ist. Da kostet es nicht weniger als von Berlin. Aber es trifft meiner Meinung nach nicht den Kern der Dinge, wenn man sagt, daß Kosten durch die Errichtung dieses Amtes
in Berlin in größerer Höhe entstehen als woanders. In Berlin steht das bundeseigene Gebäude. Die Berliner Verwaltung hat überzeugende Berechnungen darüber angestellt, daß die Behörde in der weiteren Entwicklung in Berlin nicht teurer, sondern eher billiger werden würde.
Es ist auch nicht richtig, daß die Beamten in Berlin keine Wohnungen bekommen würden. Der Berliner Senat hat erklärt, daß er sich in der Lage sieht, die Wohnungen unmittelbar zur Verfügung zu stellen. Im übrigen — verzeihen Sie, Herr Kollege Dr. Brönner —, angesichts der Sorge, die Sie heute hier wegen der Wohnungen der Beamten in Berlin ausgesprochen haben, darf doch die Frage gestellt werden, ob man sich dieselbe Sorge gemacht hat, als es darum ging, die Beamten nach Bonn zu bringen.
Nun darf ich auch noch hinzufügen, daß die Einwände auf dem verkehrstechnischen und dem Kostengebiet nicht als Vorwand benutzt werden dürfen für die Bequemlichkeit und für die Trägheit einzelner Beamten und einzelner Direktoren. Sie können kein Maßstab für die Entscheidung dieses Hohen Hauses sein.
Maßstab für die Entscheidung dieses Hohen Hauses kann und muß aber sein, daß nach dem Willen dieses Hauses Berlin geholfen werden soll, seine unverschuldet große wirtschaftliche Not zu überwinden. Ein Beitrag dazu kann heute geleistet werden, und zwar auch in der Form, daß wir der Hoffnung Ausdruck geben, gewisse Teile der Versicherungswirtschaft möchten nach Berlin zurückströmen im Zusammenhang mit einer solchen Sitzbestimmung der Bundesaufsichtsbehörde.
Eine Bitte noch: Höhlen Sie bitte das Bundesaufsichtsamt und seine zukünftige Tätigkeit nicht durch die Errichtung sogenannter Außen- und Zweigstellen aus. Es würde sich ein Durcheinander und eine Richtungslosigkeit ergeben, durch die weder den Ländern noch dem Bund noch der Versicherungswirtschaft geholfen wäre.
Abschließend und zusammenfassend wäre nun noch zu sagen, daß die sachlichen Erwägungen nicht gegen, daß aber die gesamtdeutschen Interessen für Berlin als Sitz dieser Bundesbehörde sprechen. Es geht darum, daß hier nicht irgendeine Demonstration veranstaltet, eine Fassadenbehörde durch die Versetzung des einen oder anderen Beamten geschaffen werden soll, sondern darum, daß durch einen praktischen Beschluß der Anspruch der Bundesrepublik auf das ganze Deutschland und auf die deutsche Hauptstadt geltend gemacht werden soll, und zwar nicht nur in Noten und Reden, sondern in der Praxis. Deshalb handelt es sich für meine politischen Freunde und mich auch nicht darum, irgendwelche Stellen und Behörden nach Berlin zu verlegen, sondern gewichtige Behörden, wie es das Bundesaufsichtsamt ist, die von Berlin aus für den ganzen Bund, für Deutschland tätig sein können. Durch einen solchen Beschluß — und hoffentlich künftige Beschlüsse ähnlicher Art — können die Organe der Bundesrepublik Deutschland zeigen, daß sie entschlossen sind, heute schon mit dem einen Bein nach Berlin hinüberzusteigen mit der festen Entschlossenheit, das andere Bein sobald wie möglich nachzuziehen.
Meine Damen und Herren, bringen Sie durch den heute zu fassenden Beschluß zum Ausdruck, daß der Bundestag zu seinem Wort vom 21. Oktober 1949 steht und daß er entschlossen ist, damit zu beginnen, feierliche Bekenntnisse durch positive, praktische Beschlüsse einzulösen.