Rede von
Helene
Wessel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem vorliegenden Antrag auf Drucksache Nr. 2185 werden meine politischen Freunde und ich zustimmen, da auch wir Wert darauf legen, daß seitens der Bundesregierung ganz eindeutig festgestellt wird, ob der Zentrale Ausschuß für Volksbefragung gegen die Remilitarisierung im Auftrage der SED und sowjetzonaler Stellen mit dem Ziele der Zersetzung der Demokratie eine Volksabstimmung über die Remilitarisierung im Bundesgebiet organisieren will. Gerade aus unserer grundsätzlichen Haltung zur Remilitarisierung und damit zur Erhaltung des Friedens für das deutsche Volk und die Welt legen wir den größten Wert darauf, daß diese Frage nicht zu einer Propaganda von seiten der Kommunisten ausgenutzt wird und damit die große Zahl ehrlicher Friedensfreunde als Kommunisten bezeichnet wird. Wir erwarten geradezu von der Regierung, daß sie in ihrer Innen und Außenpolitik die Parole vom Frieden nicht, wie bisher, den Kommunisten überläßt.
Ich möchte hier auch an die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schumacher in der 98. Sitzung des Bundestages vom 8. November 1950 erinnern. Er sagte zum Schluß seiner Rede:
Nun, meine Damen und Herren, haben die Angelsachsen und leider auch weite Teile unseres eigenen Volkes in der Vergangenheit all-zulange den Kommunisten bzw. die Westmächte den Sowjetrussen die Parole von der deutschen Einheit überlassen. Ich möchte davor warnen, daß sie bei der sozialen Parole und bei der Parole vom Frieden den gleichen Fehler machen. Hier, meine Damen und Herren, wäre eine internationale Kampagne der Aufklärung durch die Wahrheit nötig, um zu zeigen, wer den Frieden will und wer das Wort des Friedens zur Kriegsvorbereitung mißbraucht.
Meine Damen und Herren! Bei der grundsätzlichen Bejahung der in der Interpellation gestellten Fragen an die Bundesregierung möchte ich zu der darin aufgeworfenen Frage der Verfassungswidrigkeit einer Volksabstimmung einige Ausführungen machen. Ich darf in diesem Hohen Hause als bekannt voraussetzen, daß Volksabstimmungen auch unter dem Grundgesetz bereits in einer Reihe von Städten, und zwar mit behördlicher Unterstützung, durchgeführt worden sind,
in denen die Bevölkerung über ihre Einstellung zum Europarat befragt wurde.
Dies zeigt, daß die Regierung und die hinter ihr stehenden Parteien solche Volksbefragungen nicht ohne weiteres für ungesetzlich halten; auch der Herr Bundesinnnenminister hat in seinen Darlegungen ja darauf hingewiesen. Mir scheint dies wichtig zu sein bei der Aufwerfung der Frage, ob der Gedanke einer Volksbefragung über die Einstellung zur Remilitarisierung ursprünglich in der Propagandaabsicht der Kommunisten gelegen hat.
Es war mir interessant, die Ausführungen des Herrn Kollegen Brookmann zu hören. Es wird für ihn interessant sein, zu erfahren, daß kein geringerer als der frühere Bundesinnenminister Dr. Heinemann, der meines Wissens noch heute zur CDU gehört und in keiner Weise kommunistenverdächtig sein dürfte, sich sowohl in seinen Reden wie auch in seinen Artikeln für eine informative Befragung der westdeutschen Bevölkerung in dieser Angelegenheit ausgesprochen hat. Die von Herrn Dr. Heinemann geäußerte Stellungnahme ist folgende: Eine Volksbefragung mit rechtsverbindlicher Wirkung gebe es zwar nicht; einer Volksbefragung, die dem Parlament und der Regierung einen Anhalt biete für die wahre Meinung unseres Volkes, stehe jedoch kein gesetzliches Hindernis im Wege.
Dem Parlament werde auf solche Weise die Entscheidung nicht abgenommen, aber die Volksbefragung stärke das Gefühl der Verantwortung
gegenüber den öffentlichen Dingen bei den Wählern und den Gewählten.
Ich habe mir gestattet, meine Damen und Herren, diese Stellungnahme Dr. Heinemanns, der als früherer Innenminister das Grundgesetz doch kennen muß, deshalb, weil mir das zu wichtig und notwendig erscheint, doch einmal festzuhalten, um klarzustellen, von welcher Seite der Appell an das Volk in der Aufrüstungsfrage zuerst gekommen ist. Es sei mir aber weiterhin gestattet, auf Ausführungen eines mindestens ebenso unverdächtigen Kommunistengegners hinzuweisen, der mit noch größerer Schärfe einen Appell an das Volk in dieser Frage verlangt hat, nämlich des Herrn Kollegen Dr. Schumacher.
Herr Dr. Schumacher hat in der bereits erwähnten 98. Sitzung des Bundestages nach dem stenographischen Bericht folgendes gesagt:
Man darf die Angst vor dem Osten nicht als ein Propagandainstrument für eine Militarisierung unter den heute gegebenen Voraussetzungen einspannen.... Würde sich Deutschland jetzt auf das Gebiet der Aufrüstung begeben, dann würde es das ganze politische und soziale Leben in der Bundesrepublik von Grund auf umgestalten. Das Grundgesetz kennt keine Wehrverfassung.... Die Regelung dieses ganzen Komplexes des deutschen Beitrags kann weder durch offene noch durch heimliche Verwaltungshandlungen geschehen oder auch nur vorbereitenderweise eingeleitet werden....
Es handelt sich um etwas im Grundgesetz nicht Gewolltes und bei den Beratungen des Grundgesetzes sowohl von den innen- wie von den außenpolitischen Faktoren ausdrücklich Abgelehntes. Hier handelt es sich um eine völlig neue Ordnung der Beziehungen von Staat und Menschen.... Uns ist der Hinweis auf den Art. 24 ein politischer Fingerzeig. Es liegt damit von seiten der Bundesregierung oder des Herrn Bundeskanzlers die Absicht vor, mit jeder Mehrheit die Regelung dieser Frage in seinem Sinne zu erzwingen, gleichgültig ob die Verfassung dabei zu Schaden kommt oder nicht. Das, meine Damen und Herren, ist eine Frage, die wir im deutschen Volke zur Diskussion stellen werden.
— Der stenographische Bericht vermerkt an dieser Stelle: Lebhafter Beifall bei der SPD. —
Mit dieser Methode, meine Damen und Herren, erregen Sie doch mit aller Gewalt im Volke den Eindruck, daß es stumm gemacht und nicht befragt werden soll. Mit dieser Methode, ohne diese Achtung der Verfassung gehen Sie doch den Weg zum autoritären, die Demokratie negierenden Staat!
Und weiter sagte Herr Dr. Schumacher:
Wenn der Bundestag diese Frage entscheiden wollte, dann müßten wir ihm die Legitimation zur Entscheidung dieser Frage bestreiten.
Gewiß, der Bundestag ist auf vier Jahre gewählt. Gewiß, keiner ist kleinlich und wird bei jeder neuen Aufgabe immer gleich die Neuwahl des Bundestages verlangen. Aber was hier geschaffen werden soll, ist doch etwas Neues von grundsätzlicher und alles verändernder Bedeutung. Ist dies erst einmal positiv entschieden, dann kann eine solche Entscheidung kaum noch revidiert werden.... Die Frage nach der Neuwahl
— so sagt Dr. Schumacher in dieser Sitzung — konfrontiert die Bundesregierung und ihre Parteien mit der Frage: Welchen Respekt hat sie vor. dem Volke? Will sie dem Volke die Chance geben, über seinen letzten Lebensinhalt selbst zu entscheiden?
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um eine Frage von doch immerhin grundsätzlicher Bedeutung, und ich habe bereits Herrn Dr. Schumacher aus meiner Kenntnis der Beratung des Grundgesetzes als Mitglied des Parlamentarischen Rates darauf hinweisen müssen, daß die Konstruktion unseres Grundgesetzes eine Auflösung des Bundestags vor seiner vierjährigen Wahlperiode nicht zuläßt,
es sei denn, daß der Herr Bundeskanzler durch eine andere Persönlichkeit ersetzt wird und ihm durch diese Wahl das Mißtrauen des Bundestags ausgesprochen wird. '
Auch der Herr Justizminister Dr. Dehler hat es in seiner Stellungnahme zu dieser Frage klar ausgesprochen:
Eine Flucht in die Neuwahlen gestattet das Grundgesetz nicht. Die Möglichkeit der Selbstauflösung des Bundestags durch Mehrheitsbeschluß seiner Mitglieder sei im Grundgesetz nicht vorgesehen. Das scheint mir eine sehr wichtige Frage zu sein, auch eine Frage für die Damen und Herren der SPD. Ihr Herr Vorsitzender Dr. Schumacher wird in seiner Forderung nach Neuwahlen des Bundestags ein Rufer in der Wüste bleiben. Die Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen mögen ausfallen, wie sie wollen — sie werden in ihrem Ergebnis ohne Zweifel aufschlußreich sein —, aber sie können die Bundesregierung und den Herrn Bundeskanzler nicht zu Neuwahlen für den Bundestag zwingen. In Wirklichkeit ist es nach dem Grundgesetz heute so, meine Damen und Herren, — —