Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Industriegewerkschaft Metall hat am 3. Januar 51 in Gegenwart des verstorbenen Vorsitzenden ,des Gewerkschaftsbundes, Herrn Dr. Böckler, den Beschluß gefaßt, die Arbeiter in der eisenschaffenden Industrie würden am 1. Februar die Arbeit niederlegen, falls bis dahin keine den gewerkschaftlichen Forderungen entsprechende Regelung des Mitbestimmungsrechts ergangen sei. Bei dieser Androhung handelte es sich nicht um einen gewöhnlichen Streik; denn was gefordert wurde, lag außerhalb dessen, was die Arbeitgeber bewirken konnten. Es handelte sich nicht um die Herbeiführung bestimmter wirtschaftlicher und sozialer Arbeitsbedingungen, sondern um eine gesetzgeberische Maßnahme. Ein Streik, der gesetzlich gerechtfertigt sein soll, muß sich gegen die Arbeitgeber als diejenigen wenden, die in der Lage sein müssen, die bestimmten wirtschaftlichen und sozialen Arbeitsbedingungen herbeizuführen, um die gerungen wird. Hier handelte es sich aber um eine generelle Regelung, die nur Gegenstand eines Gesetzes sein konnte. Eine Forderung, deren Erfüllung durch Streik erzwungen werden soll, ist, wenn sie so beschaffen ist, daß sie sich auf den Inhalt eines bestimmten Gesetzes richtet, die Androhung eines politischen Streiks.
Der politische Streik ist ausnahmsweise nur erlaubt, wenn er auf den Zweck gerichtet ist, den Staat in seinem demokratischen Bestand zu schützen.
– Es gibt auch ungeschriebene Grundgesetze in einer Demokratie.
Im Parlamentarischen Rat bestand Einmütigkeit darüber, daß der politische Streik in einer rechtsstaatlichen Demokratie keine Berechtigung haben könne, es sei denn, es handelt sich um einen Akt der Notwehr, um einen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat zu verhüten oder diesem Angriff durch eine entsprechende Gegenwehr zu begegnen.
Es bleibt also 'dabei und kann nicht bestritten werden, daß eis sich bei dem Verhalten der Gewerkschaften um die Androhung eines unerlaubten rechtswidrigen politischen Streiks handelte. Streiks als Druckmittel auf den Gesetzgeber sind der rechtsstaatlichen Demokratie wesensfremd. Die repräsentative Demokratie, die in unserem Grundgesetz niedergelegt ist, überträgt das Gesetzgebungsrecht ausschließlich bestimmten Organen. Die Gesetzgebung ist nur Sache der hierfür bestellten Organe, und das ist insonderheit als Gesetzgebungsorgan par excellence das Parlament. Die Mitglieder des Parlaments sind nach Art. 38 an Weisungen und Aufträge nicht gebunden. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen.
Die Entschließungsfreiheit dieser nur ihrem Gewissen unterworfenen Mitglieder des Parlaments untersteht dem strafrechtlichen Schutz des § 105 des Strafgesetzbuches.
Darüber hinaus ist seit jeher auch in der zivilrechtlichen Judikatur anerkannt gewesen, daß die gewerkschaftlichen Kampfmittel nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze gegeben sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es bleibt zu konstatieren, daß sich die Gewerkschaften mit der Drohung, die an die Adresse der Regierung und des Parlaments gerichtet war, um ein Gesetz bestimmten Inhaltes herbeizuführen, eines schweren Angriffs auf die Demokratie schuldig gemacht haben.
Dieser Angriff war um so schwerer, als er von einer machtvollen Organisation ausging. Angriffe gegen die Demokratie müssen als um so schwerwiegender beurteilt werden, je machtvoller die Verbände oder Interessengruppen sind, von denen sie ausgehen.
Deshalb bestand auch gerade für den Justizminister die Verpflichtung — nicht nur gegenüber diesem Hause, sondern auch im politischen Wirken draußen —, die Öffentlichkeit auf die Gefahren hinzuweisen, die sich für den Bestand der rechtsstaatlichen Demokratie daraus ergeben, daß die Gewerkschaften einmal jedenfalls zu dem Mittel der Androhung eines rechts- und verfassungswidrigen politischen Streiks geschritten sind. Es besteht das allergrößte Interesse daran, daß die deutsche Öffentlichkeit erkennt: Bei einer solchen Praxis darf es nicht bleiben. Wenn man irgend etwas wünschen kann, dann dies, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Sozialdemokratie, daß Sie zu der Einsicht gelangen: das Verhalten der Gewerkschaften, Streikmaßnahmen gegen Parlament und Regierung anzudrohen, darf sich nicht wiederholen.