Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mir die Mahnung des Herrn Präsidenten zu eigen machen. daß wir zu einer Aussprache zu kommen haben. Diese Aussprache ist insbesondere deshalb notwendig geworden, weil der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei, Herr Kollege Schmid, in Anlehnung an den hier zur Debatte stehenden Gegenstand einige sehr grundsätzliche Ausführungen gemacht hat, die nicht unwidersprochen bleiben können.
Zunächst darf ich allerdings feststellen. daß es eine erhebliche Geduldsprobe gewesen ist, wenn man meinen KP-Vorredner anhörte. Ich glaube, es gibt niemanden hier im Saale, der weniger berechtigt wäre als die KP, sich über die Besatzungslasten auszulassen, nachdem ein großer Teil unseres Vaterlandes darniederliegt: ich meine das Gebiet ostwärts der Oder-Neiße-Linie, das praktisch zerstört worden ist, und das Gebiet der deutschen Mittelzone zwischen Oder und Elbe, das wie eine Zitrone ausgepreßt worden ist, wie es in der Geschichte beispiellos ist.
Wenn der Vertreter dieser Partei in engster Zusammenarbeit mit einem Staat steht, dessen Politik
— ich will mich vorsichtig ausdrücken — nach 1945 dazu beigetragen hat, daß diese geplagte Welt keine Ruhe zu finden vermag, so daß alle Produktivkräfte aufgewandt werden müssen. um im Zustand der Spannung noch den letzten Rest der Sicherheit zu retten,
dann hat es keinen Sinn, mit dieser Partei zu diskutieren. Sie lehnt ja auch ihrer ganzen Struktur nach jede Diskussion ab.
Nun aber zu den Ausführungen unseres Kollegen Schmid. Es ist beanstandet worsen, daß die Regierungsbank bei diesem Gegenstand leer sei. Wir haben feststellen müssen, daß es sich um eine Auflage handelt, daß hier also eine parlamentarische Verantwortlichkeit gar nicht zur Debatte steht. Dies wird, glaube ich, dadurch zum Ausdruck gebracht, daß diese Debatte von der Regierung als rein technisch betrachtet wird, indem der Herr Staatssekretär, der über die technischen Vorgänge im Bilde ist, anwesend ist. Irgendeine Verantwortlichkeit des Finanzministers, über die etwas gesagt werden könnte, liegt nicht vor.
Insofern war es allerdings berechtigt, daß der Herr Kollege Schmid in die Tiefe der Problematik dieser Frage hineingestoßen ist, nämlich in die Frage nach der Natur des Besatzungsregimes. Dieses Besatzungsregime beruht auf einer völkerrechtlich völlig anormalen Grundlage. Man versucht, einen Krieg zu liquidieren, wie man sonst einen Bürgerkrieg liquidiert. Das heißt: die siegende Partei hat von sämtlichen Rechten der Intervention Gebrauch gemacht. Die Interventionen gehen bis tief in den Kern des besiegten Staates hinein. Das ist eine Konstruktion, die vielleicht auf die Erinnerung der Vereinigten Staaten zurückgeht, damals, als man im Bürgerkrieg Mitte des vorigen Jahrhunderts auch eine unterlegene Partei sozusagen in die Gemeinschaft des Staates zurückerzog. Die Deutsche Partei hat sich von Anfang an gegen dieses Prinzip der Liquidation eines Krieges gewandt. Daraus ist eine Debatte entstanden. welches denn eigentlich die Natur dieses Besatzungsregimes gewesen ist, ob eine occupatio bellica — kriegerische Besetzung —, eine occupatio pacifica — friedliche Besetzung — oder jenes merkwürdige Gebilde der occupatio mixta, in dem sich eine Hilflosigkeit der Völkerrechtswissenschaft ausdrückt, indem man auf der Suche nach Maßstäben und Prinzipien einen Begriff für etwas wählt, was man eigentlich nicht definieren kann.
Ich glaube, daß gerade eine unterlegene Nation ein besonderes Interesse daran hat, die richtigen Maßstabe zu finden. Um den Weg in die Zukunft zurückzugewinnen, müßte man sich an die eigentliche Zielsetzung halten, die die Liquidation eines Krieges nach sich zieht. Der Krieg muß liquidiert werden, um den Frieden wiederherzustellen, d. h. die gestörte Ordnung unter den Staaten wieder in ein Gleichgewicht zu bringen. Frieden heißt Gesundheit der Beziehungen der Völker untereinander. Es ist die Aufgabe gerade einer besiegten Nation, dem Konstruktiven, dem, was dem Recht gemäß ist, was die Lebensfähigkeit und eine Ordnung der Zukunft in sich bergen kann, nachzugehen. Wenn man gewillt ist, sich diese merkwürdige Art des Besatzungsregimes klarzumachen, wenn man in ihm doch irgendwie den Keim eines werdenden künftigen Völkerrechts, eines Rechts des Friedens und einer Ordnung, die das Zusammenleben der Völker ermöglicht, erblickt, dann muß
man sich an die wenigen Zukunftshoffnungen halten, die auch in den Kriegskonferenzen zum Ausdruck gebracht worden sind. Ich meine hier das Grundziel, die im Kriege gestörte Ordnung der Völker 'dadurch zu bereinigen, daß die deutsche Nation in die Gemeinschaft der freien Völker zurückgeführt wird. Ich glaube, alle demokratischen Fraktionen dieses Hauses sind sich völlig darin einig, daß die Freiheit und Gleichberechtigung unseres Landes das unverzichtbare Ziel unserer deutschen Außenpolitik ist, Freiheit und Gleichberechtigung nicht nur der Bundesrepublik, sondern des Bundes im Sinne der Identität mit dem alten Deutschen Reich. Die deutsche Nation in ihrer Gänze, nicht nur im Westen, nicht nur in der Mitte, sondern auch in den alten historischen Gebieten und in den historischen Grenzen muß in Freiheit und Gleichberechtigung auf Grund der gegenseitigen Achtung an den Tisch der Nationen zurückkehren.
Lediglich in den Methoden ist ein Streit aus-. gebrochen. Wenn ich der Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Schmid, der heute vom sozialdemokratischen Standpunkt aus in einer sehr herben Kritik Stellung genommen hat, folgen will, dann ist es ein Streit um die Methode. Traurig, daß dieser Streit um die Methode sich nicht in dem sachlichen Rahmen gehalten hat, der notwendig wäre, sondern daß durch diesen Streit alle defaitistischen, nihilistischen und anarchistischen Züge in unserem Volk aufgebrochen sind, so daß das letzte Jahr, das uns dank der Politik der Bundesregierung Schritt für Schritt dem Ziel der Freiheit und Gleichberechtigung tatsächlich nähergebracht hat, in seinem politischen Effekt im Volke nicht verstanden und weitgehend verspielt worden ist.
Worin liegt nun der Unterschied in der Methode, die die Sozialdemokratie als außenpolitische Konzeption sieht und die wir als außenpolitische Konzeption sehen? Ich habe einmal — es war noch zur Zeit des Parlamentarischen Rates — .das Wort gehört, das deutsche Volk müsse noch erst durch ein Fegefeuer gehen, ein Fegefeuer, das dann über es hereinbreche, wenn es die Härte des Sichversagens aufzubringen in der Lage sei.
— Das war der Redner des heutigen Tages, unser Kollege Schmid. — Dies ist eine Vorstellung, die ganz aus dem nationalstaatlichen Denken des vergangenen Jahrhunderts hervorgeht. Nehmen wir an, wir wären im Jahre 1870 unterlegen gewesen: oder denken Sie an die Niederlage Preußens im Jahre 1806. Dort ist die Politik des Sichversagens, des absoluten Neins möglich und vielleicht auch sinnvoll gewesen, weil immerhin noch ein Rudiment von Staat vorhanden war. Die Problematik unserer Gegenwart ist aber eine vollkommen andere. Uns fliegen die gebratenen Tauben des außenpolitischen Erfolges nicht dadurch in den Mund, daß wir in Passivität versinken. Einem Volk, das nur noch in einem Teilgebiet seines Landes die Freiheit der Entschließung hat, fehlt eben auch rein machtmäßig gesehen die Möglichkeit, durch ein reines Sichversagen, durch die Passivität, durch das Nein die destruktiven Ziele einer auch aus nationalstaatlichem Machtwillen geborenen Siegerkonzeption in die richtigen Bahnen zu leiten. Es ist eine völlig andere Lage. Dieses Jahrhundert zeigt uns auf, daß Großraumgebilde entstehen. Im Osten steht bereits unter der Führung des Kreml
fast der ganze asiatische Kontinent samt Osteuropa, ein Machtbereich, wie ihn Dschingis-Khan einmal erreicht hat und wie er danach nicht wieder erreicht worden ist. Wenn ein solches politisches Gebilde in der Welt steht, dann kann der restliche Teil der Welt nicht in Konzeptionen verharren, wie sie das nationalstaatliche Jahrhundert. hervorgegangen aus der Französischen Revolution, im 19. Jahrhundert eben gehabt hat.
Hier kreuzen sich zwei ganz verschiedene Linien. Potsdam und ein Teil der Kriegskonferenzen, auf denen von den Alliierten das Konzept der Behandlung Deutschlands gefunden worden ist, sind noch der letzte Rest jenes imperialistischen. nationalstaatlichen Jahrhunderts. Genau so ist Versailles dadurch verfehlt worden, daß nicht die neuen konstruktiven Ideen beachtet wurden, daß nämlich der Nationalstaat als solcher gar nicht mehr bestehen kann. Bereits damals mußte man zu größeren Zusammenschlüssen kommen. Dieses innere Gesetz des Werdens hat man verkannt. Deshalb. glaube ich, ist es eine richtige Haltung der Regierung — und ich möchte das in allem Ernste sagen —, daß gerade von unserer Seite aus nicht jener Protest aus dem Ideen- und Zeitbild gewonnen wird, wie etwa das geschlagene Preußen nach 1806/07 bis 1813 sich benahm oder wie man es vielleicht auch noch nach 1918 machen konnte. Wir erinnern uns aber auch, daß der Kampf gegen den Versailler Vertrag, so wie wir Deutschen ihn geführt haben und ihn aus innerem Bedürfnis heraus führen mußten, weil er Lebensbedürfnisse unseres Landes verletzt hat, nicht zur wahren Befreiung unseres Landes geführt hat.
Dieses Lernen aus der Geschichte, das ist nun einmal die Aufgabe, um zu dem zurückzukehren, was ich mir anfangs zu sagen erlaubte. Ein Volk in der Niederlage muß seine Situation erkennen. muß sich den Entwicklungsströmen, die in .der Geschichte erkennbar sind, anzupassen versuchen.
Meine Damen und Herren, es gibt ein Schweizer Buch „Auch einer". Da steht der schöne Satz: „Das Moralische versteht sich immer von selbst!".
— Gut, ich nehme diese Belehrung an. — „Das Moralische versteht sich immer von selbst!" Daß sich diese Nation und diese Regierung nicht einmal gedemütigt haben, das steht fest. Ich gebe dem Kollegen Schmid zu: es ist uns eine böse Politik der Junktims auferlegt. Aber wenn wir uns Zentimeter für Zentimeter vorarbeiten wollen, — ich möchte das praktische Konzept sehen, wie denn die Position gewonnen werden kann, um mit der einzigen Waffe, die uns geblieben ist, um unser Recht und um unsere Freiheit zu ringen. Wir müssen ja gewissermaßen erst wieder prozeßfähig geworden sein, irgendwie 'die Legitimation in der Hand haben, an den Tisch kommen, um im Wege der Verhandlung alles das zu tun, was Ihre Konzeption des Versagens in einer gewissen Illusion vorwegzunehmen trachtet. Wir verkennen ia doch die furchtbare Lage, in der dieses Volk zurückgeblieben ist! Österreich hat es ja tausendmal besser als wir, tausendmal besser! Es hat seine Staatlichkeit gerettet und bewahrt. Wir kommen erst allmählich Schritt für Schritt dahin, die Position
zu gewinnen, aus der heraus man mit allen Waffen rechtlicher Argumentation arbeiten kann.
Ich stimme dem Kollegen Schmid — und ich glaube, die Mehrheit dieses Hauses — restlos zu: Die Zeit des Besatzungsregimes, der Interventionen muß vorbei sein, wenn wirklich jener konstruktive Weg in den größeren europäischen oder gar atlantischen Raum gegangen werden soll. Und er muß gegangen werden.
Die Höhe der Besatzungslasten ist hier in der Debatte sehr gut und erschöpfend kritisiert worden. Ich habe dazu nichts weiter hinzuzufügen. Aber ich möchte doch zu einem wichtigen Punkt Stellung zu nehmen versuchen. Die Erfüllung der sozialen Verpflichtungen ist der beste und zuverlässigste Verteidigungsbeitrag. Da gibt es das Wort von Friedrich Naumann, das recht zu verstehen ist: Es nützt die beste Sozialpolitik nichts. wenn die Kosaken kommen! Aber ich möchte dieses Wort auch nicht übertreiben. Tatsächlich kann man 'keine Rangordnung zwischen Fragen der rein militärischen Sicherheit und der Sozialordnung aufstellen. Auch hier ist es notwendig, einmal unsere Situation zu erkennen. Sie ist ja vollkommen anders als die der anderen europäischen Staaten, also etwa als die Situation Englands. Unser Land steht nicht im normalen Status, nicht nur rechtlich, nicht nur materiell, sondern insbesondere nicht hinsichtlich seiner sozialen Struktur. Wir haben ja nicht nur die Gruppe von Sozialrentenempfängern, wie sie üblicherweise in einem gesunden Staat als eine ständige Bevölkerungsgruppe vorhanden ist, sondern wir haben eine in die Millionen hineingehende Zahl von Kriegsopfer- und Kriegsfolgelasten auf sozialem Gebiet und dazu eine Verproletarisierung unseres Volkes durch den Tatbestard der Vertreibung von etwa 15 Millionen, in der Bundesrepublik von 7,9 Millionen Menschen, mit den ausländischen Vertriebenen rund 9 Millionen Menschen. Eine völlig anormale Lage! Es ist selbstverständlich — ich glaube, darüber sollte in diesem Hause gar keine Diskussion sein —: es handelt sich hierbei nicht um soziale Lasten, sondern um eine soziale Verpflichtung. Das ist selbstverständlich. Wie soll ein Staat in den normalen Rahmen der Zusammenarbeit mit anderen Staaten in einer Großraumgemeinschaft eingegliedert werden, wenn dieser Staat nicht in ,die Lage versetzt wird, seinen sozialen Verpflichtungen, die ja doch etwas Primäres sind, zu erfüllen. Deshalb. glaube ich, sollte man über die Frage, was den Vorrang habe und was nicht, nicht in diesem rein theoretischen Sinne diskutieren, sondern wir sollten eines tun, und das so schnell wie möglich: einmal eine ganz klare Bilanz über die Leistungsfähigkeit unseres Landes aufstellen, wobei als Berechnungsposten unter allen Umständen die sozialen Verpflichtungen aufzutreten haben; denn die müssen erfüllt werden. Wenn überhaupt eine Gesundung unseres Landes kommen soll, gibt es gar keine andere Möglichkeit als die, diesen Posten voll einzusetzen. Wir können und dürfen nicht zu Lasten dieser grundsätzlichen Verpflichtung Leistungen zusagen oder vorspiegeln, die wir gar nicht erbringen können. Jene Leistungsbilanz des deutschen Volkes müßte aufgestellt werden — und ich glaube, das ist eine Aufgabe des Bundesfinanzministers —, damit man sich in konkreten Zahlen und Vorstellungen bewegen kann. Denn Deutschland kann nicht in der Mitte Europas der kranke Mann sein.
Wenn wir zu jener wirklich konstruktiven Gesundung kommen wollen — und ohne diese konstruktive Gesundung, ohne die Zusammenarbeit mit der freien Welt wird es keine Zukunft, weder für unser Land, noch für unsere Nachbarn geben —, müssen klare Vorstellungen über die noch verbliebene Leistungsfähigkeit unseres Volkes geschaffen werden. Wir werden hier hart zu sein haben und wirklich einmal das Nein aussprechen müssen aus innerster sittlicher Verpflichtung, auch aus Verantwortungsgefühl den andern gegenüber. Dann werden auch die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen sein, um Deutschland in der Form seiner Eingliederung in die Gemeinschaft der freien Völker wirklich zu sanieren. Dazu ist eine Wandlung im Geiste notwendig, zunächst aber auch einmal eine Wandlung in unserem Geiste. indem wir von den nationalistischen Konzeptionen des vergangenen Jahrhunderts abgehen.