Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Erler hat drei Einwände gegen den Abänderungsantrag geltend gemacht. Der eine war ein rein technischer. Er hat ausgeführt: wenn man das Geburtsprinzip anerkennen würde, könnte die Zahl der Anfechtungen und Prozesse sehr groß sein, so daß man mit einer unerfreulichen Verwirrung rechnen müßte, die das Wahlergebnis in Frage stellen könnte. Dieser technische Einwand ist ernst zu nehmen; aber ich glaube, daß sich technische Schwierigkeiten bei der Durchführung durchaus beseitigen lassen. Die Antragsteller waren sich über dieses technische Problem durchaus im klaren.
Der zweite Einwand des Herrn Abgeordneten Erler ging dahin, daß das Geburtsprinzip deshalb nicht Anwendung finden dürfe und könne, weil es sich um eine innerdeutsche Gebietsfrage handle; und er vertrat die Meinung, daß hier sozusagen ein Wohnsitzprinzip, ein Anwesenheitsprinzip gelten müsse. Diesen Einwand kann ich nicht als stichhaltig anerkennen. Allerdings stehe auch ich mit meinen politischen Freunden auf dem Standpunkt, daß irgendwelche aus dem Nationalitätenprinzip hergeholten Grundsätze noch nicht einmal in der Analogie Anwendung finden dürfen oder können; aber das landsmannschaftliche Prinzip — um das geht es hier —, das auch ein Geburtsprinzip ist, sollte Anwendung finden. Es ist konstitutiv für die Bildung eines organischen Raums nach Art. 29 Abs. 1. Dieses landsmannschaftliche Prinzip, das ich auch als Vertriebener vertrete, hat seinen Anknüpfungspunkt in der Geburt. Infolgedessen ist es nicht abwegig und stellt nicht eine Übertragung des Nationalitätenprinzips dar, wenn man hier nach einer Möglichkeit sucht, den im Lande Geborenen und mit diesem Land vielleicht durch Generationen hindurch und durch Gemütswerte Verbundenen bei dieser Frage, welches Schicksal das Land erleiden soll, ein Abstimmungsrecht zu geben.
Noch ein dritter Fragenkreis ist hier angeschnitten worden. Ich möchte davor warnen, daß hier Gefühle und Vorstellungen wachgerufen oder gar den Antragstellern unterstellt werden, die, sehr gefährlich und sehr abwegig wären. Ich stimme dem Abgeordneten Erler durchaus zu: es ist die große nationale gesamtdeutsche Aufgabe, daß der Prozeß der Eingliederung der Heimatvertriebenen vollzogen wird. Aber selbst das Bundestagswahlgesetz hat eine Dreimonatsfrist festgesetzt, nach deren Ablauf man abstimmungsberechtigt ist. Diese Begrenzung ist auch hier in die Vorlage aufgenommen. Ein gewisses Eingelebtsein, eine gewisse Beziehung, um Stellung nehmen zu können, sollte man doch unter allen Umständen fordern. Wenn die Vorlage bereits die Dreimonatsfrist vorsieht, dann ist nicht einzusehen, warum nicht auch der Vorschlag der Antragsteller vernünftig ist, die Frist so zu wählen, daß auf diesem Wege nicht — noch in letzter Minute — irgend etwas manipuliert werden kann. Darum geht es. Es ist kein Antrag, bei dessen vernünftiger und mit einigem Abstand und kühlem Kopf erfolgenden Durchführung etwa die Gefahr einer verschiedenen Bewertung der Staatsbürger zu befürchten wäre. Eine solche Auffassung würde ich von meinem Standpunkt aus mit großem Nachdruck ablehnen.
Andererseits muß man auch dem Bedürfnis einer Landschaft und einer Landsmannschaft Rechnung tragen; es muß genügend Zeit verflossen sein, man muß mit dieser Landsmannschaft und den Gesetzen und Notwendigkeiten des Raumes in ein näheres
Verhältnis gelangt sein, damit man über Dinge entscheiden kann, die für manche mehr bedeuten als nur die Bildung eines Verwaltungsbezirks.
Überhaupt ist in der heutigen Diskussion — das muß ich doch im Namen meiner politischen Freunde einmal feststellen — zur Frage des Föderalismus in einer Form Stellung genommen worden, als handle es sich lediglich um irgendwelche Verwaltungsbezirke, als seien diese Länder etwas sehr Schattenhaftes. Das sind sie nach unserem Grundgesetz nicht. Die Länder sollen organisch gebildet sein und im Rahmen des Bundes nicht nur eine Selbstverwaltung führen, sondern in vollem Sinne eine politisch-staatliche Entscheidung fällen können.
Im übrigen möchte ich mich auf diese Diskussion nicht weiter einlassen. Ich habe aber Anlaß, festzustellen, daß auf einigen Werten des Gemüts, der. Verbundenheit in der Landschaft, die nicht nur eine idyllische Romantik der Rückerinnerung an Täler, Wiesen und Wälder ist, sondern die etwas ist, das in Generationen gewachsen ist und einen Menschen in seinem Charakter bestimmt, herumgetrampelt worden ist, wie man es eigentlich nicht verantworten kann und nicht verantworten darf.
Unser Leben wird schon genügend nivelliert, vom Verstande, von der Zweckmäßigkeit regiert, so daß wir das bißchen Gewachsenes, die noch vorhandenen Gemütswerte pflegen, erhalten und verteidigen sollten gegen eine Welt, die ein verteufelt kaltes Klima bekommen hat.