Meine Damen und Herren! Es ist meine Aufgabe, den Abänderungsantrag zu § 6 zu begründen.
Art. 118 des Grundgesetzes bestimmt, daß eine Volksbefragung stattzufinden hat. Es soll eine Volksbefragung sein; es soll nicht eine Bevölkerungsbefragung sein. Das bedeutet, daß diejenigen Kreise, die das wirkliche Volk, das wirkliche Staatsvolk eines Landes darstellen, instand gesetzt werden sollen, an der Abstimmung teilzunehmen. Dieses Volk ist nicht identisch mit der zufällig am Abstimmungstag anwesenden Wohnbevölkerung. Es geht nämlich zum Teil über sie hinaus, und dies ist der Anlaß dafür, daß wir in unserm Abänderungsantrag, und zwar mit einem neuen zweiten Absatz, die Anwendung des Geburtsprinzips gewünscht haben. Es ist doch so, daß diejenigen Menschen, die sich durch ihre Herkunft und Abstammung, durch ihre Tradition und auch durch die Geschichte mit ihren Heimatländern verbunden fühlen, dann nicht ausgeschlossen werden sollen, wenn es sich um das weitere Schicksal eben dieser Länder handelt. Jeder Mensch reicht ja mit den Wurzeln seines Seins in die Vergangenheit, er lebt in der Gegenwart, und er wächst in die Zukunft hinein. Es wäre aber verfehlt, wenn wir hier, wo es sich um das Schicksal der deutschen Länder handelt, den Blick in die Zukunft allein als ausschlaggebend ansehen wollten. Ebenso
wichtig ist es nämlich, daß wir dem ersten Absatz des Art. 29 des Grundgesetzes Rechnung tragen und die bestehenden geschichtlichen Verhältnisse und die landsmannschaftliche Verbundenheit hier mitsprechen lassen. Gerade das Land, das mit die älteste demokratische Tradition in Europa hat, die Schweiz, hat das Prinzip des Heimatrechts aufs stärkste ausgebildet. Dieses Heimatrecht vererbt sich von Generation zu Generation, sogar dann, wenn sein Träger nie den Boden der Schweiz betreten hat. In den internationalen Abstimmungen der letzten Jahrzehnte, vor allem auch in der Saarabstimmung, ist mit vollem Recht auf dieses Geburtsprinzip Rücksicht genommen worden. Ich glaube aber auch, daß, wenn wir heute dieses Gesetz schaffen, wir ja zugleich Präzedenzfälle und Präjudizien für künftige Abstimmungen vielleicht ganz anderer Art schaffen. Wenn wir den Modus der Abstimmungsberechtigung festlegen, ist es notwendig und wertvoll, daß wir nicht die Menschen, die sich durch ihre Herkunft mit ihrer Heimat am stärksten verbunden wissen, von der Abstimmung ausschließen. Das ist der Grund dafür, daß wir die Anerkennung des Geburtsprinzips mit in unseren Antrag aufgenommen haben. Es kann nicht entscheidend sein, wieweit der einzelne in der Lage sein wird, dieses Abstimmungsrecht praktisch auszuüben, sondern es kommt darauf an, daß wir dem Prinzip Rechnung tragen, und das tun wir durch die Aufnahme dieser Bestimmung.
Die zweite Abänderung betrifft die Frage der Wohnsitzdauer. Die beiden Anträge, die dem Ausschuß für innergebietliche Neuordnung überwiesen worden sind, gingen übereinstimmend von einer einjährigen Wohnsitzdauer aus. Der Ausschuß für innergebietliche Neuordnung hat diese Zeit von einem Jahr auf ein Vierteljahr herabgesetzt. Ich glaube, daß die Antragsteller beider Anträge zwingende und triftige Gründe dafür hatten, daß sie eine längere Aufenthaltsdauer für wünschenswert ansahen. Man hat sich gesagt, daß eine Entscheidung von dieser Tragweite nur von solchen Abstimmungsberechtigten getroffen werden kann, die nicht nur den Wohnsitz in einem neuen Land gewonnen haben, sondern die auch die Verhältnisse dieses Landes, die Tatsächlichkeiten, aber auch die Probleme dieses Landes kennengelernt haben. Wir möchten in unserem Antrag nicht so weit gehen, wie es die beiden Anträge, die dem Ausschuß vorgelegen haben, übereinstimmend getan haben. Wir möchten uns mit einem Minimum begnügen, und wir haben daher die Fassung gewählt, daß die Abstimmungsberechtigten im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Neugliederungsgesetzes ihren Wohnsitz ein Vierteljahr lang im Abstimmungsgebiet gehabt haben sollen. Diese Zeit ist relativ gering bemessen. Man kann Zweifel darüber haben, ob in dieser kurzen Frist bereits jemand mit den Lebensfragen dieses Gebietes wirklich so weit vertraut geworden ist. Dadurch aber, daß wir nur ein Minimum hier in Vorschlag bringen, möchten wir andererseits dem Umstand Rechnung tragen, daß möglichst weite Kreise der Bevölkerung, die am Abstimmungstage im Abstimmungsgebiet wohnhaft sind, auch die Möglichkeit haben, an dieser Abstimmung teilzunehmen und ihre Wünsche, wenn auch nicht im Hinblick auf die Vergangenheit, so doch im Hinblick auf die Zukunft geltend zu machen.