Dann brauche ich Ihnen also das Wort zur Geschäftsordnung weiterhin nicht zu erteilen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der Bayernpartei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahlgesetzes zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf nach Begründung durch die Antragsteller ohne Debatte dem Ausschuß zu überweisen.
Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Etzel , bitte!
Dr. Etzel (BP), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Bundestag liegen zwei formulierte Vorschläge zur Änderung des Wahlgesetzes vor, nämlich die Anträge der Fraktion der Bayernpartei vom 2. März 1950 auf Drucksache Nr. 650 und vom 23. Mai 1951 auf Drucksache Nr. 2271. Der erste Antrag will die gleichzeitige Mitgliedschaft in der Regierung eines Bundeslandes und im Bundestag ausschließen, der zweitgenannte das Wahlgesetz den wesentlich veränderten Auffassungen über die Entnazifizierung anpassen. Der Gesetzesänderungsantrag der Fraktion der Deutschen Partei vom 19. April 1951 auf Drucksache Nr. 2178 ist von ihr am 9. Mai in der 140. Sitzung des Bundestages zurückgenommen worden. Der nicht datierte Antrag der Abgeordneten Dr. Jäger und Genossen über die Unzulässigkeit von Doppelmandaten — Drucksache Nr. 724 — hat nicht eine förmliche Änderung des Wahlgesetzes zum Gegenstande, würde aber seine tatsächliche Änderung zur Folge haben.
Die erste Beratung der Drucksachen Nrn. 650 und 724 fand in der 58. Sitzung am 26. April vorigen Jahres mit dem Ergebnis statt, daß sie zunächst dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, später dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung überwiesen wurden. Die zweite und dritte Beratung war für die Tagesordnung der 92. Sitzung am 18. Oktober 1950 auf der Grundlage des Mündlichen Berichts des 5. Ausschusses vorgesehen. Indes wurde weder die zweite Beratung zu Ende geführt noch die dritte begonnen, sondern der Bericht an den Ausschuß zurückverwiesen. Dies wurde vor allem deswegen für zweckmäßig erachtet, weil aus der Mitte des Hauses eine Reihe von Änderungsvorschlägen dazu eingereicht worden war. Seitdem liegen die beiden Gesetzesvorschläge wieder bei dem 5. Ausschuß.
Der heute zur ersten Beratung anstehende Gesetzesvorschlag der Fraktion der Bayernpartei ist dadurch veranlaßt, daß die Bestimmung des § 5 Abs. 1 c) des Wahlgesetzes praktisch den Entnazifizierten der Gruppen III und IV auch heute noch
die rechtliche Möglichkeit vorenthält, in den Bundestag gewählt zu werden; denn nach ihr ist nur der Wahlberechtigte wählbar, der „nach dem am 8. Mai 1949 geltenden Recht des Landes, in dem er kandidiert, zum Landtag wählbar wäre". Diese Bestimmung ist überholt und veraltet; sie steht wie ein erratischer Block in einer inzwischen völlig verwandelten politischen Wirklichkeit. Kein Verständiger leugnet heute noch, daß die Entnazifizierung und die Art ihrer Durchführung ein folgenschwerer Stoß mitten in das Herz des Rechtsgedankens, eine Sünde wider die politische Klugheit und Vernunft und ein erschütternder Schlag gegen die Demokratie war.
Aus dieser Erkenntnis hat der Bundestag in seiner 108. Sitzung am 15. Dezember 1950 die im Mündlichen Bericht des 5. Ausschusses beantragten Richtlinien — es handelt sich um die. Drucksache Nr. 1658 - beschlossen. Diese Richtlinien sollten den Regierungen der elf Länder zur Herbeiführung einer übereinstimmenden Abschlußregelung übermittelt werden und wurden ihnen auch, wie der Herr Bundeskanzler in seinem Bericht vom 10. Mai an den Herrn Präsidenten des Bundestages ausführte, am 13. Februar dieses Jahres mit der Anregung übermittelt, sich die Verwirklichung der in den Empfehlungen des Bundestages angestrebten Ziele angelegen sein zu lassen.
In der Ziffer 6 des Abschnittes I ist bestimmt: Beschränkungen des aktiven und passiven Wahlrechts entfallen mit Wirkung vom 1. April 1951, mit Ausnahme der Beschränkungen des passiven Wahlrechts für die Gruppen I und II.
Mit dieser politischen Grundmeinung des Bundestages ist die Vorschrift des § 5 Abs. 1 c) nicht mehr vereinbar. Der Gesetzgeber hat vermutlich weder eine so grundlegende Wandlung in den Auffassungen über die Entnazifizierung vorausgesehen noch wahrscheinlich mit einer so großen Anzahl von Nachwahlen zum ersten Bundestag gerechnet, wie sie tatsächlich erfolgt sind. Bis jetzt sind aus dem Bundestag nicht weniger als 23 seiner ursprünglichen Mitglieder ausgeschieden und 22 andere für sie eingetreten. Der Ersatz eines Abgeordneten, des leider so jäh aus dem Leben geschiedenen Kollegen Roth, ist noch nicht erfolgt. 10 von 23 Abgeordneten haben ihr Mandat niedergelegt, 12 sind verstorben. Der Herr Bundespräsident ist durch die Wahl zu seinem hohen Amt ausgeschieden. In 7 Fällen einschließlich des Falles des Kollegen Roth sind Nachwahlen notwendig geworden. ' Bei der Auswahl und Aufstellung von Kandidaten für diese Nachwahlen hat sich die Bestimmung des § 5 des Wahlgesetzes wiederholt als höchst hinderlich und nachteilig erwiesen. Es ist an der Zeit, sie zu ändern, auch und gerade dann, wenn damit gerechnet oder darauf spekuliert werden wollte, daß dieser Bundestag vor Ablauf seiner Wahlperiode zu Ende geht.
Der Herr Bundeskanzler hat in seinem Bericht an den Herrn Präsidenten des Bundestages mitgeteilt, daß eine Stellungnahme der Länder zu den ihnen am 13. Februar übermittelten Anregungen noch nicht vorlag. Es ist in der Tat notwendig, daß die Länder vor allem in diesem politischen Bereich, um den es jetzt in der Beratung geht, alsbald eine übereinstimmende Regelung treffen.
Aus einer Zusammenstellung, die ich dem freundlichen Entgegenkommen des Bundesinnenministeriums verdanke, geht klar hervor, daß in den Regelungen der einzelnen Länder in dieser Beziehung
noch eine außerordentlich große Buntscheckigkeit besteht. Bremen, Hessen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern bestimmen, daß Personen wählbar sind, die bei der Entnazifizierung in die Gruppen III und IV eingestuft sind. In Baden sind die Mitläufer wählbar, die Minderbelasteten erst nach Ablauf der Bewährungsfrist, frühestens mit dem 1. Januar 1953. In Bayern sind die Minderbelasteten und Mitläufer wählbar, sofern sie nicht bestimmten Gruppen von Amtsträgern der ehemaligen NSDAP und anderer Einrichtungen angehört haben. In Hamburg sind nur Mitläufer wählbar, dagegen nicht Angehörige der Gruppe In Niedersachsen sind die Betroffenen der Gruppe IV wählbar. In Nordrhein-Westfalen sind ,die Betroffenen der Gruppe III auf keinen Fall wählbar, die Betroffenen der Gruppe IV nur dann, wenn im Einzelfall nach dem Entnazifizierungsbescheid die staatsbürgerlichen Rechte nicht oder nicht mehr eingeschränkt sind.
Diese Buntheit in den bestehenden Regelungen macht es notwendig, daß die Länder nun ungesäumt der einladenden Aufforderung des Bundestags und der Bundesregierung Folge geben. An und für sich würde der Gesetzesvorschlag der Bayernpartei zu einer unmittelbaren Abstimmung reif sein. Ich gebe aber zu, daß es zweckmäßig sein kann, ihn in der weiteren Beratung mit den an den 5. Ausschuß zurückverwiesenen Gesetzesanträgen zu kombinieren und die sehr freundliche Bitte an den Herrn Vorsitzenden hinzuzufügen, die Materie nun endlich aus dem tiefgründigen Schoß des 5. Ausschusses herauszubringen.