Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch viele Reden kann eine Sache von solcher Bedeutung auch zerredet werden.
Ich habe so . den Eindruck, daß diese ganze Aussprache über die Saarfrage eine viel größere Wirkung nicht nur in diesem Hause, sondern auch in der gesamten Presse und der breiten Öffentlichkeit erweckt hätte, wenn von der Bundesregierung und vom Bundestag eine gemeinsame Erklärung vorbereitet worden wäre. Ich bin nämlich nach wie vor der Überzeugung, daß wir bei dieser Saardebatte genau so wie bei der Saardebatte am 10. März 1950, bei der der Herr Bundeskanzler zu Beginn eine Erklärung abgegeben hatte, zu einer gemeinsamen, einigenden Kundgebung hätten kommen können. Wenn, wie gesagt, eine solche Kundgebung vorbereitet worden wäre, dann wären wir sicher in eine Stunde fertig gewesen, und der Eindruck draußen wäre viel stärker geworden. Nun ist aber das Thema weit und breit behandelt worden. Deshalb kann ich mich dem Antrag direkt zuwenden, der Ihnen ja jetzt als Antrag meiner politischen Freunde vorgelegt wird, nämlich diese Saarfrage in eine weitere Ebene und auf eine größere Plattform zu bringen.
Das Gespräch, das wir jetzt vier Stunden miteinander geführt haben, war mehr oder weniger ein Gespräch zwischen Deutschland und Frankreich. Wir haben doch immer wieder auch hier und dort durchgehört, daß die Saarfrage auf eine breitere Ebene gestellt werden müsse; daß sie ein völkerrechtliches Problem wird und daß sie ein Menschheitsproblem ist, daß es dabei um das Selbstbestimmungsrecht der Völker geht. Um diese Frage wieder stärker in den Vordergrund zu rücken, haben meine politischen Freunde und ich den Antrag gestellt, von seiten der Bundesregierung bzw. vom 'Bundestag aus an die Vereinten Nationen mit dem Wunsch heranzutreten, das Selbstbestimmungsrecht der Saarbevölkerung wiederherzustellen. Das ist jetzt durch die Maßnahme des Außenministers Schuman bzw. des Ministerpräsidenten Hoffmann unterbunden.
Gestatten Sie mir jedoch vorher noch eine Frage, die ich hier aufwerfen möchte. Man fragt sich doch: wie kommt ausgerechnet Herr Außenminister Schuman jetzt während der Wahlen dazu, einen solchen Brief zu schreiben, den man mehr oder
weniger doch als einen Schuß gegen den Schumanplan ansehen könnte? Ist er nicht frei in seinen Entscheidungen? Haben die maßgebenden Kräfte des Auswärtigen Amtes auf ihn einen solch starken Einfluß ausgeübt, daß er sich veranlaßt gesehen hat einen solchen Brief bekanntzugeben? Wir haben aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vernommen, wie diese Erklärung auch auf ihn und seine ganze Außenpolitik eingewirkt hat. Ich möchte noch einen weiteren Schritt zurück tun. Die ganze Debatte hat sich mehr oder weniger um den Stand der Saarfrage der letzten Jahre entwickelt.
Aber ich glaube, ich müßte weiter zurückgehen und feststellen, daß diese Saarfrage auch in den vergangenen Jahrzehnten nach dem ersten Weltkrieg eine sehr bedeutsame Rolle gespielt hat. Ich brauche nur daran zu erinnern, und jeder wird wissen, worum es sich handelt. Ich gehe aber noch weiter zurück, meine Damen und Herren, und stelle fest, daß wir hier bei der Entwicklung der Saarfrage in den letzten drei, vier Jahrhunderten nach meiner Überzeugung nichts anderes sehen müssen und sehen können als die Fortsetzung der französischen Kabinettspolitik gegen Deutschland, die wir in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder haben erkennen können. Es ist notwendig, von dieser Kabinettspolitik zu einer anderen Politik überzugehen. Wir müssen an Frankreich herantreten, diesen Weg der Kabinettspolitik zu verlassen und den Weg des Zusammengehens zwischen Deutschland und Frankreich vorzubereiten.
Die Saarfrage ist jetzt zu einem Prüfstein für das Geschick Europas geworden, und deshalb treten wir mit dem Antrag an die Regierung heran, auf
die Vereinten Nationen einzuwirken, eine Abstimmung über die Saarfrage vorzubereiten. Der' Bundestag möge sich selbst zum Sprecher des Saargebiets machen, nachdem nun die Opposition im Saargebiet zum Schweigen verurteilt ist. Der Bundestag darf auf keinen Fall von diesem Rechte, von dieser Forderung und von dieser Pflicht abgehen, bis schließlich der Gedanke der Abstimmung über die Saarfrage so in die Öffentlichkeit hineingetragen ist, daß das Saargebiet zu seinem vollen Recht kommt.
Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich einige Worte zitieren, die Sie in der Wochenschrift „Die Zeit" nachlesen können. In einem Aufsatz von Prinz Löwenstein heißt es dort:
Hier geht es ja schließlich um mehr als um ein deutsches Problem und eine französische Prestigefrage. Hier geht es darum, im europäischen Hause das Recht auf Selbstbestimmung wiederherzustellen. Es ist dasselbe unteilbare Menschenrecht, das alle Nationen
' Europas gegenüber dem Ansturm des totalitären Sowjetismus zu verteidigen haben. Von der deutschen, der französischen, ja der europäischen Ebene aus muß die Saarfrage auf eine internationale .Ebene übertragen werden, auf die Ebene der Vereinten Nationen.
Deshalb stellen meine Freunde den Antrag, den sich der Bundestag zu eigen machen möge, damit diese Frage nun zu einem Gespräch des gesamten Bundestag werde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in diesen Tagen in Paris eine Erinnerung auffrischen können. Ich war dort in der Deputiertenkammer und habe mir das Relief angesehen, das
die Begegnung der Nationalversammlung unter der Führung von Graf Mirabeau mit dem Vertreter des Königtums wiedergibt. Damals hat Graf Mirabeau die Worte gesprochen: Wir werden nicht auseinandergehen, bis das Parlament dem französischen Volke eine Verfassung gegeben hat! Möge auch der Bundestag, wenn er sich diesen von uns gestellten Antrag zu eigen macht, nicht eher ruhen, als bis dem Saargebiet die volle Selbstbestimmung wiedergegeben und die Saarfrage auf eine europäische Ebene getragen wird!