Meine Damen und Herren! Ich sehe nicht ein, warum nicht eine gemeinsame Linie von Regierung und Opposition in diesem gemeinsamen deutschen Anliegen erreichbar gewesen ist, eine gemeinsame Linie, wie sie in anderen Ländern stets als eine einheitliche Linie der Volksvertretung gewahrt zu werden pflegt.
Es ist eine schmerzliche Tatsache, daß wir im Nachkriegsdeutschland nicht dazu kommen, in deutschen Lebensfragen eine Einheit nach außen zu finden, weil uns diese Einheit nach außen von der Opposition immer wieder verweigert wird.
Es ist nicht Aufgabe dieser Diskussion; den Gründen nachzugehen, aus denen sich dieser Zustand entwickelt hat; das scheint mir bei anderer Gelegenheit besser und zweckmäßiger zu sein.
Meine Damen und Herren! Wenn ich nun nochmals auf die Linie der Bundesregierung zurückkommen darf, so darf ich sagen: sie scheint mir von der politisch einzig vernünftigen Erwägung ausgegangen zu sein, daß Friede und Verständigung zwischen Völkern, die allzu lange und allzu oft gegeneinander gestanden haben, nicht durch erneute Aufpeitschung nationaler Leidenschaften herbeigeführt werden können, sondern daß nur durch ein ehrliches gegenseitiges Verstehen und Zueinanderfinden auf der Grundlage gemeinsamer Menschheitsideale der Gerechtigkeit und der Freiheit das Bollwerk des Friedens und der Ordnung in Europa geschaffen werden kann, das allein der uns alle gleichmäßig bedrohenden Gefahr aus dem Osten auf die Dauer wirksam zu widerstehen vermag.
Wir werden uns auch durch die politischen Ereignisse an der Saar, die sich in der letzten Zeit dort abgespielt haben, in dieser Erkenntnis nicht irre machen lassen; denn wir sind und bleiben — trotz allem! — der Überzeugung, daß die Dinge an der Saar nicht diesen Lauf genommen hätten, wenn die ihre Herrschaft nicht einem freien Willensentschluß des deutschen Saarvolkes verdankende Saarregierung sich als Vollstrecker des wirklichen Willens des Saarvolkes betätigen würde, anstatt in fortgesetzter Handlung zeitlich längst überholte Separationstendenzen vorgestriger Konzeption zu konservieren und diese bei der Besatzungsmacht als angeblichen Willen des Saarvolkes zu propagieren.
Dabei kann man die Feststellung nicht unterdrücken, daß die Konservierung dieser überholten
Separationstendenzen zugleich die Konservierung
der eigenen, dem deutschen Saarland seinerzeit unter der Drohung des Hungers Lind der Demontage
aufgedrängten Machtposition der gegenwärtigen
Saarregierung bedeutet. Der frühere französische
Ministerpräsident Reynaud sagte kürzlich einmal
über den Unterschied zwischen einem Staatsmann
und einem Politiker: „Ein Staatsmann ist ein
Politiker, der sich in den Dienst seines Volkes stellt. Ein Politiker dagegen ist ein Staatsmann, der das eigene Volk in seinen Dienst stellt."
Wäre Herr Johannes Hoffmann mehr Staatsmann als Politiker, dann würde man auch in Frankreich schwer Anlaß finden, die separate Auffassung des separierten Herrn Hoffmann und seiner vielfach 'unter dem Druck höherer Gewalt stehenden Anhänger und Mitläufer zu unterstützen und zum Bestandteil der eigenen Politik zu machen.
Es ist nicht verwunderlich, daß es noch Franzosen gibt, die Herrn Hoffmanns überholte Saarpolitik vertreten. Aber beschämend ist es, daß Herr Hoffmann im Saarland eine separate Politik treibt und vorgibt, das im echten Auftrag des Saarvolkes zu tun, den er in diesem Sinne nie erhalten hat und unserer Überzeugung nach auch niemals erhalten wird.
So ist es letztlich nicht unser französisches Nachbarvolk — so sehen wir die Dinge —, mit dem wir ja gemeinsam ein einheitliches, freiheitliches und friedliches Europa schaffen wollen, so ist es nicht Frankreich, das der Erreichung dieses unseres hohen europäischen Zieles die entscheidenden Schwierigkeiten bereitet, sondern es ist die Volksfremdheit einer sich nur auf eine unglückliche erste Nachkriegssituation stützenden Saarregierung, die sich durch ihr Handeln nicht nur von der deutschen Heimat, sondern auch vom Gedanken der europäischen Konföderation separiert und dadurch zu einem Störer der europäischen Einheit und des europäischen Fortschritts wird.
Die deutsche und die französische Regierung haben ja den wesentlichsten Streitpunkt des Saarproblems bereits untereinander bereinigt, indem sie durch den Schumanplan das eigentliche Streitobjekt, die Saargruben und die Saar -Stahlerzeugung, auf die gemeinsame europäische Ebene hinaufverlagert haben. Auf dieser Ebene stehen sie sich als gleichberechtigte Partner mit gemeinsamer, gleicher Zielsetzung bei der gemeinsamen Betreuung der Saargruben und der Stahlerzeugung an der Saar gegenüber, so daß doch der wirtschaftlich-politische Ausgangspunkt für die frühere französische Saarpolitik heute bereits entfallen ist. Diese Dinge sollte man sehen, und darauf sollte man aufbauen, anstatt diese früheren Konzeptionen jetzt hier von der Tribüne des Bundestages aus noch zu unterstreichen.
Meine Damen und Herren, damit sind auch die wesentlichen wirtschaftlich -politischen Begründungen für die in der aufgezwungenen Präambel zur Saarverfassung festgelegte politische Separation widerlegt, die Herr Hoffmann heute — aus allzu durchsichtigen Gründen — mit allen .ihm verfügbaren Diktaturmethoden zu verteidigen sucht.
Unser Ringen um die Freiheit für die Saar richtet sich also eigentlich nicht gegen unseren französischen Nachbarn, sondern gegen diejenigen Leute, die in Frankreich und in der Welt in völliger Verkehrung der Tatsachen den Eindruck erwecken wollen, als bedürfe unser deutsches Saargebiet des Schutzes Frankreichs gegen seine deutsche Heimat. Wir werden nicht ruhen und rasten, bis unsere Saar wieder in freier Selbstbestimmung ihren wirklichen Willen über ihren politischen Status erklären kann.
Das Saargebiet wurde ja nicht vom Nationalsozialismus befreit, um jetzt mit Diktaturmethoden in einen Dauerzustand neuer Unfreiheit, persönlicher Unsicherheit und Bevormundung überführt zu werden. Das Saargebiet wurde wie alle anderen europäischen Gebiete vom Nationalsozialismus befreit, um sich gemeinsam mit allen anderen Völkern Europas der Segnungen der Freiheit und der natürlichen Menschenrechte zu erfreuen.
Es ist Pflicht des Deutschen Bundestages, der namens des ganzen` deutschen Volkes, des Volkes in den Grenzen von 1937, zu sprechen berufen ist, an das Gewissen der Welt zu appellieren und politische und persönliche Freiheit und Selbstbestimmung für unsere Saar zu fordern. In diesem Sinne billigen und begrüßen wir in vollem Umfange und uneingeschränkt die heutige Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und besonders auch die gestern an die drei Westalliierten 'gerichtete Note. Wir möchten. Ihnen vorschlagen, daß das Hohe Haus in Bestätigung dieser Regierungserklärung die nachfolgende Entschließung annimmt:
Der Bundestag stimmt der Erklärung der Bundesregierung zur Saarfrage zu.
Er unterstützt mit Nachdruck die in der Note an die Hohe Kommission vom 29. Mai 1951 ausgesprochene Bitte, die in der Hohen Kornmission vertretenen Regierungen mögen die geeigneten Schritte unternehmen, damit im Saargebiet die uneingeschränkte Freiheit der Meinungsäußerung und der Willensbildung auch hinsichtlich der Fragen hergestellt wird, die im Friedensvertrag ihre endgültige Regelung finden sollen. Er appelliert an die demokratischen Völker der Welt und insonderheit an die im Europarat vertretenen demokratischen Völker Europas, für die Herstellung des demokratischen Freiheitszustandes an der Saar einzutreten, den die Menschenrechte erheischen.
Meine Damen und Herren! Zum Schluß nur noch wenige Sätze: Wir würden uns am Wiederaufbau Europas und an den Menschenrechten, zu denen gerade wir uns nach allem Erlebten mit heißem Herzen bekennen, versündigen, wenn wir jetzt nicht alles tun würden, um politische Freiheit, Recht und persönliche Würde des Menschen auch im deutschen Saargebiet wiederherzustellen.
Und ein letztes, was schon angeklungen ist, aber auch hier nicht unterdrückt werden kann: Wie sollen wir erfolgreich unseren Kampf gegen die Oder-Neiße-Grenze weiterführen, wenn den Sowjets und ihren Helfershelfern in der Ostzone das Argument in die Hand gegeben würde, daß unter den freiheitlichen Grundsatzen der westlichen Welt ein wichtiger Gebietsteil ohne Zustimmung der eingesessenen Bevölkerung von seinem Mutterlande gelöst wird? Die Separation an der Saar gegen den Willen der Bevölkerung wäre Wasser auf die Mühlen der Herren Pieck, Grotewohl und Stalin, und kein rechtlich und freiheitlich denkender Staat sollte sich dazu hergeben, diese Mühlen in Gang zu halten.
Schließlich möchte ich zum Ausgangspunkt meiner Darlegungen zurückkehren mit einem nochmaligen leidenschaftlichen Bekenntnis zu unserem unbeirrbaren Glauben an ein auf der Grundlage der Menschenrechte für alle Europäer konföderiertes Europa, dessen geistige Grundlagen auch die Garantie für die freie Selbstbestimmung der Saar in sich tragen und der Schlüssel zur Gerechtigkeit und zum Frieden sind. Wir lassen uns diesen Glauben nicht nehmen, weil er das Kernstück unseres Glaubens an eine bessere, friedliche Zukunft Deutschlands und Frankreichs wie auch Europas und der ganzen Welt ist.
Vizepäsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.