Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist seit einiger Zeit zur Methode geworden, publizistische Instanzen von Gewicht, Ansehen und Einfluß als sozialdemokratische Domänen hinzustellen. Das geschieht bei der dpa ebenso wie beim NWDR. Bei der dpa beispielsweise reichen schon Leute aus, die nur bis drei zählen können, um festzustellen, wieviel Sozialdemokraten sich dort befinden.
Diese Behauptung ist überhaupt nicht dadurch charakterisiert, daß sie zutrifft, sondern dadurch, daß sie die Absicht anzeigt, in diesen Institutionen auch noch den letzten geringen sozialdemokratischen Einfluß zu beseitigen.
Als unser Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films im Januar 1950 in Hamburg beim NWDR war, wurde den Mitgliedern ein Pamphlet mit sehr rüden Angriffen gegen diese Institution zugeleitet. Leute, die mit den Dingen vertraut waren, haben dieses Pamphlet achselzuckend beiseite gelegt. Der NWDR selbst hatte ein begreifliches, ja sogar ein verpflichtendes Interesse daran, den Urheber festzustellen. Dazu sind Nachforschungen über die Kriminalpolizei eingeleitet worden. Als die Kriminalpolizei mit den Dingen nicht zu Rande kam und dem NWDR nahelegte, sich wie sie selbst bestimmter Detektivinstitute zu bedienen, wurden die Nachforschungen auf diese Weise fortgesetzt. Da die Anlage des Pamphlets zeigte, daß ihre Urheber unter Umständen im Hause des NWDR selbst sitzen könnten, haben sich die Untersuchungen notgedrungen auch auf Mitglieder und auf das Haus selbst erstreckt. Daraus haben sich die Dinge ergeben, die wir hier von Herrn Matthes vorgetragen bekommen haben.
Auf dieses Pamphlet aber — und das scheint auch das einzige zu sein, was die Deutsche Partei als Grundlage ihrer Angriffe hat — hat sich die Deutsche Partei gestützt. Das geht schon daraus hervor, daß sie in einer Artikelreihe in ihrem Informationsdienst die Fehler wiederholt, die in diesem Pamphlet gemacht worden sind.
Beispielsweise wird da Herr Stübs unter den sozialdemokratischen Schlüsselstelleninhabern als Leiter des Schulfunks angegeben. Das haben Sie in Ihrem Artikel vor drei Wochen wiederholt. Der Herr ist seit 11/2 Jahren nicht mehr Leiter des Schulfunks. Vielleicht aber — und deshalb habe ich diese Sache hier aufgegriffen — kann uns Herr Matthes nun sagen, wer der Urheber dieses Pamphlets ist.
Das wäre für den NWDR wie für uns alle zu wissen sehr nützlich und angenehm.
In diesem Pamphlet sind nun an den sogenannten leitenden Stellen sage und schreibe zehn Sozialdemokraten entdeckt worden. Unter diesen freilich befindet sich auch Herr August Hoppe. Dieser war früher bei der FDP und gehört heute keiner Partei mehr an. Es ist ja möglich, daß er gelegentlich
einen so vernünftigen Eindruck macht, daß er uns zugezählt wird.
Diese „Kostprobe" — so heißt es in dem Artikel — finde ich sehr mager. Ich muß sagen, es wäre traurig, wenn das alles Sozialdemokraten wären, die am NWDR mitwirkten.
Wie sieht denn .aber die Wahrheit bei den Schlüsselstellungen aus? Ich halte beispielsweise die Stellungen der Intendanten beim NWDR für Schlüsselpositionen. Aber weder Herr Troester in Hamburg noch Herr Hartmann in Köln ist Sozialdemokrat. Unter den vier Direktoren, die unter dem Generaldirektor Dr. Grimme arbeiten, finden Sie keinen Sozialdemokraten. In Berlin befindet sich an den leitenden Stellen nach dem Tode unseres Freundes Mischke, der übrigens von sehr vielen bedauert und beklagt worden ist, die sich nicht in unserem Lager befinden, kein Sozialdemokrat.
Die drei Berliner Leiter für Verwaltung, Technik und Programm sind keine Sozialdemokraten,
und unter den Hauptabteilungsleitern finden Sie einen einzigen Sozialdemokraten, nämlich den Leiter der Abteilung „Politisches Wort" in Köln, Walter Steigner, der sich aber in seiner Abteilung unter den Anhängern der Koalitionsparteien in herzbeengender Vereinsamung befindet.
Die Sozialdemokratie wäre nach ihrer Stärke und Größe eher berechtigt, Forderungen nach stärkerer Berücksichtigung zu stellen.
Aber wir haben gar kein Interesse daran, diesen Spieß hier umzudrehen. Diesen Spieß wollen wir vielmehr fortwerfen und in der Auseinandersetzung über diese Dinge überhaupt nicht gebrauchen. Diese Methode des Aufrechnens nach dem Parteibuch schafft nur Unsicherheit unter den Kräften und hemmt die Arbeit. Der einzige Effekt, der erreicht wird, ist derjenige, daß die, die den Mut zum Bekenntnis einer politischen Haltung haben — und das soll in der Demokratie als Vorzug gelten —, diffamiert werden.
Dieser Angriff hat uns aber – nicht nur uns Sozialdemokraten, sondern, ich glaube, Ihnen allen — keine neuen Offenbarungen gebracht. Es ist der Ausdruck eines ständigen und systematischen Nörgelns und Bohren, von Beeinflussungsversuchen, von Versuchen, die NWDR-Leitung unter Druck zu setzen; und sich diesen ständigen Bestrebungen zu widersetzen, verlangt starke Nerven. Ich glaube, der einzige Vorwurf, den man unserem politischen Freund Grimme, der an der Spitze dieses Instituts steht, machen könnte, ist der, daß er diese starken Nerven vielleicht nicht immer gehabt hat.
Seit er Generaldirektor des NWDR wurde, sind
außer einem einzigen Fall nur Sozialdemokraten
entlassen, ist aber kein einziger angestellt worden.
Das sind die Tatsachen, Herr Matthes! Ihr Angriff gegen den Generaldirektor Dr. Grimme ist noch dazu von besonderer Unanständigkeit. Dr. Grimme ist von dem Verwaltungsrat des Nordwestdeutschen Rundfunks einstimmig gewählt worden, und zwar deshalb, weil er sich durch sein
Wirken und sein Wesen allgemeine Geltung und allgemeines Ansehen verschafft hat; und als Persönlichkeit des geistigen Lebens, als ein guter Repräsentant einer 'allgemeinen deutschen Sache wurde er an 'die Spitze dieses Instituts berufen. Es ist unfair, diesen Mann als einen „strammen SPD-Mann", wie Sie in Ihrem Artikel schreiben, in eine parteipolitische Statistik einzusetzen. Leute von der demokratischen Observanz des Herrn Matthes freilich sehnen sich nach anderen Repräsentanten. Der niedensächsische Wahlkampf hat gezeigt, daß man sich ehemalige Landesgruppenführer und Obersturmführer der Waffen-SS oder einen Generalrichter der Luftwaffe, der sich seiner Bluturteile rühmt, als Repräsentanten der eigenen Gesinnung auswählt.
Für solche Leute mag Dr. Grimme freilich nicht zureichen; er legt aber auch gewiß keinen Wert darauf, als ihr Repräsentant zu gelten. Es ist im übrigen ein ungemein erheiternder Eindruck, nach den Erfahrungen und Erlebnissen des niedersächsischen Wahlkampfes Herrn Matthes und seine Freunde hier als Gralswächter der demokratischen Meinungsfreiheit auftanzen zu sehen.
Von Herrn Dr. Grimme erwartete man — und deshalb zumeist hat man ihn auch erwählt — die Wahrung der Unabhängigkeit des Rundfunks durch einen gerechten Ausgleich.
Wir Sozialdemokraten haben den Eindruck: dieser Ausgleich ist manchmal so weit getrieben worden, daß er die Unabhängigkeit etwas beeinträchtigt hat. Es kam zu einem gar nicht rundfunkgemäßen System von Ausgleichsposition und Gegengewicht. Denken Sie nur an Herrn Dr. Starke in Hamburg, Herrn Renée in Berlin, Herrn Hans Wendt in Bonn, und denken Sie daran, daß als Sprecher über Wirtschaftspolitik im Rundfunk lediglich Herr Dr. Wesemann fungiert. Daß er ein Anhänger der Wirtschaftsauffassungen des Herrn Professor Erhard ist, ist seine Sache, und das ist ihm nicht übel zu nehmen. Übel zu nehmen wäre ihm vielleicht, daß er es sorglich vermeidet, im Rundfunk, der ja alle Meinungen auf diesem Gebiete zum Ausdruck bringen soll, auch die anderen Auffassungen zu Wort kommen zu lassen.
Was den Fall von Zahn und diesen Vortrag über den Schumanplan angeht, so hätten Sie sich den Fauxpas ersparen können, Herr Matthes, das Haus falsch zu unterrichten, wenn Sie die Güte gehabt hätten, den Ausführungen, die ich bei Behandlung des Etats des Bundesministeriums des Innern über diese Angelegenheit gemacht habe, zuzuhören oder sie nachzulesen. Dort war die Sache richtig dargestellt worden. Nicht von der Sozialdemokratie, sondern von der Bundesregierung ist eine Einmischung in die Personalpolitik des NWDR versucht und zum Teil durchgesetzt worden, die nicht dem entspricht, wonach dieses Institut arbeiten soll und wonach seine leitenden Stellen besetzt werden sollen. Die Art dieser Berufung und dieser Berufungshilfe hat die neuen Sprecher in gewisser Hinsicht gebunden und den Rundfunkstil — wenn ich es einmal so nennen darf —, der weit über die Parteigrenzen hinaus Anklang gefunden hat, verfälscht. Wenn ich sage, daß dieser Stil weit über die Parteigrenzen hinaus Anklang gefunden hatte, so kann ich mich dabei auch auf meinen sehr verehrten
Kollegen, Herrn Ewers, berufen, der in Ihren
Reihen sitzt. Es begann die Magermilch der
frommen Denkart in die Mikrophone zu tröpfeln,
und die Tribüne des NWDR wurde gelegentlich zu Herzblättchens politischem Zeitvertreib. Das alles scheint vielen Leuten so gut zu gefallen, daß sie die Entwicklung in dieser Richtung weiter vorantreiben wollen. Man huldigt hier offenkundig einer Art patriarchalischer Auffassung. Die Elterninstanz oder meinethalben die Großelterninstanz der Bundesregierung steht außerhalb der Diskussion. Über sie wird nicht diskutiert, sie wird respektiert, und allein an dem Grad des Respekts kann man die wahre Unabhängigkeit eines Rundfunkinstituts ablesen. Ich fürchte, das ist in Wirklichkeit gemeint.
Aber eins ist bei alledem, was dem NWDR hier vorgeworfen wurde, nicht gesagt worden: daß die erwähnten sozialdemokratischen Inhaber von Schlüsselstellungen der Qualifikation ermangelten. Man begnügt sich mit dem Vorwurf: sie sind Sozialdemokraten! Das mag an den Stammtischen der Deutschen Partei in Niedersachsen ausreichen;
hier in diesem Hohen Hause hätte man etwas mehr zu hören gewünscht. Haben diese Leute irgend etwas getan, um das Ansehen der Demokratie herabzusetzen, um eine aufrichtige und sachliche Diskussion zu beeinträchtigen? Es kann freilich sein, daß ein Sprecher wie Walter Steigner — und nicht er allein — den Hörer allmählich politisch zu einer solchen Reife bringt, daß er nicht mehr geneigt ist, die Deutsche Partei zu wählen, weil er sie für überflüssig hält.
Würde dadurch aber für die Bundesrepublik und für die demokratische Gesamtheit ein Schaden entstehen?
Einigen der erwähnten SPD-Männer wirft man vor, sie seien früher Kommunisten gewesen. Mir scheint entscheidend zu sein, was sie heute sind und wie sie heute wirken.
Für diese Auffassung erwarte ich Verständnis vor allem bei denen, die sonst immer alles Alte begraben sein lassen wollen
und die die Mitwirkung der Herren, welche ich vorhin genannt habe — und ich könnte die Liste noch erweitern —, in der deutschen Publizistik für sehr angebracht und wünschenswert halten. Vielleicht gehen wir einmal den politischen Stammbäumen auch dieser Leute nach! Im übrigen möchte ich nur eines sagen. Wenn mein politischer Freund Wehner — um nur ein Beispiel zu nennen —, der ja auch einmal Kommunist gewesen ist, diese Tribüne hier betritt, ist das den Kommunisten äußerst unangenehm.
Gerade solche Männer fürchten sie. Sie aber
dürfen versichert sein, daß Sie als Repräsentanten
einer erneuten politischen Selbstauflösung und Dekomposition des Bürgertums von Moskau durchaus mit Wohlwollen betrachtet werden.
Sie haben vielleicht festgestellt, daß sich der Herr Bundesinnenminister diese Vorwürfe und die Art, in der sie vorgetragen wurden, in keiner Weise zu eigen gemacht hat.
Es ist sicher, daß die Begründung dieses Antrages der Deutschen Partei, die übrigens mit seinem Inhalt sehr wenig zu tun hatte, nicht in die Zeugnisse demokratischen Verantwortungsbewußtseins eingereiht werden kann, die sonst in 'diesem Hause abgelegt worden sind.